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GUTE-NACHT/3070: Briefumschlag mit schwarzem Rand (SB)


Gute Nacht Geschichten

Hallo! Schön, daß ihr mich besuchen kommt, hier in meiner kleinen Kate. Kommt herein, zu einer Tasse Kakao oder lieber Tee? Ach so, ihr trinkt nichts mehr vor dem Schlafengehen und habt auch schon die Zähne geputzt. Na, dann kann ich euch wohl nur mit einer Geschichte erfreuen. Doch vielleicht wollt ihr mich lieber erst einmal kennenlernen, mich und meine Gefährten. Also gut.

Raute

Hier in diesem Häuschen mit seinem Strohdach wohne ich noch nicht lange. Meine Tante Edda hat es mir hinterlassen. Das war so. Eines Tages bekam ich einen Brief mit einem schwarzen Rand. Ich wußte gleich, daß jemand gestorben war. Denn dann bekommt man stets eine Karte oder einen Briefumschlag oder beides mit einem schmalen schwarzen Rand. Gleich dachte ich an meine Tante Edda, als ich den Briefumschlag öffnete. Denn sie ist, also war, die Älteste in der Familie.

Daß Tante Edda gestorben war, stimmte mich traurig. Aber noch mehr bekümmerte es mich, daß ich ihr so lange nicht geschrieben und die Besuche jedesmal hinausgeschoben hatte. Es gab einfach immer viel zu tun.

Neben der Trauerkarte steckte in dem Briefumschlag auch noch ein kleiner Zettel. Auf dem stand neben einer Telefonnummer nur: "Bitte rufen Sie mich an!" Das tat ich aber nicht. Erst nach ein paar Tagen - an meinem freien Freitagnachmittag - fiel mir der Briefumschlag mit dem schwarzen Rand beim Aufräumen wieder in die Hände und ich beschloß, doch anzurufen.

"Na endlich!", seufzte am anderen Ende der Leitung eine Stimme in den Hörer, "Sie müssen unbedingt kommen. Ich kann mich zur Zeit nicht länger um die Tiere ihrer Tante Edda kümmern, denn überübermorgen, also am Montag, komme ich ins Krankenhaus. Gut, daß Sie noch anrufen, ich habe nicht gewußt, wen ich sonst um Hilfe bitten könnte."

Sowas. Daran hatte ich ja gar nicht gedacht, als ich die Trauerkarte erhalten hatte. Tante Edda hat ja nicht allein auf dem Land gewohnt. Da gab es noch die Pferde, den Hund und die Katzen; im Sommer noch die Schwalben und Krähen und ab und zu ließ sich auch ein Mäuschen oder ein Maulwurf blicken. Wie konnte ich nur die Tiere vergessen? Gut, daß ich noch ein bißchen Urlaub von meiner Arbeitsstelle zu bekommen hatte. Den reichte ich gleich noch am selben Tag ein und ließ es nicht zu, daß mir mein Chef einen Strich durch die Rechnung zog. Nun überlegte ich, was ich bei mir zuhause noch zu erledigen hatte, wenn ich für ein bis zwei Wochen fortfuhr. Zuerst dachte ich an meine Blumentöpfe. Ich goß die Kakteen ein bißchen mehr als gewöhnlich. Das sollte schon genügen, bis ich allerspätestens in 14 Tagen wieder zuhause war. Denn noch länger würde der Nachbar meiner Tante sicher nicht im Krankenhaus liegen.

Nun räumte ich den Kühlschrank leer und aß alles auf oder packte es für die Reise ein, damit ich nicht nach meiner Heimkehr einen neuen Gast in meinem Kühlschrank vorfinden würde. Herr Schimmel schleicht sich nämlich gern in übrig gelassene Speisen ein, die tagelang herumstehen, selbst wenn die Speisen im Kühlschrank stehen.

So, jetzt brauchte ich nur noch meinen Koffer zu packen und ein bißchen aufzuräumen. Die Fahrkarte bekäme ich am nächsten Tag am Bahnhof. Hatte ich an alles gedacht? Nun, ich zog ja nicht um. Ich würde ja nur mal kurz verreisen. Wahrscheinlich konnte ich schon nach einer Woche wieder nach Hause.

Raute

Was meint ihr? Ach, ich sehe ja kaum noch eure Äuglein. Dann lasse ich euch besser schlafen. Von meiner Reise zu Tante Eddas Hof erzähle ich euch morgen, wenn ihr wieder hereinschaut.

10. November 2009

Gute Nacht