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GUTE-NACHT/3217: Der kleine Nachtwächter und der Dichter (SB)


Gute Nacht Geschichten

Des abends geht der kleine Nachtwächter durch die Straßen seiner Stadt und sieht nach, ob alles so ist wie es sein soll. Brennt in den Häusern noch Licht, obwohl bereits alle schlafen? Sind alle Kerzen ausgepustet, auf die keiner Acht gibt? Wurden die Haustüren und die Tore der Stadt verschlossen? Wenn all diese Fragen zur Zufriedenheit des kleinen Nachtwächters beantwortet werden können, führt er seinen Rundgang durch die Stadt auf der Stadtmauer weiter fort. Von da oben hat er gleich einen ganz anderen Überblick. Von hier schaut er nicht nur in die Straßen der Stadt hinein, sondern auch über die Stadtmauer hinaus, um zu erkennen, ob von außerhalb der Stadt Gefahr droht oder ob jemand Hilfe benötigt.

Wenn alles ruhig ist, setzt sich der kleine Nachtwächter auf ein dickes Faß für eine kurze Rast. Er holt sein Butterbrot hervor und hofft, jemanden zu entdecken, mit dem er es teilen kann. An diesem Abend braucht er nicht lange zu warten. Die rotweißgetigerte Katze, um die sich sonst niemand kümmert, ist schon zur Stelle. Um das Faß streicht sie herum und schnurrt. Der kleine Nachtwächter, der oben auf der Tonne sitzt, wirft ihr ein Stückchen vom Brot hinunter. Der Bissen wird sogleich verschlungen und schon maunzt die Katze wieder, um noch mehr zu bekommen.

"Nimm ruhig noch ein Stück. Ich bin heute gar nicht hungrig." Gedankenverloren bricht er ein Stückchen nach dem anderen ab und wirft es der Katze zu. Diese nimmt die Bröckchen gierig auf. Als aber kein Nachschub mehr zu erwarten ist, ist sie auch schon wieder verschwunden. "Ich hoffe, du hast genug", ruft der kleine Nachtwächter hinter der Rotweißgetigerten hinterher und denkt an die Mäuse, die sich jetzt besser verstecken sollten.

Nun wird es Zeit, daß auch der Nachtwächter zur nächsten Runde durch die Stadt aufbricht. Er will an dem kleinen Haus des Dichters vorbei. Vielleicht ist dieser noch wach. Meist schläft der Dichter am Tag und brütet deshalb in der Nacht über seinen Geschichten. Er schreibt so lange, bis ihm nichts mehr einfällt. Dann begibt er sich ebenfalls auf einen Streifzug durch die Stadt und so begegnen sich der Nachtwächter und der Dichter von Zeit zu Zeit. Meist aber treffen sie sich gar nicht. Es ist, als ob sie sich voreinander versteckten. Dabei laufen sie nur voreinander her, durch Straßenecken getrennt, so daß sie sich nicht sehen können. Dann ist jeder mit seinen eigenen Gedanken allein in der Nacht. Nur der Hahn auf dem Kirchturm ganz oben hat alle beide im Blick. Er schaut hinunter und weiß um die Wichtigkeit seines Amtes. Denn von hier oben, der Kirchturmspitze aus, dem höchsten Punkt der Stadt, weiß er wohl am besten Bescheid, über alles was vor Ort geschieht.


17. Juni 2010

Gute Nacht