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GUTE-NACHT/2261: Der Rat der Ostertiere (SB)


Warum Osterhasen sich nicht erwischen lassen


Es war nicht immer der Osterhase, der den Kindern die bunten Eier zum Osterfest brachte. Lange Zeit zuvor waren es der Hahn und die Henne, der Storch oder der Kuckuck. Auch der Ostervogel oder der Palmesel waren als Überbringer bekannt. Sogar der Wolf und der Fuchs brachten in einigen Gegenden die geliebten Eier.

Es war auf dem Land, wo diese Tiere ihr Revier hatten. In der Stadt glaubten die Kinder an den Osterhasen. Die vielen Osterhasen waren es dann auch, die alle anderen Tiere ihres Jobs entledigten. Doch die nahmen das nicht kampflos hin. So berief eines Tages der Fuchs eine Versammlung ein. Die Tiere sollten Rat halten, was sie gegen die vielen Hasen unternehmen könnten.

Zuerst dachten die Tiere an eine List des Fuchses, wie er sie fangen und fressen könnte. Doch der Fuchs beteuerte, daß es ihm allein um die Osterzeit und die Botschaft aller Ostertiere ginge. Die Tiere beschlossen, für drei Tage Frieden zu halten und kamen zusammen. Der Rat tagte. Zuerst begrüßte der Fuchs alle anwesenden Tiere: "Ich eröffne den Rat der Tiere, zu dem aus Holstein, Thüringen und Sachsen die Hähne angereist sind. Auch aus Thüringen stammt der Herr Storch, und unser zweiter Herr Storch ist aus dem Elsaß angeflogen gekommen. Aus der fernen Schweiz und der Altmark sind die Kuckucke angereist und ich selbst vertrete das Hessenland. Nicht eingeladen wurden die Hasen." Ein Munkeln ging durch die Reihen.

"Ruhe, bitte!" mahnte der Fuchs, "um die Hasen geht es ja auch gerade. Wir wollen unsere Erlebnisse austauschen und darüber beraten, wieso uns die ganze Hasenbande arbeitslos machen will. Zuvor aber haben wir ein Mahl organisiert. Es ist rein vegetarisch, was manchen unter uns sicher Überwindung kosten wird beim Verzehr. Doch alles dient einer guten Sache - unserer Sache. Deshalb seid willkommen und stärkt euch erst einmal." Damit beendete der Fuchs seine Ansprache.


Während der Palmesel auf der kleinen Waldwiese graste, fraßen die Ostervögel Körner auf der rechten Seite des Baches. Auf der anderen Uferseite verspeisten der Fuchs und der Wolf Eier. Die Hennen hatten ein paar ihrer Eier zur Verfügung gestellt.

Der Fuchs hatte dafür gesorgt, daß er einige Eier mehr abbekam, schließlich war er der Organisator dieses Treffens. Dem Wolf dagegen knurrte der Magen. Die kleine Mahlzeit hatte ihn nicht gesättigt. Deshalb befand er, der Rat solle nun endlich zu tagen beginnen. Schließlich wollten alle, daß sie bald wieder nach Hause ziehen könnten.

Der Fuchs wollte aber allen Tieren noch etwas Zeit lassen, sich satt zu fressen. Doch dies war nur eine List. Denn er wußte, je länger das Ganze dauerte, um so eher würde er seine Vorstellungen, wie in Zukunft mit den Hasen verfahren werden sollte, durchbringen. Bislang galt für alle Ostertiere Waffenstillstand, sobald sie in österlicher Mission unterwegs waren, selbstverständlich auch für die Osterhasen, die ja bei diesem Treffen nicht eingeladen waren. Es war immer gut, Feinde nicht bei Verhandlungen dabei zu haben. Schließlich hätten sie für sich selbst Partei ergreifen und irgendetwas zu ihrer Rechtfertigung vorbringen können.


Der Wolf wurde nun äußerst ungemütlich und so trommelte der Fuchs die Tiere zusammen. Alle kamen ans Bachufer. Der Bach trennte Vögel und Vierbeiner voneinander. Das hatten die Vögel aus Sicherheitsgründen so gewollt. Nur der Palmesel war noch auf ihrer Seite. Er fühlte sich hier sicherer als bei dem listigen Fuchs und dem grausamen Wolf. Die Vögel waren einverstanden, schließlich stellte der grasfressende Esel für sie keine Gefahr dar. Der Fuchs ergriff das Wort: "Ich fasse zusammen. Wir haben uns hier versammelt, weil wir den Hasen in seiner österlichen Funktion als eine Bedrohung für uns erkannt haben. Bislang hatten wir alle unsere Aufgaben zur Osterzeit und lebten nicht schlecht dabei. Doch nun erleben wir diese Bedrohung. Den Menschenkindern wird erzählt, daß nur die Hasen die bunten Eier zum Fest bringen. Von uns anderen wird nichts berichtet. Kommen wir nur in einen Garten während dieser Festtage, heißt es gleich, der Wolf raubt die Eier, der Kuckuck schmeißt, die Eier aus dem Nest und der Esel zertritt alles."

Die Tiere stimmten mit heftigen Durcheinanderplappern zu. Der Fuchs rief sie zur Ordnung: "Nun ja, euer Protest ist gerechtfertigt. Was schlagt ihr vor, sollen wir gegen die Hasenbande unternehmen?" "Ich finde, sie sollten alle ausgerottet werden", sagte der Wolf, "dafür könnte ich sorgen!" Doch diese Herangehensweise fanden die anderen Tiere nicht in Ordnung. So wurde überlegt und diskutiert. Der Kuckuck schlug vor, die Eier des Osterhasen aus dem Nest zu werfen und eigene hinein zu legen. Doch dieser Vorschlag konnte auch nur dem Kuckuck einfallen. Der Fuchs merkte dazu an, daß ja nicht überall wie in Hessen, die Kinder kleine Ostergärtchen mit Nestern aus Moos anlegen würden. Der Storch war für Aufklärungsarbeit. Er könnte es von den Dächern klappern. Die Henne und der Hahn waren für eine Demonstration. Doch schon begannen sie sich zu streiten, wer denn die Fahne hochhalten dürfe. Es war ein hin und her. Im Endeffekt war jeder der Meinung, nur er selbst habe das ausschließliche Recht, Ostereier zu verteilen, schließlich wollten alle in der Achtung der Menschen aufsteigen.

Es gab ein heilloses Durcheinander als eine Partei vorschlug, jedes Ostertier solle seine Eier nur in einer Farbe einfärben. Dann wüßten die Kinder genau, welches Tier die Eier gebracht hätte. Bald war die Stimmung so aufgeheizt, daß Hahn und Henne sich in die Kämme gerieten. Der Kuckuck meinte irgendwann, das alles gehe ihn nichts mehr an, er verführe sowieso nach seinen eigenen Regeln und flog davon. Auch der Palmesel zog von dannen. Er hatte keine Zeit mehr zu verweilen, weil ja schon in zwei Tagen Palmsonntag war. So ließ er die Vögel auf der einen Seite und den Wolf und den Fuchs auf der anderen Seite des Baches zurück.

Ein Huhn stand etwas abseits von all den anderen. Dies sah der Wolf und nutzte die Gelegenheit sich mit einem Sprung über den Bach, einen guten Leckerbissen zu verschaffen. Aus den Augenwinkeln bekamen die Tiere das schreckliche Vergehen des Wolfes mit. Der Fuchs erfaßte die Situation, sprang ebenfalls über den Bach und stellte den Wolf zur Rede. Dabei konnte das gepackte Huhn wieder aus dem Maul des Wolfes entwischen. Es gackerte und gackerte. Einige Federn hatte es lassen müssen.

Der Wolf war verärgert. Auch er verließ nun die Gesellschaft und meinte, in Zukunft würde er Rotkäppchen die ganze Arbeit mit dem Eierverteilen überlassen. Auch die Vögel suchten das Weite. Nun war nur noch der Fuchs beim Treffpunkt übrig geblieben. Doch nicht lange war er allein. Er hatte kommen sehen, daß das Treffen so enden würde. Deshalb hatte er allen Füchsen von diesem Rat erzählt und sie gebeten, zu kommen, aber sich versteckt zu halten, bis er nach ihnen riefe. Dies war nun der geeignete Zeitpunkt dazu. Er rief und alle versteckten Füchse kamen hervor. Vor diesen verkündete der Fuchs und gab es auch zu Protokoll, es sei nun beschlossen, daß die Jagd auf die Hasen eröffnet sei. Dies sei der einzige Vorschlag gewesen und nun beschlossene Sache. Die Hasen würden den anderen Ostertieren schaden und sollten nun dafür bezahlen.

Die Füchse befanden den Vorschlag für gut. Der Rat wurde beendet, und alle Füchse zogen los, das Ergebnis zu verkünden und in die Tat umzusetzen. Doch weil nicht nur Füchse schlau sind, sondern auch die Osterhasen - sonst hätten sie es ja wohl nicht geschafft, all die anderen Tiere aus dem Rennen zu schlagen -, hat bis heute noch kein Fuchs einen Osterhasen erwischt. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum selbst die Kinder nie einen Osterhasen zu Gesicht bekommen.

Gute Nacht


Erstveröffentlichung am 10. April 2003

1. März 2007