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HEINRICH BÖLL STIFTUNG/424: Iran-Report Nr. 11 - November 2018


Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung - Nr. 11 - November 2018
Eine Zusammenfassung aktueller Ereignisse im Iran

von Bahman Nirumand


Iran steht an einem Scheideweg. Nach dem Austritt der USA und der Wiedereinführung von Wirtschaftssanktionen droht das Atomabkommen zu scheitern. Der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung, die Öffnung nach außen und vor allem auch die Liberalisierung der theokratischen Staatsordnung sind in weite Ferne gerückt. Über den Kurs des Landes, auch über die Rolle Irans in der Region, ist sich die Staatsführung nicht einig. Wie der Machtkampf, der schon seit geraumer Zeit zwischen Konservativen und Reformern tobt, ausgehen wird, ist ungewiss. Der Iran-Report wertet Nachrichten verschiedener Quellen aus. Auch um die von den Mächtigen in Iran verfügten Behinderungen und Einschränkungen der journalistischen Arbeit auszugleichen. Der Iran-Report produziert keine Schlagzeilen, sondern er erhellt die Meldungen, das Nichtgesagte dahinter.


INNENPOLITIK

• Pläne zur Absetzung von Rohani
• Zwei Minister zurückgetreten
• Vier neue Minister im Kabinett
• Chamenei fordert Einigkeit und Widerstand
• Rohani: Ziel der USA ist ein Regimewechsel in Iran
• Reformer verlieren an Glaubwürdigkeit
• Mehrere Umweltschützer von Todesstrafe bedroht
• Stadtratsmitglied wegen Unterstützung von Bahais festgenommen
• Doppelstaatler zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt
• Lehrer streiken gegen Anstieg der Lebenshaltungskosten


PLÄNE ZUR ABSETZUNG VON ROHANI

Esatollah Sarghami, ehemaliger Direktor des staatlichen Rundfunks und Fernsehens, machte ungewöhnliche Mitteilungen. Er ist zurzeit als Berater im Büro des Revolutionsführers tätig. Ferner ist er unter anderem Mitglied im Obersten Rat für Cybertechnologie und im Obersten Rat der Kulturrevolution. Laut einem Bericht des persischsprachigen Programms der BBC vom 22. Oktober sagte Sarghami, bei einem Treffen der Mitglieder des Expertenrats mit Revolutionsführer Ali Chamenei sei das Thema "Regierungswechsel" abermals erläutert worden. Dabei hätten Vertreter einiger Instanzen, die dem Revolutionsführer unterstehen, mit Blick auf die Unfähigkeit der Regierung Rohani die Probleme des Landes zu bewältigen, erklärt, sie seien bereit, die Verwaltung des Landes zu übernehmen. Zu den genannten "Instanzen" machte Sarghami nur vage Angaben. "Wirtschaftliche Instanzen, wie die 'Stiftung für Hilfsbedürftige' und andere Instanzen, die jetzt aktiv sind", erklärte er. Chamenei habe die Vorschläge abgelehnt.

Bereits im Sommer dieses Jahres waren Gerüchte über die Absetzung der Regierung Rohani im Umlauf. Politische Beobachter äußerten die Vermutung, dass im Falle einer weiteren Verschärfung der Lage im Land die Revolutionswächter die Regierung übernehmen würden. Bekräftigt wurden die Gerüchte als der militärische Berater des Revolutionsführers, Yahya Rahimsafawi die Regierung Rohani scharf kritisierte und sagte: "Manchmal hat man den Eindruck, dass das Land besser verwaltet werden könnte, wenn es keine Regierung gäbe." Und er fügte hinzu: "Jene, die die Revolutionsgarden anfeinden, haben eine Krankheit im Leib. Denn sie sind sich darüber nicht bewusst, dass sie über Nacht hinweggefegt würden, wenn es die Garden, die Basidsch-Milizen und das Militär nicht gäbe."

Auch eine Äußerung des konservativen Abgeordneten Mohammad Dehghan vom 25. Juni sorgte für neue Spekulationen. Dehghan sagte: "Wenn die Regierung wirklich das Gefühl hat, nicht in der Lage zu sein, das Land zu verwalten, soll sie die Aufgaben jenen überlassen, die dazu fähig sind." Einen Tag später erklärte ein Vorstandsmitglied der erzkonservativen Partei "Motalefeh", Asadollah Badamtschian: "Wenn die Konservativen die Regierung übernehmen würden, würde sich die Lage des Landes ändern." Und am 27. Juni schlug der konservative Abgeordnete Hosseinali Hadj-Deligani vor, das Parlament solle ein "Denkzimmer" einberufen, das die Fähigkeit der Regierung überprüft.

Zu all den Gerüchten und Rücktrittsforderungen sagte Rohani bei einer Versammlung vor leitenden Regierungsangestellten: "Wenn jemand glaubt, die Regierung werde zurücktreten, irrt er sich." Bereits zuvor hatte Außenminister Mohammad Dschawad Sarif bei einer Sitzung in der Handelskammer erklärt, es sei ein Irrtum, zu glauben, dass der Rücktritt von Rohani einen Sieg der Konservativen zufolge haben würde.

Bis dahin mischte sich Revolutionsführer Chamenei nicht in die Debatte ein. Erst als der frühere Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der allerdings nicht mehr zum engen Zirkel um Chamenei gehört, unverblümt den Rücktritt Rohanis forderte und auf einer Videobotschaft vom 9. August, gerichtet an Rohani sagte: "Ihr Verbleib im Amt schadet dem Land und auch Ihnen selbst", brach Chamenei sein Schweigen.

Vier Tage später meldete er sich zu Wort. "Jene, die die Regierung zum Rücktritt auffordern oder ähnliche Forderungen stellen, unterstützen die Pläne unserer Feinde", sagte er. Und am 6. September erklärte er: "Parallele Aktivitäten zu denen der Regierung sind nicht nützlich. Die Erfahrung zeigt, dass Aktivitäten erfolgreich sein können, wenn sie von Verantwortlichen geleitet und auf der Basis von Gesetzen stattfinden."

Über die Frage, warum Chamenei so eindeutig Partei nahm und den Vorschlag seiner Gesinnungsgenossen zu einem Regierungswechsel ablehnte, lässt sich nur spekulieren. Vielleicht ist er der Meinung, dass ein Gegengewicht zu den Konservativen und Militärs notwendig sei, um die eigene Macht und Position behalten zu können. Eine Regierungsübernahme durch die Revolutionsgarden etwa könnte seine überragende Stellung gefährden.


ZWEI MINISTER ZURÜCKGETRETEN

Zwei weitere Minister im Kabinett von Präsident Hassan Rohani sind am 20. Oktober zurückgetreten. Wie iranische Medien berichteten, akzeptierte Rohani die Rücktritte. Sowohl Handelsminister Mohammad Schariatmadari als auch der Minister für Straßen- und Städtebau, Abbas Achundi sind enge Vertraute des Präsidenten. Sie legten ihre Ämter nieder, weil sie nicht dasselbe Schicksal wie das des Arbeits- und Wirtschaftsministers erleben und einem Misstrauensvotum des Parlaments zuvorkommen wollten. Damit ist nun Rohani gezwungen, dem Parlament vier neue Minister zur Abstimmung vorzuschlagen.

Iranische Medien hatten bereits vier Wochen zuvor über einen Rücktritt des Handelsministers berichtet, was seitens der Regierung dementiert wurde. Auch der Minister für Straßen- und Städtebau hatte, wie er nun bekannt gab, mehrmals Rohani um Entlassung aus seinem Amt gebeten. Wenige Stunden bevor bekannt wurde, dass Rohani seinen Rücktritt akzeptiert hatte, veröffentlichte Achundi auf Instagram sein Rücktrittsgesuch an Rohani. Darin heißt es, er habe den Präsidenten in den vergangenen drei Jahren dreimal um seine Entlassung gebeten.

Achundi hatte sowohl in der ersten als auch in der zweiten Amtsperiode der Regierung Rohani das Ministerium für Straßen- und Städtebau geführt. Während dieser Zeit scheiterten drei Misstrauensanträge gegen ihn. In seinem Rücktrittsgesuch schreibt er, er glaube nicht, unter den gegebenen Umständen seine Pläne durchsetzen zu können. Ohne weitere Erläuterung schreibt er weiter: "Ich bin davon überzeugt, dass die Politik in keinem Fall den Rahmen der Gesetze überschreiten und das Recht auf Eigentum und des Wettbewerbs auf dem freien Markt antasten darf. Doch genau diese Grundsätze werden zurzeit missachtet, um die Probleme, die durch die US-Sanktionen entstanden sind, vermeintlich bewältigen zu können." Aufgrund dieser entgegen gesetzter Standpunkte könne er rein moralisch betrachtet, sein Amt nicht weiterführen, schreibt Achundi. Er gehört zu den entschiedensten Verfechtern der freien Marktwirtschaft und lehnt jede Einmischung des Staates in die Angelegenheiten der Wirtschaft ab. Im Bezug auf den Städtebau gab es zwischen ihm und Rohani Differenzen. Während Rohani den Bau großer Wohnsiedlungen seitens des Staates unterstützte, vertrat Achundi die Ansicht, der Staat solle lediglich den Bewohnern finanziell helfen, damit sie ihre Häuser und Wohnungen sanieren und modernisieren können.


VIER NEUE MINISTER IM KABINETT

Das Teheraner Parlament hat am 27. Oktober der Nominierung von vier neuen Ministern zugestimmt. Für den neuen Minister für Wirtschaft und Finanzen, Farhad Dejpasand, stimmten 200 Abgeordnete, 50 Abgeordnete stimmten gegen ihn und 15 enthielten sich. Der anerkannte Wirtschaftsfachmann hat lange Erfahrungen im Bereich Wirtschaft und Planung. Er war bereits Träger zahlreicher hoher Ämter. Parallel dazu lehrte er an der Universität, schrieb und übersetzte Bücher und Artikel. Durch seine wissenschaftliche Arbeit soll er auch mit internationalen Finanzangelegenheiten bestens vertraut sein. Mohammad Eslami, der das Ministerium für Straßen- und Städtebau übernehmen wird, wurde mit 151 gegen 98 Stimmen gewählt. Sieben Abgeordnete enthielten sich. Eslami hatte vor der Revolution von 1979 in den USA sein Studium im Fach Straßen- und Städtebau abgeschlossen und kehrte nach der Revolution in seine Heimat zurück. Einige Jahre lang arbeitete er im Bereich "Verteidigungsindustrie", später wurde er Geschäftsführer der iranischen Gesellschaft für Flugzeugbau. Zuletzt war er Vizeminister im Verteidigungsministerium, zuständig für den Bereich Technik und Forschung. Der neue Minister für Arbeit und Soziales, Mohammad Schariatmadari, erhielt 196 Stimmen, 63 Abgeordnete stimmten gegen ihn, fünf enthielten sich. Er war wenige Tage zuvor als Minister für Straßen- und Städtebau zurückgetreten. Schariatmadari war lange Jahre im Informationsministerium tätig. Später übernahm er unter Präsident Chatami die Leitung des Handelsministeriums, die er acht Jahre lang behielt. In der ersten Amtsperiode von Präsident Rohani wurde er Vizepräsident für Exekutivangelegenheiten, danach übernahm er das Ministerium für Industrie, Handel und Bergbau.

Dieses Ministerium wird nun Resa Rahmani leiten. 203 Abgeordnete stimmten für ihn, 49 gegen ihn, fünf enthielten sich. Rahmani war früher Parlamentsabgeordneter. Er ist promovierter Jurist und wurde im Krieg gegen Irak verletzt. Als Abgeordneter war er im Ausschuss für Industrie und Bergbau besonders aktiv. Zuletzt war er im Kabinett Rohani als Vizeminister für Industrie, Handel und Bergbau tätig.

Bei der Vorstellung der neuen Minister im Parlament bezeichnete Rohani die Lage der Wirtschaft als "günstig". Zwar seien Wachstum und Investitionen zurückgegangen, doch die Warenbestände und Devisenreserven des Landes seien seit Jahren nicht so hoch gewesen wie heute. "Wir haben keine unlösbaren Probleme", sagte der Präsident mit Nachdruck. Der Anstieg der Inflationsrate werde sich nicht fortsetzen. "Jene die das Gegenteil behaupten, lügen."


CHAMENEI FORDERT EINIGKEIT UND WIDERSTAND

"Die Lage der Nation, der Region und der Welt ist heikel, besonders für unser iranisches Volk", sagte Revolutionsführer Ali Chamenei am 4. Oktober vor zehntausenden von Bsidsch-Milizen und Angehörigen der Revolutionsgarden, die im Teheraner Asadi-Stadion versammelt waren. Die Rede wurde live im staatlichen Fernsehen übertragen. Er verglich die versammelten Milizen mit den Kämpfern, die im Krieg gegen den Irak (1980 bis 1988) an die Front geschickt wurden und sagte: "Genau hier an diesem Ort habe ich damals eine Rede gehalten und die Milizen an die Front geschickt, wo sie große Siege für das Land errungen haben."

Chamenei sprach von "heiklen Zeiten". Es gebe einerseits "das Geschrei der Mächte der Arroganz und die expansionistische Politik der USA" und andererseits "die Machtdemonstration der gläubigen Jugendlichen und die nacheinander folgenden Siege auf verschiedenen Ebenen", sagte er. Auf der einen Seite gebe es die wirtschaftlichen Probleme und die Entbehrungen eines Großteils des iranischen Volkes und auf der anderen Seite hätten diese Zustände die Verantwortlichen veranlasst, um Lösungen und Auswege zu ringen.

Die Probleme hätten das Volk aus der Trägheit und Untätigkeit herausgerissen, sagte Chamenei weiter. Viele Menschen, die bislang nur zugeschaut hätten, fühlten sich heute verantwortlich und seien aktiv geworden. Er warnte vor Machenschaften der "Feinde" und sagte: "Wir müssen diese Machenschaften genau durchschauen, deren Ausmaße erkennen, um die Ziele der Feinde herauszufinden". Das eigentliche Ziel der "Feinde" sei die Schwächung des Islam.

Chamenei versicherte, dass die gegen Iran verhängten Sanktionen keine nachhaltige Wirkung haben würden. "Die nationale Wirtschaft kann mit Gottes Beistand die Sanktionen unwirksam machen", sagt er. "Damit werden wir den USA eine Niederlage zufügen und ihnen eine neue Ohrfeige verpassen."

Chamenei kritisierte die Meinung jener, die den einzigen Ausweg in der Wiederaufnahme der Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten sehen. "Unsere Feinde wollen, dass das iranische Volk zu dem Schluss gelangt, dass das Land in eine Sackgasse steckt und dass es keinen anderen Ausweg gibt, als Kapitulation. Aber ich erkläre hier klar und deutlich, dass jene, die hier im Inland solche Gedanken verbreiten, Verrat üben, Verrat gegen das eigene Volk." Solcherlei Meinungen würden sich nicht durchsetzen. "Ich werde mit Gottes und eurer Hilfe bis zum letzten Atemzug dafür sorgen, dass solche Ansichten sich nicht durchsetzen."

Gerichtet an die Vertreter der Medien sagte der Revolutionsführer, sie sollten darauf achten, welche Ansichten und Ideen sie verbreiten. "Man vergleicht die Medien mit Chemiewaffen im Krieg. Diese Waffen zerstören keine Panzer und andere Waffen, sie zerstören Menschen, die dann nicht mehr in der Lage sind, ihre Waffen zu benutzen." Daher sollten sich die Medien über ihre Rolle bewusst sein, sagte Chamenei. Er forderte die Milizen auf, in den Bereichen Kultur und Medien aktiv und achtsam zu sein. "Ihr werdet, meine lieben Jugendlichen, auf den Feldern der Wirtschaft und der Bildung von sozialen und kulturellen Netzwerken immer aktiv sein und Erfolge erzielen - Feuer frei."

Bei einem Treffen mit den Spitzen der drei Gewalten am 13. Oktober sagte Chamenei laut einem Bericht seines Büros, ein Großteil der Bevölkerung sei von den wirtschaftlichen Problemen und der steigenden Inflationsrate betroffen. Es sei höchste Zeit, diese Probleme zu lösen. Die Verantwortlichen müssten für die Probleme im Banksystem, für Arbeitslosigkeit und Teuerung der Lebenshaltungskosten Entscheidungen treffen und praktische Lösungen anbieten. Die wirtschaftlichen Probleme seien verursacht einerseits durch innere Zwistigkeiten und strukturelle Probleme und andererseits durch Sanktionen, sagte Chamenei. Zugleich betonte er, dass es im Land keine Probleme gebe, die unlösbar wären.


ROHANI: ZIEL DER USA IST EIN REGIMEWECHSEL IN IRAN

Präsident Hassan Rohani warf bei einer Rede zum Beginn des neuen Studienjahres an der Teheraner Universität am 14. Oktober den USA vor, einen Regimewechsel in Iran anzustreben. "Das Team, das zurzeit in den USA regiert, ist das schlechteste Team, das je Iran gegenüberstand", sagte er vor der Versammlung von Studentinnen und Studenten, an der auch hochrangige Politiker des Landes teilnahmen. "Die Amerikaner haben mit einem psychologischen Krieg begonnen, die nächste Etappe ist ein Wirtschaftskrieg, der den iranischen Staat als unfähig darstellen soll. Am Ende soll der islamischen Republik die Legitimation abgesprochen und ein Regimewechsel herbeigeführt werden."

Die USA hätten erwartet, dass, nachdem sie das Atomabkommen gekündigt haben, auch Iran aus dem Abkommen zurücktreten würde, sagte Rohani weiter. "Was wäre geschehen, wenn auch wir aus dem Abkommen ausgestiegen wären? Dann wäre wieder der UN-Sicherheitsrat eingeschaltet worden, er hätte neue internationale Sanktionen gegen uns angeordnet, die ganze Welt hätte sich auf die Seite der USA begeben und wir wären isoliert worden." Doch die Islamische Republik habe klug gehandelt, habe keine voreiligen Beschlüsse gefasst und erklärt, "wir setzen eine Frist von einige Wochen und schauen, was die anderen Unterzeichner des Abkommens tun werden". Diese Frist dauere noch an.

Die Entscheidung der Islamischen Republik habe zu einer Spaltung zwischen Europa und den USA geführt, sagte Rohani. "Die Europäer stehen hinter uns. Sollten die europäischen Staaten ihre Beziehungen zu uns abbrechen, würden sie durch ihre eigenen Gerichte bestraft werden, und wenn sie ihre Beziehungen zu uns fortsetzen, werden sie von den USA bestraft. Eine solche Situation gab es bisher nie."

Zu den Aktivitäten seiner eigenen Regierung sagte Rohani, zu Beginn ihrer Amtszeit habe die Regierung positive Entwicklungen in Gang gesetzt. "Als ich gewählt wurde sank der Dollarkurs und der Markt beruhigte sich. In der Bevölkerung entstand Hoffnung auf bessere Zeiten, obwohl wir noch gar nicht unsere Ämter übernommen hatten." Die Menschen hätten auf bessere Verständigung mit der Welt, auf mehr Ruhe und Sicherheit gehofft. Ein Grund für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft sei die "Freiheit der Kritik" gewesen. "Schauspieler, Regisseure, Schriftsteller und Studenten wurden zuversichtlich, weil sie wussten, dass sie ab 2014 frei Kritik üben und ihre Meinung äußern können." Zugleich sagte Rohani einschränkend, zuviel Kritik könne schädlich sein. "Das ist wie das Salz. Wenn man zuviel davon nimmt, wird das Essen ungenießbar." Die Universität habe das Recht, Kritik zu üben und Fragen zu stellen, sie habe das Recht, die Regierung zu kritisieren. Das sei unbestritten. Allerdings müsse sie ausreichend informiert sein, um konstruktive Kritik üben zu können.

Wer die Regierung kritisiere, solle dabei die gegenwärtige Lage im Auge behalten, betonte Rohani. "Wenn man jemandem empfiehlt, mehr Sport zu machen, muss man dabei seinen gesundheitlichen Zustand und sein Alter mit in Betracht ziehen." Es gehe darum, für die jeweilige konkrete Lage Lösungen anzubieten. "Ich schaue mir jeden Tag die Liste der Preise an, kenne die Probleme und weiß, wie es den Menschen im Land geht. Aber müssen wir in dieser Lage kapitulieren oder uns gegenseitig helfen?"

Rohani wies die Kritik zurück, es gebe seitens seiner Regierung nur verbale Bekundungen statt praktischer Schritte. Es sei nicht falsch, einem Kranken die Hoffnung zu geben, bald gesund zu werden, sagte er. Er versicherte, dass die für den 4. November angekündigten neuen US-Sanktionen die Lage nicht grundsätzlich ändern würden. Die Sorge vor neuen Sanktionen werde propagandistisch verbreitet. "Wir müssen die Probleme gemeinsam lösen. Dabei stehen Sie als Angehörige der Universitäten an vorderster Front."

Die Agentur Fars berichtete, dass bei der Veranstaltung keine Kritiker zu Wort gekommen seien. Von den studentischen Organisationen, die der Regierung gegenüber kritisch eingestellt sind, sei jeweils nur ein Vertreter zu der Veranstaltung zugelassen worden. Studenten kritisierten, dass fast nur Befürworter der Regierung an der Veranstaltung teilnehmen durften. Während der Veranstaltung habe die Universität unter strenger Kontrolle der Sicherheitskräfte gestanden.


REFORMER VERLIEREN AN GLAUBWÜRDIGKEIT

Je größer die Alltagsprobleme der Menschen werden und je mehr die Regierung sich als unfähig erweist, diese zu bewältigen, desto mehr verlieren die Reformer und Gemäßigten an Glaubwürdigkeit. Selbst aus den eigenen Reihen melden sich immer mehr Kritiker zu Wort. So erklärte der frühere Diplomat Mir Mahmud Mussawi, Bruder des früheren Ministerpräsidenten und Führers der Grünen Bewegung, in einem Interview mit der Tageszeitung "Iran", er habe die Hoffnung, die er auf die Reformer gesetzt habe, inzwischen aufgegeben. Sie seien nicht fähig, mehr als das, was sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten zustande gebracht hätten, zu leisten. "Das Höchste, was die Reformer erreichen konnten, ist das, was wir heute sehen", sagte er. "Wenn sie in der Lage gewesen wären, mehr durchzusetzen, hätten sie es getan. Sie waren also nicht zu mehr fähig. Daher hat es keinen Sinn mehr, sich in das Auto der Reformer zu setzen", sagte Mussawi.

Das Interview führte Mussawi nachdem er wenige Tage zuvor mit seinem Bruder, der sich mit seiner Frau Sahra Rahnaward seit mehr als sieben Jahren unter Hausarrest befindet, ein längeres Gespräch geführt hatte. Es sei ein Fehler zu behaupten, die Lösung außenpolitischer Probleme Irans hätte Vorrang vor innenpolitischen Problemen, sagte Mussawi. "Selbst wenn wir noch zehn Abkommen (wie das über das iranische Atomprogramm) schließen würden, würden wir nicht weiterkommen, ohne zuvor die innenpolitischen Probleme gelöst zu haben." Diese Probleme und die inneren Fraktionierungen und Machtkämpfe seien auf materielle Interessen zurückzuführen. Es gebe Leute und Gruppen, die aus dieser Lage enorme Profite herausschlugen. Die Mehrheit der Bevölkerung habe für die Reformer gestimmt, aber bis heute keine Veränderungen feststellen können.

Ein wichtiger Grund für den Misserfolg der Reformer sei, dass der Damm, der gegen Reformen errichtet worden sei, immer noch existiere. Der zweite Grund bestehe darin, dass auch jene, die Veränderungen herbeiführen sollten, nicht einmal die Fähigkeit von denen besäßen, die 1997 (unter Präsident Mohammad Chatami) Reformen durchzusetzen versuchten. Die Folge sei, dass die Dämme stärker und die Reformbewegung schwächer geworden seien. "Die Reformer stehen heute dort, wo sie 1997 standen."

Mussawi äußerte die Hoffnung, dass andere, neue Gesichter auftauchen und der Reformbewegung neuen Schwung geben. Auf die Frage, ob die Aufhebung des Hausarrests gegen seinen Bruder und seine Freilassung diesen Schwung bringen könnte, sagte er, er habe einen anderen Blick auf diese Angelegenheit und möchte sich dazu nicht äußern. Dann fügte er hinzu: "Es ist das natürliche Rechte eines jeden Menschen, frei zu leben. Sie (Mussawi, Rahnaward und Mehdi Karrubi, der ebenfalls zu den Führern der Grünen Bewegung gehörte und sich im Hausarrest befindet) haben kein Verbrechen begangen. Kein Gericht hat ihnen ein Vergehen nachgewiesen. Und niemand hat es bislang gewagt, sie vor Gericht anzuklagen." Mussawi, Rahnaward und Karrubi wurden im Zusammenhang mit der landesweiten Protestbewegung gegen die umstrittene Wiederwahl des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad (2009) in Hausarrest gesteckt worden.


MEHRERE UMWELTSCHÜTZER VON TODESSTRAFE BEDROHT

Der Teheraner Staatsanwalt Abbas Dschafari Dolatabadi gab am 24. Oktober bekannt, dass die Ermittlungen gegen acht Umweltschützer, die sich seit acht Monaten in Untersuchungshaft befinden, abgeschlossen seien. Vier von ihnen seien als "Verderber auf Erden" eingestuft worden, sagte er. Angeklagte, die als "Verderber auf Erden" bezeichnet werden, werden gewöhnlich zum Tode verurteilt.

Den Umweltschützern wird laut Dolatabadi vorgeworfen, sich militärischen Einrichtungen genähert und unter dem Deckmantel von Umweltschutzaktivitäten militärische Geheimnisse gesammelt und an ausländische Geheimdienste weitergeleitet zu haben.

Bislang wurde den Angeklagten Spionagetätigkeit für feindliche Geheimdienste vorgeworfen. Demgegenüber erklärte das Informationsministerium, die Umweltaktivisten seien keine Spione. Auch Schahindoch Molawerdi, Beraterin des Präsidenten in Angelegenheiten der Bürgerrechte, erklärte, sie werde sich um den Fall kümmern. Isa Kalantari, Leiter des Amtes für Umweltschutz, der ebenfalls von der Unschuld der Inhaftierten überzeugt zu sein scheint, sagte, die von ihm zur Untersuchung des Falles einberufene vierköpfige Gruppe sei über den neuen Vorwurf "Verderber auf Erden" von der Staatsanwaltschaft nicht informiert worden.

Wenige Tage nach der Festnahme der Umweltaktivisten war Kawus Emami, Universitätsprofessor und Umweltaktivist, im Gefängnis gestorben. Offiziell hieß es, er habe Selbstmord begangen. Die Familie des Verstorbenen äußerte starke Zweifel an der Selbstmordversion und forderte eine genaue Untersuchung. Die Internationale Liga für Menschenrechte in Iran zeigte sich besorgt über die Häufung der "Selbstmorde" in iranischen Gefängnissen.


STADTRATSMITGLIED WEGEN UNTERSTÜTZUNG VON BAHAIS FESTGENOMMEN

Mehdi Hodschati, Mitglied des Rats der im Süden Irans gelegenen Stadt Schiras, wurde laut der Agentur Irna Ende September festgenommen, weil er die Bahais unterstützt habe. Er hatte im Kurznachrichtendienst Twitter geschrieben: "Ich habe in den vergangenen zehn Tagen alles versucht, um zwei Freunde, die festgenommen wurden, frei zu bekommen. Es war vergeblich. Wir sind verpflichtet, nicht nur ausländischen Feinden gegenüber Widerstand zu leisten, sondern uns zu bemühen, Fehler der Justiz, die die soziale Gerechtigkeit gefährden, zu korrigieren."

Hodschati nannte die Namen der beiden Freunde nicht. Doch eine Woche zuvor hatten Menschenrechtsaktivisten berichtet, dass der Geheimdienst der Revolutionsgarden sechs Mitglieder der Bahai-Gemeinde in Schiras festgenommen habe.

Die Mitglieder der Bahai-Gemeinde in Iran sind starken Einschränkungen und Ausgrenzungen ausgesetzt. Sie werden verfolgt, obwohl Irans Außenminister Mohammad Dschawad Sarif wenige Wochen zuvor behauptet hatte, es sei in Iran nicht strafbar, der Bahai-Religion anzugehören. "Sie werden wie andere Bürger bestraft, wenn sie eine Straftat begehen", sagte er.

Laut einer Pressemitteilung von Human Rights Watch wurden in den zwei vergangenen Monaten Verhaftungen gegen Mitglieder der Bahai-Gemeinde verschärft. In den Monaten August und September seien mehr als 20 Personen festgenommen worden, darunter zwölf Personen aus Schiras. Weitere Festnahmen gab es laut dem Zentrum für Menschenrechte in Iran in den Provinzen Isfahan und Karadj. Offiziell gibt es bislang keine Angaben über die Gründe der Verhaftungen.

"Die mehr als 20 Verhaftungen innerhalb eines Monats ohne Angabe von Gründen zeigen, wie intolerant die Islamische Republik gegenüber der Bahai-Gemeinde ist", sagte Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch. "Zudem gehen die Behörden mit ihrer Kampagne der Einschüchterung, des Schikanierens und der Verfolgung noch weiter, indem sie gewählte Amtsträger festnehmen, die es wagen, Solidarität mit ihren Mitbürgern zu zeigen, die Bahai sind."


DOPPELSTAATLER ZU ACHTEINHALB JAHREN GEFÄNGNIS VERURTEILT

Der Sprecher der Justiz, Gholamhossein Mohsseni Ejehi, gab am 14. Oktober gegenüber der Presse bekannt, dass ein Doppelstaatler wegen "Spionage" zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Genauere Angaben machte Ejehi nicht. Er nannte nur den Nachnamen des Verurteilten: Tawakoli. Das Urteil stütze sich auf Informationen des Geheimdienstministeriums, sagte er. Das Urteil sei endgültig. Der gesamte Besitz des Angeklagten sei konfisziert worden, darunter 48.000 US-Dollar. "Solche Leute, die wegen Spionage verurteilt werden, spionieren gewöhnlich für die USA und für Israel", sagte Ejehi weiter. Wann Tawakoli festgenommen wurde und wann der Prozess stattgefunden hat, sagte er nicht.

Geheimdienstminister Mahmud Alawi hatte Anfang September die Festnahme von "dutzenden Personen" im Staatsdienst mit doppelter Staatsangehörigkeit bekannt gegeben. "Wir lassen nicht zu, dass Doppelstaatler in der Staatsverwaltung leitende Positionen übernehmen", sagte er.

Im Parlament wird derzeit über eine Gesetzesvorlage debattiert, wonach die Einstellung von Doppelstaatler oder Personen, die mit ausländischen Regierungen in Verbindung stehen, in "sensiblen Bereichen der Staatsverwaltung" verboten werden soll. Der Entwurf basiert auf einem Bericht einer Gruppe von Abgeordneten, in dem von der "politischen, kulturellen und ideologischen Abhängigkeit der Doppelstaatler von westlichen Staaten und feindlichen Staaten" die Rede ist. Diese Personen hätten die Aufgabe, den iranischen Staat zu unterhöhlen, hieß es. Iran erkennt die doppelte Staatsangehörigkeit nicht an. Wer die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates annehmen will, muss seine iranische Staatsangehörigkeit aufgeben, was mit zahlreichen bürokratischen Hürden verbunden ist.

Irans Botschafter in London, Hamid Baidinedschad, warf am 28. September auf Twitter westlichen Geheimdiensten vor, iranische Doppelstaatler als Quelle von Informationen zu nutzen. "Westliche Geheimdienste setzen iranische Staatsbürger mit doppelter Staatsbürgerschaft unter Druck, um sie als Informationsträger zu missbrauchen", twitterte er. "Zwar lieben Iraner ihre Heimat, sie leiten aber möglicherweise Informationen weiter in dem Glauben, sie seien nicht geheim." Baidinedschad forderte die ausländischen Geheimdienste auf, den Druck insbesondere auf ältere Personen und Frauen zu beenden. Offenbar versuchte der Botschafter mit Blick auf die Sorge der Iraner im Ausland, ihre Heimat nicht ohne Gefahr besuchen zu können, die Gemüter zu beruhigen und schieb: "Iran ist ernsthaft bemüht, dass iranische Staatsbürger im Ausland die Verbindung zu ihrer Heimat aufrechterhalten und ohne Sorge als Touristen, Besucher ihrer Verwandten oder als Geschäftsleute in ihr Land reisen können."

Der Botschafter hatte mit seinem Tweet auf einen Appell des britischen Außenministers an Iraner mit doppelter Staatsbürgerschaft reagiert. Der Minister hatte Iranern empfohlen, auf Reisen nach Iran, die nicht unbedingt nötig seien, zu verzichten. Er verwies auf die Festnahme einiger Iraner mit doppelter Staatsbürgerschaft und sagte, Iran lasse nicht zu, dass die britischen Vertretungen im Land sich um die Festgenommenen kümmerten.


LEHRER STREIKEN GEGEN ANSTIEG DER LEBENSHALTUNGSKOSTEN

Am 14. Oktober folgten Lehrer und Lehrerinnen in einigen Städten dem Aufruf des Koordinationsrats der Lehrerverbände, gegen den rapiden Anstieg der Lebenshaltungskosten zu streiken. In den Städten Teheran, Mariwan, Kermanschah, Ilam, Maschad, Basudsch und Tabris blieben die Lehrer dem Unterricht fern. In dem Aufruf des Koordinationsrats hieß es, alle Lehrer sollten am 14. und 15. Oktober statt zu unterrichten, einen Sitzstreik durchführen. Die Sicherheits- und Ordnungskräfte sowie die Justiz hätten statt "Korrupte und Verderber" zu verfolgen, Lehrer, die gerechte Forderungen stellten, bedroht, sie verbannt, suspendiert oder ins Gefängnis gesteckt, hieß es weiter in dem Aufruf. "Der Rat, der einen Großteil der Lehrkräfte an den Schulen vertritt, hat alle Wege versucht, um Änderungen der unerträglichen Lebensverhältnisse durchzusetzen. Wir haben mit Verantwortlichen gesprochen, Briefe geschrieben, Erklärungen veröffentlicht, Kampagnen durchgeführt und Kundgebungen veranstaltet, um unseren Forderungen Gehör zu verschaffen. Doch die Regierung hat keinen Schritt unternommen, um uns entgegen zu kommen", schreibt der Rat.

Auch am 15. Oktober setzten die Lehrer ihre Streiks fort. Zugleich wurden den Berichten zufolge Abdolresa Ghanbari, der neben seiner Lehrtätigkeit auch als Dichter und Literaturkritiker bekannt ist, und Mohammad Resa Ramesansadeh, Vorsitzender des Koordinationsrats, festgenommen.

Der Anstieg der Lebenshaltungskosten führte auch bei Ladenbesitzern und Basarhändlern zu Protesten. In den Städten Isfahan, Tabris und Sanandadsch hielten die Händler ihre Läden geschlossen. In einigen Städten streikten die Basarhändler.

In den vergangenen Wochen gab es zahlreiche Streiks und Demonstrationen in verschiedenen Städten, unter anderem die Streiks der Lastwagenfahrer.

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KULTUR

• Grundsatzdokument zur Entwicklung des Iran
• Streit um Anwesenheit von Frauen in Sportstadien


GRUNDSATZDOKUMENT ZUR ENTWICKLUNG DES IRAN

Revolutionsführer Ali Chamenei erteilte am 17. Oktober den Auftrag, innerhalb der nächsten zwei Jahre einen Entwicklungsplan zu erstellen, in dem die "Perspektiven des islamisch-iranischen Staates für die nächsten 50 Jahren" entworfen und Iran als das "Geburtsland einer vorbildhaften Entwicklung" dargestellt werden soll. Der Plan soll in zwei Jahren zu Beginn des neuen Jahrhunderts der iranischen Zeitrechnung (1400) umgesetzt werden. In der Verordnung werden der Schlichtungsrat, das Parlament, die Regierung, der Nationale Sicherheitsrat, der Oberste Rat der Kulturrevolution, die Universitäten, die theologischen Zentren, Fernsehen und Rundfunk und der gesamte Propagandaapparat der Islamischen Republik aufgefordert, bei der Erstellung des Plans mitzuwirken.

Bereits 2011 wurde auf Befehl des Revolutionsführers ein Zentrum für "islamisch-iranischen Fortschritt" gegründet. Chamenei ernannte einen Leiter und die Mitglieder des Zentrums. Das Zentrum besitzt ein Büro in der heiligen Stadt Ghom. In den vergangenen sieben Jahren sei es gelungen, unter Mitarbeit von 3000 Akademikern und Experten und mehreren tausend jugendlichen Helfern auf "mehr als 90.000 Seiten" einen Entwurf zu erstellen, sagte Chamenei am 17. Oktober. Der Entwurf basiert auf einem Dokument mit dem Titel: "Wegweisende Richtlinien zur Entwicklung aus der Sicht des Revolutionsführers".

Der neue Entwurf unterscheidet sich von dem bereits vorliegenden Dokument "Perspektiven der nächsten 20 Jahren" dadurch, dass er nicht nur die Ziele der Entwicklung benennt, sondern auch den detaillierten Prozess, der zu den hochgesteckten Zielen führen soll. Laut Chamenei wird das Dokument als islamisch-iranisch bezeichnet, weil es zwar die historischen, geographischen, kulturellen und politischen Besonderheiten Irans berücksichtige, jedoch "grundsätzlich auf islamische Werte und Methoden" basiere.

Das Dokument setzt für Iran folgende Ziele fest, die in den nächsten 50 Jahren erreicht werden sollen: Iran soll in den Bereichen Produktion, Wissenschaft und Technologie zu den ersten fünf fortschrittlichsten Staaten der Welt gehören. In Bezug auf Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit soll das Land zu den vier besten Staaten in Asien und zu den sieben besten Staaten in der Welt gehören. Gesunde Umwelt, Sicherung natürlicher Ressourcen wie Wasser, Energie, Nahrung sollen gewährleistet sein. Armut, Korruption und soziale Ungleichheiten sollen ausgerottet sein, ebenso wie Ungleichheit vor dem Recht.

Die in dem Entwurf vorgesehenen Ziele sollen unter anderem erreicht werden durch "Verbreitung des reinen Islam", Pflege des Märtyrertums, Stabilisierung der Familie, Aufhebung des vermeintlichen Dualismus zwischen Vernunft und Glaube, Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit, iranischer Kultur und Islam, weltlichem und geistigem Reichtum. Ferner soll innerhalb der nächsten 15 Jahre der Export von Rohstoffen beendet, ein einheitliches, gerechtes Steuersystem eingeführt, das Banksystem reformiert, der Justizapparat professionalisiert und der Energieverbrauch auf ein Mindestmaß reduziert werden.

Der Entwurf sieht weiterhin vor, die Geburtenrate zu kontrollieren, den Stellenwert der Frauen in der Gesellschaft zu erhöhen und zugleich ihre Rolle als Mutter mehr als bislang zu würdigen.

In Bezug auf die Außenpolitik soll mehr Vernunft verbreitet, der Kampfgeist in der islamischen Welt gestärkt, islamische Bewegungen und Befreiungsbewegungen sowie die palästinensische Befreiungsbewegung unterstützt werden. Ferner sollen diplomatische Aktivitäten zur Unterstützung des Friedens in der Welt verstärkt werden.


STREIT UM ANWESENHEIT VON FRAUEN IN SPORTSTADIEN

Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik durften am 17. Oktober Frauen an einem Männer-Fußball-Länderspiel zwischen Iran und Bolivien als Zuschauerinnen teilnehmen. Allerdings handelte es sich dabei um hundert ausgesuchte Frauen, unter ihnen Angehörige der Spieler, weibliche Angestellte des iranischen Fußballverbands und Mitglieder der Frauen-Nationalmannschaft. Für andere Frauen blieben die Tore weiterhin geschlossen. Einige von ihnen, die trotzdem hineinwollten, wurden vorübergehend festgenommen.

Bereits Anfang März hatte Fifa-Präsident Gianni Infantino nach seinem Besuch in Teheran auf einer Pressekonferenz in Zürich erklärt, er habe in Teheran "Zusagen erhalten, dass Frauen in Iran demnächst Zutritt zu den Fußballstadien erhalten werden". Er hatte während seines Besuchs unter anderem mit Präsident Rohani und Sportminister Masud Soltanifar Gespräche geführt und an einem Fußballspiel zwischen zwei iranischen Mannschaften teilgenommen, bei dem 25 Frauen, die im Stadion anwesend waren, festgenommen wurden.

"Rohani hat es mir versprochen (das Verbot aufzuheben)", sagte Infantino. "Er hat aber hinzugefügt, in seinem Land bräuchten solche Angelegenheiten etwas mehr Zeit."

Rohani hatte Recht. Das Thema ist in Iran umstritten, der Widerstand der Ultras und Konservativen ist, wie die Reaktionen sogar auf die eingeschränkte Erlaubnis zeigten, noch sehr groß. Aber ebenso groß ist der Druck durch die FIFA, die eine Ausgrenzung von Frauen für unzulässig hält und Iran offenbar eine Frist von einem Jahr gesetzt hat, um Einschränkungen und Ausgrenzungen aufzuheben.

Vielleicht war die Erlaubnis zur Teilnahme von 100 Frauen ein erster Schritt, obwohl das absurd ist. Denn was hundert Frauen recht ist, ist Tausenden billig.

Die hundert Frauen durften, umgeben von weiblichen Sicherheits- und Ordnungskräften, auf der Tribüne neben dem VIP-Bereich Platz nehmen. Zwei Stunden vor Beginn des Spiels veröffentlichte die Polizei eine Bekanntmachung, in der es hieß, es sei keine Erlaubnis zur Teilnahme von Frauen an dem Spiel erteilt worden. Dies war eine Vorbeugungsmaßnahme, um einen Sturm von Frauen zu dem Stadion zu vermeiden. Dennoch hatten sich bereits eine Stunde vor dem Spiel zahlreiche Frauen vor dem Stadion versammelt. Drinnen sorgten die hundert Frauen für Stimmung. Sie feuerten die iranischen Spieler an und feierten den 2:1-Sieg der iranischen Mannschaft. Der portugiesische Nationaltrainer Carlos Quiroz sprach vom "Beginn einer neuen Ära". In den liberalen Medien wurde die Anwesenheit der Frauen begrüßt.

Der Kulturberater der iranischen Fußballföderation, Gholamhossein Samanabadi, sagte im Interview mit der Agentur Mehr, für den freien Zugang von Frauen zu den Stadien sei mehr Zeit nötig. Die Teilnahme der hundert Frauen diene dazu, die Atmosphäre dafür vorzubereiten. Doch vierzig Minuten später wurde das Interview von der Webseite der Agentur gelöscht. Stattdessen veröffentlichte sie die Äußerungen des Generalstaatsanwalts Mohammad Dschafar Montaseri: "Unsere Staatsordnung ist islamisch, wir sind Muslime. Wenn eine Frau in ein Stadion geht und dort Männern begegnet, die im Sporttrikot und halb nackt sind, begeht sie eine Sünde", sagte der Staatsanwalt und behauptete: "Wir kümmern uns nicht um das Privatleben der Menschen, wohl aber um das Verhalten in der Öffentlichkeit. Es ist niemandem gestattet, öffentlich

Sünde zu begehen. Sollte sich das Ereignis (Anwesenheit der Frauen im Stadion) wiederholen, werden wir dagegen einschreiten." Er werde Überschreitungen nicht mehr dulden und seinen Rat nicht wiederholen. "Das nächste Mal werden wir hart durchgreifen", drohte er.

Bleibt die Frage, wie die iranische Fußballföderation und die FIFA mit der Angelegenheit umgehen werden.

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WIRTSCHAFT

• Parlament beschließt Beitritt zum Anti-Terrorfinanzierungspakt
• Neue US-Sanktionen gegen Revolutionsgarden
• Reichweite iranischer Raketen erhöht
• Indien will weiterhin iranisches Öl kaufen
• Deutsche Exporte nach Iran um 18 Prozent gesunken
• Zentralbank darf am Devisenmarkt intervenieren


PARLAMENT BESCHLIEßT BEITRITT ZUM ANTI-TERRORFINANZIERUNGSPAKT

Nach fast viermonatigen kontroversen Debatten hat das iranische Parlament am 7. Oktober den Beitritt Irans zum Anti-Terrorfinanzierungspakt (CFT, Combating the Financing of Terrorism) beschlossen. 143 Abgeordnete stimmten dem Gesetz zu, 120 lehnten es ab. Fünf Abgeordnete enthielten sich. Die Debatten über dieses Gesetz hatten bereits im Juni begonnen, sie wurden jedoch immer wieder vertagt, weil zahlreiche Abgeordnete sowie die gesamte rechte Presse den Beitritt als Aufgabe der Souveränität des Landes betrachteten und vehement dagegen Stellung nahmen. Zudem hatte sich Revolutionsführer Ali Chamenei negativ zu dem Gesetz geäußert.

Doch nun erklärte Parlamentspräsident Ali Laridschani das Büro von Chamenei habe ihm mitgeteilt, dass der Revolutionsführer gegen eine Debatte im Parlament über dieses Gesetz nichts einzuwenden habe. Das Gesetz bedarf nun der Zustimmung des Wächterrats. Der Sprecher des Rats sagte, zu einer Stellungnahme sei es zu früh. Solange das Gesetz nicht schriftlich dem Rat vorläge, werde es auch keine Stellungnahme geben.

Die Gegner des Gesetzes gehören vorwiegend der Fraktion der Paydari-Front an, die zu den schärfsten Kritikern der Regierung Rohani gehört. Während im Parlament debattiert wurde, demonstrierten einige Dutzend Demonstranten, die die Ablehnung des Gesetzes forderten.

Der Beitritt zum CFT gehört zu den Bedingungen, die die Arbeitsgruppe für finanzielle Maßnahmen gegen Geldwäsche (FATF, Financial Action Task Force Money Laundering) von Iran fordert, um das Land aus der von dieser Organisation geführten schwarzen Liste zu streichen. Iran stand auf dieser Liste, wurde aber vorübergehend bis Oktober 2018 von der Liste genommen. Um nun endgültig aus der Liste gestrichen zu werden, müsste das Land einige Bedingungen erfüllen. Andernfalls hätte Iran, unabhängig von bestehenden Sanktionen, große Schwierigkeiten mit internationalen Banken und Finanzzentren Geschäfte zu machen.

Die Gegner argumentieren, die FATF widerspreche in den Bereichen Außenpolitik, Verteidigung und Wirtschaft den nationalen Interessen und der Sicherheit des Landes. Zudem werde die Mitgliedschaft ein Umgehen der Sanktionen und die Zusammenarbeit mit Personen und Unternehmen verhindern, die geheim gehalten werden müssten. Die Mitgliedschaft erlaube der FTAF auch eine Einmischung in innere Angelegenheiten des Landes. Schließlich werde die Mitgliedschaft die Zusammenarbeit mit islamischen Widerstandsorganisationen wie der libanesischen Hisbollah, die die FATF als terroristisch einstuft, verhindern.

Der erzkonservative Geistliche Nasser Makarem Schirasi, der zu den einflussreichsten religiösen Instanzen gehört, hatte erklärt, die Mitgliedschaft sei aus religiösen Gründen verboten. "Mit der Übernahme der Mitgliedschaft würden wir uns vollständig in die Abhängigkeit vom Westen begeben", sagte er am 3. Juli bei einer Rede in der heiligen Stadt Ghom. "Wenn wir die Mitgliedschaft ablehnen, verlieren wir nichts. Die Sanktionen werden ohnehin kommen. Eine Mitgliedschaft ist aber gleichzusetzen mit Knechtschaft und absoluter Kapitulation."

Während der Parlamentssitzung hielten Gegner des Gesetzes Plakate in der Hand, mit denen sie ihre Kollegen aufforderten, gegen das Gesetz zu stimmen. Außenminister Sarif sagte: "Wir können nicht garantieren, dass mit der Mitgliedschaft unsere Probleme gelöst werden."

Das nun verabschiedete Gesetz ist eines von vier Gesetzesvorlagen, die die Regierung dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt hat. Die Zustimmung der Mehrheit des Parlaments löste in den Kreisen der Konservativen ein Beben aus. Die konservative Zeitung Kayhan, die als Sprachrohr des Revolutionsführers gilt, titelte: "Abstimmung im Dunkeln. Warum fürchten sich die Befürworter, dass ihre Namen der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden?"

Ali Schirasi, der Beauftragte des Revolutionsführers bei der Al-Kuds-Brigade, einer Abteilung der Revolutionsgarden für Auslandseinsätze, appellierte an den Wächterrat, das Gesetz abzulehnen. Vor einer Versammlung von Mitgliedern der Garden sagte er am 8. Oktober: "Wo bleibt unsere Ehre, es ist zum Schreien. Heißt es, dass wir Syrien, Libanon und Irak nicht mehr unterstützen sollen?"

Ein Parlamentsabgeordneter, der dem Gesetz zugestimmt hatte, erklärte, er habe zahlreiche Drohungen erhalten. Abdolresa Haschemsai sagte der Webseite Etemad am 15. Oktober: "Ich habe etwa 200 Drohungen erhalten, davon fünfzig sexistisch, so schlimm, dass ich mich vor meiner Familie geschämt habe." Es seien auch Morddrohungen darunter gewesen. Er glaube nicht, dass die Drohungen spontan gewesen seien, sagte er. Er glaube nicht, dass die Justiz die Sache ernsthaft verfolgen werde.


NEUE US-SANKTIONEN GEGEN REVOLUTIONSGARDEN

Nach Angaben des US-Finanzministeriums haben die USA am 16. Oktober neue Sanktionen gegen die Basidsch-Milizen verhängt, die den Revolutionsgarden unterstehen. Die paramilitärische Organisation bilde Kämpfer für den Einsatz in Syrien und anderen Ländern der Region aus, hieß es zur Begründung der neuen Maßnahmen. Konkret betroffen von den Sanktionen sind mindestens 20 Banken und Unternehmen, die zum Finanznetzwerk der Basidsch-Milizen gehören, darunter die Banken Mellat, Sina, Parsian, Bonjade-e, Taawon-e Basidsch und die Finanzgruppe Mehr Eghtesad. Die Vermögenswerte dieser Banken in den USA werden eingefroren und amerikanischen Unternehmen ist untersagt, mit ihnen Geschäfte zu machen. Auch die Firmen Tadbirgaran-e Atieh, Negin Sahel Royal, Tchnotar und die Firmen der Bahman-Gruppe wurden von Washington bestraft.

US-Finanzminister Steven Mnuchin sagte: "Die Weltgemeinschaft muss begreifen, dass jede Art von Kooperation mit den Finanznetzwerken der Basidsch-Milizen und den Tarnfirmen der Revolutionsgarden schwere humanitäre Folgen haben."

Nach Darstellung des Finanzministeriums sind die Basidsch-Milizen nicht nur an der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung aktiv beteiligt, sie missachten eklatant die Menschenrechte, bilden Kämpfer, darunter auch Kindersoldaten, aus, die danach nach Syrien geschickt würden, um "das brutale Regime von Assad" zu unterstützen.

Minderjährige afghanische Flüchtlinge würden unter Androhungen rekrutiert und dann in den Krieg nach Syrien geschickt, heißt es in der Erklärung des Finanzministeriums.


REICHWEITE IRANISCHER RAKETEN ERHÖHT

Der Chef der Luftwaffe der Revolutionsgarden, Amirali Hadschisadeh, teilte einem Bericht der Agentur Reuters vom 16. Oktober zufolge mit, dass die Reichweite der iranischen Raketen, die im Kampf gegen Schiffe eingesetzt werden, erhöht worden sei. Damit seien die landgeschützten Marineabwehrraketen in der Lage, aus einer Distanz von 700 Kilometern jedes Schiff zielsicher zu treffen.

Der Zeitpunkt der Mitteilung gewinnt dadurch an Brisanz, dass Iran mehrmals erklärt hatte, sollten die Sanktionen der USA tatsächlich dazu führen, dass Iran kein Öl mehr exportieren kann, werde Teheran dafür sorgen, dass auch andere Länder am Persischen Golf kein Öl mehr exportieren können. Präsident Hassan Rohani hatte kürzlich erklärt, Iran sei in der Lage, nicht nur die Straße von Hormus, sondern auch andere Wege für die Schifffahrt zu blockieren.

Indes erklärte der Leiter der "Iran-Gruppe" im Weißen Haus, Brian Hook, am 15. Oktober auf einer Pressekonferenz in Luxemburg, die USA seien nach wie vor bestrebt, den Ölexport Irans auf null zu senken. "Wir werden mit den Ländern, die ihren Ölimport aus Iran reduzieren, zusammenarbeiten, um unser Ziel zu erreichen." Hook befand sich auf einer Reise durch Europa und anschließend nach Indien. Iran verwende die Öleinnahmen zur Unterstützung terroristischer Organisationen und zur Weiterentwicklung seines Raketenprogramms, sagte er.

Hook betonte, dass der Boykott des iranischen Ölexports nicht zur Instabilität des Ölmarkts führen werde. Die USA ließen sich von gegenteiligen Behauptungen Irans nicht beeindrucken.


INDIEN WILL WEITERHIN IRANISCHES ÖL KAUFEN

Die Agentur Reuters meldete am 6. Oktober unter Berufung auf zwei Personen, die mit der Angelegenheit vertraut seien, Indien plane für November den Import von neun Millionen Barrel Öl aus Iran. Demnach werde die Indian Oil Company sechs Millionen Barrel und Magalore Refney and Petrochemicals drei Millionen Barrel kaufen. Am 4. November beginnt die zweite Phase der US-Sanktionen gegen Iran, wozu auch, wie von den USA angegeben, ein totaler Ölboykott gehören soll. Eine Stellungnahme der genannten Firmen gab es bislang nicht.

Washington hat allen Unternehmen, die die gegen Iran verhängten Sanktionen unterlaufen, mit Strafmaßnahmen gedroht. Doch im vorigen Monat hatte US-Außenminister Mike Pompeo während seines Besuchs in Indien über mögliche Ausnahmen für bestimmte Länder gesprochen, die aus Iran Öl importieren. Er fügte aber noch hinzu, selbst diese Länder müssten letztendlich ihre Importe aus Iran auf null reduzieren.

Indiens Ölminister Dharmendra Pradhan bestätigte am 9. Oktober in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Irna, dass die beiden Firmen weiter Öl aus Iran importieren werden. Er betonte, Indien werde gemäß seinen nationalen Interessen handeln und sich dem Druck und der Einschüchterung nicht beugen. Indien pflegt gute Beziehungen zu Iran. Das Land ist weltweit der drittgrößte Öl-Importeur und der zweitgrößte Ölimporteur aus Iran. In Vorjahren importierte Indien täglich fast eine halbe Million Barrel Öl aus Iran.

Allerdings gibt es für Iran bei dem Handel mit Indien ein Problem, das auch für den Ölexport nach China gilt: Das importierte Öl soll in Landeswährung bezahlt werden. Auch in der Vergangenheit bezahlte Indien statt wie üblich nicht in Dollar sondern in indischen Rupien. Das bedeutet, dass Iran mit seinen Öleinnahmen aus Indien nur indische Waren kaufen kann.

In der Regierungszeit von Präsident Mahmud Ahmadinedschad (2005-2013), als das Atomabkommen noch nicht zustande gekommen war, bezahlte Indien die Hälfte des Ölpreises in Rupien und die andere Hälfte in Euro, wobei der Eurobetrag auf einer indischen Bank gesperrt wurde.

Es wird befürchtet, dass mit Beginn der US-Sanktionen am 4. November auf den internationalen Ölmärkten das Öl knapp werden und der Ölpreis steigen könnte. Die Hoffnungen richten sich auf Saudi-Arabien, das das fehlende Öl ersetzen könnte. Der saudische Kronprinz sagte, jeden Barrel iranischen Öls, werde sein Land durch zwei Barrel ersetzen.

Dazu sagte Irans Ölminister Bijan Sangeneh am 8. Oktober: "Mag sein, dass solche Übertreibungen Präsident Trump zufrieden stellen, doch der Markt wird sich auf solche Behauptungen nicht verlassen. Sangeneh bestätigte, dass manche Länder ihre Ölimporte aus Iran reduziert hätten. Südkorea habe den Import iranischen Öls bereits vor drei Monaten gänzlich eingestellt.


DEUTSCHE EXPORTE NACH IRAN UM 18 PROZENT GESUNKEN

Den Angaben von Volker Treier, Chef der Außenwirtschaft des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zufolge sind seit dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran und den damit verbundenen Sanktionen die deutschen Exporte nach Iran um 18 Prozent zurückgegangen. Etliche der mehr als 100 deutschen Firmen, die nach dem Abkommen ihre Aktivitäten in Iran begonnen hatten, hätten sich wieder aus dem Land zurückgezogen. "Durch die US-Sanktionen gegen Iran hat der bilaterale Handel bereits deutlich Schaden genommen", sagte Treier am 26. September den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er begrüßte den Plan der EU, durch die Gründung einer Ersatzbank die Sanktionen zu umgehen. "Die von der EU geplante Zweckgesellschaft könnte ein Instrument sein, die Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Allerdings kommt der Vorschlag zu spät und wird allenfalls in einer mittleren Frist Verbesserungen liefern."

Auch Holger Bingmann, Präsident des Außenhandelsverbands BGA, sagte am 27. September dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Wir begrüßen ausdrücklich den Vorstoß, die Souveränität der europäischen Außenwirtschaftspolitik sicherzustellen." Ob der Plan gelingen werde, hänge von der Ausstattung ab. "Es geht dabei nicht um eine Verschleierung von Geschäften, sondern um den Schutz europäischer Unternehmen vor einseitigen, illegitimen Strafaktionen einzelner Länder", sagte Bingmann.

Indes beklagte Markus Becker-Melching, Mitglied der Geschäftsführung des Spitzenverbands der privaten Finanzwirtschaft, die großen Herausforderungen für die Kreditbranche, die mit der Verschärfung der US-Sanktionen gegen Iran entstehen würden. "Das Iran-Geschäft ist und bleibt für Banken riskant", zitierte ihn AFP am 19. Oktober. Es seien nicht allein die Sanktionen, die die Geschäfte mit Iran problematisch machen. Auch der Mangel an Transparenz der iranischen Wirtschaft mache die Geschäfte zum Risiko. Iran stehe auf der so genannten "hellschwarzen Liste" der Financial Action Task Force (FATF). Es gebe einen erheblichen Mangel in der Umsetzung von internationalen Standards. Dies erhöhe die Risiken für die Banken, die inzwischen lieber auf Geschäfte mit Iran verzichten, als diese Risiken auf sich zu nehmen.

Wie laut einer Meldung der Agentur Reuters vom 25. Oktober ein EU-Diplomat erklärte, soll die von der EU geplante Zweckgesellschaft bis zum 4. November, dem Tag an dem die zweite Phase der US-Sanktionen gegen Iran beginnt, gegründet sein. "Wir sind sehr überzeugt, dass wir das schaffen", sagte der Diplomat, dessen Name nicht genannt wird. Allerdings werde sie nicht sofort ihre Arbeit beginnen können. Sie brauche noch einige Monate Vorbereitungszeit. Es gehe erst einmal um einen symbolischen Akt, sagte ein anderer EU-Diplomat. Iran solle die Zuversicht bekommen, dass die EU entschlossen sei, das Atomabkommen zu verteidigen.


ZENTRALBANK DARF AM DEVISENMARKT INTERVENIEREN

Wie das staatliche Fernsehen am 30. September berichtete, hat die Regierung die Zentralbank dazu ermächtigt, am Devisenmarkt zu intervenieren, mit dem Ziel die heimische Währung zu stützen. Die Zentralbank werde "die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um den Wechselkurs harter Währungen zu kontrollieren", hieß es. Seit Monaten befindet sich die Landeswährung Rial im freien Fall. Seit Mai dieses Jahres hat die Währung zwei Drittel ihres Wertes eingebüßt. Die miserable wirtschaftliche Lange ist nicht nur Folge der Sanktionen. Auch die himmelschreiende Korruption, Vetternwirtschaft und Misswirtschaft haben großen Anteil daran. Eine tatsächliche Änderung der Lage kann nur durch eine grundlegende Reform der wirtschaftlichen Struktur erreicht werden. Dies ist jedoch nicht möglich, solange es neben der Regierung Instanzen wie die Revolutionsgarden, Stiftungen und religiöse Einrichtungen gibt, die jeweils einen Teil der Wirtschaft monopolisiert haben und nach eigenem Gutdünken Entscheidungen treffen.

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AUSSENPOLITIK

• Iran als Prüfstein für Beziehung zwischen USA und EU
• Attentatsplan belastet Verhältnis zwischen Iran und EU
• Harte Reaktionen Frankreichs auf geplanten Anschlag
• Vergeltungsschlag gegen IS
• Irak bedauert Schließung des US-Konsulats in Basra
• Mehr als eine halbe Million Afghanen verlassen Iran
• USA: Hilfe beim Wiederaufbau Syriens nur nach Abzug iranischer Kräfte
• USA unterstützen das Recht auf Streik in Iran
• Washington wirft Iran Einmischung in Kongresswahlen vor
• Hook besucht Europa und Indien
• Rohani: USA werden Rückzug aus dem Atomabkommen bald bereuen
• Gewaltsamer Tod Kashoggis scharf verurteilt


IRAN ALS PRÜFSTEIN FÜR BEZIEHUNG ZWISCHEN USA UND EU

Der Konflikt über das Atomabkommen mit Iran scheint zu einem Prüfstein in den Beziehungen zwischen den USA und der EU zu werden. Die Frage ist, ob es der EU gelingt, entgegen der bisherigen Vorgehensweise, eine von den US-Leitlinien abweichende Außenpolitik zu verfolgen. Washington hat nach dem Austritt aus dem Atomabkommen und der Wiederaufnahme der Sanktionen gegen Iran die EU mehrmals aufgefordert, sich der konfrontativen Iran-Politik Washingtons anzuschließen. Der nationale Sicherheitsberater John Bolton kritisierte die Pläne der EU, die US-Sanktionen gegen Iran zu unterlaufen. "Die Europäische Union ist rhetorisch stark, aber schwach in der Ausführung", sagte er am 26. September vor einer Versammlung von Gegnern des Abkommens mit Iran. Washington werde nicht zulassen, dass "unsere Sanktionen durch Europa oder irgendjemand anderes umgangen werden". Auch Außenminister Mike Pompeo zeigte sich über das Vorgehen der EU "beunruhigt" und "tief enttäuscht". Er verurteilte die von Brüssel angekündigte Einrichtung einer "Zweckgesellschaft" zur Unterstützung der Geschäfte mit Iran. Dies sei "eine der kontraproduktivsten Maßnahmen, die man sich für Frieden und Sicherheit in der Region vorstellen kann", sagte er. Damit werde "Irans Stellung als wichtigster staatlicher Förderer von Terrorismus" unterstützt.

Aus europäischer Sicht bietet der Konflikt mit Washington über das Atomabkommen eine günstige Gelegenheit, sich politisch und finanziell unabhängiger von den Vereinigten Staaten zu machen. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire kritisierte am 5. Oktober die Außenpolitik des US-Präsidenten Donald Trump und meinte, das Verhalten der USA auf internationalem Gebiet biete der EU die Gelegenheit, sich finanziell von den USA unabhängig zu machen und ihre Macht zu steigern. Die EU werde eigene Finanzeinrichtungen gründen, um "mit wem auch immer" Handel treiben zu können. "Washington kann nicht entscheiden, ob wir mit Iran Handel treiben dürfen oder nicht", sagte der Minister. Seine Kritik richtete sich nicht allein gegen die Iran-Politik der USA. "Trump hat beschlossen, einen Handelskrieg zu führen und glaubt, aus diesem Krieg als Sieger hervorgehen zu können. Aber in diesem Krieg wird es keinen Sieger geben." Europa stehe einheitlich gegen eine solche Politik, sagte Le Maire.

Iran lobte die EU für die Bemühungen, das Atomabkommen trotz des Ausstiegs der USA weiter aufrecht zu erhalten. Nach der Ankündigung der EU, eine Zweckgesellschaft für den Handel mit Iran einzurichten, sagte Präsident Hassan Rohani am 3. Oktober: "Europa hat einen großen Schritt getan." Auch Außenminister Mohammad Dschawad Sarif erklärte gegenüber der BBC, die Bemühungen der EU seien stärker als erwartet.

Wie das "Handelsblatt" vom 3. Oktober aus Berliner Regierungskreisen erfahren haben soll, dient die Zweckgesellschaft der Koordinierung des Austauschs zwischen Im- und Exporteuren. Wenn ein Unternehmen eines EU-Landes aus Iran Öl kauft, wird der Betrag nicht an Iran, sondern an ein anderes Unternehmen überwiesen, das zum Beispiel Medikamente nach Iran exportiert. Ferner soll die Gesellschaft in einem weiteren Schritt, gleich einer Bank, auch Kredite für Wirtschaftsprojekte vergeben können. Dafür bedarf die Gesellschaft einer Banklizenz. Beobachter vermuten, dass das Ganze sich auf einem niedrigen Niveau abspielen wird.

Kritiker in Iran vergleichen den Plan mit dem damaligen Programm "Öl für Lebensmittel", das von den Vereinten Nationen 1995 mit Irak vereinbart wurde. Damit sollte dem Land, das mit harten Sanktionen belegt war, ermöglicht werden, Öl gegen Lebensmittel einzutauschen.

Das Teheraner Außenministerium erklärte dazu, der von der EU vorgelegte Plan habe nichts mit dem damaligen Programm der UNO zu tun. Man werde jedoch Einzelheiten des Plans nicht öffentlich bekannt geben, weil Gegner des Plans alles versuchen wollten, den Plan zu verhindern, sagte der Sprecher des Ministeriums, Bahram Ghassemi, am 11. Oktober vor der Presse in Teheran. Alles, was über den Plan öffentlich geäußert werde, seien Spekulationen. Niemand kenne die Details der vorgesehenen Mechanismen.

Der Leiter der iranischen Atomorganisation Ali Akbar Salehi äußerte in einem Interview mit der Zeitung Etemad seine Skepsis. "Ich hoffe, wir werden nicht zu einem Punkt kommen, an dem wir das Atomabkommen auflösen müssen. Die Auflösung würde international in vielen Bereichen Folgen haben, die sich keiner von uns wünschen würde."


ATTENTATSPLAN BELASTET VERHÄLTNIS ZWISCHEN IRAN UND EU

Die enge Zusammenarbeit zwischen Teheran und Brüssel, die nach dem Austritt der USA aus dem Atomabkommen in Gang gesetzt wurde, erhielt in den vergangenen Wochen einen schweren Rückschlag. Die Vorgänge um den angeblich geplanten Anschlag auf eine Versammlung der iranischen Volksmodschahedin in Villepinte bei Paris am 30. Juni und die daraus folgenden Festnahmen einiger Personen, darunter eines iranischen Diplomaten, trübten die Beziehung zwischen Teheran und Paris beziehungsweise zwischen Teheran und Brüssel. Bei dem Diplomaten handelt es sich um den 47 Jahre alten Assadollah Assadi, Mitarbeiter der iranischen Botschaft in Wien. Er wurde am 3. Juli an einer Autobahnraststätte in Deutschland von der deutschen Polizei festgenommen. Die Festnahme erfolgte auf Grundlage eines von der belgischen Justiz beantragten Haftbefehls.

Nach Angaben der deutschen Staatsanwaltschaft soll Assadi den Auftrag zu dem Anschlag an ein Ehepaar erteilt und auch Sprengstoff für das Attentat besorgt haben. Das Ehepaar mit iranischen Wurzeln wurde am 30. Juni von der belgischen Polizei festgenommen.

Die Spannungen, die der Anschlagsplan zwischen Teheran und Brüssel erzeugte, erhöhten sich, nachdem die deutsche Justiz für die Auslieferung des iranischen Diplomaten grünes Licht gab. Laut einem Beschluss des ersten Strafsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 27. September, kann sich Assadi, vermutlich Mitglied des iranischen Geheimdienstes, nicht auf seine diplomatische Immunität berufen. Er sei bei seiner Festnahme auf einer Urlaubsreise außerhalb Österreichs gewesen und nicht auf dem Weg von Österreich nach Iran.

Teheran kritisierte die Entscheidung zur Auslieferung des Diplomaten. "Wir hoffen, dass die Bundesregierung umgehend die Realität in diesem Fall einsieht und den Diplomaten nach Iran zurückschickt", sagte Bahram Ghassemi, Sprecher des Außenministeriums am 1. Oktober. Zuvor hatte Teheran jede Teilnahme an dem Anschlagsplan bestritten und aus Protest die Botschafter Belgiens und Frankreichs sowie den Geschäftsführer der Deutschen Botschaft einbestellt. Am 9. Oktober wurde Assadi an Belgien überstellt.

Iran bedauerte die Auslieferung "zutiefst". "Der Diplomat ist Opfer einer Verschwörung von Gruppen, die gegen die Verbesserung der Beziehungen Irans zu Deutschland und anderen europäischen Staaten sind", sagte Außenamtssprecher Bahram Ghassem am 10. Oktober. Am nächsten Tag bestellte das Außenministerium den deutschen Botschafter in Teheran ein, um gegen die Auslieferung zu protestieren.


HARTE REAKTIONEN FRANKREICHS AUF GEPLANTEN ANSCHLAG

Frankreich reagierte auf den geplanten Anschlag mit Strafmaßnahmen. Die Vermögenswerte der Direktion für innere Sicherheit des Teheraner Ministeriums für Geheimdienst und Sicherheit wurde eingefroren, auch die von zwei Personen iranischer Abstammung. Einer von ihnen ist der Diplomat Assadi, der andere heißt Said Haschemi. Das Vermögen der beiden soll zunächst für sechs Monate gesperrt werden.

In einer ungewöhnlichen Erklärung, die von den Ministerien für Inneres, Äußeres und Wirtschaft und Finanzen unterzeichnet wurde, wurden die Maßnahmen als legitim und angemessen bezeichnet. "Mit dieser Entscheidung erinnert Frankreich an seine Entschlossenheit, gegen den Terrorismus zu kämpfen, vor allem auf seinem eigenen Gebiet", hieß es. "Am 30. Juni wurde der Anschlag in Villepinte vereitelt - ein ernstzunehmendes Ereignis auf unserem Territorium, das nicht ungestraft hingenommen werden kann."

Das Teheraner Außenministerium forderte Frankreich auf, Iran gegenüber "realistisch" zu handeln und warnte vor unsichtbaren Kräften, die "die langjährigen Beziehungen zwischen Iran und Frankreich, sowie zwischen Iran und den europäischen Staaten" zerstören wollten. Sprecher Bahram Ghassemi bestritt abermals jedwede Beteiligung Irans an dem Plan und forderte die sofortige Freilassung von Assadi.

Am 2. Oktober stürmten französische Polizeieinheiten ein schiitisches Zentrum im Norden des Landes, das Iran nahe steht. Dabei wurden 11 Personen festgenommen. Auch das Vermögen des Zentrums "Alsahra" wurde gesperrt. Dies sei eine Vorbeugemaßnahme gegen terroristische Aktivitäten gewesen, erklärte die Polizei.

Der Führer des Zentrums, Yahya Ghawassemi, soll angeblich enge Beziehungen zu Teheran haben. Er ist, wie Medien berichteten, extrem antisemitisch eingestellt. Die Agentur Fars bezeichnete ihn als "Führer der antisemitischen Partei Frankreichs". Laut französischen Behörden standen Ghawassemi und andere führende Mitglieder des Zentrums seit geraumer Zeit unter Beobachtung, denn sie standen mit einigen terroristischen Organisationen in Verbindung.

Das Zentrum wurde 2009 gegründet. Als Ziel wurde auf der Webseite des Zentrums "Bekanntmachung des Islam aus der Sicht des Propheten" genannt. Im März dieses Jahres besuchte Ghawassemi die Bibliothek des Parlaments der Islamischen Republik. Inwieweit der Polizeieinsatz im Zentrum im Zusammenhang mit dem Anschlagsplan steht, ist nicht bekannt.

Am 3. Oktober nahm auch Washington zu dem Anschlagsplan Stellung. Der Nationale Sicherheitsrat des Weißen Hauses veröffentlichte eine Erklärung, in der es hieß, die französische Regierung habe "starke Maßnahmen" wegen des vereitelten Anschlags getroffen. Teheran sollte sich darüber klar sein, dass sein inakzeptables Verhalten nicht geduldet werde. Auch der Sprecher des Außenministeriums, Heather Nauert, sagte auf einer Pressekonferenz, der Fall bestätige abermals, dass Iran "der Hauptunterstützer des Terrorismus in der Welt" sei.

Am 12. Oktober erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einem Interview mit France 24, es sei nicht klar, wer den Anschlag gegen die Versammlung der Volksmodschahedin in Auftrag gegeben habe. "Wie Sie wissen, besteht der iranische Staat aus verschiedenen miteinander rivalisierenden Gruppen. Daher kann man nicht sagen, ob der Auftrag von ganz oben, vom Geheimdienst oder von einer anderen Instanz erteilt wurde." Diese Äußerung Macrons steht im Widerspruch zu der Position des Außenministeriums, das den Geheimdienst der Islamischen Republik für den Anschlag verantwortlich machte. Er warte auf eine Erklärung des iranischen Präsidenten Hassan Rohani, sagte Macron weiter.

Der Umstand, dass der Anschlag just für die Tage geplant war, in denen Rohani sich in Europa aufhielt, lässt vermuten, dass Gegner dem Präsidenten, der um Annäherung an Europa bemüht ist, schaden und seine möglichen Erfolge vereiteln wollten.


VERGELTUNGSSCHLAG GEGEN IS

Nach dem Angriff auf eine Militärparade in der Stadt Ahwas im Südwesten Irans am 22. September bei dem 24 Menschen ums Leben kamen und mehr als 70 Personen verletzt wurden, griffen die Revolutionsgarden am 1. Oktober Stellungen des Islamischen Staates (IS) in Syrien an.

Die Verantwortung für den Anschlag hatten sowohl der IS als auch eine Separatistengruppe übernommen, die sich "Arabische Befreiungsbewegung Al-Ahwasieh" nennt. Der IS hatte mit weiteren Anschlägen gedroht, die "mit Gottes Hilfe noch schlimmer und bitterer" ausfallen würden, erklärte IS-Sprecher Abu Hassan al-Mudschahid am 26. September in einer Tonaufzeichnung. Der erfolgte Angriff zeige, wie schwach Iran sei, "schwächer als ein Spinnennetz", sagte er.

Der Vergeltungsschlag gegen den IS erfolgte nach Angaben der Revolutionsgarden mit sechs Boden-Boden-Raketen und sieben Drohnen auf IS-Stellungen im Südosten Syriens. Dabei seien "führende und leitende Mitglieder der Terrororganisation" getötet und Waffenlager zerstört worden.

Am 16. Oktober gaben die Revolutionswächter bekannt, dass der "Drahtzieher des Anschlags in Ahwas" im Irak getötet worden sei. Den "Kräften des Widerstands" sei es gelungen, den eigentlichen Drahtzieher des Anschlags von Ahwas, Abu Sahi, und weitere vier seiner Komplizen zu töten, hieß es. Detaillierte Angaben zu der Aktion oder zu den getöteten Personen machten die Garden nicht.


IRAK BEDAUERT SCHLIEßUNG DES US-KONSULATS IN BASRA

Die irakische Regierung äußerte am 29. September ihr Bedauern über die Schließung des US-Konsulats in der im Süden des Landes gelegenen Stadt Basra. Am Vortag hatte das US-Außenministerium die Schließung mit den Angriffen auf das Konsulat begründet, die nach Darstellung des Ministeriums von iranischen Revolutionsgarden organisiert wurden. Außenminister Mike Pompeo sagte am Rand der UN-Vollversammlung, er habe angesichts der Bedrohungen gegen die Mitarbeiter des Konsulats die Schließung angeordnet. Die Angriffe seien von schiitischen Milizen, die von iranischen Revolutionsgarden unterstützt würden, durchgeführt worden. Das amerikanische Konsulat war im Zuge der Unruhen in Basra, die seit Juli andauern, Ziel von Raketen und Granaten gewesen. Dabei trafen zwei Raketen das Konsulatsgebäude, ohne Schäden anzurichten. Auch das iranische Konsulat wurde angegriffen. "Ich habe Iran klargemacht, dass die USA umgehend auf angemessene Weise auf jeden Angriff" gegen US-Einrichtungen reagieren würden, zitierte AFP Pompeo. Gleichgültig, ob die Bedrohungen direkt von Iran oder von seinen Verbündeten ausgingen. Das US-Außenministerium gab bekannt, dass die USA ihren Bürgern im Irak im Notfall nur "extrem begrenzten" Schutz gewähren könnten.

Die irakische Regierung betonte, sie sei bemüht, den Schutz der Diplomaten zu sichern. "Ihre Sicherheit ist ein Teil der Sicherheit Iraks", erklärte der Sprecher des Ministeriums, Ahmad Mahdschub.

Auch das Teheraner Außenministerium nahm zu der Konsulatsschließung Stellung. Ministeriumssprecher Bahram Ghassemi erklärte mit Blick auf die Angriffe, die gegen das iranische Konsulat in Basra stattgefunden hatten: "Es bestehen zwar klare Indizien, die auf offene und versteckte Einflussnahmen bei den Ereignissen in Basra deuten, doch das kindliche Verhalten der Amerikaner, das Unsicherheit und Instabilität im Irak demonstrieren soll, ist durchschaubar und schärfstens zu verurteilen." Die Islamische Republik verurteile jeden Angriff auf diplomatische Einrichtungen. Doch die Rechtfertigung der Schließung des US-Konsulats, die nach wochenlanger Propaganda und Verleumdungen gegen die Islamische Republik und den Irak erfolgt sei, sei nichts anderes als eine "höchst verdächtige Flucht nach vorn".

Die Washington Post zitierte in ihrer Ausgabe vom 28. September einen irakischen Politiker, der nicht genannt werden wollte, der behauptete, Grund für die Schließung des US-Konsulats sei nicht eine ernsthafte Bedrohung amerikanischer Diplomaten gewesen. "Wir haben keinerlei Informationen über Absichten der Kräfte, die von Iran unterstützt werden, das US-Konsulat anzugreifen." Der Vorfall zeige wieder einmal, dass die USA Irak als Vorwand benutzen wollten, um gegen Iran vorzugehen.


MEHR ALS EINE HALBE MILLION AFGHANEN VERLASSEN IRAN

Einem Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) von Anfang Oktober zufolge sind in diesem Jahr mehr als 604.000 Afghanen aus den Nachbarländern Iran und Pakistan in ihre Heimat zurückgekehrt, davon 580.000 aus Iran. Wie die dpa in ihrer Meldung vom 2. Oktober anmerkt, handelt es sich bei diesen Personen nicht um solche, die beim UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) registriert seien, sondern um jene, die sich mit Erlaubnis im dem jeweiligen Land aufhielten.

Grund für die massenhafte Rückkehr ist die schlechte wirtschaftliche Situation vor allem in Iran. Neben dem rapiden Anstieg der Arbeitslosigkeit, von der in erster Linie die zumeist in der Schattenwirtschaft beschäftigten Ausländer betroffen sind, spielt der Wertzerfall der iranischen Währung eine wichtige Rolle. Denn durch den Zerfall verringert sich der Betrag, den die Lohnempfänger an die eigene Familie nach Afghanistan überweisen können.


USA: HILFE BEIM WIEDERAUFBAU SYRIENS NUR NACH ABZUG IRANISCHER KRÄFTE

US-Außenminister Mike Pompeo erklärte laut BBC am 11. Oktober auf einer Versammlung pro-israelischer Juden in Washington, solange iranische Militärs sich in Syrien aufhielten, würden die USA keine Hilfe für den Wiederaufbau des Landes leisten. Zuständig für den Rauswurf der Iraner sei die syrische Regierung, denn sie trage auch die Verantwortung für die Anwesenheit der Iraner im Land. Die Vertreibung des Islamischen Staates (IS) aus Syrien gehöre zu den Prioritäten der USA, aber auch die Vertreibung der Iraner.

Die Position der Vereinigten Staaten stimmt bezüglich der Rolle Irans in Syrien mit der Israels völlig überein. Israel erklärte, das Land habe nichts gegen die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Teheran und Damaskus einzuwenden. Aber es will eine wie auch immer geartete militärische Präsenz der Islamischen Republik und ihrer Verbündeter in Syrien unter keinen Umständen dulden. Israel hat bereits mehrmals iranische Stützpunkte oder Stützpunkte der libanesischen Hisbollah in Syrien unter Beschuss genommen.

Syriens Infrastruktur ist durch den langjährigen Krieg stark beschädigt. Der Wiederaufbau ist dringend notwendig. Auch viele, die aus dem Land geflüchtet sind, müssten irgendwann in die Heimat zurückkehren. Nicht zuletzt um dies zu beschleunigen, sind einige Staaten bereit, beim Wiederaufbau des Landes Hilfe zu leisten. Die syrische Regierung ist jetzt schon bemüht, so viele Länder und Investoren wie möglich zur Mitarbeit zu gewinnen, besonders westliche und reiche arabische Länder. Laut iranischer Führung wird die syrische Regierung den Wiederaufbau einiger Gebiete iranischen Unternehmen überlassen. Allerdings wird Iran nach Meinung von Experten angesichts seiner eingeschränkter wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten und seiner nicht zuletzt wegen der Sanktionen schwachen Stellung innerhalb der Weltwirtschaft nicht allzu viel von dem Engagement in Syrien profitieren können.


USA UNTERSTÜTZEN DAS RECHT AUF STREIK IN IRAN

Das US-Außenministerium warf der iranischen Regierung vor, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu ignorieren und erklärte, die USA würden die Streiks in Iran unterstützen. Mit Blick auf die Streiks und Demonstrationen der letzten Zeit twitterte Heather Nauert, Sprecherin des Ministeriums am 16. Oktober: "Wir verfolgen die Berichte über landesweite Streiks in Iran und unterstützen den friedlichen Kampf der Menschen zur Durchsetzung ihrer gerechten Forderungen. Diese Demonstrationen haben eine Botschaft für das Regime in Teheran: 'Beendet die Vergeudung des nationalen Reichtums im Ausland und fangt endlich an, euch um die Bedürfnisse der Menschen im eigenen Land zu kümmern.'"

Die USA werfen dem iranischen Staat immer wieder vor, terroristische Organisationen zu unterstützen und ihr Raketenprogramm weiterzuentwickeln, anstatt im eigenen Land gegen Armut und Arbeitslosigkeit vorzugehen. Diese Vorwürfe gehören zu den Gründen, mit denen die USA die neuen Sanktionen gegen Iran zu legitimieren versuchen.


WASHINGTON WIRFT IRAN EINMISCHUNG IN KONGRESSWAHLEN VOR

Washington hat Iran vorgeworfen, sich in die bevorstehenden US-Kongresswahlen einzumischen: "Wir sind besorgt über andauernde Kampagnen Russlands, Chinas und anderer ausländischer Akteure inklusive Iran." Es werde versucht, die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten und die Politik des Landes zu beeinflussen. "Diese Aktivitäten könnten auch zum Ziel haben, Wahrnehmungen und Entscheidungen von Wählern bei den US-Wahlen 2018 und 2020 zu beeinflussen", heißt es laut dpa vom 21. Oktober in einer gemeinsamen Erklärung von US-Sicherheitsbehörden, die das Büro des US-Geheimdienstkoordinators veröffentlichte.

Das Teheraner Außenministerium wies den Vorwurf entschieden zurück. "Die Amerikaner leiden diesbezüglich anscheinend an Wahnvorstellungen", sagte Ministeriumssprecher Bahram Ghassemi am 21. Oktober. Es gebe in den USA eine Liste von Namen und Unterstellungen, die täglich in den Medien lanciert würden, um von eigenen Problemen und innenpolitischen Zwistigkeiten abzulenken.


HOOK BESUCHT EUROPA UND INDIEN

Nach Angaben des US-Außenministeriums begab sich der Sonderbeauftragte der US-Regierung für Iran, Brian Hook, am 12. Oktober auf eine siebentägige Europa-Reise. In Luxemburg nahm er an einer Sitzung der EU-Außenminister teil. Ziel seiner Reise war, die EU-Staaten sowie Indien dafür zu gewinnen, die am 4. November beginnende zweite Phase der US-Sanktionen gegen Iran zu unterstützen. Besonders in Indien wollte er die Regierung dazu überreden, kein iranisches Öl mehr zu kaufen.

Washington wirft Iran vor, die Sicherheit und Stabilität in den Ländern Syrien, Jemen, Irak und Libanon zu gefährden. Teheran bestreitet dies und wirft seinerseits den USA vor, sich in Angelegenheiten der Region einzumischen und die Interessen der Länder zu missachten.


ROHANI: USA WERDEN RÜCKZUG AUS DEM ATOMABKOMMEN BALD BEREUEN

Irans Präsident Hassan Rohani sagte am Rand der UN-Versammlung in New York am 27. September, die USA würden ihren Rückzug aus dem Atomabkommen bald bereuen und früher oder später wieder einsteigen, denn auch sie würden feststellen, dass niemand von der gegenwärtigen Situation profitieren könne. Der Rückzug sei ein Fehler gewesen, der nicht Teheran, sondern Washington in die Isolation getrieben habe. Rohani betonte, dass seine Regierung keineswegs die Absicht habe, die USA herauszufordern. "Wir wollen die Spannungen nicht verstärken", sagte Rohani.


GEWALTSAMER TOD KASHOGGIS SCHARF VERURTEILT

Irans Justizchef Sadegh Amoli Laridschani verurteilte scharf den gewaltsamen Tod des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi. "Dieser brutale Mord zeigt das wahre Gesicht des saudischen Königreichs und seines jungen Prinzen", sagte er. Das Regime in Riad bezeichnete er als "korrupt und skrupellos".

Auch Präsident Hassan Rohani zeigte sein Entsetzen über den "brutalen Mord". Niemand könne sich vorstellen, in der heutigen Welt, im 21. Jahrhundert, Zeuge eines solchen organisierten Verbrechens zu sein. Es sei unglaublich, dass ein ganzer Apparat eine solch abscheuliche Tat plant. "Ich denke, kein Land wagt so etwas, ohne Rückendeckung der USA", sagte der Präsident auf einer im Staatsfernsehen übertragenen Kabinettssitzung am 24. Oktober. "Wie kommt es, dass die Welt über das Schicksal des jemenitischen Volkes schweigt, obwohl das Land seit Jahren permanent bombardiert wird? Wäre dies ohne die Unterstützung der USA möglich", fragte Rohani.

Rohani bezeichnete den saudischen Staat als eine "Stammesgruppe" und sagte: "Der Geist, der zu dem Mord an Kashoggi geführt hat, ist derselbe, der terroristische Gruppen wie den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen hat." Er forderte den türkischen Präsident Erdogan, dessen Regierung er als "Bruderregierung und Freund" bezeichnete, auf, die Ermittlungen in dem Mordfall fortzusetzen.

Der Mord an Kashoggi dürfe nicht aus wirtschaftlichen Gründen vertuscht werden, sagte Rohani. Der Fall müsse aufgeklärt werden. Nun könnten die USA und die EU zeigen, ob ihnen die Menschenrechte oder die wirtschaftlichen Interessen wichtiger seien.

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Impressum:
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Autor: Bahman Nirumand
Redaktion: Florian Kommer
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17. Jahrgang

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Quelle:
Iran-Report Nr. 11/2018 - November 2018 / 17. Jahrgang
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2018

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