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MEMORIAL/073: 9. Mai 1978 - Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro (Gerhard Feldbauer)


Am 9. Mai 1978 wurde der christdemokratische Parteiführer Aldo Moro ermordet.

In dem von der CIA und Gladio inszenierten Anschlag bildeten die manipulierten Brigate Rosse die Kulisse

von Gerhard Feldbauer, 5. Mai 2013



Am 24. Januar 1983 verurteilte der Córte d'assise in Rom 23 Mitglieder der Brigate Rosse wegen Entführung und Ermordung des DC-Führers Aldo Moro zu lebenslänglichen Haftstrafen, die übrigen erhielten darunter liegende Urteile. In dem Verfahren wurden die BR zu alleinigen Tätern erklärt, alles vertuscht, was die Hintermänner des Komplotts betraf. Das Gericht ignorierte die Ergebnisse der parlamentarischen Untersuchungskommissionen zum Fall Moro sowie zur faschistischen Geheimloge P2, die die Verantwortung höchster Regierungskreise sowie der Geheimdienste und der Polizei bis hin zum damals amtierenden Ministerpräsidenten Andreotti für den Tod des Parteiführers aufgezeigt hatten, und stellt diesen im Gegenteil gerichtsoffizielle Persilscheine aus. Die simple Frage, die man jedem Kriminalanwärter auf der Polizeischule beibringt, wer hatte ein Mordmotiv, "wie viele wollten Aldo Moros Tod", wurde während des ganzen Prozesses missachtet, stellt der bekannte Strafrechtler Stefano Rodotâ in einer Prozessanalyse fest. Das Gericht deckte vor allem den Hauptverantwortlichen bei der Ermordung Moros, Giulio Andreotti, bei dem es sich nach einem Bericht des "Europeo" vom 15. Oktober 1983 um "den wahren Chef der P2" handelte. Andreotti wurde später der Anstiftung zum Mord an dem Journalisten Mino Pecorelli, der seine Rolle in dem Komplott enthüllen wollte, angeklagt. Der Herausgeber des "Manifesto", Luigi Pintor, hielt in der Ausgabe vom 5. März 1983 fest, dass im Ergebnis der fünfjährigen Ermittlungen nicht herausgefunden wurde, "wo der Abgeordnete 55 Tage eingesperrt war".

Immer wieder wird jedoch von einigen Linken bestritten, dass die BR von den Geheimdiensten unterwandert und für die Entführung und Ermordung Aldo Moros manipuliert wurden. Lassen wir die Fakten sprechen: Der DC-Vorsitzende wurde laut Obduktion am 9. Mai zwischen 9 und 10 Uhr eingezwängt in den Kofferraum eines gestohlenen Renault 4 mit neun Schüssen aus einer Maschinenpistole Skorpion und zwei aus einer Coltpistole 9 m/m erschossen. Der R4 wurde in der Via Gaetano im Zentrum von Rom abgestellt, wo seit dem frühen Morgen ein Kradfahrer einen Platz zum Einparken freihielt. Nach einem anonymen Anruf wurde Moro dort gegen 13 Uhr gefunden. Die Farbe des Wagens war rot. Der Standort befand sich fast in gleicher Entfernung vom Sitz des Zentralkomitees der IKP und des Parteivorstandes der DC. Das sollte Moros (von den BR "Verrat" genannte) Zusammenarbeit mit der PCI verdeutlichen. In Moros Hosenaufschlägen wurde Sand gefunden, der von den Tolfa-Hügeln bei Rom stammte, wo sich ein Gladio-Stützpunkt befand. Dort musste Moro zumindest zeitweise versteckt gewesen sein. Auf die Hintermänner des Komplotts wiesen zahlreiche weitere Beweise bzw. Indizien. Der Stellplatz des R 4 befand sich etwa einen Kilometer von der Abgeordnetenkammer, dem Sitz des Senats und des Quirinale, dem Amtssitz des Staatspräsidenten, entfernt. Dieses für gewöhnlich schon gut bewachte Viertel war seit der Entführung von einem dichten Polizeikordon umgeben. In Rom befanden sich 172.270 Polizisten im Einsatz, existierten 6.296 Straßensperren, wurden seit der Entführung 167.109 Personen und 96.572 Fahrzeuge überprüft. Unmöglich konnte sich der Motorradfahrer da unbemerkt bei seiner Maschine aufhalten, der als gestohlen gemeldete R 4 dort ankommen und auch noch zwei bis drei Stunden unbemerkt stehen.

Bei dem Aufenthaltsort Moros musste es sich um ein für die Fahndung "unantastbares" Versteck gehandelt haben, untergebracht in einem Gebäude, das keiner Überwachung unterlag. Der PSI-Abgeordnete und Mitglied der Moro-Kommission Luigi Covatta erklärte, dass alle Brigadisten dazu geschwiegen haben, könne "nur eins bedeuten, dass mit dem Gefängnis der gesamte Hintergrund des Falles Moro aufkommen würde". Auch der Geheimdienst-General Giovanni Romeo sagte vor der Moro-Kommission: Wenn etwas bekannt würde, "müssten sie es teuer bezahlen". Um ihr Leben nicht aufs Spiel zu setzen, gaben sich alle Brigadisten deshalb als die alleinigen Täter aus.

Als Verstecke kamen die Botschaft der USA und Israels in Frage, auch die Residenz des Erzbischofs Marcinkus des Vatikans, an der die Route der Entführer vorbeiführte und Zeugen aussagten, dass Moro danach nicht mehr im Fluchtfahrzeug gesehen wurde. In aufgefundenen BR-Dokumenten war der im hebräischen Viertel liegende Palazzo Orsini der Adelsfamilie Caetani vermerkt, von der mehrere Mitglieder der P2 angehörten.

Moro selbst verwies auf die Hintermänner des Komplotts gegen ihn. Das geschah in den Briefen, die seine Bewacher aus der Geiselhaft "nach draußen" übermittelten, in den Gesprächen mit den Entführern (von den BR als "Verhör" bezeichnet) und in den Aufzeichnungen, die er zu Papier brachte und die später "Il Memoriale di Aldo Moro" genannt in zensierter Weise veröffentlicht wurden. Moro führte die Strategie der Spannungen an, "die Italien jahrelang mit Blut überzogen" hatte, verwies auf die "stillschweigende Duldung durch Staatsorgane", erwähnte "außerhalb Italiens liegende Verantwortlichkeiten", die auf die USA zielten, und dass sich diese Politik gegen seine Regierungszusammenarbeit zuerst mit den Sozialisten, dann mit den Kommunisten richtete. In verhüllter Form sprach er Gladio und die Rolle, die sie auch in seinem Fall spielte, an und sprach von "einer spezialisierten Organisation jenseits der Grenzen." Ein vernichtendes Urteil fällte Moro über Andreotti, der "zum Unglück unserer Landes" an der Spitze der Regierung stehe, "am längsten die Geheimdienste leitete und über die besten Beziehungen zur CIA verfügt".

Die BR hatten angekündigt, ein Tonband vom "Verhör" Moros zu veröffentlichen, was nie geschah. Im Oktober 1978 wurde in Mailand lediglich die angebliche Abschrift des "Verhörs" in Maschinenschrift gefunden. Vom Tonband fehlt bis heute jede Spur. Den "Verhörern" musste eine "Panne" unterlaufen sein, das Band bei der Aufnahme zunächst nicht wahrgenommene Töne, Vibrationen, typische Nebengeräusche enthalten, die sich nicht entfernen ließen, die aber das - für die Fahndungskräfte so unauffindbare - Versteck identifiziert hätten. Einblick in das Memoriale und damit in die Rolle des Geflechts von P2, Mafia und Staatsapparat bei der Ermordung Moros erhielt der Carabinieri-General Dalla Chiesa. Am 3. September 1982 wurde er deshalb in Palermo auf offener Straße erschossen, aus seinem Safe alle Unterlagen entwendet. Im 1993 eröffneten Prozess gegen Andreotti wegen Mitgliedschaft in der Mafia sagte der Mafioso Calogero Ganci, der die Ermordung Dalla Chiesas leitete, aus, der General sei umgebracht worden, um Andreotti einen Dienst zu erweisen. Sergio Flamigni, Mitglied der Parlamentskommission zur Untersuchung des Verbrechens, hat in fünf Büchern mit einer Fülle von Fakten und Beweisen belegt, dass die Geheimdienste der USA und Italiens das Komplott gegen Moro inszenierten


Gerhard Feldbauer schrieb zum Thema u. a. das Buch: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA. Papyrossa, Köln, 2000.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2013