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HEINRICH BÖLL STIFTUNG/284: Iran-Report Nr. 10 - Oktober 2012


Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung - Nr. 10 - Oktober 2012
Eine Zusammenfassung aktueller Ereignisse im Iran

von Bahman Nirumand



Der Konflikt um das iranische Atomprogramm, die Wahlfälschung vom Juni 2009, die Verfolgung der Opposition und die Verletzung der Menschenrechte sind einige der wiederkehrenden Themen des Iran-Reports. Er wertet Nachrichten verschiedener Quellen aus, auch um die von den Mächtigen in Iran verfügten Behinderungen und Einschränkungen der journalistischen Arbeit auszugleichen. Der Iran-Report produziert keine Schlagzeilen sondern er erhellt die Meldungen, das Nichtgesagte dahinter. Der Iran-Report wird einem breiten Interessentenkreis aus Politik, Wissenschaft und Medien zur Verfügung gestellt.


INNENPOLITIK

• Bilanz der Konferenz der Blockfreien Staaten • Araber protestieren
• Ban rechtfertigte Iran-Reise
• Mongolischer Präsident durfte Nuklearanlage besichtigen
• Nächste Präsidentschaftswahlen am 14. Juni 2013
• Erste Phase eines iranischen Internets abgeschlossen
• Rätsel über die Pläne Ahmadinedschads
• Mottahari: 90 Prozent der Prinzipientreuen waren gegen die Wahl Ahmadinedschads
• Kopfgeld für Salman Rushdie erhöht
• Tochter Rafsandschanis in Haft genommen


BILANZ DER KONFERENZ DER BLOCKFREIEN STAATEN

Es war ein Schuss nach hinten. Iran hatte gehofft durch den Gipfel der Blockfreien in Teheran (29. - 31. August), an dem zahlreiche Staatsoberhäupter und ranghohe Regierungsvertreter teilnahmen, als regionale Großmacht auftreten und die eigenen Positionen stärken zu können. Der Gipfel sollte das Land aus der internationalen Isolation herausholen, Irans Position im Atomkonflikt stärken, Irans Plan für die Beilegung der Krise in Syrien unterstützen und die Front gegen Israel verstärken. Doch aus alle dem wurde nichts.

Der Auftritt des ägyptischen Präsidenten Muhammed Mursi, der den Aufstand in Syrien als eine Revolution beizeichnete, deren Unterstützung "eine moralische Pflicht sowie eine politische und strategische Notwendigkeit" sei, war der erste Schlag, den die Staatsführung in Teheran einstecken musste. Man versuchte den Schaden zu begrenzen, indem Mursis entscheidenden Worte bereits bei der direkten Fernsehübertragung völlig entstellt wurden. "Unsere Solidarität mit dem syrischen Volk, gegen das eine Verschwörung im Gange ist, darf nicht vergessen werden", hieß es in der Übersetzung. "Wir können hoffen, dass das syrische Regime, das vom syrischen Volk getragen wird, bestehen bleibt. Wir müssen unsre ganze Kraft daran setzen, dass die Reformen vorangetrieben und die Probleme auf friedlichem Weg gelöst werden."

Der Parlamentsabgeordnete und ehemalige stellvertretende Außenminister Hussein Scheikholeslam übte scharfe Kritik an Mursi. Dem Ägypter "fehle die notwendige politische Reife", um einen Gipfel der Blockfreien Staaten zu leiten.

Der zweite Schlag kam vom UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Ban hatte sich schon zuvor in Gesprächen mit dem iranischen Revolutionsführer Ali Chamenei, dem Staatspräsidenten Ahmadinedschad sowie mit dem Parlamentspräsidenten Ali Laridschani besorgt über die Lage der Menschenrechte im Iran und über das iranische Atomprogramm geäußert und die Attacken Teherans gegen Israel scharf kritisiert. Auf dem Gipfel wurde er noch deutlicher. Er forderte Iran auf, sich "vollständig den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats unterzuordnen" und mit der internationalen Atombehörde zusammenzuarbeiten. Iran müsse im Interesse "des Friedens und der Sicherheit in der Region und der Welt" den friedlichen Charakter seines Atomprogramms nachweisen und damit das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wieder herstellen.

Zudem warnte Ban auch im Hinblick auf Israels Kriegsdrohungen gegen den Iran "alle Seiten" vor "provokanten Drohungen". Diese könnten "rasch zu einer Spirale der Gewalt" führen. Und schließlich griff der UN-Generalsekretär Iran wegen seine Position gegen Israel und zum Holocaust an. Er verurteilte "entschieden" jede Drohung eines UN-Mitglieds, ein anderes zu zerstören, ebenso wie die "empörende" Leugnung der "historischen Tatsache des Holocaust".

Der Gipfel ähnelte einem Tribunal gegen den Iran. Selbst als Revolutionsführer Chamenei zur Gipfeleröffnung die Flucht nach vorn antrat , lief er ins Leere. Er beteuerte, dass Iran niemals die Absicht hatte, Atomwaffen herzustellen, betonte jedoch zugleich, unter keinen Umständen auf die friedliche Nutzung der Nukleartechnologie verzichten zu wollen. Er übte aber auch scharfe Kritik am Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und bezeichnete ihn als unlogisch und ungerecht. Er sei ein Relikt der Vergangenheit, das die USA benutzten, um der Welt ihre Sichtweise aufzuzwingen. Doch darauf ging niemand ein. Teheran steht nach dem Gipfel mit leeren Händen da.

Die Menschen in Iran fragen sich, ob all dies nicht vorauszusehen war. Andere Erwartungen, wie etwa die Annahme, Mursi würde seine Position zugunsten der Gastgeber aufgeben anstatt seine Anhänger und Sympathisanten in der arabischen Welt und die Führer westlicher Staaten zufrieden zu stellen, wären völlig abwegig. Dasselbe gilt für den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Aber warum wurde gerade Mursi als ein besonderer Gast herausgehoben und ihm eine Sonderstellung eingeräumt, indem er als erster Redner nach Revolutionsführer Chatami auftreten durfte?

Mursis Worte wurden in den westlichen Medien ausführlich zitiert und in der gesamten arabischen Welt, sowohl von den radikalen Muslimen als auch von laizistischen Kräften, hoch gelobt. Für den neu gewählten Präsidenten war dies ein großer Erfolg. Er konnte sich als aufrechten, renommierten Politiker präsentieren und sein Ansehen weltweit steigern. Besonders bemerkenswert an Mursis Rede war, dass er seine Worte mit einer Ehrerbietung an sunnitische Kalifen begann. Das ist völlig unüblich. Selbst radikale Sunniten begnügen sich bei offiziellen Reden mit der Ehrung des Propheten Mohammed und seiner Familien. Mursi selbst erwähnte zum ersten Mal die Kalifen und dies noch in der Hauptstadt des einzigen schiitischen Staates der Welt. Wollte er damit jene Kräfte gewinnen, die Iran Verschwörungen gegen Sunniten vorwerfen, oder wollte er der Führung in Iran, die die Revolutionen in der arabischen Welt als "Erwachen des Islam" bezeichnete, einen Hieb versetzen?

Mursi hielt sich nur für wenige Stunden in Teheran auf, verzichtete auf ein Treffen mit Chamenei, auch auf eine Pressekonferenz in Teheran und verlor kein Wort über die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Iran, auf die Teheran gehofft hatte. Selbst bei dem vierzigminütigen Gespräch mit Ahmadinedschad ging er auf dieses Thema nicht ein. Somit hat Teheran aus dem Besuch Mursis keinen Profit ziehen können, sondern sich im Gegenteil weltweit mit der gefälschten Übersetzung seiner Äußerungen zu Syrien der Lächerlichkeit ausgesetzt.

Es ist durchaus verständlich, dass die iranische Regierung mit der Veranstaltung der Konferenz der Blockfreien sein Ansehen in der Welt verbessern wollte. Nicht verständlich ist jedoch warum dann gerade Mursi, von dem nicht zu erwarten war, dass er den Gastgebern nach dem Mund redet, wie einen Superstar empfangen wurde?

Von 138 Mitgliedern der Blockfreien Staaten nahmen lediglich 29 Staatsoberhäupter an der Konferenz teil. Diese geringe Zahl ist in der Geschichte der Blockfreien einmalig. Und dann kam auch noch der Auftritt Ban Ki Moons, dessen Rede noch mehr als die Musis für die Gastgeber zum Desaster wurde.

Wer trägt nun die Verantwortung für diesen eklatanten Misserfolg? Sicherlich nicht allein die Regierung Ahmadinedschads. Sonst wäre diese, die ohnehin seit Monaten in der Schusslinie der Medien und Abgeordneten des Parlaments steht, einem Hagel von Kritik ausgesetzt. Dass in Iran von offizieller und medialer Seite mehr oder weniger über den Misserfolg geschwiegen wird und man eher versucht, die politischen Folgen der Fehler herunterzuspielen, deutet darauf hin, dass auch der Revolutionsführer und sein Team an den Entscheidungen direkt beteiligt waren. Ja, Chamenei hat sogar persönlich unter erheblichem Verlust seiner Autorität einige spürbare Hiebe einstecken müssen. Ban Ki Moon hat ihm im persönlichen Gespräch die Leviten gelesen und Mursi lehnte es ab, von ihm empfangen zu werden.


ARABER PROTESTIEREN

Eine Welle der Entrüstung über die falsche Übersetzung von Mursis Äußerungen zog sich nahezu durch die ganze arabische Welt. Offiziell meldeten sich die Außenminister des Golf-Kooperationsrats (GCC) zu Wort, berichtete die amtliche saudische Nachrichtenagentur SPA am 3. September. Bereits zuvor hatte das Außenministerium in Bahrain, wo eine sunnitische Minderheit das mehrheitlich von Schiiten bewohnte Land beherrscht, wegen der Manipulierung der Übersetzung scharf reagiert und Teheran aufgefordert, sich dafür zu entschuldigen. In der Übersetzung von Mursis Rede ins Persische in amtlichen iranischen Medien sei das Wort "Syrien" mit "Bahrain" übersetzt worden, hieß es in der Mitteilung des bahrainischen Außenministeriums aus Manama. Das Ministerium sprach von "Fälschung und Betrug".

Arabische Medien stellten beim Vergleich der Übersetzung mit dem Original fest, dass Passagen der Rede Mursis, die für Iran zu heikel waren, einfach "umgearbeitet" worden seien. Als zum Beispiel der ägyptische Präsident vom arabischen Frühling sprach, sei daraus "Erwachen des Islam" geworden. Teheran bezeichnet offiziell die jüngsten Vorgänge in den Staaten Nordafrikas und des Persischen Golfs als "islamisches Erwachen".

Die Außenminister des Golf-Kooperationsrats forderten Iran auf, sein "unverantwortliches Verhalten (...) unverzüglich einzustellen". Zu den Vorwürfen äußerte sich auch der Intendant des iranischen Fernsehens IRIB, Esatollah Sarghami: "Die Eröffnungszeremonie (des Gipfels der Blockfreien) und die Rede Mursis wurden von mehreren iranischen Sendern live übertragen. Auf einem (Radio-)Sender gab es einen technischen Fehler. Der Ton vom Übersetzer des Gipfels war unterbrochen, und daher musste ein zweiter Übersetzer einspringen. Der hat einen Flüchtigkeitsfehler gemacht. Dabei wurde anstatt Syrien Bahrain erwähnt. Das haben die westlichen Medien dann hochgespielt."


BAN RECHTFERTIGTE IRAN-REISE

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat sich nach seiner Iran-Reise gegen Kritik aus den USA und Israel verteidigt. "Ich glaube an die Macht der Diplomatie und ich glaube an den Dialog", sagte Ban in einem Gespräch mit der Agentur Reuters am 2. September in Dubai. Zudem habe er in seinem Amt den Auftrag, mit allen UN-Mitgliedsstaaten im Gespräch zu bleiben. Die USA und Israel hatten verlangt, dass der UN-Generalsekretär das Gipfeltreffen der Blockfreien Staaten in Teheran boykottiert.

Bei seinem Treffen mit Chamenei und Ahmadinedschad habe er sich für einen politischen Wandel in der Islamischen Republik eingesetzt, sagte Ban. Er habe klargemacht, dass Iran im Streit um sein Atomprogramm mehr tun müsse, um die Welt von der Friedfertigkeit der Pläne zu überzeugen. "Bei einigen Fragen versuchten sie, ihre Position zu erläutern, besonders beim Thema Atom", sagte er. "Sie haben mir aber keine konkreten Antworten gegeben." In der Frage der Menschenrechte habe er mehr Meinungsfreiheit, eine Stärkung der Rechte der Frauen und Schritte zur Demokratisierung gefordert. "Ich erwarte, dass positive Schritte folgen", sagte der UN-Generalsekretär, ohne konkret zu werden.

Die Iran-Reise Bans war massiv von den USA kritisiert worden. Iran werde die Veranstaltung dazu missbrauchen, um von seinem eigenen Versagen abzulenken, hieß es. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einem großen Fehler Bans.


MONGOLISCHER PRÄSIDENT DURFTE NUKLEARANLAGE BESICHTIGEN

Zum ersten Mal hat Iran einem ausländischen Staatsmann Zutritt zu seiner international umstrittenen Anlage zur Urananreicherung gewährt. Während der Konferenz der Blockfreien war der mongolische Präsident Tsachia Elbegdorj vor Ort. Er sagte nach einem Bericht des iranischen Staatsfernsehens anschließend, "ich habe gelernt, wie angereichertes Uran für friedliche Energie genutzt wird".


NÄCHSTE PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLEN AM 14. JUNI 2013

Das Innenministerium in Teheran gab bekannt, dass die nächsten Präsidentschaftswahlen am 14. Juni 2013 stattfinden werden. Zeitgleich sollen auch Kommunalwahlen durchgeführt werden. Das ist die erste Wahl eines neuen Präsidenten nach den großen Unruhen bei der Präsidentenwahl von 2009. Die lang anhaltenden Proteste von damals richteten sich gegen die eklatante Wahlfälschung, die schließlich die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad ermöglicht hatte. Über seine Kontrahenten Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi wurde im Februar 2010, als die Proteste ihren letzten Höhepunkt erreicht hatten, ein Hausarrest verhängt, der bis heute anhält. Sie haben keinerlei Verbindung zur Außenwelt, nur ganz selten dürfen sie ihre engsten Verwandten für eine kurze Zeit empfangen. Auch tausende Aktivisten, die an den Protesten teilgenommen hatten, darunter ehemalige ranghohe Politiker, sitzen seitdem im Gefängnis. Sie wurden zum Teil zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Ahmadinedschad darf laut Verfassung nach zweimaliger Amtszeit nicht mehr für das Amt des Präsidenten kandidieren. Seine konservativen Gegner vermuten, dass er seinen engsten Berater Maschai als Nachfolger durchsetzen möchte, um, ähnlich wie Putin in Russland, nach einer Amtsperiode wieder das Amt des Präsidenten übernehmen zu können. Doch die Chancen für ein solches Vorhaben sind gering. Denn Ahmadinedschad hat in den vergangenen Jahren auch unter den Konservativen an Popularität stark verloren. Selbst Revolutionsführer Ali Chamenei, der ihn lange Zeit hindurch unterstützt hat, scheint sich längst von ihm abgewendet zu haben. Damit hätten die Konservativen die größte Chance, aus den nächsten Wahlen als Sieger hervorzugehen. Doch sie sind sich nicht einig. Es bleibt auch fraglich, ob es ihnen gelingen wird, sich bis zu den Wahlen auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen.

Fraglich bleibt auch, ob sich die Reformer an der Wahl beteiligen werden und ob ihre Kandidaten, falls es welche geben sollte, die Zustimmung des Wächterrats zur Teilnahme erhalten würden. Bisher haben die Repräsentanten der Reformer, insbesondere der ehemalige Präsident Mohammad Chatami, einige Bedingungen für ihre Telnahme an der Wahl gestellt, wie zum Beispiel die Freilassung der politischen Gefangenen oder Pressefreiheit. Diese Forderungen werden sie wohl kaum durchsetzen können. Ob sie, wie schon so oft, trotzdem teilnehmen würden, bleibt offen.

"Die Teilnahme an den Wahlen ist ein Recht und wir werden uns bemühen, dass dieses Recht niemandem verwehrt wird", sagte Chatami am 12. September bei einem Treffen mit Studenten in Teheran. Indirekt deutete er an, dass die Reformer gerne an der Präsidentenwahl teilnehmen würden. "Die Wahlen sind wichtig ..., aber es gibt noch Probleme. Zahlreiche Menschen sind im Zusammenhang mit den vergangenen Wahlen verhaftet worden", sagte er. Chatami, der selbst Ausreiseverbot hat, äußerte Zweifel, ob Kandidaten der Reformer überhaupt zur Wahl zugelassen würden und ob "allen Strömungen erlaubt wird, Kandidaten aufzustellen". Er bezeichnete Mussavi und Karrubi als "Führer der Grünen Bewegung" und fügte hinzu: "Ich will nicht sagen, dass wir zwischen der Grünen Bewegung und den Reformern eine Grenze ziehen müssen, aber wir müssen doch einige Strömungen, die gefährlich sind, ausschließen." Das deckt sich mit den Aussagen einiger Politiker und Sicherheitsfunktionäre, die gemeint hatten, einem Teil der Reformer, die nicht an den Protesten von 2009 teilgenommen hätten und bereit wären, sich von den Führern der Protestbewegung zu distanzieren, sollte die Teilnahme an der Wahl erlaubt werden.

Chatami begründete seine Teilnahme an den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr damit, dass er sich von jenen Gruppen, die den Sturz der Islamischen Republik forderten, distanzieren wollte.

Auch Mohammad Resa Tabesch, Vorsitzender der Fraktion der Reformer in der vergangenen Periode, sagte in einem Gespräch mit der Agentur ILNA: "Die Reformer warten auf ein grünes Licht der Staatsführung". Er fügte hinzu, die Loyalität der Reformer zur Staatsordnung der Islamischen Republik und dem iranischen Volk sei nicht geringer als die der Konservativen. Er bedauerte, dass über eine mögliche Teilnahme der Reformer an der Wahl noch keine Klarheit herrsche. Er warf einigen Konservativen vor, im Namen des gesamten Systems zu sprechen und sprach die Hoffnung aus, dass die Staatsführung bald grünes Licht für die Teilnahme der Reformer an der Wahl geben werde.

Indes sagte der ehemalige Präsident und derzeitige Vorsitzende des Schlichtungsrats Haschemi Rafsandschani am 10. September, die Durchführung von freien Wahlen, wie sie in der Verfassung vorgeschrieben werden, könnte zur Lösung eines großen Teils der Probleme des Landes führen. Dies würde bei der Bevölkerung das Vertrauen gegenüber dem Regime herstellen und die Feinde der Islamischen Republik "in vielerlei Hinsicht entwaffnen".


ERSTE PHASE EINES IRANISCHEN INTERNETS ABGESCHLOSSEN

Irans Kommunikationsminister Reza Taghipur gab am 3. September bekannt, dass die erste Phase der Entwicklung eines nationaliranischen Internets bereits abgeschlossen sei. Das Programm sei in 28 Provinzen zugänglich und werde bis Ende September landesweit für die Nutzer bereitstehen. Das iranische Internet solle vom internationalen Internet getrennt werden. Dies bedeute nicht, dass das internationale Internet nicht mehr zugänglich sein werde. Diese könne weiterhin benutzt werden, sagte Taghipur.

Die Verantwortlichen im Iran hoffen, dass sie durch das nationale Internet die Cyber-Angriffe auf das Land unter Kontrolle bringen können. Iran war in den letzten Jahren Ziel von zum Teil schwerwiegenden Angriffen, die zur Zerstörung von zahlreichen Computern und zur teilweisen Lahmlegung des Atomprogramms geführt haben.

Taghipur hatte zuvor angekündigt, dass die Regierung mit der Trennung des nationalen vom weltweiten Internet in der Lage sein werde, "die Cyber-Angriffe hundert Prozent unter Kontrolle bringen" zu können. Er fügte jedoch hinzu: "Es sei denn, einige Intrigen werden im Inland angezettelt."

Iran hatte bereits vor zwei Jahren aus Sicherheitsgründen und um unliebsame Internetdienste besser kontrollieren zu können ein nationales Internet in Angriff genommen. Viele Iraner befürchten, dass die Regierung beim weiteren Ausbau des Projekts dazu übergehen werde, den Internetnutzern weitere Einschränkungen aufzuerlegen und schließlich das internationale Internet vollständig sperrt.


RÄTSEL ÜBER DIE PLÄNE AHMADINEDSCHADS

Als am Ende eines Fernsehinterviews mit Staatspräsident Ahmadinedschad der Reporter mit Blick auf die Präsidentenwahl im Juni nächsten Jahres erwähnte, dass die Regierungszeit des Präsidenten bald zu Ende sei, sagte Ahmadinedschad: "Woher wissen Sie das?".

Diese Antwort gab Anlass zu zahlreichen Spekulationen. Mohammad Dehghan, Präsidiumsmitglied im islamischen Parlament, sagte am 5. September, der Präsident sollte sich merken, dass weder Iran Russland noch er Putin seien. Auch jener, der die Rolle Medwedew übernehme solle, habe keinerlei Basis im Volk. Damit meinte Dehghan Ahmadinedschads engsten Berater, Esfandiar Maschai.

Konservative Kritiker Ahmadinedschads sind der Meinung, dass er für die Rückkehr an die Macht das "Putin-Medwedew-Modell" plane.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte nach seiner zweiten Amtszeit mit Ministerpräsident Dimitri Medwedew die Ämter getauscht, da die russische Verfassung drei Amtszeiten eines Präsidenten in Folge untersagt. Putin hatte dann nach einer Wahlperiode wieder das Amt übernommen.

Auch im Iran ist die Amtszeit des Präsidenten laut Verfassung auf zwei Wahlperioden begrenzt. Demnach kann Ahmadinedschad sich nicht erneut um das Amt bewerben.

Konservative Blätter in Iran hatten berichtet, dass Maschai vor einigen Monaten bei einem Vortrag erwähnt habe, dass er seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten plane und hinzugefügt, die Kampagne werde von Ahmadinedschad persönlich angeführt. "Er wird von Stadt zu Stadt reisen und sagen, wenn ihr wollt, dass mein Programm fortgesetzt wird, müsst ihr Maschai wählen."

Das Büro des Präsidenten dementierte entschieden die Berichte. Dehghan sagte, es sei ungerecht, wenn der Präsident das staatliche Fernsehen für sein Wahlprogramm benutze. Sollte der Präsident tatsächlich versuchen wollen, für eine bestimmte Person zu werben, werde dies sogar die Durchführung der Wahl selbst erschweren. Gleichzeitig warf er den Verantwortlichen für das staatliche Fernsehen vor, einseitige Werbung zu betreiben. "Der Fernsehmoderator darf nicht den Ball gerade so hochwerfen, dass der Präsident schmettern kann", sagte Dehghan.


MOTTAHARI: 90 PROZENT DER PRINZIPIENTREUEN WAREN GEGEN DIE WAHL AHMADINEDSCHADS

Ali Mottahari, Abgeordneter in der 9. Legislaturperiode, sagte in einem Interview mit der Internetseite Online am 9. September, 90 Prozent der Konservativen seien bei der Präsidentenwahl 2009 gegen eine Wiederwahl Ahmadinedschads gewesen. Doch weil sie meinten, der Revolutionsführer möchte, dass er gewählt werde, hätten sie gegen ihre eigene Meinung dafür gestimmt. "Ich habe mit einigen führenden Konservativen gesprochen und gesagt, erstens ist nicht klar, dass Chamenei die Wiederwahl Ahmadinedschads wünsche. Zweitens ist nicht nachvollziehbar, warum ihr euch bemüht, herauszufinden, was der Revolutionsführer wünscht. Drittens: Chamenei selbst hat doch immer wieder betont, dass seine Position niemandem bekannt sei", sagte Mottahari. Er, Mottahari, halte eine solche Vorgehensweise für Verrat an der Revolution und auch am Revolutionsführer.

Mottahari selbst hatte sich für die Wahl des ehemaligen Außenministers Ali Akbar Welayati eingesetzt und sagte, alle Fraktionen seien bereit gewesen, für Welayati zu stimmen. Selbst die führenden Reformer hätten ihm versichert, sie hätten die Kandidatur Mir Hossein Mussavis und Mehdi Karrubis zugunsten Welayatis zurückgezogen.

Weiter sagte Mottahari, die Forderung, die Reformer könnten an den nächsten Wahlen teilnehmen, wenn sie ihre Fehler öffentlich eingestehen würden, sei nicht akzeptabel. "Das ist auch nicht die Meinung des Staates, sondern nur die eines Teils der Konservativen." Wenn man die Reformer zur öffentlichen Reue auffordere, müsse man dieselbe Forderung an die Konservativen stellen. Denn auch sie hätten Fehler gemacht.


KOPFGELD FÜR SALMAN RUSHDIE ERHÖHT

Eine iranische Stiftung hat das Kopfgeld für die Tötung des indisch-britischen Autors Salman Rushdie auf 3,3 Millionen US-Dollar erhöht. Die bisherige Prämie sei um eine halben Million Dollar gestiegen, berichteten iranische Medien am 16. September unter Berufung auf eine Mitteilung der Stiftung "15. Chordad", die das Kopfgeld gestiftet hat. Der aus Indien stammende Rushdie ist vielen Muslimen wegen seines Romans "Die satanischen Verse" verhasst.

Das im Jahr 1988 veröffentlichte Werk ist in ihren Augen gotteslästerlich. Nach dem Erscheinen des Buchs rief der damalige Revolutionsführer Ayatollah Chomeini im Februar 1989 in einer Fatwa zur Tötung Rushdies auf. Chomeinis Nachfolger Chamenei bekräftigte 2005 die Gültigkeit des Rechtsgutachtens, das auch von Präsident Ahmadinedschad unterstützt wird.


TOCHTER RAFSANDSCHANIS IN HAFT GENOMMEN

Einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA zufolge wurde die Tochter des Ex-Präsidenten Haschemi Rafsandschani am 23. September in Gewahrsam genommen. Faeseh Haschemi sei festgenommen worden, um die sechsmonatige Haftstrafe zu verbüßen, zu der sie wegen Propaganda gegen die Regierung verurteilt worden war, hieß es. Sie war zu Beginn des Jahres mit ihrem Mann verurteilt worden. Beiden wurde zudem jede politische Tätigkeit für die nächsten fünf Jahre untersagt. Nach Einschätzung politischer Beobachter richtet sich die Maßnahme eher gegen ihren Vater, der zu den einflussreichsten Politikern des Landes und den entschiedensten Gegnern Ahmadinedschads gehört.

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WIRTSCHAFT

• Iran verlangt Offenlegung der Unterlagen der Atombehörde - Neue IAEA-Resolution
• Neues Atomgespräch in Istanbul
• EU-Staaten über weitere Sanktionen nicht einig
• 400 Milliarden Dollar für den Warenimport in sieben Jahren
• Atomkraftwerk in Bushehr erreicht Maximalkapazität
• Technologieabkommen mit Nordkorea
• Emirate konfiszieren mögliche Lieferung für iranisches Atomprogramm


IRAN VERLANGT OFFENLEGUNG DER UNTERLAGEN DER ATOMBEHÖRDE - NEUE IAEA-RESOLUTION

Irans Vertreter bei der Internationalen Atombehörde (IAEA), Ali Asghar Soltanieh, sagte, die Weigerung der IAEA, alle Unterlagen, die zu der Behauptung, Iran plante den Bau der Atombombe führen, offen zu legen, sei der Grund für den Misserfolg bei den Verhandlungen. Er verwies auf den letzten Bericht der IAEA, in dem "auf unhaltbare Vorwürfe einiger westlicher Staaten gegen das iranische Atomprogramm Bezug genommen" werde. Dabei habe Iran mehrmals nachgewiesen, dass alle diese Vorwürfe politische Hintergründe hätten und dazu dienten, die Atmosphäre und die Zusammenarbeit zwischen Iran und der IAEA zu stören, sagte Soltanieh am 1. September der Agentur ISNA. "Wir bestehen darauf, dass uns die Unterlagen, die diese Staaten der Atombehörde zur Verfügung gestellt haben, zur Einsicht vorgelegt werden."

In ihrem letzten Bericht, der Ende August veröffentlicht worden war, schrieb die IAEA, dass die Behörde bei ihrem Versuch, die Probleme des iranischen Atomprogramms zu klären, auch 2012 keinen Erfolg hätte. Die Behörde hatte mit ungewöhnlich deutlichen Worten den sofortigen Zugang zu einer verdächtigen Militäranlage gefordert. Seit Monaten bemühen sich die Atomwächter darum, den Komplex in Parchin bei Teheran besichtigen zu dürfen, in dem vermutlich an einem geheimen Atomprogramm geforscht wird. Teheran bestreitet das, verweigert den Kontrolleuren den Zutritt mit der Begründung, es handele sich um eine Militäranlage.

IAEA-Chef Yukiya Amano zeigte sich ungeduldig. "Wir müssen aufhören, uns im Kreis zu bewegen", sagte er am 10. September in Wien zum Auftakt des Treffens des Gouverneursrats seiner Behörde. "Das ist frustrierend." Auf die Frage von Journalisten, warum es keinerlei Fortschritte im Streit um den Zugang zu Parchin gebe, sagte Amano: "Sie sollten das besser Iran fragen". Das Fehlen der üblichen diplomatischen Rhetorik widerspiegelte die Verärgerung der Atomwächter, die die fehlende Kooperation Irans inoffiziell als Hinhaltetaktik bezeichnen, um Teile seines Atomprogramms weiter ausbauen und Spuren von Tests mit nuklearem Material verwischen zu können.

Solange Iran nicht kooperiere, könne in IAEA nicht feststellen ob das Nuklearprogramm - wie Teheran beteuere - nur zivilen Zielen diene. Bei einem IAEA-Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der ersten Septemberwoche wurden den Gouverneuren Satellitenaufnahmen von Parchin gezeigt, die belegen sollen, wie die Iraner seit Monaten Spuren ihrer Aktivitäten dort zu verwischen versuchen. Die Aufnahmen der angeblichen Aufräumarbeiten passen zu vor kurzem aufgetauchten Fotos.

Allaeddin Borudscherdi, Vorsitzender des Parlamentausschusses für Sicherheit und Außenpolitik, sagte ebenfalls der Agentur ISNA, dass bei dem Bericht politische Motive eine weitaus größere Rolle spielten als juristische Argumente. Die bisherige Arbeit des IAEA-Generalsekretärs Amano zeige deutlich, dass er unter starkem Einfluss der USA und ihrer westlichen Verbündeten handele.

Soltanieh sagte , "wenn unsere berechtigten Forderungen akzeptiert und zu den Modalitäten der Verhandlungen hinzugefügt würden, könnten wir rasch zu einem für alle Seiten befriedigenden Ergebnis kommen".

Am 14. September verabschiedete der Gouverneursrat der IAEA mit großer Mehrheit eine Resolution, in der Teheran aufgefordert wurde, internationale Sorgen über sein Atomprogramm auszuräumen. Nur Kuba stimmte im 35 Mitglieder zählenden IAEA-Führungsgremium gegen die Resolution, die von den fünf ständigen Sicherheitsratsmitgliedern USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich sowie Deutschland eingebracht wurde. Drei Länder - Ecuador, Tunesien und Ägypten - enthielten sich.

Die EU hatte Iran zuvor vorgeworfen, sich der internationalen Sorgen über sein Atomprogramm nicht anzunehmen. In einer EU-Erklärung an den Gouverneursrat hieß es, Iran habe sich nicht "ernsthaft und ohne Vorbedingungen an Gesprächen beteiligt", die die internationale Gemeinschaft davon überzeugen sollten, dass Iran keine Atomwaffen bauen wolle. Die EU teile "die andauernden ernsten Sorgen" der IAEA über das iranische Atomprogramm. Zu den besorgniserregenden iranischen Aktivitäten gehöre die mutmaßliche "Entwicklung einer atomaren Ladung für eine Rakete". Die EU teile mit anderen Weltmächten die Entschlossenheit, eine diplomatische Lösung für die "ausschließlich friedliche Natur des iranischen Atomprogramms" herbeizuführen.

Am 17. September hat der Chef des iranischen Atomprogramms, Freidun Abbassi Dawani, die IAEA mit ungewöhnlich scharfen Worten kritisiert und der UN-Behörde Sabotageakte an den Nuklearanlagen seines Landes unterstellt. "Terroristen und Saboteure" könnten die IAEA infiltriert haben und im Geheimen Entscheidungen fällen, erklärte Abbassi in seiner Rede vor der IAEA-Generalkonferenz in Wien.

Als Beispiel dafür nannte er einen Vorfall an einer unterirdischen Atomanlage in Fordo vom 17. August, bei dem Stromkabel auf dem Gelände explodiert und kurz darauf IAEA-Inspektoren eingetroffen seien. "Stand der Besuch etwa im Zusammenhang mit der Explosion?", fragte Abbassi. Insgesamt habe es zwei Sabotageakte gegeben, die auf das iranische Atomprogramm abgezielt hätten. Die mutmaßlichen Täter rief Abbassi dazu auf, ruhig weitere Angriffe zu starten. Sein Land werde durch derartige Attacken lernen, seine Interessen zu schützen.

Vor Reportern erklärte Abbassi später, der mutmaßliche Sabotageakt sei durch den Einsatz von "Notstrombatterien und Dieselgeneratoren" vereitelt worden. Dadurch habe eine Störung der für die Urananreicherung genutzten Zentrifugen abgewendet werden können. In seiner Rede bekräftigte er zudem, dass Iran nicht nach der Entwicklung von Atomwaffen strebe, sondern sein Atomprogramm ausschließlich zu medizinischen Forschungszwecken und zur Entwicklung von Brennstoffen betreibe.

In einem Gespräch mit Amano verlangte Abbassi nach eigenen Angaben ferner "Auskunft über Standort und Zahl der Urananreicherungsanlagen Israels". Iran habe ein Recht, diese Informationen über den "zionistischen Feind" zu erhalten, um auf etwaigen Angriffe entsprechend reagieren zu können. Die Berichte der IAEA über Irans nukleare Aktivitäten hätten ein Missbrauch durch "Zerstörer und Terroristen" ermöglicht. Iran befinde sich in Gefahr und müsse sich dagegen wehren. Dazu müsse ein "Gleichgewicht der Informationen" gewährleistet sein.

Israel ist zwar seit 1957 Mitglied der Internationalen Atomenergiebehörde, es hat jedoch den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet. Daher erlaubt es auch IAEA-Inspektoren die Kontrolle seiner Anlagen nicht. Somit ist die IAEA offiziell nicht über Israels Nuklearaktivitäten informiert. Dies wurde immer wieder seitens der IAEA kritisiert.

Die IAEA sei dazu verpflichtet, Informationen über Nuklearaktivitäten ihrer Mitglieder zu schützen und sie nicht im Internet zu veröffentlichen, sagte Abbassi. Gerade diese Informationen hätten Sabotageakte gegen iranische Atomanlage und Terroranschläge gegen Atomwissenschaftler ermöglicht.

Unterdessen kamen 30 frühere US-Diplomaten und Offiziere zu dem Schluss, dass ein US-Angriff auf Iran das Streben Teherans nach der Atombombe lediglich verzögern könnte. Um mehr als ein vorübergehendes Aussetzen des Atomprogramms zu erreichen, sei eine militärische Operation samt Besetzung nötig, heißt es in einem Gutachten. Ein solcher Einsatz sei aber anspruchsvoller als die Kriege im Irak und in Afghanistan zusammen.

Ein umfangreicher US-Militärschlag könne die iranischen Fähigkeiten zum Bau von Atomwaffen um bis zu vier Jahre verzögern. "Wir glauben nicht, dass dies zu einem Regimewechsel, einem Zusammenbruch des Regimes oder einer Kapitulation führt", heißt es in dem Papier. Und weiter heißt es, dass solch ein Angriff den Antrieb Irans zum Bau einer Bombe stärken würde. Zum Teil auch deswegen, weil die iranische Führung glaube, sich so vor weiteren US-Angriffen schützen zu können.


NEUES ATOMGESPRÄCH IN ISTANBUL

Am 19. September trafen sich die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und die iranische Atomunterhändler Said Dschalali zu einem neuen Gespräch über das iranische Atomprogramm in Istanbul. Es war Ashtons Büro zufolge keine offizielle Verhandlungsrunde. Ashton wollte demnach nur einen "vertrauensbildenden" Schritt von Teheran fordern. Das Gespräch fand hinter verschlossenen Türen statt. Nach dem Gespräch sagte Ashton, das Gespräch sei "nützlich und konstruktiv" gewesen. Sie wolle die Außenminister Chinas, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Russlands und der USA bei einem Treffen in New York informieren, um die "Situation zu beurteilen und die weiteren Schritte zu diskutieren".


EU-STAATEN ÜBER WEITERE SANKTIONEN NICHT EINIG

Offenbar herrscht unter den EU-Staaten keine Einigkeit über weitere Sanktionen gegen Iran. Zwar haben mehrere Außenminister von weiteren, härteren Sanktionen gesprochen, aber wie am Rande des EU-Außenministertreffens im zyprischen Paphos am 8. September verlautete, sind sich zwar die größten EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien einig, aber kleinere EU-Staaten, vor allem jene in Osteuropa, fürchten um ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Iran.

Zwei Diplomaten sagten laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dapd übereinstimmend, es gebe selbst unter den Befürwortern neuer Sanktionen noch keine Einigkeit darüber, wie diese am Ende aussehen könnten. Ins Spiel gebracht worden seien Beschränkungen für das iranische Energie- und Transportwesen sowie den Finanzsektor.


400 MILLIARDEN DOLLAR FÜR DEN WARENIMPORT IN SIEBEN JAHREN

Der frühere Vizeölminister Akbar Torkan sagte, seit der Regierungsübernahme Präsident Ahmadinedschads im Juni 2005 habe Iran für mehr als 483 Milliarden Dollar Waren eingeführt. Iran habe allein in den vergangenen sieben Jahren mehr aus dem Öl eingenommen als in der gesamten Zeit davor seit der Gründung der Islamischen Republik 1979. Er schlug vor, im Hinblick auf die Sanktionen gegen Iran den Hauptteil der Öleinnahmen für die Erhöhung der Kapazität des Öl- und Gasexports zu verwenden statt für Importe.

Abbas Memarsadeh, Leiter des iranischen Zollamts, sagte, in den sieben Jahren seit der Regierungsübernahme Ahmadinedschads habe Iran rund 80 Prozent der gesamten Öleinnahmen von mehr als 480 Milliarden Dollar für den Warenimport ausgegeben. Er habe zwar keine genauen Daten zur Verfügung, aber es sei durchaus möglich, dass bis zum Ende vergangenen Jahres 80 Prozent der Öleinnahmen für Importwaren, die wirtschaftlich oder sozial benötigt wurden, ausgegeben worden seien.

Der Warenimport hat in den vergangenen Jahren rapide zugenommen, was nach Meinung von Wirtschaftsexperten der einheimischen Industrie erheblichen Schaden zugefügt hat.


ATOMKRAFTWERK IN BUSHEHR ERREICHT MAXIMALKAPAZITÄT

Das iranische Kraftwerk Bushehr verfügt nach russischen Angaben jetzt über seine Maximalkapazität. Der erste Reaktorblock des AKW habe am 1. September "100 Prozent seiner Kapazität" erreicht, teilte die NIAEP, eine Filiale des Erbauers Atomstroyexport, in Moskau mit. Dies sei die "letzte Etappe" der Inbetriebnahme.

Das bisher einzige Atomkraftwerk des Landes steht im Süden Irans. Es war im August 2010 eingeweiht worden. Der Bau war vor der iranischen Revolution im Jahr 1979 von Deutschland unterstützt worden. Seit 1995 setzte Russland die Arbeiten fort und liefert auch den notwendigen Brennstoff.


TECHNOLOGIEABKOMMEN MIT NORDKOREA

Iran und Nordkorea sind einander in den letzten Wochen näher gekommen. Das iranische Staatsfernsehen berichtete am 2. September, der iranische Forschungsminister Kamran Daneschdschu und der nordkoreanische Außenminister Pak Ui Chun hätten in Teheran ein wissenschaftliches und technologisches Kooperationsabkommen unterzeichnet. Bei der Vertragsunterzeichnung seien auch der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad und Nordkoreas nomineller Staatschef Kim Yong Nam anwesend gewesen.

Vereinbart wurde die Gründung gemeinsamer Labors, der Austausch wissenschaftlicher Arbeitsgruppen und ein Technologietransfer in den Bereichen Informationstechnik, Energie, Umwelt, Landwirtschaft und Ernährung, berichtete das Fernsehen. Die USA hatten Nordkorea zuletzt mehrfach vorgeworfen, moderne Raketentechnik an Iran zu liefern.

Revolutionsführer Ali Chamnei sagte Kim, die Islamische Republik und Nordkorea hätten gemeinsame Feinde und beide sollten sich gegen Drohungen und Druck zur Wehr setzen, um ihre Ziele zu erreichen. In der Vergangenheit hatten Vertreter beider Länder erklärt, ihre Nationen säßen im Kampf gegen den Westen in "einem Schützengraben".

"Arrogante Mächte tolerieren keine unabhängigen Regierungen", sagte Chamenei. "Druck, Sanktionen und Drohungen sollten unsere Entschlossenheit nicht erschüttern." Bei einem anderen Treffen sagte Ahmadinedschad, Kims Besuch "stärkt die bilateralen Beziehungen, weitet die Zusammenarbeit aus und stärkt die anti-hegemoniale Front".


EMIRATE KONFISZIEREN MÖGLICHE LIEFERUNG FÜR IRANISCHES ATOMPROGRAMM

Einer Meldung der Nachrichtenagentur dapd vom 19. September zufolge haben die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain nach Angaben von Diplomatenkreisen Material auf dem Weg nach Iran beschlagnahmt, das Teheran für sein umstrittenes Atomprogramm nützen könnte. Der UN-Ausschuss, der für die Kontrolle der Sanktionen gegen Iran zuständig ist, untersuche die Lieferungen, sagte ein Diplomat am 19. September. Dabei handele es sich unter anderem um Kohlefaser. Wo oder von wem das Material beschlagnahmt wurde, sagte der Diplomat nicht.

In einem Bericht des US-Senats aus dem Jahr 2009 heißt es, Iran habe großes Interesse daran, an Kohlefasern und Spezialmetalle zu gelangen. Dieses Material kann demnach in Zentrifugen für die Urananreicherung zum Einsatz kommen.

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AUßENPOLITIK

• Kanada bricht diplomatische Beziehungen zu Iran ab • Russland warnt vor einem Angriff auf Iran • Geplante Militärübung USA-Israel fällt kleiner aus • Iran-Israel-Konflikt • Schlagabtausch auf der UN-Vollversammlung • Iran soll Militärgüter an Syrien geliefert haben • Ahmadinedschad: Der Westen führt einen "kompromisslosen Krieg" gegen Iran • De Maiziéres umstrittene ÄußerungIran verlangt Bestrafung der Initiatoren des islamfeindlichen Films


KANADA BRICHT DIPLOMATISCHE BEZIEHUNGEN ZU IRAN AB

Kanada hat am 8. September alle diplomatischen Beziehungen zu Iran abgebrochen. Das kanadische Außenministerium gab bereits am 7. September die Schließung seiner Botschaft in Teheran bekannt. Dabei wurden sowohl Iran als auch Syrien auf die Listen jener Staaten gesetzt, die den "Terrorismus unterstützen". Das teilten Außenminister John Baird und der Minister für öffentliche Sicherheit, Vic Toews, mit.

Baird bezeichnete iranische Diplomaten in Kanada als "unerwünschte Personen". Er wies sämtlich kanadische Diplomaten in Iran an, das Land sofort zu verlassen und forderte iranische Diplomaten in Ottawa auf, innerhalb von fünf Tagen ihren Aufenthalt in Kanada zu beenden. Weiter heißt es in der Erklärung, Kanadas Position Iran gegenüber sei bekannt. Ottawa betrachte die iranische Regierung als "größte Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in der Welt".

Die neuen Maßnahmen begründete Baird mit einer "steigenden Militärhilfe" Teherans für die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. "Kanada ist entschlossen, gegen den internationalen Terrorismus zu kämpfen und die Verantwortlichen für Terrorakte sowie ihre Unterstützer zu zwingen, für ihre Taten geradezustehen", erklärte Baird. Toews sagte, der Kampf gegen den Terrorismus sei "eine Priorität" für die kanadische Regierung.

Aus Teheran gab es sofort scharfe Reaktionen auf die überraschende Meldung aus Ottawa. Die kanadische Regierung sei "extremistisch" und stehe "unter dem Einfluss des zionistischen Regimes", also Israels, sagte Außenamtssprecher Ramin Mehmanparast laut Nachrichtenagentur ISNA. Teheran werde auf die Maßnahmen Kanadas "angemessen reagieren". Mehmamparast warf Ottawa vor, in der Vergangenheit "einseitige illegale Maßnahmen" gegen Iran ergriffen zu haben, darunter Sanktionen gegen die iranische Zentralbank und das Einfrieren von Bankkonten iranischer Staatsbürger. "Die Entscheidung Kanadas zeigt, dass dieses Land die Interessen seiner Nation den Zionisten opfert und deren Politik gegen Iran folgt."

Laut US-Außenministerium hatte Ottawa Washington vorab über die Entscheidung informiert. "Wir wollen, dass sich uns jedes Land anschließt, Iran zu isolieren", hieß es. "Es gibt verschiedene Arten, dies zu tun."

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete die Maßnahme Kanadas als "mutig".

Die Beziehungen zwischen Teheran und Ottawa haben sich seit der Gründung der Islamischen Republik 1979 zunehmend abgekühlt. Der Mord an der iranisch-kanadischen Fotojournalistin Sahra Kazemi (im Jahr 2003) vertiefte die Differenzen zwischen den beiden Ländern. Kazemi wurde infolge eines Schlags auf den Kopf während eines Verhörs im Teheraner Evin-Gefängnis schwer verletzt. Wenige Tage später starb sie im Krankenhaus.

Irans Parlamentspräsident Ali Laridschani sagte, die Maßnahmen Kanadas seien nichts anderes als eine Reaktion auf die Errungenschaften Irans bei der Konferenz der Blockfreien Staaten in Teheran Ende August. Die Position einiger westlicher Staaten und ihre abwegigen Drohungen zeugten nicht von Stärke, sondern vielmehr von Machtlosigkeit, sagte Laridschani laut IRNA auf einer Parlamentssitzung am 9. September.

Auch Hassan Ghaschghawi, Vizeaußenminister, sagte mit Blick auf die Konferenz der Blockfreien, Kanada hätte einige Tage vor der Schließung seiner Botschaft in Teheran mit einem Schreiben an den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon versucht, dessen Reise nach Teheran zu verhindern. Kanada habe bereits seit 1996 Iran gegenüber eine feindliche Position eingenommen und gehörte zu den Initiatoren der UN-Resolutionen, die Iran wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilten. Die Regierung werde nun die rechtlichen Aspekte der Maßnahmen Kanadas prüfen und internationalem Recht gemäß Gegenmaßnahmen einleiten, sagte Ghaschghawi. Den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Iran bezeichnete er als "sehr undiplomatisch". "Frühmorgens, bevor die iranische Botschaft in Ottawa geöffnet hat, wartete ein drittrangiger Beamter vor der Tür, um den Beschluss des Außenministeriums dem iranischen Botschafter zu übermitteln. Das widerspricht völlig diplomatischen Gepflogenheiten", erklärte Ghaschghawi, der für iranische Konsulate und Staatsbürger im Ausland zuständig ist. "Die kanadische Regierung unterstützt die radikalen Terroristen in Syrien und das zeigt, dass die kanadische Regierung für eine aggressive Demokratie in Syrien eintritt."

Ghaschghawi sagte, gegenwärtig hielten sich allein in den vier wichtigsten Städten Kanadas rund 400 tausend iranische Staatsbürger auf. Die iranische Botschaft empfange täglich rund 70 bis 100 Besucher. "Wir stellen täglich im Durchschnitt 120 Reisepässe und 10 Personalausweise aus." Die kanadische Regierung müsse erklären, warum sie iranischen Staatsbürgern Probleme bereitet. Ghaschghawi gab bekannt, dass das Außenministerium einen Stab gebildet habe, der imstande sei, 60 bis 70 Prozent der Dienstleistungen für die Iraner in Kanada zu übernehmen. Wenn es die Iraner in Kanada oder Großbritannien nicht gebe, wäre Iran der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu diesen Staaten nicht wichtig, sagte Ghaschghawi. Für diesen Schritte müssten triftige Gründe, wie die Bedrohung der nationalen Sicherheit, vorliegen. Doch Iran habe in den vergangenen 300 Jahren noch kein einziges Mal westliche Staaten bedroht.


RUSSLAND WARNT VOR EINEM ANGRIFF AUF IRAN

Russland hat Israel und dessen Verbündete eindringlich vor einem Militärschlag gegen Iran gewarnt. Ein gewaltsames Vorgehen hätte katastrophale Folgen für die Stabilität der Region, sagte der russische Vize-Außenminister Sergej Rjabkow einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax vom 6. September zufolge. Die sicherheits- und wirtschaftspolitischen Auswirkungen wären weit über den Nahen Osten hinaus spürbar. Es gebe keine Beweise dafür, dass Iran mit seinem Nuklearprogramm den Bau von Atomwaffen anstrebe. Entsprechende Vorwürfe Israels hatten zuletzt an Schärfe zugenommen und Spekulationen über einen Militärschlag auf iranische Atomanlagen geschürt.

Der für Atomanlagen zuständige Vize-Außenminister Rjabkow bekräftigte, Russland sähe keinerlei Anzeichen für militärische Zwecke des iranischen Nuklearprogramms. Auf diplomatischer Ebene wird seit Jahren um das iranische Atomprogramm gerungen. Während vor allem die USA und die EU mit Sanktionen einen Stopp des umstrittenen Vorhabens erzwingen wollen, hält Russland diese Strafaktionen für zu hart. Die Regierung in Moskau hat wiederholt Befürchtungen geäußert, dass Israel noch vor den Präsidentschaftswahlen in den USA Anfang November Iran im Alleingang angreifen könnte.

"Wir können es nicht hinnehmen, dass die in den USA verabschiedeten Gesetze auch außerhalb deren Grenzen so im Falle Iran (Sanktionen) durchgesetzt werden", sagte Rjabkow. Die einseitigen Sanktionen gegen Iran seien mit den Fundamenten des internationalen Rechts nicht vereinbar. Es scheine, dass man diesseits und jenseits des Atlantiks versuchen wolle, Ziele, die unerreichbar seien, durch Gewalt und Druck zu erreichen. Dabei lasse man sich von Emotionen verleiten, was auf Politiker deute, die undurchdachte Ziele verfolgen und aus den Erfahrungen nicht lernen. Kein Staat und kein Politiker, der an der Spitze der Macht stehe, würde sich dem Druck von außen beugen, fügte Rjabkow hinzu.


GEPLANTE MILITÄRÜBUNG USA-ISRAEL FÄLLT KLEINER AUS

Laut US-Magazin "Time" fällt ein für Oktober geplantes Manöver der Streitkräfte der USA und Israels wesentlich kleiner aus als geplant. Grund seien die Differenzen über den Umgang mit Iran. Die USA lehnen derzeit einen israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen ab, schreibt "Time" am 1. September.

Die Zeitschrift beruft sich auf gut informierte Quellen in beiden Ländern. Demnach sollen zu der Übung 1200 bis 1500 der vorgesehenen 5000 US-Militärangehörigen entsandt werden. Zudem würden für das Manöver von US-Seite weniger Waffen zur Verfügung gestellt. Ein hochrangiger israelischer Armeeangehöriger sagte dem "Time"-Magazin, die geringere US-Truppenbeteiligung signalisiere ein Misstrauen Washingtons gegenüber Israel. Offiziell wurde die Reduzierung der Übung mit Budgetkürzungen begründet.

Israelische Medien zitierten am 1. September israelische Vertreter mit den Worten, die Entscheidung des Pentagon, weniger Soldaten zu schicken, habe nichts mit möglichen Meinungsverschiedenheiten zwischen US-Präsident Barack Obama und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu tun. Ein israelischer Armeesprecher beschrieb die Übung mit dem Namen "Austere Challenge 12" in einer offiziellen Erklärung als "weitere Etappe in den strategischen Beziehungen zwischen den USA und Israel" sowie als einen "Schritt vorwärts bei der Förderung der regionalen Stabilität".


IRAN-ISRAEL-KONFLIKT

Israel fühlt sich durch den jüngsten Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde bestätigt. "Der Bericht bestätigt, was Ministerpräsident Netanjahu seit Jahren sagt: dass das iranische Atomprogramm darauf ausgerichtet ist, eine Atomwaffe zu bauen", sagte laut dapd ein israelischer Regierungsvertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte, am 31. August. Die Zunahme der Drohungen Israels, Irans Atomanlagen zu vernichten, veranlassten Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, die Regierung in Tel Aviv vor solchen Schritten zu warnen. Zwar sei er "absolut dagegen", dass Iran in den Besitz von Atomwaffen gelange, sagte Fabius am 3. September den Sendern BFM-TV und RMC. Ein Angriff auf Iran würde aber "leider auf Israel zurückfallen, weil Teheran dann in eine Opferrolle geraten könnte. Iran würde im Falle israelischer Luftangriffe bei den Bewohnern der Region "Legitimität zurückgewinnen".

Fabius plädierte erneut für eine Verschärfung von Sanktionen gegen Iran. Zugleich müssten Verhandlungen mit dem Land fortgesetzt werden, um die Regierung in Teheran zum Einlenken zu bewegen.

Israels Ministerpräsident Netanjahu warf am selben Tag der internationalen Gemeinschaft Nachlässigkeit gegenüber Iran vor. "Ich denke, wir sollten die Wahrheit aussprechen - die internationale Gemeinschaft zieht keine klare rote Linie für Iran", sagte Netanjahu zum Auftakt einer Kabinettssitzung. Weil international nicht mit Entschlossenheit gegen das iranische Atomprogramm vorgegangen werde, sehe Teheran auch keinen Anlass, seine Nuklearpläne aufzugeben.

Doch in Israel scheinen viele nicht den Ansichten Netanjahus folgen zu wollen. Der ehemalige Leiter einer israelischen Untersuchungskommission, Eliahu Winograd, sagte dem israelischen Armeesender am 2. September, eine Attacke auf die iranischen Atomanlagen könnte Israels Zukunft gefährden. Der ehemalige Richter war Leiter einer Expertenkommission, die Israels militärischer und politischer Führung schwere Fehler während des Libanonkriegs von 2006 vorgeworfen hatte. Winograd äußerte Misstrauen hinsichtlich möglicher Entscheidungen von Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak. "Alle ehemaligen und gegenwärtigen Geheimdienstchefs von Shin Bet, Mossad und Militär sagen: Greift nicht an! und nur Barak und Netanjahu entscheiden, es doch zu tun", sagte Winograd im Interview.

Bei einem Treffen mit Italiens Außenminister Giulio Terzi am 5. September wiederholte Netanjahu seine Forderung nach einer roten Linie gegenüber Iran und forderte zudem Europa auf, die libanesische Hisbollah zu einer terroristischen Organisation zu erklären.

Offenbar ist die israelische Regierung nicht einmal mit Washington in ihrer Einschätzung des iranischen Atomprogramms einig. Nach den Worten Baraks ticken die Uhren in Tel Aviv anders als in Washington. "Israel behält sich sein souveränes Recht vor, unabhängig zu agieren, und die USA respektieren das", sagte Barak am 7. September in Tel Aviv. Zugleich hob er jedoch auch die Bemühungen Washingtons hervor. "Die eindrucksvollen Vorbereitungen der Amerikaner, Iran an allen Fronten entgegenzutreten, sollten nicht unterschätzt werden", zitierte ihn die Zeitung "Haaretz".

Barak hatte sich am 6. September mit dem amerikanischen Vize-Generalstabschef James Winnfeld getroffen. Der zweithöchste US-Militär hatte nach offiziellen Angaben bei einem zweitägigen Israel-Besuch gemeinsame Verteidigungsprojekte inspiziert, darunter auch Raketenabwehsysteme.

Ein hochrangiger US-Abgeordneter bestätigte einer Meldung der Agentur Reuters vom 7. September zufolge, dass es auf hoher Ebene zwischen den Regierungen in Washington und Tel Aviv über das iranische Atomprogramm Streit gebe. Zwischen Netanjahu und dem US-Botschafter Daniel Shapiro sei es im August zu einem scharfen Wortwechsel gekommen, sagte der Republikaner Mike Rogers dem Sender WJR aus Michigan. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus war bei dem Treffen anwesend. Israel nehme der Regierung der Vereinigten Staaten nicht ab, dass sie zu allem bereit sei, sagte Rogers. "Wichtiger noch, die Iraner auch nicht." Deswegen trieben diese ihr Atomprogramm voran.

Am 11. September wurde der Streit zwischen den USA und Israel öffentlich. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, sagte, US-Präsident Barack Obama habe eindeutig gesagt, er werde es nicht zulassen, dass Iran in den Besitz von Atomwaffen komme. Es sei aber nicht dienlich, Fristen zu setzen oder "rote Linien" zu ziehen. Ähnlich äußerte sich Außenministerin Hillary Clinton. "Wir setzen keine Fristen", sagte sie im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Bloomberg. Verhandlungen seien "der bei weitem beste Ansatz", Iran von der Entwicklung von Atomwaffen abzuhalten.

Der Streit ging sogar soweit, dass Berichten der US-Medien zufolge Obama es abgelehnt habe, Netanjahu in den USA zu empfangen. Das Weiße Haus hatte zunächst erklärt, ein Treffen sei aufgrund von Terminschwierigkeiten nicht möglich. Später hieß es, Netanjahu habe kein Treffen mit Obama angefragt. Dem widersprach ein hochrangiger Regierungsvertreter in Jerusalem gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. "Wir haben um eine Begegnung am Rande der UN-Vollversammlung in New York gebeten und auch angeboten, dass der Ministerpräsident dafür nach Washington kommen könnte." Netanjahu hatte am 11. September den USA das moralische Recht abgesprochen, den jüdischen Staat am Handeln zu hindern. Die Regierung in Washington habe sich geweigert, im Atomstreit eine härtere Haltung gegenüber der Islamischen Republik einzunehmen, begründete er in Jerusalem die ungewohnt deutlichen Worte. Die schärfere Rhetorik näherte Spekulationen, Israel könnte Iran vor der US-Präsidentenwahl im November angreifen - in der Hoffnung, dass Obama aus Rücksicht auf die israelische Lobby in den USA kein Veto einlegt. Sollten die Weltmächte Iran keine klaren Grenzen setzen, werde sich sein Land nicht mehr zurückhalten, sagte Netanjahu. "Die Welt sagt Israel: ,Wartet, es ist noch Zeit'. Und ich sage ,warten worauf, warten wie lange'?"

Teheran bezeichnete die von Israel initiierte Diskussion um rote Linien als belanglos. "Die Bemerkungen des zionistischen Regimes diesbezüglich sind total unwichtig, da dieses Regime überhaupt nicht befugt ist, das iranische Programm zu kommentieren", sagte der iranische Außenamtssprecher Ramin Mehmanparast am 11. September in Teheran. "Gerade wegen dieses Regimes sind die ganzen Diskussionen um atomare Aufrüstung im Nahen Osten entstanden. Daher finden solche Bemerkungen nirgendwo irgendwelches Interesse."

Indes distanzierten sich ranghohe Mitglieder der israelischen Regierung von der Rhetorik Netanjahus. Vize-Regierungschef Dan Meridor kritisierte am 14. September im israelischen Militärradio vor allem die wiederholten Forderungen Netanjahus an die USA, in der Debatte "rote Linien" zu ziehen und Teheran Fristen zu setzen. Derzeit seien die bereits existierenden Sanktionen gegen Iran die beste Option. Gleichwohl müsse der Druck auf Iran auf diesem Gebiet noch verstärkt werden, sagte Meridor.

Außenminister Avigdor Lieberman kritisierte vor allem die öffentliche Debatte, die Israel und die USA zum Iran führten. Derlei Erklärungen und Diskussionen müssten außerhalb des Medieninteresses stattfinden, sagte er bei einem Treffen in seinem Ministerium. Die Beziehungen zwischen den USA und Israel seien zudem das "Fundament der israelischen Außenpolitik" und müssten gepflegt werden. Ähnlich kritisch hatte sich Barak geäußert. Er forderte, die Differenzen beider Länder "hinter verschlossenen Türen" zu klären.

Am 13. September bekräftigten Obama und Netanjahu in einem Telefonat ihre "Einheit" im Umgang mit dem iranischen Atomprogramm. In dem einstündigen Gespräch hätten beide Politiker die Gefahren durch das Atomprogramm diskutiert und sich der gegenseitigen engen Zusammenarbeit versichert, teilte das Weiße Haus in Washington mit. Beide hätten bekräftigt "einig" zu sein, Iran davon abzuhalten, in den Besitz von Nuklearwaffen zu gelangen.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta sagte am 11. September dem US-Sender CBS, sollte die politische Führung in Teheran den Bau der Atombombe beschließen, dann hätten die USA noch "etwa ein Jahr" Zeit, darauf entsprechend zu reagieren. Die Iraner würden "eine Weile" für den Bau der Atombombe brauchen, "wenn sie einmal die entsprechende Entscheidung" getroffen hätten. Die USA hätten dann wiederum die Gelegenheit für die "notwendige Aktion", um das Programm zu stoppen. Panetta lehnte solche "kleinen roten Linien" in "Foreign Policy" als weltfremd ab. "Tatsache ist doch, dass ein amerikanischer Präsident, ein Regierungschef Israels oder eines jeden anderen Landes nicht einen Haufen kleiner roter Linien hat, die das Handeln bestimmen. Tatsächlich werden ihnen Fakten darüber vorgelegt, was ein anderes Land vorhat, und dann wägen sie ab, was zu tun ist. Das ist die wirkliche Welt. Rote Linien sind eher politische Argumente, um Leute in die Ecke zu drängen", sagte der Pentagon-Chef.

Obama nahm am 15. September deutlich gegen Netanjahu Stellung. "Auch Netanjahu selbst würde die Bedingungen eines militärischen Eingreifens nicht nennen wollen, weil kein Staatsmann sich die Hände binden lässt", sagte Obama nach israelischen Berichten in einer Telefonkonferenz mit 1200 amerikanischen Rabbinern aus Anlass des bevorstehenden jüdischen Neujahrsfestes Rosch Haschana. Israel stehe selbstverständlich das Recht auf Selbstverteidigung zu, und ein Militärschlag könne durchaus irgendwann notwendig werden. "Aber nicht, bevor wir nicht alle anderen Möglichkeiten genutzt haben", sagte Obama und fügte hinzu: "Es bleibt noch Zeit und Raum für Diplomatie." Die Führung in Teheran solle sich aber keinen Illusionen über die Entschlossenheit der USA hingeben.

Netanjahu beharrte weiterhin auf seiner Position und versuchte durch seine Einmischung in den US-Wahlkampf Obama unter Druck zu setzen. Am 17. September rief er die Amerikaner in Interviews mit US- Fernsehsendern auf, einen Präsidenten zu wählen, der zum Ziehen einer "roten Linie" gegenüber Iran bereit sei. Die Zeit werde knapp, sich gegen das Atomprogramm Teherans zu stellen, sagte er. Iran zu glauben, wäre töricht, sagte Netanjahu und verglich Iran mit dem Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh. Er verwies darauf, dass mangelnde Geheimdienstkenntnisse verheerende Folgen haben könnten. McVeigh hatte 1995 einen Anschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City verübt, der 168 Menschen das Leben kostete. "Das ist als ob Timothy McVeigh in Oklahoma City in einen Laden geht und sagt: ,Ich möchte meinen Garten bearbeiten. Ich möchte Dünger kaufen.' Ich bitte Sie! Wir wissen, dass sie an einer Waffe arbeiten", sagte Netanjahu. Er betonte in den Interviews, dass er keine politischen Absichten verfolge. Seine Äußerungen seien schlicht Ausdruck einer besonderen Dringlichkeit des Themas. "Ich glaube, es gibt ein gemeinsames Interesse aller Amerikaner, aller politischen Überzeugungen, Iran zu stoppen. Dies ist ein Regime, das den schlimmsten Impulsen freien Lauf lässt, die man gerade jetzt im Nahen Osten sieht."

Iran reagierte immer wieder auf israelische Drohungen. Am 16. September warnte der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarde, General Mohammad Ali Dschafari, Israel vor einem Angriff auf sein Land. Danach werde von Israel "nichts mehr übrig bleiben", erklärte er in Teheran. Jeglicher Angriff werde nahe der israelischen Grenze beginnen. Am 23. September sagte Dschafari den Agenturen Fars und ISNA zufolge, der Krieg werde "schließlich kommen", es sei aber nicht sicher, "wann und wo". Sollte Israel angreifen, werde das zu seiner "Zerstörung" führen.

Indes erreichten einer Meldung der BBC vom 17. September zufolge Kriegsschiffe aus 30 Ländern den Persischen Golf, zu einem gemeinsamen Manöver unter der Führung der US-Streitkräfte. Es soll sich um das größte Seemanöver, das bislang im Nahen Osten stattgefunden hat, handeln. Ziel des Manövers ist die Säuberung der Seewege von Minen. Das Manöver dauerte vier Tage, vom 23. bis 27. September. Neben amerikanischen Seekräften waren unter anderem Marineeinheiten aus Großbritannien, Frankreich, Japan, Jordanien und Neuseeland vertreten. Iran gab bekannt, das Manöver genau beobachtet zu haben. "Wir haben gerade für die Gebiete am Golf eine besondere Sensibilität und beobachten jede Bewegung, jede Aktivität."

Am 20. September übte der frühere Botschafter Israels in Deutschland, Shimon Stein, scharfe Kritik an Netanjahu und warnte eindringlich vor einem militärischen Alleingang seines Landes. Netanjahu gefährde mit seinen Angriffen auf Obama das Verhältnis zum engsten Verbündeten, "mit unabsehbaren Konsequenzen", sagte Stein in einem Interview mit der Agentur Reuters. "An den für Israel überlebenswichtigen Beziehungen zu den USA zu rütteln, sie infrage zu stellen, den amerikanischen Präsidenten in die Ecke zu stellen - das sind Dinge, die nicht passieren dürfen. Das ist eine Krise", sagte Stein mit Blick auf Netanjahus Äußerungen. "Den jahrzehntelangen Konsens infrage zu stellen, dass die Unterstützung der Amerikaner parteiübergreifend ist, sich in der heißen Phase des Wahlkampfs so einzumischen, halte ich für verheerend", sagte der langjährige Botschafter, der heute beim renommierten Israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) forscht. Der Regierungschef stehe wegen der ablehnenden Haltung vieler Israelis und wichtiger Vertreter von Geheimdiensten und der Armee gegenüber einem militärischen Alleingang unter Druck und scheine isoliert zu sein. "Netanjahu ist besessen von der Mission, dass er einen zweiten Holocaust unter seiner Ägide nicht zulassen darf und den Staat Israel retten muss", sagte Stein. "Ist er sich im Klaren über die Konsequenzen? Ich weiß es nicht." Es bestehe die Gefahr einer zwangsläufigen Eskalation des Atomstreits. "Wenn man sich so wie er seit Monaten ausdrückt, verfängt man sich in einer Dynamik. Wenn jemand so argumentiert, dann bleibt ihm nichts übrig, als Taten folgen zu lassen." Stein warnte eindringlich vor einem militärischen Alleingang. "Es gibt Meinungsunterschiede mit den USA über den Stand des Atomprogramms, nicht darüber, dass Iran eine Bedrohung ist". Israel könne das Problem nicht ohne Verbündete und vor allem nicht ohne die USA lösen: "Bei allem Respekt, das ist eine Nummer zu groß für uns." Selbst wenn es gelänge, durch einen Militärschlag das Nuklearprogramm zurückzuwerfen, stünde das Problem nach einigen Jahren wieder auf die Tagesordnung. "Wenn das Regime bleibt und das Programm aufbaut, muss Israel nach ein paar Jahren erneut bombardieren. Haben wir dann, wenn wir es jetzt stur im Alleingang machen, die Garantie, dass die Staatengemeinschaft uns unterstützt? Ich habe große Zweifel."


SCHLAGABTAUSCH AUF DER UN-VOLLVERSAMMLUNG

Die diesjährige UN-Vollversammlung wurde von den Vorgängen im Nahen und Mittleren Osten überschattet. Insbesondere die USA, Iran und Israel lieferten sich einen Schlagabtausch. Den Anfang machte Obama. Er nutzte seinen Auftritt bei der UN-Generaldebatte auch für eine scharfe Warnung an Iran. Die USA würden "alles tun, was sie müssen, um Teheran die Atombombe zu verwehren", sagte der Präsident. Ein nuklear bewaffneter Iran würde die Gefahr einer "Auslöschung Israels" bergen. Außerdem wären die Sicherheit der Golfstaaten und die Stabilität der Weltwirtschaft bedroht. Die USA befinden sich in der heißen Phase des Wahlkampfs, daher wurde Obamas Rede auch innenpolitisch bedeutend. Sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney hatte ihm Schwäche im Umgang mit den Protesten in der muslimischen Welt vorgeworfen. Außerdem kreidet Romney dem Präsidenten an, den engen Verbündeten Israel mit seiner laschen Haltung im Atomstreit mit Iran im Stich zu lassen.

Irans Präsident Ahmadinedschad nutze die Gelegenheit seines Auftritts zu einem Rundumschlag und forderte nichts Geringeres als eine "neue Weltordnung". Die "selbst ernannten Zentren der Macht", die sich "dem Teufel" verschrieben hätten, seien Schuld an der "gegenwärtigen Lage der Welt", sagte er am 27. September vor der UN-Vollversammlung. "Es besteht kein Zweifel, dass die Welt eine neue Ordnung und frische Denkweise braucht."

Ahmadinedschad zeichnete in seiner wohl letzten Rede vor den Vereinten Nationen - seine Amtszeit läuft im Juni kommenden Jahres ab - das Bild einer Welt, die mehr von Gier als von moralischen Werten getrieben werde. Er nahm dabei die USA ins Visier, auch wenn er sie namentlich nicht nannte. "Sollen wir tatsächlich glauben, dass diejenigen, die hunderte von Millionen Dollar in Wahlkampagnen stecken, das Interesse der Völker in ihrem Herzen tragen?"

Ahmadinedschad kritisierte auch "die unzivilisierten Zionisten, die unserer großen Nation weiterhin mit militärischen Schritten drohen." Auf einer abschließenden Pressekonferenz sagte er, sein Land sei in der Lage, jegliche Versuche, sein Atomprogramm zu sabotieren, "zu vermeiden und zu neutralisieren". Gleichzeitig sagte er, sein Land sei zum Dialog mit den Vereinigten Staaten und zu einer Lösung der Probleme bereit. "Wir haben niemals Probleme mit dem Volk der Vereinigten Staaten gehabt", sagte er. Gerade diese Stellungnahme, die bei Teilen der iranischen Führung als Anbiederung aufgefasst wurde, wurde von einigen Parlamentsabgeordneten in Teheran kritisiert.

Auch Netanjahu ließ die Gelegenheit für einen Angriff auf Iran nicht verstreichen. Während seiner Ausführungen über die Bedrohung durch das iranische Atomprogramm holte er die Zeichnung einer Bombe hervor, symbolisch unterteilt in die verschiedenen Etappen der Urananreicherung. Dann nahm er einen roten Filzstift und markierte eine fette Linie am oberen Ende der cartoonartigen Bombenskizze, kurz vor der Zündschnur. Spätestens hier müsse Teheran gestoppt werden - sonst sei "die Zukunft der Welt" in Gefahr.

Mit dem dramatischen Auftritt deutete Netanjahu erneut an, dass Israel ab einem bestimmten Punkt entschlossen wäre, das iranische Atomprogramm militärisch auszuschalten. Auch wenn die Regierung in Teheran immer wieder beteuert, sie strebe nur eine zivile Nutzung der Atomenergie an, ist der Fall für den israelischen Präsidenten klar: Die Führung Irans, die den Holocaust mehrfach leugnete und Israel das Existenzrecht absprach, steht kurz vor der Atombombe.

Unter Berufung auf die Internationale Atomenergiebehörde sagte Netanjahu, dass Teheran 70 Prozent des Urans angereichert habe, das es für Atomwaffen benötige. Im nächsten Frühling, spätestens aber im Sommer dürfte Iran dann nur noch "wenige Monate oder Wochen" von der Bombe entfernt sein, warnte er. Vor dieser letzten Anreicherungsstufe zieht der israelische Regierungschef seine rote Linie, mit dem Filzstift ebenso wie politisch.


IRAN SOLL MILITÄRGÜTER AN SYRIEN GELIEFERT HABEN

Während Teheran bisher jede militärische Beteiligung an dem Konflikt in Syrien bestreitet, erklärte der Vizepropagandachef der Revolutionsgarden, Mohammad Ali Asudi, vor Journalisten in Teheran am 1. September, Iran werde sich im Falle einer militärischen Intervention in Syrien gemeinsam mit den Verbündeten Syriens ebenfalls militärisch einschalten. Die USA hätten das Ziel, gemeinsam mit Saudi-Arabien, Katar und der Türkei den Sturz des Regimes in Syrien vorzubereiten, sagte Asudi. Das sei eine "große Dummheit", die zu einer "erbärmlichen Niederlage der USA" führen werde. Zudem werde ein Krieg gegen Syrien die USA mit weit größeren Problemen als bisher konfrontieren.

Auch der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, Mohammad Ali Dschafari, hatte bei einer seltenen Pressekonferenz am 16. September erklärt, Mitglieder der Eliteeinheit Kuds-Brigaden seien in Syrien und Libanon als Berater tätig. Er machte keine genauen Angaben. Noch nie hatte Iran die Anwesenheit von Kuds in Syrien und Libanon öffentlich bestätigt. Die tausende Mitglieder zählende Elitetruppe ist für alle offiziellen oder geheimen Auslandseinsätze der Garden zuständig. Die Erklärung Dschafaris war sowohl von der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA als auch auf der Internetseite der Revolutionsgarden verbreitet worden. Die Darstellungen entsprachen auch einem Audiomitschnitt der Nachrichtenagentur AFP von Dschafaris Äußerungen. Die libanesische Regierung verlangte sofort eine Erklärung zu dem angeblichen Militäreinsatz.

Einen Tag später hat das iranische Außenministerium die Äußerungen Dschafaris dementiert. Iran habe "keine Militärpräsens in der Region", sagte ein Sprecher des Ministeriums am 17. September dem arabischsprachigen Fernsehsender Al-Alam. Die Äußerungen des Kommandeurs seien "teilweise falsch" wiedergegeben worden.

Die New York Times berichtete in ihrer Ausgabe vom 5. September, Iran versorge das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad mit Militärgütern. Der Transport erfolge trotz Intervention der USA in Bagdad über den irakischen Luftraum. Eine Zeitlang hatte Bagdad unter dem Druck Washingtons den Überflug untersagt, ihn aber im Sommer wieder gestattet. Die Information stamme von Regierungsbeamten in Washington, deren Namen werden aber nicht genannt.

Was Iran genau an Syrien liefere, sei nicht klar, schreibt die Zeitung. Erwähnt aber unter anderem ein Flugzeug, das Damaskus zur Verfügung gestellt worden sei, um Soldaten und Materialien Kampf gegen Aufständische zu bewegen.

Laut New York Times habe sich US-Vizeaußenminister Joe Biden persönlich beim irakischen Ministerpräsidenten Nuri Maliki für ein Ende der Flüge eingesetzt. Dass Irak trotzdem die Flüge erlaubt habe, zeige, wie gering der Einfluss Washingtons in Bagdad sei, meint die Zeitung.

Iran gehört zu den engsten Verbündeten Syriens und es ist das einzige Land, das sich auch international zugunsten des Assad-Regimes einsetzt. Zugleich verfügt Teheran über großen Einfluss im Irak. Seit dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein und die Machtübernahme der Schiiten in Bagdad sind enge Beziehungen zwischen den Nachbarländern entstanden, wobei Iran als größerer Nachbar sowie als Helfer beim Aufbau des vom Krieg zerstörten Landes eine dominierende Rolle spielt.

Indes verlangte die irakische Regierung Beweise für die Behauptung einiger amerikanischer Senatoren, Iran habe den irakischen Luftraum für Waffentransporte an Syrien benutzt. Ali Al Mussavi, irakischer Regierungssprecher, erklärte am 5. September, es treffe zwar zu, dass Iran den irakischen Luftraum benutze. Doch Teheran habe versichert, dass es sich bei den Transporten ausschließlich um humanitäre Hilfeleistungen für Notleidende im syrischen Bürgerkrieg handele. Die Amerikaner hätten angekündigt, Nachweise für den Waffentransport vorzulegen. Dies sei jedoch bisher nicht geschehen.

US-Senator Lieberman sagte bei seinem Irak-Besuch am 5. September in Bagdad vor Journalisten, er und seine Senatskollegen John McCain und Lindsey Graham hätten dem irakischen Ministerpräsidenten in Bagdad ihr Anliegen bezüglich der Waffenlieferungen persönlich vorgetragen. Doch auch er habe gesagt, dass Teheran ihm versichert habe, dass es bei dem Transport nur um humanitäre Hilfeleistungen gehe. Nun seien die US-Behörden in der Pflicht, die irakische Regierung vom Gegenteil zu überzeugen, sagte Lieberman.

Zuvor hatte Iran den USA und Israel vorgeworfen, für den blutigen Konflikt in Syrien verantwortlich zu sein. Beide Staaten seien "die verdeckten Hauptverantwortlichen der schmerzhaften Probleme in Syrien", sagte Irans Revolutionsführer Ali Chamenei laut seiner Website leader.ir am 31. August in Teheran. Verantwortlich seien generell alle, die "Syrien mit Waffen überschwemmt und unverantwortliche Gruppen finanziell unterstützt" hätten. Die syrische Regierung sei "in dieser Angelegenheit das Opfer".

Chamenei forderte zugleich die syrische Regierung auf, "die politischen Reformen fortzusetzen, um der Opposition alle Vorwände zu nehmen". Damaskus müsse der ganzen Welt "die Hintergründe des Komplotts in Syrien" vor Augen führen, sagte er beim Empfang des syrischen Ministerpräsidenten Wael al-Halki am Rande des Gipfels blockfreier Staaten in Teheran.

Am 19. September empfing Assad den iranischen Außenminister Ali Akbar Salehi in Damaskus. Zuvor hatte Salehi seinen syrischen Kollegen Walid Muallem getroffen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Bei seiner Ankunft erklärte Salehi, er wolle mit der Führung über die derzeitige Krise im Land beraten. Diese könne nur "im Inneren der syrischen Familie" beigelegt werden, "unter Beteiligung und Koordinierung aller internationalen und regionalen Einrichtungen".

Die iranisch-syrischen Beziehungen seien "sehr stark", fügte der Teheraner Chefdiplomat hinzu. Zuvor hatte Salehi an dem Treffen des "Islamischen Quartetts" in Kairo teilgenommen. Das Quartett, das aus den Staaten Ägypten, Iran, Irak und Saudi-Arabien besteht, war auf Initiative des ägyptischen Präsidenten Mohammad Mursi zustande gekommen. Das erste Treffen verlief ohne Ergebnis. Dabei forderte Mursi Iran indirekt auf, seine Unterstützung für die syrische Regierung zu überdenken. Die Beziehungen zwischen Ägypten und Iran würden durch die Rückendeckung Teherans für Präsident Assad behindert, sagte Mursi am 18. September laut seinem Sprecher zum iranischen Außenminister. Er könne die Tatsche nicht ignorieren, dass sich die öffentliche Meinung in Ägypten mehrheitlich gegen das syrische Regime richte, das sich einer "harten Sprache und Gewalt" bediene. Bei dem Gespräch war der saudische Außenminister angeblich aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend.

Am 20. September meldete die Agentur Reuters, dem Bericht eines westlichen Geheimdienstes zufolge liefere Iran tonnenweise Waffen an das syrische Regime. Die Waffen sollen auf dem Luftweg in Zivilflugzeugen über irakisches Gebiet nach Syrien transportiert worden sein. Beinah täglich würden Dutzende Tonnen Waffen und zahlreiche Angehörige der Revolutionsgarden nach Syrien geflogen, heißt es in dem Geheimdienstbericht. Bewaffnet würden sowohl syrische Truppen als auch regimetreue Milizen. Auch auf dem Landweg über den Irak würden Lastwagen große Mengen Waffen und Munition nach Syrien bringen, heißt es weiter.


AHMADINEDSCHAD: DER WESTEN FÜHRT EINEN "KOMPROMISSLOSEN KRIEG" GEGEN IRAN

Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat dem Westen einen "kompromisslosen Krieg" gegen Iran vorgeworfen. Mit ihren Sanktionen hätten die USA und die EU Iran Barrieren beim Verkauf seines Erdöls und bei seinen Geldtransfers errichtet, sagte der Präsident in einer Fernsehansprache am 4. September in Teheran. Seine Regierung arbeite daran, diese Barrieren zu beseitigen.

In den vergangenen Monaten haben die USA und die EU die Sanktionen gegen Iran erheblich verstärkt.

Hisbollah: Iran droht USA bei einem Angriff Israels mit Krieg

Den Angaben der mit Iran verbündeten Hisbollah zufolge hat Iran beschlossen, im Falle eines Angriffs seiner Atomanlage durch Israel umfassend militärisch zu reagieren. Auch US-Ziele im Nahen Osten kämen als Angriffsziel in Frage, auch dann, wenn die USA nicht an einem Angriff Israels beteiligt wären, sagte Hisbollah-Generalsekretär Sajed Hassan Nasrollah dem in Beirut ansässigen TV-Sender Al Majadin am 4. September. "Es ist eine Entscheidung gefällt worden, zu reagieren und die Antwort wird umfassend ausfallen", sagte er und berief sich dabei auf Informationen von iranischen Vertretern. "Wenn Israel Iran angreift, trägt Amerika die Verantwortung."

Israel sei in der Frage eines Angriffs gegen Iran gespalten, sagte Nasrollah in dem Interview. "Ich persönlich gehe nicht davon aus, dass der israelische Feind - zumindest in den nächsten Monaten oder in absehbarer Zukunft - die Islamische Republik Iran angreifen wird", sagte er.


DE MAIZIÉRES UMSTRITTENE ÄUßERUNG

Die Äußerung von Verteidigungsminister Thomas de Maiziére zu einem möglichen Militärschlag gegen Iran sorgte für Wirbel. Laut der Tageszeitung "Die Welt" vom 13. September sagte der Politiker beim Europäisch-Israelischen Dialog in Berlin: "Iran anzugreifen ist nicht illegitim, es ist aber auch nicht klug." Auf einer dpa-Anfrage wollte das Ministerium den Satz weder bestätigen noch dementieren. Die Grünen im Deutschen Bundestag forderten einen Widerruf.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, sagte zu de Maiziéres Äußerung: "Bei allem Verständnis für die Bedrohungslage Israels wäre ein präemptiver Angriff auf Iran schliche illegal. Ein Verteidigungsminister sollte nicht illegale Akte als legitim bezeichnen." Mit seinen Worten befeuere er "ohne Not die Debatte über ein militärisches Eingreifen". Nouripour sagte weiter: "De Maiziére muss deshalb seine Äußerung unverzüglich widerrufen."

Der Verteidigungsexperte der Linksfraktion, Paul Schäfer, nannte die Worte des CDU-Politikers "leichtfertig, verantwortungslos und inakzeptabel". Vom Obersten Befehlshaber der Streitkräfte dürfe erwartet werden, dass er sich des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen und der Verwerflichkeit von Angriffskriegen bewusst sei.


IRAN VERLANGT BESTRAFUNG DER INITIATOREN DES ISLAMFEINDLICHEN FILMS

Revolutionsführer Ali Chamenei hat die USA aufgefordert, die Macher des islamfeindlichen Videos zu bestrafen. "Wenn die amerikanischen Politiker ehrlich in ihrer Aussage sind, nichts damit zu tun zu haben, müssen sie diejenigen, welche dieses hasserfüllte Verbrechen begangen haben und ihre finanziellen Unterstützer entsprechend ihres großen Verbrechens bestrafen", sagte Chamenei am 13. September. "Die US-Regierung und die Zionisten sind die Hauptverdächtigen für dieses abscheuliche und im Rausch begangene Verbrechen, das die Herzen der Muslime weltweit gebrochen hat."

Zuvor hatten in Teheran vor der Schweizer Botschaft, welche die USA vertritt, rund 500 Menschen gegen den in den USA produzierten Film protestiert, in dem der Prophet Mohammed verunglimpft wird. Am darauf folgenden Freitag gab es in den meisten Grosstädten des Landes Massendemonstrationen gegen die USA und Israel. Die Demonstranten riefen Parolen wie "Hollywood ist zum Zentrum des Zionismus geworden" oder "Die USA und Israel werden zugrunde gehen, der Islam niemals".

Während des Freitagsgebets sagte Ayatollah Ahma Dschannatti, der Film sei ein weiterer, verzweifelter Versuch der USA, den wachsenden Einfluss des Islams in der Welt zu stoppen. "Die Geschichte ändert sich in Richtung einer globalen Islamisierung."

Am 20. September protestierten einige Studenten gegen die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen vor der französischen Botschaft in Teheran. Wie die Agentur Fars berichtete, verrichteten sie ihr Gebet vor der Botschaft. Danach wollten sie die Botschaft stürmen, wurden jedoch von der Polizei zurückgehalten. "Wir werden kämpfen, wir werden sterben, aber wir werden niemals Schande über uns bringen lassen", riefen sie.

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Impressum:
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Autor: Bahman Nirumand
Redaktion: Vera Lorenz
V.i.S.d.P.: Annette Maennel
11. Jahrgang

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Quelle:
Iran-Report Nr. 10/2012 - Oktober 2012 / 11. Jahrgang
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2012