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GUTE-NACHT/3026: Fliegenkongreß - vierter Tag (SB)


Gute Nacht Geschichten


An diesem letzten Kongreßtag soll eigentlich die Blaue Schmeißfliege einen Bericht über ihr Leben vortragen. Der Kongreßsprecher und gleichzeitig auch Kongreßvorstand ist einer der Familie von Schmeißfliege. Er sieht nun endlich seine Zeit gekommen, um nach seiner Rede, den Preis für die interessanteste Fliegenart in Empfang zu nehmen.

Doch die Stubenfliege, die von dem Kongreßvorstand zuerst eingeladen, dann aber wieder ausgeladen worden war, möchte gern selbst den Preis gewinnen. Aber dazu muß sie überhaupt erst einmal die Gelegenheit erhalten, zu sprechen. Denn offiziell ist sie ja gar nicht anwesend. Die Stubenfliege ist allerdings kein Stubenhocker. Sie ist gewandt und listig und greift jetzt zu einer ungewöhnlichen Maßnahme.

Zuhause hat die Stubenfliege eine tolle Entdeckung gemacht. Darüber wollte sie hier eigentlich berichten. Doch jetzt im Angesicht der Konkurrenz, zieht sie es vor, die Entdeckung dazu zu nutzen, die Gegner aus dem Verkehr zu ziehen.

Kurz bevor der Kongreßsprecher selbst als Vertreter der Blauen Schmeißfliegen zu berichten beginnen kann, wird er aufgerufen, wegen einer kleinen Panne kurz in die Vorratsräume zu kommen. Der Kongreßsprecher kündigt an, daß sich der heutige Vortrag um einige wenige Minuten verschiebt und die Gäste derweil noch zu einer Erfrischung greifen können. Sie könnten sich aber schon auf eine Überraschung freuen.

Bisher hatten alle Vortragenden nur über ihr Leben gesprochen. Bildliches trug keiner vor und ein echtes lebendes Beispiel hatte auch niemand mitgebracht. Das sollte sich allerdings ändern. Denn die Schmeißfliege selber war es, die mithilfe des Beispiels am lebenden Objekt den Preis für die interessanteste Fliegenart einheimsen wollte. Sie hatte bereits Tage vor dem Kongreß dafür gesorgt, daß sie im entscheidenden Moment Anschauungsmaterial zur Verfügung haben würde. Da Schmeißfliegen ihre Eier stets an Fleisch ablegen, egal in welchem Zustand sich dieses befindet, hatte die Schmeißfliege die Gelegenheit genutzt, ihre Eier auf einem rohen Schnitzel abzulegen. Dies wiederholte sie ein paar Tage später noch einmal. Aus den ersten Eiern waren nun bereits die Maden geschlüpft und hatten sich auch schon wieder verpuppt, während nach einem zweiten Angriff auf das Schnitzel, nun erneut vorzeigbare helle, längliche Eier zur Verfügung standen. Wenn das Glück der Schmeißfliege holt war, würde genau am Ende des Vortrags eines der verpuppten Kinder den Deckel seines Tönnchens mit seiner aufpumpbaren Stirnblase absprengen und als Fliege herauskommen. Das wäre sensationelles Anschauungsmaterial.

All diese Überlegungen waren der Stubenfliege nicht verborgen geblieben. War die Schmeißfliege während der Vortragspausen doch ständig zwischen Vortragshalle und Vorratsräumen hin und her geflogen. Die Stubenfliege war es dann, die dafür gesorgt hatte, daß die Menschen bemerkten, daß mit ihrem rohen Schnitzel etwas nicht stimmte. Sie hatte sich provokanterweise auf dem Schnitzel aufgehalten, so daß die Menschen sich dieses genauer ansahen und die Eier und die Maden entdeckten. Schnell war das Schnitzel im Müll gelandet.

Während nun die Schmeißfliege nach ihren Kindern in den verschiedenen Entwicklungsstadien fahndet und dabei den gesamten Vorratsraum absucht, besteigt die Stubenfliege das Sprecherpodest. Auf dem Platz hinter diesem Podest steht ein Tisch mit dem zu vergebenden Preis, einem kleinen Pokal. Aus den Augenwinkeln hat die Stubenfliege diesen registriert. Sie wendet sich nun dem Publikum zu, holt tief Luft und beginnt ihren Vortrag.

"Ihnen allen wurde ja bereits eine Überraschung angekündigt. Nun, ich bin die Überraschung. Ich, die Stubenfliege. Warum ich Anspruch auf den Preis für die interessanteste Fliegenart erhebe? Also, wir Stubenfliegen stehen den Menschen näher als andere Fliegen. Wir haben mit ihnen teils ein sehr inniges Verhältnis. Da nimmt es nicht Wunder, daß wir auch sehr viel von diesen Wesen lernen. Die Menschen sind ja richtige Riesen und in ihrer Art auch recht plump, nicht so feingliedrig wie unsereiner und auch nicht so feinfühlend. Aber sie sind wahre Pioniere auf dem Gebiet der Forschung. Sie haben einen Kasten entwickelt, mit dem sie unsereinen wohl nachahmen und ehren wollten - das glaubten wir zuerst. Denn diese Kästen summen teils genau wie wir. Bald bemerkten wir, daß diese Kästen gefüttert werden. Die Menschen schieben ihnen Speisen in den Rachen. Aber dann wurde uns klar, daß die Menschen ihre Speisen nicht mehr mit uns teilen wollten, wie sie es früher getan haben. An dieser Entwicklung sind bestimmte Fliegenarten - ich möchte hier allerdings keine Namen nennen, denn die entsprechende Fliege weilt gerade nicht unter uns ..."

Sogleich blicken sich alle Fliegenvertreter im Raum um und vermissen sofort den Kongreßsprecher, der die Schmeißfliegen vertritt. Aber die Stubenfliege läßt keinen Unmut aufkommen und fährt in ihrem Sinne fort.

"... nun bestimmte Fliegen haben uns in Verruf gebracht. Wir verflüssigen mal hier ein Klümpchen Zucker, daß wir dann aufsaugen und trinken mal dort ein Schlückchen Saft. Auch kraulen wir die Kinder der Menschen mit unseren Beinchen und halten sie damit ruhig. Das war den Menschen bislang immer recht. Niemand von uns würde es wagen, das Essen der Menschen zu vergiften oder ihnen auch nur den Appetit zu verderben. Doch im Laufe der Zeit unterschieden die Menschen nicht mehr zwischen uns und anderen Arten und versuchten uns mit ihren Kästen von ihren Nahrungsquellen fern zu halten. Allerdings sind wir Stubenfliegen nicht weniger begabt als die Menschen. Uns steht der Sinn ebenfalls nach Forschung. So haben wir herausgefunden, daß unsereiner sehr wohl auch in diesen Kästen überleben kann, da er voller leckerer Speisen ist. Sobald also der Kasten sich öffnet, fliegen wir hinein und nähren uns und gelangen beim nächsten Öffnen gleich wieder aus dem Kasten heraus."

Staunen zeigt sich in den Gesichtern der anderen Kongreßteilnehmer. Sie möchten auch gern einmal Bekanntschaft mit so einem Kasten schließen. Mit der Neugierde der anderen Fliegen hat die Stubenfliege gerechnet. Sie fliegt vorraus und setzt sich oben auf dem geöffneten Kühlschrank ab: "Nur hereinspaziert, nur hereinspaziert." Die Stubenfliege hat in den vergangenen Tagen herausgefunden, wann der Kasten sich öffnet und wann er verschlossen bleibt. Jetzt ist die Zeit der Öffnung. Unter gutem Zureden lockt die Stubenfliege die anderen Teilnehmer in den Kasten hinein. Sie selbst bleibt weiter oben auf dem Kühlschrank sitzen. Im Inneren stoßen die Fliegen auch auf die Schmeißfliege, die selbst hier nach ihrem Anhang sucht. Doch leider kann sie ihr Vortragsanschauungsmaterial nicht finden. Denn das von ihr bearbeitete Schnitzel ist längst in der Mülltonne gelandet. Dort versuchen die Maden sich zu verpuppen und die bereits aus den Tönnchen geschlüpften Fliegen aus der Mülltonne zu entkommen. Jedesmal wenn der Deckel angehoben wird, gelingt es ein paar wenigen Fliegen zu entkommen.

Auf der obersten Kante des Kühlschranks sitzt noch immer die Stubenfliege und zählt in ihrer Art - zuerst die Vorderbeine, dann nimmt sie die mittleren Beine und zum Schluß die Hinterbeine zu Hilfe, anschließend kehrt sie zu den Vorderbeinen zurück. Endlich schließt sich die Kühlschranktür, wo noch alle anderen Fliegen ihren Rundflug halten. Erst in einigen Fliegenbeinzählrunden wird die Tür wieder geöffnet werden. Damit hat die Stubenfliege ausreichend Zeit, sich den kleinen Pokal zu schnappen und nach Hause zu fliegen, wo sie schon sehnsüchtig erwartet wird.


In späteren Tagen wurde die Stubenfliege einmal gefragt, ob sie sich nicht sehr grausam ihren Artgenossen gegenüber gefühlt habe?

"Nein, wieso? Ich hatte alle Fliegen doch in das Schlafliegenland geführt. Dorthin, wo es genug zu essen gibt und wo es niemals dunkel wird, nicht einmal in der Nacht!", antwortete die Stubenfliege auf diese Frage und war stolz darauf, durch ihren Forscherdrang herausgefunden zu haben, daß es in den großen Kästen der Menschen niemals dunkel wird, solange sie summen. Das hatte die Stubenfliege am eigenen Leib erfahren. Sie fand es zwar ein wenig kühl in diesem Bau der Menschen, aber irgendwann öffnete sich ja wieder die Klappe und sie konnte das Schlafliegenland verlassen oder weiter darinnen bleiben.

Ob die Stubenfliege, denn jemals wieder an einem Kongreß der Fliegen teilgenommen habe, wurde sie noch gefragt. "Seit damals sind wir alle getrennte Wege gegangen. Fliege sieht sich, fliege grüßt sich, aber mehr ist nicht drin. Unsere Eßgewohnheiten sind ja auch viel zu verschieden, das mußte ich dann doch feststellen."

11. September 2009

Gute Nacht