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GUTE-NACHT/2552: Die Rettung von Nili Manela - Esel im Zelt (SB)


Esel im Zelt

Noch bevor die Türen des Kaufhauses geöffnet wurden, kamen die Putzkolonnen und wischten in sämtlichen Abteilungen die Böden und den Staub von den Regalen. Auch in der Sportabteilung, dort wo die Zelte aufgebaut standen, wurden die Teppiche, die herrliches Gras vortäuschen sollten, gesaugt.

Eine junge Frau aus der Putzkolonne verrichtete ihre Arbeit besonders gern hier bei den Zelten. Da konnte sie sich immer vorstellen, sie sei gerade in Urlaub. An diesem Morgen konnte sie nicht an sich halten und öffnete eines der Zelte, um sich das Innenleben genauer anzusehen. Wahrscheinlich würde sie sich nie einen Urlaub im Süden leisten können, nicht mal einen, bei dem sie im Zelt übernachten würde. Doch konnte es ihr keiner nehmen, von einem Urlaub in Spanien zu träumen. Je genauer sie sich alles vorstellen konnte, um so intensiver konnte sie davon träumen. So zog sie an dem Reißverschluß und öffnete das schöne, rote Zelt. Sie blickte sich um, ob auch keiner ihre Handlung bemerkte und kletterte in das Zelt hinein. Es war geräumig und war mit Schlafsäcken und Kissen ausgestattet. Einen kleinen Augenblick legte sich die junge Frau auf den Schlafsack hinauf. Beinahe wäre sie auf dem Schlafsack eingeschlafen. Da aber fiel ihr etwas gegen den Kopf. Es tat nicht weh, denn es war eher weich. Sicher handelte es sich um ein Kissen oder dergleichen, daß da umgefallen war. Die junge Frau richtete sich auf und sah nach dem Kissen. Es war gar kein richtiges Kissen. es handelte sich eher um ein Stofftier. "Wie niedlich", fand sie sogleich, "ein Nilpferd." Sie wollte es wieder zurücklegen, da bemerkte sie die beiden anderen Kissen. Auch diese waren eigentlich Kuscheltiere. Eines stellte einen Esel darf, das andere ein Nilpferd. "Oh, wie kuschelig ihr seid", sagte die junge Frau und drückte die Kissen an sich. Dann wurde es Zeit, das Zelt wieder zu verlassen, der Rest der Putzkolonne näherte sich nämlich bereits mit den Staubsaugern. Das konnte die junge Frau deutlich hören. Sie kletterte rücklings aus dem Zelt. dabei fiel ihr Blick auf die Kissen. "Wißt ihr was?" sagte sie zu dem Esel, dem Nilpferd und dem Pandabären, "ich setze euch vor dem Zelt auf den Rasen. Da habt ihr es ein bißchen gemütlicher als in diesem stickigen Zelt."

Gesagt, getan. Die junge Frau stellte den Esel so ins Gras, als ob er sich jetzt richtig vollfuttern würde. Das Nilpferd stellte sie nahe dem angedeuteten Teich und den Pandabären befestigte sie an dem dünnen Dekoast, der als Baum fungierte. "So, jetzt sieht es doch schon viel interessanter aus", fand die junge Frau und wandte sich zum gehen. Gerade da kam der Abteilungsleiter für Spiel und Sport und wollte schon einmal nach dem Rechten sehen. "Was machen sie denn hier auf der Werbefläche?" fragte er sogleich die Putzhilfe. Die junge Frau sagte nur: "Gar nichts." Damit zog sie sich mit ihrem Eimer und dem Wischtuch zurück. Aus einiger Entfernung sah sie sich noch einmal um und fand, sie hätte wirklich Dekorateuren werden sollen. Leider hatte sie keinen Ausbildungsplatz erhalten, obwohl sie bestimmt an die fünfzig Bewerbungsschreiben losgeschickt hatte.

Inzwischen waren auch die anderen Verkäufer und Verkäuferinnen in ihren Abteilungen eingetroffen. Auch an den Restpostenständen wurde alles gerichtet. Die Verkäuferin hier wunderte sich: "Gestern lagen doch noch drei Kuscheltierkissen auf dem Tisch. Wo sind die denn jetzt? Die sind doch nicht etwa von irgendeinem Kunden so ohne Bezahlung mitgenommen worden?" Die meldete sogleich die fehlenden Kissen. "Wer weiß, wer sich da wieder einen Scherz mit uns erlaubt hat", sagte ihr Vorgesetzter, "auch gestern sind die Kissen ja schließlich wieder aufgetaucht." Damit war für den Verkäufer das Thema erst einmal abgehakt. Er hatte Wichtigeres zu erledigen. Wäre eine teure Bettdecke verschwunden, wäre das etwas anderes gewesen. Dem wäre er sogleich nachgegangen. Aber diese vier Kissen, von denen das eine ja selbst noch gestern Abend kurz vor Ladenschluß verkauft worden war, konnten ihn nicht schocken.

Auch in der Sportabteilung wunderten sich die Verkäufer. Wo kamen die Tierkissen plötzlich her? Wer hatte diese Dekoration angeordnet? Gehörten die Kissen nicht in eine andere Abteilung? Aber diesen Fragen ging bald keiner mehr nach. Zum einen gab es so viel zu tun, denn neue Ware war eingetroffen und wollte verstaut werden. Zum anderen wurde gerade das Eselkissen verkauft. Da die Gelder sowieso an jeder Kasse gezahlt und dann intern den Abteilungen nach dem Etikett zugeordnet wurden, machte es keinen Unterschied, ob die Ware an der einen oder der anderen Kasse bezahlt wurde. Letztlich landete doch alles in einem Safe und dann auf der Bank.

Keiner der Verkäufer störte sich an dem Verkauf des braunen Eselkissens. Sie nahmen auch nicht wahr, daß dieser Verkauf zu Tränen rührte. Als die Eselin Emilia London vom Rasen hochgenommen wurde hörten Pandabär Coco von Weißnichtwohin und das Nilpferd Nili Manela nur wie süß die Kunden die kleine Eselin fanden. "Das ist genau das richtige Geschenk für unsere Freundin", sagte die eine Freundin zur anderen. "Hatte sie sich nicht sowieso so ein Kuschelkissen zum Geburtstag gewünscht?" fragte die andere. Damit waren sie zur Kasse gewandert und drehten sich nicht einmal nach dem rufenden Pandabären und dem schimpfenden Nilpferd um.

Als an diesem Abend die Türen des Kaufhauses geschlossen wurden und die Lichter ausgingen, überlegten Nili und Coco, wo sie denn endlich einen Unterschlupf finden konnten, wo sie nicht auch noch auseinander gerissen wurden. Sie kamen zu dem Schluß, daß es wohl am besten sei, wenn sie dorthin zogen, wo man zwar angestarrt, nicht aber verkauft werden würde. So verließen sie die Sportabteilung und suchten sich einen Platz im Schaufenster. Sie hatten nämlich bei einem Gespräch der Dekorateure erfahren, daß die Ausstattung in den Fenstern erst wieder zum Verkauf freistand, wenn die Dekoration wechselte. Solange würden Nili und Coco auf jeden Fall zusammenbleiben können.

Im Fenster angekommen, kletterte Coco in die Hängematte, die zwischen zwei Palmen augehängt war und Nili legte sich darunter an den aufgemalten Strand. Unter dem blauen Sternenhimmel, der durch die Schaufensterscheibe zu sehen war, wünschten sich die zwei Freunde, nicht mehr traurig zu sein.



12. Februar 2008

Gute Nacht