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MEMORIAL/094: Im März 1979 wurde in Rom ein gefährlicher Mitwisser umgebracht (Gerhard Feldbauer)


Im März 1979 wurde in Rom ein gefährlicher Mitwisser umgebracht

Er war dem größten Mordkomplott von Gladio auf der Spur

von Gerhard Feldbauer, 10. März 2014



Am 18. März 1979 kündigte der römische Enthüllungsjournalist Camine (Mino) Pecorelli, Herausgeber des Magazins Osservatorio Politico - OP (Politisches Observatorium), Enthüllungen über die Hintermänner des Mordkomplotts an, dem am 9. Mai des Vorjahres der Führer der Democrazia Cristiana (DC), Aldo Moro, zum Opfer gefallen war. Namentlich nannte Pecorelli den zu dieser Zeit amtierenden Ministerpräsidenten Giulio Andreotti als den Hauptverantwortlichen. Über ihn wollte er eine ganze Ausgabe seines OP bringen. Zwei Tage später war er tot. Zwei Mafia-Killer lauerten ihm am Abend vor seinen Redaktionsräumen in der Via Tacito unweit des Castel S. Angelo auf. Als er aus seinem Wagen steigen wollte, feuerten sie um 20.50 Uhr auf ihn vier tödliche Schüsse ab, einen davon in den Mund.


Anstifter Giulio Andreotti

Andreotti wird 2003 wegen Anstiftung zum Mord an Pecorelli und in einem weiteren Verfahren der Mitgliedschaft in der Mafia angeklagt und zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt. Mehrere Mafiosi sagen aus, dass Andreotti über die Mafia zum Mord an Pecorelli anstiftete. Mafia-Boss Tommaso Buscetta gibt an: "Pecorelli ist von Cosa Nostra umgebracht worden, um Giulio Andreotti einen Gefallen zu tun:" In der Revision setzen Andreottis Anwälte die Aufhebung des Richterspruchs wegen Anstiftung zum Mord durch. Bei dem Urteil wegen Mafia-Mitgliedschaft gibt es mangels fehlender Beweise einen Freispruch nur "zweiter Klasse".

1991 war die von der CIA geführte geheime NATO-Armee stay behind, die in Italien Gladio hieß und bei der die Fäden im Mordkomplott gegen Moro zusammenliefen, aufgedeckt worden. 12.000 Gladiatoren, durchweg alte und neue Faschisten, waren, wie eine Parlamentskommission ans Licht brachte, "gegen potentielle Komplizen" aktiv. Schon zehn Jahre früher, im März 1981, war die faschistische Putschloge P2, ein Führungszentrum von Gladio, enttarnt worden. Die Enthüllungen bestätigten, was Pecorelli gut ein Jahrzehnt vorher darüber berichtet hatte, auch wenn Gladio zu dieser Zeit namentlich noch nicht bekannt war. Insider, unter ihnen Giovanni Bellu und Giuseppe D'Avanzo, die das aufsehenerregende Buch "Die Tage von Gladio" schrieben (Rom 1991), waren sich jedoch sicher, dass Pecorelli dem Treiben von Gladio auf der Spur war und deshalb umgebracht wurde.

Mino Pecorelli war ein politisch nicht fest gebundener, keinesfalls links angesiedelter Enthüllungsjournalist, der sich ausgezeichnet im Geheimdienstmilieu auskannte, zu mehreren ihrer Chefs beste Kontakte unterhielt, und geschickt Gegensätze in diesen Kreisen, unter denen es auch Ablehnung gegenüber der Einmischung aus Washington in die italienische Politik gab, ausnutzte. Dazu war Pecorelli ein scharfsinniger Analysator. Er wurde von jenen Kreisen unterstützt, die Andreotti, den "Mann der Amerikaner", "der Sicherstellung von rechts" und allmächtigen Beherrscher der Democrazia Cristiana (DC) (Pecorelli), ausschalten wollten. Andreotti war in den 1960er Jahren als Verteidigungsminister am Aufbau von Gladio beteiligt und besaß ein vielseitiges Insiderwissen, das er skrupellos zum Ausbau seiner Macht nutzte.


Die Fäden liefen bei Gladio zusammen

Nachdem Moro, der mit PCI-Generalsekretär Enrico Berlinguer ein Regierungsabkommen geschlossen hatte, am 16. März 1978 entführt worden war, bezeichnete Pecorelli das Attentat als ein Komplott der CIA und italienischer Geheimdienste mit höchsten Staatskreisen. "Der Überfall in der Via Fani" (Ort der Entführung Moros) sei eine "Destabilisierungsaktion auf höchstem Niveau", wie sie "in der Regel von den internationalen Spionagenetzen betrieben werden". In einem anderen Bericht nannte er "die Gefangennahme Moros eine der größten politischen Operationen der letzten Jahrzehnte", deren "oberstes Ziel es ist, die Kommunistische Partei vom Bereich der politischen Macht zu entfernen, und zwar in dem Moment, wo sie sich anschickt, an der Regierung Teil zu haben." Die Amerikaner könnten das nicht zulassen, da dadurch "die Unterordnung Italiens unter die hegemonialen Interessen der Vereinigten Staaten gefährdet" werde und ein Austritt aus der NATO drohe, schrieb Pecorelli, der offen äußerte, die als alleinigen Täter genannten extremistischen Brigate Rosse seien nur manipulierte Werkzeuge.


Rote Brigaden Hilfsmotor

"Es gibt ausreichend Indizien dafür, dass die Roten Brigaden im Auftrag Dritter, Italiener oder Ausländer, gehandelt haben", hieß es weiter. In einem seiner Berichte (die nach seinem Tod sein Bruder Francesco Pecorelli mit dem Publizisten Roberto Sommella unter "Das Gift des OP" 1994 in Rom herausgab) präzisierte er: "Das leitende, die Gefangenschaft Moros organisierende Hirn hat nichts mit den traditionellen Roten Brigaden zu tun". In einem seiner oft verschlüsselten Berichte schrieb er, "die BR stellen nicht den Hauptmotor der Rakete dar, sie funktionieren als Hilfsmotor für eine Korrektur der Richtung des Raumschiffes Italien". Mehrmals nannte er schon zu dieser Zeit Andreotti als den für die Inszenierung des Mordkomplotts gegen Moro entscheidenden Verantwortlichen.

Bereits 1974 hatte Pecorelli die Drohungen von führenden Leuten des Weißen Hauses gegen Moro enthüllt, dass man den DC-Führer umbringen werde, wenn er seine Zusammenarbeit mit den Kommunisten nicht aufgebe. Pecorelli schrieb im OP, ein hoher Beamter habe in Anspielung auf die Witwe des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy gesagt, dann werde es in Italien ebenfalls "eine Jaqueline geben". Nach dem Attentat auf den DC-Führer kommt er darauf zurück und schreibt: "Die Schuldigen an der Entführung Moros müssen also unter denen gesucht werden, die sich gegen das Programm Moros gestellt haben".


Moros Begleitkommando liquidierte ein Militärspezialist

Eingehend analysierte Pecorelli den Überfall auf Moro, bei dem dessen fünfköpfiges Begleitkommando, von, wie ihm ein hochrangiger Militär mitgeteilt habe, einem hochqualifizierten Militärspezialisten liquidiert wurde. Er enthüllte, dass die Fluchtroute der Entführer an der Residenz des Erzbischofs Marcinkus vorbeiführte (von der vermutet wurde, dass sie zeitweilig als Versteck für Moro diente) und ein Zeuge in einem der Fluchtfahrzeuge eine Person mit einem Verband erkannte, bei der es sich um einen bei dem Schusswechsel während des Überfalls verletzten Brigadisten gehandelt haben musste. In seinen Berichten ging der OP-Herausgeber auf eine Geheimdienstinstruktion FM 30-31 ein, auf deren Grundlage Gladio die Operation zur Liquidierung Moros durchführte. Auch der römische "Europeo", der am 27. Oktober 1978 Auszüge aus FM 30-31 veröffentlichte, schrieb, dass Aldo Moro zu den Personen gehörte, auf die die CIA-Instruktionen zielten.


Das "Memoriale Aldo Moros"

Der OP zitierte aus Briefen und Aufzeichnungen, die Moro im "Volksgefängnis" der Brigate Rosse verfasste (Sie wurden später unter dem Titel "Mein Blut komme über Euch" von dem Mitglied der Parlamentskommission zur Untersuchung des Mordes an Moro, Sergio Flamigni (PCI, später Linkspartei), 1997 in Mailand bzw. von dem linken Publizisten Francesco Biscione als "Memoriale di Aldo Moro" 1993 in Rom herausgegeben). Pecorelli erwähnte Moros Ausführungen über die "Strategie der Spannungen", die einem faschistischen Putsch den Weg bereiten sollte und die in den 1970er Jahren Dutzende Tote und Hunderte Verletzte forderte, die durch Staatsorgane und DC-Rechte begünstigt wurde. Moro verwies auf außerhalb Italiens liegende Verantwortlichkeiten und auf die Rolle der USA, mit denen er auf Gladio zielte, dessen Existenz der mehrmalige Ministerpräsident Moro natürlich kannte. Die Aufzeichnungen Moros wurden von dem Carabinieri-General Dalla Chiesa im Herbst 1978 bei der Aufdeckung eines BR-Stützpunktes in Mailand gefunden, der sie Andreotti übergab. Einige Seiten des Dokuments - wohl die Brisantesten - behielt der General zurück und ließ Abschriften offensichtlich Pecorelli zukommen. Der OP-Herausgeber schrieb jedenfalls "Andreotti könne sich glücklich schätzen, dass nicht alles, was Moro geschrieben habe, gefunden wurde" womit er zu verstehen gab, den Inhalt der "nicht gefundenen Teile" zu kennen. Pecorelli drohte sogar, "die Namen der politischen Auftraggeber der Entführung Moros zu veröffentlichen". Auch General Dalla Chiesa wurde der Besitz von Aufzeichnungen Moros zum Verhängnis. Nachdem er im August 1982 zum Präfekten zur Mafia-Bekämpfung auf Sizilien ernannt wurde, wollte auch er die Rolle Andreottis im Mordkomplott gegen den DC-Führer und seine Komplizenschaft mit der Mafia aufdecken. Daraufhin erschoss ein Mafia-Kommando im September in Palermo ihn, seine Frau und seinen Fahrer auf offener Straße.


Die Hintermänner laufen noch immer frei herum

Immer wieder traten in Italien Zeugen auf, die das Geflecht von Gladio, CIA, der P2 und ihren hochrangigen Hintermännern in Rom und Washington im Mordkomplott gegen Aldo Moro aufdeckten. Darunter befand sich im Oktober 2007 auch der 80jährige Giovanni Galloni, zur Zeit der Affäre Moro Stellvertretender DC-Vorsitzender, der bestätigte, dass die BR durch die Geheimdienste infiltriert waren, aus deren Reihen "fünf, mehr oder weniger verantwortlich, die Kulisse der geheimdienstlichen Operation" bildeten. Andreottis Innenminister, Francesco Cossiga, sei bekannt gewesen, wo Moro versteckt wurde. Bis heute ist keiner der Rädelsführer zur Verantwortung gezogen worden. Andreotti starb, von der Justiz nie wieder behelligt, als Senator auf Lebenszeit am 6. Mai 2013 im Alter von 89 Jahren. Eine seiner letzten politischen "Leistungen" war, dass er dem faschistoiden Mediendiktator Berlusconi, Mitglied des Dreierdirektoriums der am Mordkomplott gegen Moro beteiligten Putschloge P2 (als deren eigentlicher Chef Andreotti, laut "Repubblica" vom 13. November 1986, immer galt), 2008 beim Sturz der linken Zentrumsregierung unter Romano Prodi, einem Freund Moros, Schützenhilfe leistete.


Gerhard Feldbauer hat mehrere Bücher zu diesem Thema geschrieben, darunter zuletzt die Kriminalerzählung nach Tatsachen "Warum Aldo Moro sterben musste. Die Recherchen des Commissario Pallotta". Hg. Erich-Weinert-Bibliothek der DKP Berlin, 2011.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2014