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MEMORIAL/139: Überfall Italiens auf Äthiopien (Gerhard Feldbauer)


Vor 50 Jahren drohte der Überfall Italiens auf Äthiopien zu scheitern

Auf Befehl Mussolinis wurde mit Giftgas "das Licht der Zivilisation nach Äthiopien getragen"

von Gerhard Feldbauer, 28. Dezember 2015


Am 3. Oktober 1935 überfiel das faschistische Italien mit einer 400.000 Soldaten zählenden Armee das unabhängige afrikanische Kaiserreich Äthiopien (damals Abessinien), um es seinem Kolonialjoch zu unterwerfen. Der Negus (Kaiser) Haile Selassie verfügte über eine Armee von einer halben Million Kriegern, teilweise mit modernen Waffen ausgerüstet, in der auch angeworbene europäische Offiziere kämpften. Die Äthiopier brachten die italienische Offensive trotz der großen Überlegenheit an Flugzeugen, schwerer Artillerie, Panzern und Fahrzeugen sowie massiver Luftangriffe auf Städte und Dörfer zum Stehen und gingen sogar zu Gegenangriffen über. Das strategische Ziel zu erreichen, erforderte für die Kolonialarmee spätestens bis Mai 1936 in der Hauptstadt Addis Abeba anzukommen, da danach durch die einsetzende Regenzeit das Gelände nicht mehr zu passieren war. Am 16. November löste Mussolini General Emilio De Bono wegen der Misserfolge als Oberbefehlshaber ab und übertrug General Pietro Badoglio das Kommando. Gleichzeitig befahl er, Giftgas einzusetzen.

Nachdem der Vormarsch weiter stockte, wurden, wie der Historiker Angelo Del Boca betonte, nach unvollständigen Angaben, ab Mitte Dezember über den äthiopischen Stellungen mehr als 350 Tonnen Yperit abgeworfen. Es handelte sich um den chemischen Kampfstoff aus der Gruppe der Hautgifte, der von den deutschen Chemikern Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf unter dem Deckname Lost entwickelt wurde. Veraltete Bezeichnungen waren Senfgas, Mustardgas, Gelbkreuz. Der Name ist abgeleitet von der niederländischen Stadt Ypern im belgischen Westflandern, wo Deutschland im April 1915 erstmals das Giftgas einsetzte. Später auch von der Entente eingesetzt, kamen im Ersten Weltkrieg etwa 90.000 Soldaten durch Giftgas ums Leben. Der hautschädigende, langwirkende Kampfstoff, der auch in die Atmungsorgane eindringt, wurde gegen die Äthiopier vor allem in tödlichen Dosierungen angewendet. Auch darunter liegende Zusammensetzungen mussten in der Regel zum Tod führen, da die Äthiopier weder über Schutzmaßnahmen verfügten, noch Behandlungsmethoden kannten. Del Boca enthüllte in seinem Buch "Le Guerre coloniali del Fascismo d' Äthiopia (Rom 1976), dass zwischen Dezember 1935 und April 1936) über 1.500 Gasbomben abgeworfen wurden. Das Yperit wurde demzufolge bis kurz vor Erreichen der Hauptstadt und auch dann noch eingesetzt, als die äthiopische Armee zu keinem wirksamen Widerstand mehr in der Lage war und sich auf dem Rückzug befand. Italien brach mit der Anwendung des Giftgases das 1925 unterzeichnete internationale Abkommen über den Verzicht des Einsatzes chemischer Waffen. Um die Verwendung des Yperit geheim zu halten, ordnete der "Duce" am 30. April 1936 persönlich an, gefangen genommene Europäer, die in der äthiopischen Armee gekämpft hatten, zu erschießen.

Das Giftgas tötete nicht nur unzählige Äthiopier, sondern demoralisierte auch ihre Armee. Selassie schilderte, wie das Yperit wirkte: "Plötzlich begannen die Soldaten die Gewehre wegzuwerfen, die Augen mit den Händen zuzudecken und sich auf das Gesicht zu werfen. Von oben senkte sich auf unsere Armee ein todbringender Nebel. Alle diejenigen, die durch das einfache Bombardement am Leben geblieben waren, wurden durch das Gas vernichtet." Nach Angaben aus Addis Abeba fanden während des Feldzuges auf äthiopischer Seite etwa 275.000 Menschen den Tod, von denen ein großer Teil dem Yperit zum Opfer fiel. Der Kolonialarmee gelang nach dem Giftgas-Einsatz der Durchbruch. Am Tanasee brachen die Italiener Anfang April den letzten Widerstand. Am 5. Mai 1936 zogen sie in Addis Abeba ein. Kaiser Selassie hatte am 2. Mai Addis Abeba verlassen und war in Djibouti von einem britischen Kriegsschiff aufgenommen worden.

Am 1. Juni 1936 schloss Mussolini Äthiopien mit Eritrea und Italienisch Somaliland zur Kolonie Italienisch Ostafrika zusammen. König Vittorio Emanuele III. setzte sich die äthiopische Kaiserkrone auf und der Missionspapst genannte Pius XI. zwang den Äthiopiern auf den Trümmern der koptischen Kirche eine ihnen fremde Religion auf. Der Mailänder Kardinal Ildefonso Schuster feierte die begangenen Kriegsverbrechen im Dom der Stadt in einer Messe als "Heldentaten des italienischen Heeres", dass "das Licht der Zivilisation nach Äthiopien getragen" habe. Mit dem Einsatz des Yperit waren dem italienischen Kapital reiche Rohstoffquellen erobert worden: Eisen, Kupfer und Mangan, Schwefel, Nickel, Platin und Gold. Während für unzählige Äthiopier ein Hungerdasein begann, transportierten Frachter das Getreide des Landes nach Italien.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2015

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