Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/3291: Der kleine Nachtwächter sucht eine Bleibe für einen Gast (SB)


Gute Nacht Geschichten

Vergnügt beginnt der kleine Nachtwächter seinen Rundgang. Dabei hält er wie stets die angezündete Laterne in der einen und die Taschenlampe in der anderen Hand. Rebell, der schwarze Hund, folgt ihm wie jeden Abend, seit die beiden sich gefunden haben.

Der kleine Nachtwächter achtet auf alles Ungewöhnliche. Er beobachtet die Lichter, die nacheinander in den Fenstern der Häuser verlöschen, weil die Bürger der Stadt schlafen gehen. Hier und da bleibt aber auch mal ein Licht brennen. Dann überlegt der kleine Nachtwächter, ob der Dichter vielleicht gerade voller Ideen steckt und die Worte nur so auf sein Papier sprudeln oder der Tierarzt noch von einem Notfall Besuch bekommen hat. Ob der Mann oder die Frau über ihrem Buch eingeschlafen sind und das Licht nicht mehr ausknipsen konnten oder ob das Kind in seinem Zimmer ohne Licht Angst hat und nicht einschlafen kann. "Dabei passen wir doch wunderbar auf unsere Stadt auf, nicht wahr? Keiner braucht sich zu fürchten."

Wie zur Antwort vernimmt der kleine Nachtwächter ein Stimmchen. "Nicht zu fürchten? Ich soll mich nicht fürchten? Aber es ist doch so dunkel hier draußen und außerdem eisig kalt. Große weiße Steinbrocken, die vom Himmel herabhageln, können mich glatt umbringen." Der kleine Nachtwächter blickt sich um. "Wer spricht denn da?", fragt er. "Ja ja, unsereinen übersieht man gern und wenn nicht, dann setzt man uns gleich vor die Tür. Ist das nicht hundserbärmlich?"

Mit den Augen sucht der kleine Nachtwächter den Fußboden um sich herum ab. "Wo steckst du?", fragt er den Geheimnisvollen. Da gibt sich dieser zu erkennen. Er schreitet aus der Dunkelheit einer Spalte eines Holzbalkens heraus und tritt in den Schein der Laterne ein.

"Eine Spinne!", entfährt es dem kleinen Nachtwächter. Dann hängt er noch schnell ein "Guten Abend!" an, um es weniger unhöflich klingen zu lassen.

"Eine Spinne!", ahmt diese den kleinen Nachtwächter nach, "so nicht, nein so nicht! Denn schließlich bin ich Frau von Zitterspinne." - "Sehr erfreut", damit hofft der kleine Nachtwächter die Spinne freundlich zu stimmen." - "Wie sind sie denn hierher geraten?", möchte der kleine Nachtwächter wissen. Da holt die Spinne weit aus: "Den ganzen Sommer über wohnte ich in dem Haus hier. Niemand kümmerte sich um mich. Naja, ich habe auch ein bißchen nachgeholfen. Denn wenn ich glaubte, ich könnte erspäht werden, habe ich nur mein Netzt zum Schwingen gebracht und schon entschwand ich dem Blick der anderen. So entrinne ich mancher Gefahr. Aber jetzt bin ich entdeckt worden. Ein dunkles Ding wurde über mich gestülpt, und als ich dann wieder etwas sehen konnte, hockte ich hier auf der Schwelle. Ist das eine Art eine werdende Mutter hinaus zu werfen?"

Jetzt erst sieht der kleine Nachtwächter die kleine rosa Kugel bestehend aus bis zu zwanzig Eiern am Bauch der Spinne. "Tragen sie ihre Kinder denn immer bei sich?" - "Was soll ich machen, solange sie nicht geschlüpft und eigenständig sind?"

Der kleine Nachtwächter überlegt, wie er der Zitterspinne helfen kann. Bei sich zuhause in seinem Zimmer möchte er auch keine Spinne wissen und schon gar nicht, wenn diese 20 Kinder erwartet, die ja auch wieder zu großen Spinnen heranwachsen werden.

Da hat er eine Idee: "Wenn sie möchten, können sie vorerst in meiner Laterne wohnen. Sie dürfen bloß nicht an die Flamme der Kerze geraten. Bis ihre Kinder geschlüpft sind, finden wir sicher einen geeigneteren Platz." Frau Zitterspinne ist einverstanden und klettert sogleich in die geöffnete Laternentür. Auch Rebell hat nichts dagegen. Denn an die Laterne wagt er sich sowieso nicht heran. Insgeheim überlegt der kleine Nachtwächter, wo er die Laterne nun tagsüber lassen wird, denn mit in sein Zimmer will er sie nicht nehmen. Da könnte Frau Zitterspinne ja sonst ohne ihn einen Umzug planen.

12. November 2010

© 2010 by MA-Verlag - Nachtwächter