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GUTE-NACHT/2682: Der Fall Hummer (SB)


Der Fall Hummer

Aus der Vergangenheit bin ich wieder zurück. Aber ich habe noch immer meine mittelalterliche Kluft - wie Mama sagt - an. Mama, Papa und ich haben den Marktfrieden besucht. Zuerst war ich gar nicht froh, obwohl ich mich doch gestern noch so riesig gefreut hatte. Aber heute morgen ging auch alles schief. Zuerst fiel mir im Bad das Zahnputzglas herunter und es gab Tausend Scherben. Mama schimpfte, aber nicht so sehr mit mir, eher mit sich selber, weil sie so dumm gewesen war, keine Zahnputzbecher aus Plastik zu nehmen. Es sei doch wirklich abzusehen gewesen, daß so ein Glas irgendwann einmal herunterfällt und Glas auf Fliesenboden zerspränge doch sofort. Deshalb war Mama über sich selber sauer. Etwas später wollten wir endlich los, damit wir auch den ganzen Tag ausnutzen konnten, da war Papa noch nicht fertig. "Was machst du denn so lange?", schimpfte Mama. Dabei war es meine Schuld gewesen. Ich hatte mir mal wieder Mamas Glastiere angesehen und dabei war mir der Hummer zu Boden gefallen. "Am besten du faßt heute gar nichts mehr an", lachte Papa. Dann aber lachte er nicht mehr, als ich ihm die abgebrochenen Scherenarme des Hummers zeigte. "Auweiha!", sagte Papa da nur, denn ausgerechnet dieser Hummer ist Mamas Lieblingsglastier. "Was machen wir da nur?", fragte mich Papa. "Vielleicht kleben?", schlug ich vor. Doch irgendwie wollte unser Kleber nicht halten, deshalb wurden wir beide auch nicht fertig. Als Mama erneut nach Papa rief, schickte er mich schnell in mein Zimmer, damit ich dann wenigstens fertig war, wenn Mama nach mir schauen würde. Also ich war dann auch fertig. Ich hatte ja nur mein Ritterhemd überzuziehen. "Sieh mal nach Papa", bat mich Mama. Das war mir nur recht. Papa zog die Achseln hoch und sagte mir damit, daß er mit dem Hummer nicht weitergekommen war. "Vielleicht können wir auf dem Markt einen neuen Glashummer kaufen?", war mein Vorschlag. Papa entgegnete: "Wir finden bestimmt keinen. Mama hat dieses Tierchen schon ganz schön lange. Ihre Freundin aus Spanien hat ihn ihr geschenkt. Aber du bringst mich da auf eine andere Idee." Dann erklärte mir Papa, daß auf dem letzten mittelalterlichen Markt vor zwei Jahren ein Glasbläser gewesen sei. Genau dieser sei in diesem Jahr auch wieder dabei. Von ihm hatte Papa gestern ein Bild auf der ersten Seite der Tageszeitung gesehen. "Den werden wir einfach fragen, ob er die Scherenarme nicht heiß machen und wieder ankleben kann", freute sich Papa. Nun ging alles ganz schnell. Papa packte den kaputten Hummer in Watte ein und brachte ihn in einer kleinen Blechdose unter. Dann ging es los. Endlich waren wir auf dem Markt. Er war riesengroß, fand ich. Sofort wollten Papa und ich den Glasbläser aufsuchen. Aber wir durften nicht so zielstrebig vorgehen. Denn Mama sollte von dem kaputten Hummer ja erst wieder etwas erfahren, wenn er wieder heil war. So taten wir ganz unschuldig und gingen dennoch zielstrebig voran. Mama wunderte sich, warum wir kaum irgendwo stehenblieben und uns nicht einmal die Stände ansahen. Da wurde es ihr zu bunt. "Ich werde mich hier ein bißchen umsehen und ihr könnt mich genau in einer halben Stunde an diesem Platz wieder abholen. Dann gehen wir etwas essen."

Der Vorschlag von Mama kam uns gerade recht. Zuerst gingen wir zu dem Platz, an dem der Glasbläser vor zwei Jahren gestanden haben soll. Doch da war sein Stand nicht. Aber da wir genau wußten, daß er auf dem Markt ist, suchten wir weiter. Endlich fanden wir ihn auch. Sein Stand war ziemlich verhangen, weil es ausgerechnet heute nach Regen aussah. Papa zeigte dem Glasbläser den Hummer und war gespannt, was dieser sagen würde.

Der Glasbläser war sehr freundlich und obwohl er uns nicht helfen konnte, nahm er unser Problem doch völlig ernst. Er erklärte, daß er mit zu hohen Temperaturen arbeite, daß der Hummer seine Farbe verlieren würde. Dann sagte er noch, daß die Glasbläser vor der Arbeit der Glastierbläser großen Respekt hätten. "Was sollen wir denn jetzt machen?", fragte Papa, "mit was können wir das denn wieder ankleben?" Da gab uns der Glasbläser den Rat: "Suchen Sie sich in den gelben Seiten eine Glasschleiferei hier in der Nähe und fragen Sie dort nach, ob sie da eine Korundscheibe haben, mit der die abgebrochenen Teile angeschliffen werden können. Es darf kein Schleifband sein, davon kann die anzuschleifende Fläche Risse bekommen. Dann fragen Sie noch nach UV-Kleber. Nur mit diesem Kleber halten die Glasteile später, nachdem sie mit UV-Licht bestrahlt wurden, wieder zusammen."

Papa bedankte sich für die Information. Am liebsten hätte ich jetzt noch eine Glasbläservorführung gesehen. Aber es war Zeit, wieder Mama aufzusuchen. Sie hatte auch schon gewartet. Nun gingen wir etwas essen. An dem Stand wo wir waren, gab es soetwas wie mittelalterliche Pizza mit Speck. Natürlich hieß es nicht Pizza, sondern Flammenkuchen. Der Stand hatte einen langen Tisch und Bänke zum Sitzen. Genau neben mir saß eine Frau mit bis zur Schulter herabhängenden komischen Ohrringen. Die waren aber nicht aus dem Mittelalter, sondern ganz modern. Ihr gegenüber saß ein Mann und schrieb alles auf, was sie von sich gab. Er stellte ihr ständig Fragen. Ob es ihr hier gefällt? Wie lange sie denn bleiben würde?

Als sie ihm mitteilte, daß sie heute noch fahren würde, fragte er, ob das denn gut ginge, denn sie habe ja Met getrunken. Er erwähnte die Polizei. Da sagte sie nur, sie habe noch nie Ärger mit der hiesigen Polizei gehabt. Ich fand die beiden ganz schön komisch. Denn jetzt stellte plötzlich die Frau dem Mann viele Fragen. Sie schrieb aber gar nichts auf. Sie aß nur ihren Flammenkuchen. Sie fand, daß er doch eine tolle Arbeit habe, wenn er dabei hier auf den Markt gehen könne. Da sagte er, daß er das alles in seiner Freizeit macht. Dann fragte sie, ob das, was er da aufgeschrieben hättem denn alles am Montag in der Zeitung zu lesen sei. Wenn es reinpaßt, gab er zur Antwort. Das war ein seltsames Gespräch, ich hatte den Eindruck, die beiden reden die ganze Zeit um irgendwas herum, was sie nicht aussprechen wollen.

Das Mädchen, das die Flammenkuchen verteilte, rief immer wieder den nächsten fertigen Flammenkuchen aus. Es gab solchen mit Speck oder welchen mit Spinat, dann aber gab es auch einen mit Lachs. Als jetzt ein Lachsflammenkuchen ausgerufen wurde, mußte ich sofort wieder an unseren Hummer denken. Papa wohl auch, denn wir sahen uns beide an. "Was ist denn jetzt schon wieder?", wollte Mama wissen. "Nichts", antwortete Papa, "ich mag nur keine Hummerpizza." Mama schaute merkwürdig drein und sagte dann: "Erstens gibt es hier keine Pizza, sondern Flammenkuchen, und zweitens haben sie gar keinen Hummer sondern Lachs. Wie kommst du da also bitte auf Hummer." Papa wollte irgendwie ablenken und versprach sich aber schon wieder: "Magst du Hummer, äh ich meine Lachs?"

Mama bestand darauf, daß wir ihr erzählen sollten, was heute mit uns los wäre. Sie wollte auch nicht eher aufstehen, bis wir es ihr endlich gesagt hätten. Papa sah zu den Budenbesitzern hinüber. Die wollten wohl auch gerne, daß wir nun für die nächsten Gäste Platz machten. Da zog Papa das kleine Kästchen aus seiner Tasche und zeigte Mama den Hummer mit den abgebrochenen Scheren. Zuerst war Mama sprachlos. Dann sagte sie: "Na dann kleben wir sie eben wieder an. Ich nehme an, der Glasbläser kann hier nichts machen?" Mama hatte uns voll durchschaut, oder hatte sie uns etwa nachspioniert? Dann hatte sie es aber sehr geschickt angefangen, denn Papa und ich haben beide davon nichts mitbekommen. Und verraten würde sie es uns nie.

Zusammen beschlossen wir, uns gemeinsam um den Fall "Hummer mit abgebrochenen Zangen" zu kümmern. Wir werden bald einen Ausflug in eine Glasschleiferei unternehmen. Jetzt ziehe ich aber meinen Vorhang vors Bett und schlafe. Denn morgen gehen wir drei wieder auf den mittelalterlichen Markt. Schließlich haben wir erst wieder in zwei Jahren die nächste Chance in die Vergangenheit zu reisen.

12. Juli 2008

Gute Nacht