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GUTE-NACHT/2939: Frau Löwenzahn verabschiedet sich von Wolkenflausch (SB)


Gute Nacht Geschichten


"Mama!" - "Ja, Kleines", beantwortete Mutter Löwenzahn den Ruf ihres kleinsten Kindes. "Was ist? Kannst du wieder nicht einschlafen?" So war es. Noch immer spukte der Kleinen die Geschichte von Wolkenflausch im Kopf herum - wie Mutter Löwenzahn zuerst so grantig zu der großen Wolke gewesen war, wie diese sie dann in ihren weichen Flausch gelegt hatte und wie Mutter Löwenzahn ins Land der Träume reiste. Doch wie ging die Geschichte weiter? "Was ist passiert, als du wieder aufgewacht bist?", fragte das kleinste Löwenzahnkind. "Na, du möchtest es genau wissen, ja? Ich denke, ich sollte dir die Geschichte weiter erzählen? Oder?" - "Ja!"

Raute

"Also, ich schlief tief und fest auf dieser flauschigen Wolke bis mich etwas kitzelte. Es kribbelte in der Nase und ich mußte niesen: 'Hatschi!' - 'Gesundheit', lachte die Wolke und freute sich über mein Erwachen. Sie war so neugierig. Sie wollte alles von mir wissen - wo ich aufgewachsen bin, wer meine Eltern waren, warum ich hierhergeflogen bin und so weiter und so weiter. Manche ihrer Fragen waren mir unmöglich zu beantworten. Ich sagte dann immer: 'Meine Schwester hätte das sicherlich gewußt, sie war sehr gescheit, müssen Sie wissen, Frau Wolkenflausch.' Nachdem ich das fünfte Mal von meiner Schwester zu erzählen begann, schlug Wolkenflausch vor: 'Hey, Löwenzähnchen' - so nannte sie mich - 'was hälst du davon, wenn wir deine Schwester suchen? Ich komme ja hier in der Welt herum. Da sollte es doch nicht schwer sein, sie zu finden.'

Ich war begeistert. Ich stellte mich auf Wolkenflausch hin und blickte in die Ferne. Wolkenflausch schwebte nach Norden, aber meine Schwester war nicht zu sehen. Wolkenflausch flog gen Süden. Auch hier war meine geliebte Schwester nicht zu entdecken. Es blieben noch die Richtungen nach Osten und nach Westen. Nirgends ein Hauch von meiner Schwester. Die Reise ging weiter. Diesmal in die Höhe und anschließend sogar in die Tiefe - bis zu einem gewissen Punkt.

'Tiefer kann ich nun nicht mehr fliegen, ich bleibe sonst in der Tannenspitze hängen.' Leider hatten wir nach so langem Suchen meine Schwester noch immer nicht gefunden. 'Was machen wir nur?', auch Wolkenflausch war jetzt ratlos. Glücklicherweise hatte die freundliche Wolke eine Menge Freunde. Einer dieser Freunde kam gerade in diesem Moment, als wir nicht mehr wußten, wie wir meine Schwester finden könnten, vorbei. 'Wolkenflausch, was machst du für ein trauriges Gesicht?', fragte ein vorbeifliegender Vogel. Aber er hatte keine Zeit, die Antwort abzuwarten. Die Frage riß meine liebe Wolke jedoch aus ihren Gedanken, und sie hatte sogar eine Idee: 'Löwenzähnchen, mach dir keine Sorgen. Ich werde meine Freunde fragen, ob sie uns helfen.' Gedacht, getan. Wolkenflausch und ich waren bislang hin und hergeflogen. Jetzt blieben wir einfach an einem Ort und Wolkenflausch bat jeden vorbeiziehenden Vogel um seine Hilfe. Ob Spatz oder Nachtigall, ob Star oder Falke. Alle Vögel sollten Ausschau nach meiner Schwester halten.

Am Ende war es aber der Wind, der uns wirklich half. Er hatte mich und meine Schwester ja auseinander getrieben, und er war es auch, der uns beide wieder zusammenbrachte. Aber nur, weil die Wolke noch etwas bei ihm gut hatte. Das blieb jedoch ein Geheimnis zwischen dem Wind und Wolkenflausch. Sie wollten mit mir nicht darüber sprechen.

Egal! Der Wind wußte, wo meine Schwester gerade steckte. Denn er hatte sie genau dort hingepustet. Nun pustete er Wolkenflausch und damit auch mich an den gleichen Ort. 'Da sind wir. Dort unten auf der Wiese wohnt deine Schwester jetzt. Solltest du sie nicht gleich finden, frage nach ihr. Sie wollte eine Wohnung im Kellergeschoß beziehen.' Noch eine Frage meinerseits wartete der Wind nicht mehr ab. Er war verschwunden.

'Es war eine schöne Zeit mit dir!', sagte Wolkenflausch traurig. 'Mir gefiel es genauso. Zwar würde ich gern weiter mit dir reisen, doch meine Zeit ist gekommen. Ich muß mir ebenfalls einen Platz suchen und dann meine Kinder bekommen. Auf einer Wolke haben wir von Löwenzahn noch nie gewohnt, und Kinder haben wir dort oben auch noch nicht bekommen. Nur bis in das Mauerwerk eines Hauses sind einige von uns gelangt und meine Urgroßmutter, so wird erzählt, lebte sogar in einer Dachrinne.' Wolkenflausch nahm mich in die Hand und brachte mich so tief zur Erde hinunter, wie sie konnte. Schließlich wollte sie sich nicht in irgendeiner Baumkrone verfangen."

Raute

Hier blieb Mutter Löwenzahn still. Das kleine Löwenzähnchen merkte, daß der Mutter der Abschied von Wolkenflausch schwer gefallen sein mußte. "Hast du Wolkenflausch mal wieder getroffen?", fragte das Kleine. "Ja", antwortete Mutter Löwenzahn, "manchmal fliegt Wolkenflausch über unsere Wiese hinweg. Dann winkt die dicke weiche Wolke und ich freue mich." Noch eine Frage brannte dem Löwenzähnchen auf der Seele. Nach langem Zögern stellte es diese endlich: "Hast du deine Schwester wiedergefunden?" Die Traurigkeit in den Augen der Mutter wich einem Lächeln. "Ja, deine Tante habe ich wiedergefunden und ihr meine Geschichte von Wolkenflausch erzählt. Aber die kennst du nun ja schon!"

Erstveröffentlichung im Jahr 2000

22. Mai 2009

Gute Nacht