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MEMORIAL/191: Do Muoi, ältester Revolutionär Vietnams, im Alter von 101 Jahren verstorben (Gerhard Feldbauer)


Ältester Revolutionär Vietnams im Alter von 101 Jahren verstorben

Nachruf würdigt das Wirken des ehemaligen Generalsekretärs Do Muoi für die Einheit der Partei und den Sozialismus

von Gerhard Feldbauer, 5. Oktober 2018


Do Muoi, ehemaliger Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams und Ministerpräsident, ist am 1. Oktober im zentralen Militärkrankenhaus von Hanoi im Alter von 101 Jahren verstorben, meldete die Nachrichtenagentur Vietnam News Agency (VNA) am Dienstag. In einem Nachruf, den die Parteizeitung Nhan Dan und die Medien des Landes wiedergeben, wird der Verstorbene, der auch weltweit einer der ältesten noch lebenden früheren Staats- und Regierungschefs war, als ein "außerordentlicher, vorbildlicher Kommunist" gewürdigt. In seinem revolutionären Werdegang habe er, "ganz gleich in welchen Funktionen, die ihm von der Partei anvertrauten Aufgaben als dem vietnamesischen Volk und seinem Land ergebener Kommunist ehrenvoll erfüllt", zitiert VNA.

In der Tat ist das Leben des jetzt verstorbenen ältesten Revolutionärs Vietnams untrennbar mit dem revolutionären nationalen Befreiungskampf des Volkes verbunden. 1917 im Jahr der Oktoberrevolution im kolonial unterjochten Vietnam als Sohn eines Bauern geboren, stieß er mit 19 Jahren zur vietnamesischen Befreiungsbewegung und wurde 1939 Mitglied der "Dang Công san Dông Duong", der Kommunistischen Partei Indochinas, wie sich die mehrheitlich aus vietnamesischen Kommunisten bestehende, für die Unabhängigkeit der Völker ganz Indochinas vom französischen Kolonialjoch kämpfende Partei zu dieser Zeit nannte. 1941, im Jahr der Gründung der Viet Nam Doc Lap Dong Minh Hoi, der Liga für die Unabhängigkeit Vietnams, durch Ho Chi Minh, fiel er den Schergen der französischen Kolonialmacht in die Hände und wurde zu zehn Jahren Kerker verurteilt.

Im März 1945 gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis Hoa Lo von Hanoi. Während der August-Revolution von 1945 leitete er den bewaffneten Aufstand zur Einnahme von Duc Hoa Dong, einer Kreisstadt bei Saigon, der heutigen Ho-Chi-Minh-Stadt. Während des Widerstandes gegen das 1946/47 von Frankreich über die 1945 nach dem Sieg der August- Revolution gegründete Demokratische Republik Vietnam wieder errichtete und bis zum Sieg bei Dien Bien Phu 1954 existierende Kolonialregime war er in leitenden politischen und militärischen Funktionen, darunter als Mitglied der Nationalversammlung der DRV in Provinzen und Militärzonen tätig.


Foto: By Vietnam People's Army, first published in 1954. (Vietnam People's Army museum) [Public domain], via Wikimedia Commons

Nach dem Sieg in der Schlacht um Dien Bien Phu weht die Fahne Vietnams über dem Befehlsbunker der französischen Armee
Foto: By Vietnam People's Army, first published in 1954. (Vietnam People's Army museum) [Public domain], via Wikimedia Commons

1988 zum Ministerpräsidenten berufen sicherte er den zwei Jahre vorher eingeleiteten Prozess der Gestaltung einer sozialistischen Marktwirtschaft, die einen kapitalistischen Sektor zuließ und einbezog. 1991 wurde er zum Generalsekretär der KPV berufen. Es war die Zeit, in der nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die Beziehungen zu den ehemals sozialistischen Ländern und dem RGW wegbrachen. In dieser Funktion organisierte Do Muoi die Umstellung auf diese neuen Bedingungen und sicherte die Verteidigung des sozialistischen Weges gegen die Versuche opportunistischer Kräfte, die KPV, wie die "kommunistischen und Arbeiterparteien" Osteuropas, auf den Pfad der Sozialdemokratie und damit einer kapitalistischen Restauration zu zwingen. Er baute das Erneuerungssystem der Wirtschaft aus und leitete die notwendige Zusammenarbeit mit den kapitalistischen Industriestaaten und internationalen kapitalistischen Wirtschaftsorganisationen wie dem IWF ein.

Er hat, heißt es im Nachruf, "die gesamte Partei mit dem Zentralkomitee, dem Politbüro und dem Sekretariat mit dem Volk und der Armee zur Fortsetzung der Erneuerung und zur Verteidigung der von der Partei verfolgten Linie vereinigt".

Als Generalsekretär sicherte er die führende Rolle der KPV in diesem Prozess und entschied die Machtfrage zugunsten des Volkes. Deshalb wird er in den Nachrichten bürgerlichen Medien wie der Neuen Zürcher Zeitung oder der Londoner Financial Times zu den konservativen Kräften innerhalb der Führungsschicht gezählt. "Vaterland und Volk Vietnams werden Do Muoi", heißt es dagegen im Nachruf, dafür "als einen beispielhaften Kommunisten und eng mit dem Volk verbundenen und ergebenen Revolutionär ein ehrendes Andenken bewahren".

Wie Nhan Dan meldete, wurde auf einer Tagung des Zentralkomitees der KPV Generalsekretär Nguyen Phu Trong der Nationalversammlung als Kandidat für die Wahl des Präsidenten der Republik vorgeschlagen. Trong gilt als Hüter der führenden Rolle der Partei. Wenn er gleichzeitig Generalsekretär bleibt, würden erstmals seit langer Zeit wieder die Funktionen des Partei- und Staatschefs in einer Hand vereinigt.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2018

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