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GUTE-NACHT/3524: Im Schuhschrank ist die Hölle los - Teil 19 (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

I m   S c h u h s c h r a n k   i s t   d i e   H ö l l e   l o s


Die Schuhe haben recht behalten. Den ganzen Tag über lief Mutter durch das Haus und suchte nach sämtlichen Schuhen. Hatte sie einen gefunden, warf sie diesen im Eingangsflur auf den Teppich und suchte dann weiter, nur einige von Vaters Schuhen ließ sie stehen.

Mittags als Toni und seine beiden Schwestern nach Hause kamen, hielt Mutter ihren drei Kindern erst einmal eine Predigt und stellte auch sie an, in ihren Zimmern und wo auch immer, all ihre Schuhe zusammenzusuchen.

Mutter fand ihre goldenen Pumps im Ständer zwischen den Zeitungen. "Wie kommen die denn hierher?" fragte sie sich verwundert. Ihre hochhackigen Schuhe fand sie sogar hinter dem Telefonregal und war nicht weniger verwundert. Doch am meisten wunderte sie sich, als sie ihre Wanderschuhe hinter der Toilette fand. Ob ihr Mann vorhatte, das feste Leder der Wanderschuhe doch noch weich zu kriegen mit ... - naja, sie wollte gar nicht daran denken.

Dann entdeckte sie irgendwann bei ihrer Suche auch die Stiefel und die schwarzen Herrenschuhe ihres Mannes. Doch sie ließ sie einfach stehen. Sollte ihr werter Gatte schließlich auch etwas zu suchen haben. Nichtsahnend kam dieser nach Hause. Beim Betreten des Eingangsflurs bekam er erst einmal einen Schock. "Was ist denn das für ein Schuhberg?" fragte er, "ist morgen Altkleidersammlung oder was?" Die beiden Schwestern kamen herbei, grüßten ihren Vater und verdrehten dabei die Augen. Das sollte heißen: "Vorsicht! Mutter ist total geladen!" Toni war nicht zu sehen. Er hatte sich lieber in seinem Zimmer versteckt, nachdem auch er seine Schuhe gesucht und in den Flur gestellt hatte. Heute morgen war er ohne seine geliebten Turnschuhe in die Schule gegangen. Die waren einfach nicht aufzufinden gewesen. So hatte Toni seine Gummistiefel angezogen. Zum Glück hatte es wie doll geregnet, sonst hätten Tonis Klassenkameraden ihn sicher ausgelacht. Gummistiefel sind eben nicht gerade cool. Wo waren aber seine Turnschuhe heute morgen abgeblieben? Sie waren vergangene Nacht durch die Katzenklappe der Kellertür geschlüpft, waren die Kellertreppe hinuntergestiegen, schön vorsichtig, denn es war dunkel, und hatten der kleinen Kellermaus einen Besuch abgestattet. Unter der Kellertreppe hatte Toni die beiden Ausreißer dann auch gefunden. Er konnte sich nicht erklären, wie sie dort hingekommen waren. Tessa jedenfalls war nicht der Übeltäter. Das wußte Toni genau. Seinen Hund hatte er viel zu gut erzogen. Sicher wollten seine Schwestern ihm einen Streich spielen.

Mutter hörte die Haustür und kam gleich angelaufen, um ihrem Mann die freudige Botschaft zu überbringen, daß er noch nach seinen Schuhen suchen sollte. "Heute ist doch nicht etwa Ostern oder Nikolaus?" fragte er lächelnd, um Mutter den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch Mutter verstand den Witz nicht und schimpfte nur über die vielen Schuhe - die vielen, dreckigen Schuhe -, ja, über die Unordnung überhaupt.

So, und da auf dem Teppich inmitten des Eingangsflurs liegen die Schuhe noch immer, alle übereinander. Der Absatz des hochhackigen Damenschuhs steckt diesmal im flotten Sportschuh. Die Sandalen halten sich noch immer mit ihren Riemchen umschlossen, sie wollen sich nicht verlieren. Die goldenen Schuhe stehen rechts und links neben dem Haufen.

Inzwischen hat Vater lieber mit der Suche seiner Schuhe begonnen, bevor noch der ganze Abend verdorben ist. Jetzt ruft Mutter zum Abendbrot. Die beiden Schwestern kommen die Treppe heruntergesprungen und wären beinahe über den Schuhberg geflogen - den hatten sie glatt vergessen. Toni kommt langsam hinter ihnen her. Er will erst einmal die Lage peilen. Dann sitzen alle beim Essen. Mutter verrät Vater, wo seine anderen Schuhe stehen, denn bei ihrer Suche, ist sie ja auch diesen begegnet. Die Stiefel fand sie rechts und links neben der Standuhr im Wohnzimmer und die schwarzen Lederschuhe steckten unter dem schwarzen Ledersessel - Vaters Lieblingsplatz. Es gibt Griesbrei heute abend. Wenn auch nicht alle Familienmitglieder Griesbrei mögen, so ist es heute wohl doch besser, das nicht zu erwähnen. Keiner will Mutter noch mehr reizen, sie kann nämlich manchmal ein richtiger Hausdrache sein.

"Und was hast du nun vor mit dem Schuhberg im Flur?" fragt Vater nach dem Essen. Diese Frage interessiert auch die Schuhe im Flur. Sie lauschen gespannt auf die Antwort. Glücklicherweise steht die Tür zur Küche offen. "Tja, jemand könnte die Schuhe ja mal putzen!" lautet die Antwort.

Da war er wieder dieser Jemand. "Ob er wohl inzwischen angekommen war?" fragen sich die Schuhe. "Pst", wispern einige, die weiter unten im Schuhberg liegen und nicht alles so gut verstehen können. Dann wird es wieder still im Flur.

"Die sind doch schon soo alt." - "Und passen tun sie auch nicht mehr. Ich brauche dringend neue!" beschweren sich die beiden Schwestern. Toni sagt lieber nichts, sonst wird er wohl wieder alles alleine machen dürfen. "Also zuerst einmal werden wir nachschauen, welche Schuhe keinem mehr passen, kaputt sind oder einfach nicht angezogen werden. Die Kaputten kommen in den Müll! Die anderen für uns Unbrauchbaren kommen in die Kleidersammlung. Jedenfalls stecken wir sie in Säcke und stellen sie vor die Tür!"

Toni darf Abwaschen. Für ihn gibt es eh nur seine Hausschuhe, die hat er an, seine kleinen Turnschuhe und die Gummistiefel. Beide Paare stellt Mutter ins Schuhregal. Dann suchen die Schwestern ihre Schuhe heraus. Kaputt sind eigentlich keine davon. Doch zwei Paar passen nicht mehr. Und da Toni bestimmt nie die Schuhe seiner Schwestern anziehen wird, werden die zwei Paar in den Altkleidersack gesteckt. Es sind die flotten Sportschuhe und die noch immer umschlungenen Sandalen. Mutter sortiert ihre goldenen und ihre hochhackigen Schuhe aus, sie will sich unbedingt neue kaufen. Vater will seine Stiefel und seine schwarzen Halbschuhe noch behalten, obwohl er sie schon lange nicht mehr anzieht. Denn irgendwie hängt er an seinen eingelaufenen Schuhen und warum muß auch immer gleich alles neu gekauft werden, das kostet doch nur eine Menge Geld und dieses will erst einmal verdient werden.

Mutter aber hält ihm zwei neuere Paare unter die Nase und meint: "Diese hier hebe ich dir auf und stelle sie ins Schuhregal. Die Stiefel und die schwarzen Halbschuhe haben längst ausgedient. Die kommen in den Sack. Sieh nur, die Absätze sind schon schiefgelaufen." Vater will endlich Feierabend haben und so gibt er nach. 'Warum diese ganze Aktion, wenn meine Gattin doch immer ihren Kopf durchsetzt', doch das denkt Vater sich nur, sonst würden sie noch die ganze Nacht Schuhe betrachten. Endlich sind alle Schuhe sortiert und im Schuhregal oder im Altkleidersack gelandet. Die beiden Schwestern haben sich schon längst wieder auf ihr Zimmer begeben. Toni aber ist mit dem Abwasch noch immer nicht fertig. Vater dagegen sitzt schlapp in seinem schwarzen Lieblingssessel aus Leder, während Mutter unbeobachtet die Gelegenheit nutzt, auch ihre neuen Wanderschuhe in den schon vollen Altkleidersack zu stecken. Dann braucht sie mit Vater nicht mehr in die Berge zu fahren.

"Wo bleibst du denn?" ruft Vater auf den Flur hinaus. "Ich stelle nur noch den Sack vor die Tür! Sonst hilft mir ja doch keiner!" Den letzten Satz hat Mutter lieber zu sich selbst gesprochen, sonst entdeckt Vater vielleicht doch noch ihre neuen Wanderschuhe im Sack.

Da steht er nun - der Altkleidersack -, vor der Haustür. Doch bevor Mutter zu Bett geht, holt sie den Sack doch lieber wieder herein und stellt ihn auf die Kellertreppe. Sie will ganz sicher gehen, daß Vater die Wanderschuhe auch wirklich nicht im Sack entdeckt, wenn er morgen früh zur Arbeit fährt. Morgen dann wird sie den Sack wieder hervorholen und ihn persönlich in einen Altkleidercontainer werfen.

"So, das ist eure letzte Nacht in diesem Haus", flüstert Mutter den Schuhen im Sack zu. Einen lieben Gruß hat sie allerdings nicht für die in ihren Augen ausgedienten Schuhe. Deshalb sagt sie nicht:



zum 5. Februar 2012