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MEMORIAL/121: Italien - Vor 65 Jahren besetzten landlose Bauern die Ländereien der Latifundistas (Gerhard Feldbauer)


Vor 65 Jahren besetzten Tagelöhner und landlose Bauern die Ländereien der italienischen Latifundistas

Diese riefen die Mafia zu Hilfe

von Gerhard Feldbauer, 26. Februar 2015


In den Nachkriegsjahren führten die bäuerlichen Massen Italiens, besonders im Mezzogiorno, dem Süden des Landes, opferreiche Kämpfe um soziale und demokratische Veränderungen. Am 1. März 1950 erreichten die seit mehreren Jahren andauernden Besetzungen von Ländereien der Latifundistas durch Landarbeiter, Tagelöhner und landlose Bauern (Halbpächter) in ganz Süditalien einen landesweiten Höhepunkt und griffen auch auf Regionen des Nordens (Emilia Romagna, Lombardei und die Marchen) über. Die Landbesetzungen waren eine Antwort auf die seit Herbst 1949 in Apulien und Calabrien verschärften Überfälle von Mafia-Banden, die von der Polizei unterstützt wurden, bei denen zahlreiche Landbesetzer getötet und verletzt wurden. Die sozialen Gegensätze wurden verschärft, weil die angloamerikanische Besatzungsmacht nach ihrem Einmarsch 1943/44 dort die regionalen faschistischen Machtstrukturen konserviert und die Mafia wieder zum Leben erweckt hatte.


De Gasperi ignorierte Gesetz zur Legalisierung der Besetzungen

Begonnen hatten die Landbesetzungen bereits nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943. Ihr politischer Inhalt bestand darin, den Großgrundbesitz als aktive ökonomische Basis der faschistischen Diktatur zu beseitigen. In der im April 1944 gebildeten antifaschistischen Einheitsregierung setzte die IKP ein Gesetz durch, dass die in Inbesitznahme der Ländereien legalisierte. Als der Christdemokrat (DC), Alcide De Gasperi, im Dezember 1945 Ministerpräsident wurde und im Mai 1947 die Kommunisten und Sozialisten aus der Regierung vertrieb, wurde das Gesetz de facto annulliert.

Zur Sicherung ihres Eigentums riefen die Latifundistas die Mafia zu Hilfe. Die Fürstin von Trabia und Butera, Giulia Florio D'Ontes, setzte den Chef der sizilianischen Mafia, Calogero Vizzini, als Verwalter ihrer Güter ein. Zum Schutz des Großgrundbesitzes organisierte die Mafia bewaffnete Banden. Als Kommunisten und Sozialisten die Forderungen der Tagelöhner und Pächter unterstützten, drohten die sizilianischen Machthaber, die Insel von Italien abzuspalten. Besonders blutig wütete die Bande des "Königs von Montelepre" genannten Separatistenführers, Salvatore Giuliano. Am 1. Mai 1947 feuerten die Banditen an der Portella della Ginestra bei Palermo auf eine Maifeier, töteten acht Bauern und verletzten über 30. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung musste die Regierung Truppen nach dem Süden entsenden. Die landhungrigen Massen gründeten zur Verteidigung ihrer Interessen den Fronte del Mezzogiorno (Front des Südens), der eng mit der PCI verbunden war.


Landreform völlig unzureichend

Die Aktionen der bäuerlichen Massen fanden einen derartigen Widerhall, dass die Regierung sich am 18. März 1950 damit befassen und eine Landreform zusagen musste. Zu dieser Zeit zählte Italien 47.224.000 Einwohner, von denen 42,2 Prozent auf dem Lande lebten. Davon waren zwei Millionen Landarbeiter und Tagelöhner, 2,5 Millionen Pächter (landlose Bauern) oder Landarbeiter und vier Millionen Bauern mit eigenem Boden. Das von der Regierung De Gasperi beschlossene Landreformgesetz entsprach in völlig ungenügender Weise den sozialen Erfordernissen. Mit 749.210 Hektar Land, davon zwei Drittel im Süden, wurden nur sieben Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche an 109.425 Familien, vorwiegend Halbpächter und Tagelöhner übergeben, die jeweils zirka sechs Hektar Land erhielten. Dafür mussten sie den Besitzern in 30 Jahren über die Staatskasse eine Entschädigung zum Marktpreis zahlen. Der politische Erfolg der Bodenreform bestand darin, dass das Latifundium als soziale Struktur im Wesentlichen beseitigt wurde.


Nur jeder achte Bewerber erhielt ein Stück Land

Da die zur Verfügung stehende Nutzfläche bei weitem nicht ausreichte, erhielt nur jeder achte Bewerber ein Stück Land. Auch waren die übergebenen Böden meist schlecht kultiviert, sodass oft nicht ertragsfähige Kleinwirtschaften entstanden. Den neuen Kleinbauern fehlten meist die finanziellen Mittel, entsprechende Technik einzusetzen. Die IKP stimmte deshalb im Parlament gegen die Landreformgesetze. Sie forderte mehr Land zu enteignen, um den Landhunger zu befriedigen. Außerdem sollten die neuen Bauern finanziell unterstützt werden. Im Ergebnis ihres aktiven Einsatzes für die Rechte der arbeitenden Menschen in der Landwirtschaft des Südens konnte die IKP seit den 1950er Jahren auch im Mezzogiorno festen Fuß fassen.


2,5 Millionen aus ihrer Heimat vertrieben

Die wesentlichen Probleme des Südens hatte die Agrarreform nicht gelöst. Hunderttausende blieben ohne eine Erwerbsmöglichkeit. Wie nach der Massenemigration Ende des 19. Jahrhunderts, kam es in den folgenden Jahren zu einem neuen Exodus. Zwischen 1946 und 1972 verließen umgerechnet jährlich 117.875 Menschen das Land. Etwa 2,5 Millionen davon aus dem Süden. Sie gingen vor allem in die USA, die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich, eine halbe Million nach Norditalien. Der Süden lieferte die billigen Arbeitskräfte, die der Industrie des Nordens ihr Wirtschaftswunder ermöglichten.


Renato Guttusos "Inbesitznahme des unbebauten Landes"

Die Kämpfe der arbeitenden Menschen des Südens für ihre sozialen Belange und damit gleichzeitig für den Fortschritt des Landes stellten Künstler und Schriftsteller in aufrüttelnden Werken dar. Der Kommunist Renato Guttuso schuf das monumentale Gemälde "Inbesitznahme des unbebauten Landes", mit dem er zu einem der großen Begründer des Realismus wurde. Der parteilose Antifaschist Carlo Levi, der katholische Schriftsteller und Soziologe Danilo Dolci, der kommunistische Historiker Michele Pantaleone, der Erzähler und Romancier Leonardo Sciascia und viele andere widmeten diesen opferreichen Kämpfen eindrucksvolle Werke. In "Worte sind Steine" gestaltete Levi das Wirken eines der großen Organisatoren der Landnahmebewegung, des von der Mafia ermordeten Sekretärs der Kammer der Arbeit in Palermo, Salvatore Carnevale.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2015

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