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MEMORIAL/145: Papst Leo XIII. verdammte 1891 den Sozialismus als "Pest" (Gerhard Feldbauer)


Papst Leo XIII. verdammte 1891 den Sozialismus als "Pest" und forderte, gegen die marxistische Arbeiterbewegung "mit starker Hand" vorzugehen.

Was wird Franziskus heute dazu sagen?

von Gerhard Feldbauer, 14. Mai 2016


Als die bürgerliche Revolution 1870 in Italien die weltliche Herrschaft des Papstes beseitigte und seine Besitztümer säkularisierte, protestierte Papst Pius IX. auf das schärfste und schwor dem bürgerlichen Staat ewige Feindschaft. Er belegte alle am "Raub des Patrimonium Petri" beteiligten - das waren der König, die an die Macht gekommene Regierung der Bourgeoisie und alle die ihnen irgendwie dienten - mit der höchsten Strafe, der Exkommunizierung. Zwar nahm sein Nachfolger Leo XIII., der sein Pontifikat am 20. Februar 1878 antrat, die Verdammung nicht zurück, vollzog aber auf der Stelle einen Frontwechsel auf die Seite der Bourgeoisie. Der Hauptfeind waren nunmehr die marxistische Arbeiterbewegung, ihre Partei und alle, die sich an ihre Seite stellten oder auch nur mit ihnen sympathisierten. Bereits am 24. Dezember 1878 sicherte Leo XIII. in einem Brief an den Erzbischof von Köln nunmehr dem bürgerlichen Staat nicht nur in Italien, sondern ebenso in Deutschland und Frankreich die Unterstützung der Kirche "zugunsten der durch die aufrührerischen und unmoralischen Doktrinen - den Marxismus - gefährdeten sozialen und politischen Ordnung" zu. Am 15. Mai 1891 erließ er die Enzyklika Rerum Novarum, die forderte, "der Staat muss sich zum unerbittlichen Hüter des Privateigentums machen" und durch "die öffentlichen Gesetze" ihm "Schirm und Schutz bieten". Wer die Aufhebung des Privateigentums fordere, müsse "im Namen der Moral, deren Fundament er zerstört, als außerhalb des Gesetzes stehend erklärt werden".

Sozialismus als "Pest" gebrandmarkt

In scharfer Form machte Rerum Novarum Front gegen die sozialistischen Arbeiterorganisationen und lieferte bereits die Begründung für das 1894 auch in Italien erlassene Verbot der Sozialistischen Partei, wenn es hieß: "Sollte eine Vereinigung einen Zweck verfolgen, der in flagrantem Gegensatz zur Rechtschaffenheit, zur Gerechtigkeit und zur Sicherheit des Staates steht, dann haben die öffentlichen Gewalten das Recht, deren Bildung zu verhindern oder, falls sie schon bestehen, sie aufzulösen." Die Enzyklika wandte sich gegen "jede Form des Sozialismus", den sie als "Pest" brandmarkte und forderte: "Wenn die Massen sich von üblen Doktrinen hinreißen lassen, darf der Staat nicht zögern, mit starker Hand zuzufassen". Ignazio Silone charakterisierte die päpstliche Schrift in seinem Buch "Der Faschismus" (Reprint der Originalausgabe von 1934, Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 1984) als "konterrevolutionäre Waffe im Schoße der Massen".

Kuhhandel mit den großbourgeoisen Liberalen

Die 1892/93 entstandene einheitliche Italienische Sozialistische Partei fasste zunehmend im Parlament Fuß. 1904 sicherte Pius X. daraufhin dem Ministerpräsident der Liberalen, Giovanni Giolitti, zu den für November anberaumten Parlamentswahlen die Unterstützung der Regierungskandidaten durch die Katholiken für ganz Italien zu. Die ISP erreichte dennoch 20 Prozent Wählerstimmen, erhielt in der Abgeordnetenkammer auf Grund des reaktionären Direktwahlsystems aber nur 5 Prozent der Sitze. Nach diesen Wahlen hob der Papst das bis dahin bestehende Verbot der parlamentarischen Betätigung für Katholiken auf. 1912 vereinbarten Giolitti und der Präsident der Katholischen Wählervereinigung, Graf Vincenzo Ottorino Gentiloni, dass die Katholiken dort, wo ihr Bewerber keine Chancen hatte, die liberalen Kandidaten unterstützen. Die Liberalen sagten dafür zu, die Ehescheidung abzulehnen, in den öffentlichen Schulen den Religionsunterreicht zuzulassen und den katholischen Privatschulen sowie Organisationen und Orden staatliche Unterstützung zu gewähren. Die Ergebnisse waren nicht gerade verheißungsvoll. Zwar erreichten die Liberalen mit 304 Sitzen (von 508) der Abgeordnetenkammer eine regierungsfähige Mehrheit, verloren aber gegenüber 1909 fast 20 %. Gentilono behauptete, ohne die katholische Wahlhilfe hätte Giolitti weniger als 200 Mandate geschafft. Eigentliche Wahlsieger waren die Sozialisten, die ihre Mandate mit 79 verdoppeln konnten.

Christliche Gewerkschaften Interessenvertreter der Unternehmer

Auch gegen die wachsenden und von der ISP dominierten Gewerkschaften schuf die katholische Kirche in Italien ihre eigene Bewegung, deren Grundlage christliche Gewerkschaften bildeten. 1910 existierten 374 lokale Organisationen mit annähernd 170.000 Mitgliedern, davon 67.500 in Industrie, Handel und Verkehr und 100.000 in der Landwirtschaft. Die Weisungen des Vatikans legten fest, dass sie dem Zusammenwirken von Arbeit und Kapital zu dienen haben.

Um dem politischen Katholizismus eine Verankerung auch im Parteiensystem zu verschaffen und sowohl unter der katholischen Arbeiterbewegung als auch in kleinbürgerlichen Schichten ein Gegengewicht zur anwachsenden ISP zu bilden, gründete der Priester Don Luigi Sturzo im Auftrag des Vatikans 1919 die katholische Volkspartei. Nach dem "Marsch auf Rom", dem Militärputsch des "Duce", trat die über 108 Mandate in der Abgeordnetenkammer verfügende Partei auf Weisung des Vatikans 1922 in dessen Regierung ein.

Dämonisierung nicht konformer theologischer Denker

Die marxistische Arbeiterbewegung übte einen großen Einfluss auf das geistige Leben aus und befruchtete auch das Wirken liberaler Persönlichkeiten, die sich gegen die Verfolgung jeglichen Fortschrittsdenkens durch den Klerus wandten und Zustimmung seitens der Sozialisten erhielten. Gegen Abweichler in den eigenen Reihen ging die Kurie in inquisitorischer Weise vor. Im Juli 1907 erließ Pius X. den Syllabus (Verzeichnis) "Lamentabili sane exitu", der ohne Namensnennung 65 Thesen des Hauptes der Modernisten, des großen französischen Theologen und Denkers Alfred Loisy, verurteilte. Zwei Monate nach dem Syllabus folgte die Antimodernisten-Enzyklika "Pascendi Dominici Gregis", die ein Bild völliger Dämonisierung nicht konformer theologischer Denker darstellte. Die sogenannten Reformkatholiken wandten sich gegen Neuscholastik und Ultramontanismus, lehnten den religiösen Totalitarismus ab und suchten eine Einbeziehung der modernen Kultur und Wissenschaft in ihre Lehre. Einer ihrer herausragendsten Vertreter war der deutsche katholische Theologe, Professor für christliche Kunstgeschichte und vergleichende Religionswissenschaft in Würzburg, Hermann Schell. Seine Schrift "Der Katholicismus als Princip des Fortschritts" (1897) wurde sofort nach dem Erscheinen auf den Index verbannt. Mit einem Motu proprio (persönliches Schreiben des Papstes) wurden allen mit der Exkommunikation gedroht, die es wagen sollten, der Enzyklika zu widersprechen.

Bündnis mit dem Faschismus

Die Enzyklika Rerum Novarum wurde zur Grundlage auch des Bündnisses der Kuriere mit dem Faschismus. Pius XI. half mit seiner offenen Parteinahme Mussolini 1922 an die Macht. Im 1929 zwischen dem Papst und Mussolini geschlossenen Konkordat wurde der mit Rerum Novarum begründete Pakt zwischen Katholizismus und Staat, diesmal dem faschistischen, neu aufgelegt. Pius XI. nannte den "Duce" danach "einen Mann, mit dem uns die Vorsehung zusammenführte". 1931 forderte er zum 40. Jahrestag von Rerum Novarum in der Enzyklika "Quadragesimo Anno" eine "schonungslose Unterdrückung" der Kommunisten und verurteilte die Untätigkeit bestimmter Regierungen, die dadurch "den Weg zum Umsturz und zum Ruin der Gesellschaft" ebneten. Ignazio Silone charakterisierte die Enzyklika in "Der Faschismus" (Zürich 1934) als "Manifest des katholischen Faschismus, der sich als Retter der kapitalistischen Zivilisation auf die Kandidatenliste setzt". Im mit Hitler geschlossenen Konkordat rief die Kurie die deutschen Katholiken ebenfalls auf, sich hinter "die nationale Regierung" zu stellen.

Unter Pius XI. wurde der faschistische Putsch Francos als "eine hundertmal gesegnete ruhmreiche Haltung" gewertet und der spanische Klerus aufgefordert, den verbrecherischen Mordfeldzug gegen die rechtmäßig gewählte Regierung der Volksfront zu unterstützen.

Die Seligsprechung der Kreuzritter Francos

Mitglieder des Opus Dei traten in die Regierung des "Caudillo" ein. Pius XII. gratulierte Franco und seinem Unterstützer Hitler zur Niederschlagung der Spanischen Republik im März 1939 "mit dem Segen des Himmels und des allmächtigen Gottes". Der Bogen dieses mit Rerum Novarum begründeten verbrecherischen Paktes reicht bis zum deutschen Ratzingerpapst Benedikt XI., der im Oktober 2007 498 der Kreuzritter Francos, die während der Teilnahme an den faschistischen Verbrechen ums Leben kamen, selig sprach.

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass nicht nur in Rom mit Spannung erwartet wird, ob und was der als Hoffnungsträger einer Reform der katholischen Kirche gefeierte Papst Franziskus zum 125. Jahrestag von Rerum Novarum zu sagen haben wird.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2016

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