Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/3455: Knopf, Knöpfchen und Auge sind fest eingeschlossen (SB)



K N O P F ,   K N Ö P F C H E N   &   A U G E

sind fest eingeschlossen


Wie schon berichtet, Schwiegermutter wachte an diesem Morgen erst sehr spät auf. Vielleicht lag es an dem hypnotisierenden Blick, mit dem Auge Schwiegermutter in der vergangenen Nacht angestarrt hatte oder an den Geschichten, die Auge der alten Dame in ihre Träume hinübergeschickt hatte. Knöpfe und Augen von Teddys und Puppen können so einiges, von dem wir nichts ahnen! Schwiegermutters Blick streifte den Nachttisch und blieb an den drei Knöpfen hängen. Ihr fast schon vergessener Traum bahnte sich einen Weg durch ihre Gedanken und wollte sich Gehör verschaffen. Schwiegermutter blieb ruhig liegen und ließ den Traum zu Wort kommen. Ganz deutlich hörte sie in ihrem Kopf die Worte: "Bring mich zu Maria-Luisas Teddybären! Gehe nicht über Los! Ziehe nicht 4.000 Mark ein! Geh auf dem schnellsten Weg zu Maria-Luisas Haus! Sofort!"

Schwiegermutters Hand fuhr zum Nachttisch hinüber und griff sich die drei Knöpfe. Sie besah sie sich von allen Seiten und nickte. Ja, sie wußte jetzt, wohin einer der drei gehörte. Das Auge hatte im Traum zu ihr gesprochen. Die beiden anderen Knöpfe interessierten sie im Moment nicht. Aber sie behielt alle drei in ihrer Hand. Wie gebannt starrte sie die drei an und flüsterte: "Also zu Maria-Luisa wollt ihr! Abgemacht!" Schwiegermutter stand auf. Sie tappte herum wie in Trance. Sie zog sich an, ohne dabei die drei Freunde aus der Hand zu legen. Sie hatte nur noch einen Gedanken, sie wollte ihre Schwiegertochter sofort besuchen. Dort war auch ihre Enkelin Maria-Luisa. Ob sie wohl zuhause waren. Schwiegermutter wollte sich nicht lang mit diesen Überlegungen aufhalten. Sie konnte nicht einmal frühstücken, sondern wollte sofort aufbrechen. Was war nur los mit ihr? So hatte sie sich noch nie gefühlt.

Auge, Knopf und Knöpfchen lagen fest in Schwiegermutters Hand. Das war etwas unbequem, denn die alte Dame drückte sie ganz fest, so als dürfe sie keinen der drei verlieren. Sehen konnten die drei auch nichts. Es war stockfinster in der Hand. Aber sie hatten gehört, was Schwiegermutter gesagt: "Also zu Maria-Luisa wollt ihr? - Abgemacht."

Den dreien schlug das Herz gleich schneller - hatten sie denn überhaupt jeder ein Herz? Ein Herz, das Blut durch den Körper pumpt sicher nicht. Doch ein Herz, das fühlt, das hatten sie schon. Aber wichtig war jetzt nur, sie würden ihr Reiseziel sehr bald erreichen. Die Enge in der Hand war unerträglich. Doch sie würden es durchstehen. Auch die Feuchtigkeit, die sich langsam um sie herum ausbreitete - Schwiegermutter schwitzte -, würden sie überstehen, sie waren schließlich nicht aus Pappe.

Auge freute sich. Er hatte gar nicht gewußt, daß er über so starke Kräfte verfügte, Menschen etwas mitteilen zu können. Um so mehr hoffte er jetzt, daß alles glatt- gehen und er am Ende seinen alten Platz am Kopf von Teddy wieder einnehmen würde. Hoffentlich war der alte Teddy überhaupt noch am Leben? Jetzt bekam Auge doch Angst, Angst um den alten Teddybären! Angst, daß die ganze Reise umsonst sein könnte.

Knopf und Knöpfchen hätten sicher Auge gut zugesprochen, wenn es nicht so dunkel gewesen wäre und sie den ängst- lichen Ausdruck in Auges ganzer Erscheinung hätten sehen können. So aber war Knöpfchen damit beschäftigt, die eigene Angst zu überwinden. Er fürchtete von der fleischigen Hand erdrückt zu werden, und Knopf grübelte, wohin sie wohl bald geraten würden und was geschehen werde, sobald Auge Teddy findet und sie für immer verließ?

Während die drei Freunde so mit ihren Ängsten und Hoffnungen beschäftigt waren, hatte Schwiegermutter sich fertig angekleidet. Mit einer Hand klemmte sie sich nun den Telefonhörer zwischen Schulter und Kinn und wählte dann mit der gleichen Hand die Nummer ihrer Schwiegertochter. Die zweite Hand hielt sie noch immer fest verschlossen. "Mist", schimpfte Schwiegermutter. Am anderen Ende der Leitung tutete das Besetztzeichen. "Na, dann sind sie aber wenigstens zuhause." Die alte Dame legte den Hörer wieder auf, griff nach ihrem Schlüssel, öffnete die Haustür, trat ins Freie und warf die Tür mit einem heftigen Knall ins Schloß! Dieser Knall schien Schwiegermutter einen Denkzettel verpassen zu wollen. "Was mach' ich hier eigentlich an diesem schönen Sonntag? Renne einem Traum hinterher!" so sprach sie vor sich hin. Zum Glück hatte sie nur noch eins im Sinn. Sie war auf dem Weg zu ihrer Enkelin. Den Traum selbst hatten schon längst all die morgendlichen Geräusche und die Helligkeit des Sonnentages verschluckt. Hätte Schwiegermutter versucht, sich an den Traum zu erinnern, sie hätte keine Erinnerungsfetzen mehr gefunden und wäre vielleicht wieder umgekehrt. Den drei Freunden in ihrer Hand kam es vor wie finstere Nacht - nicht gerade eine

"Gute Nacht".
Knopf, Knöpfchen und Auge - Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick

zum 16. August 2011