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GUTE-NACHT/3540: Eine außergewöhnliche Bande - Teil 15 (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

Eine außergewöhnliche Bande



In der Nacht, als die Schuhe weiterziehen wollen, kommt es zwischen der Sandale und den anderen Schuhen zum offenen Streit. Während die Schuhe mehr oder weniger gern den kleinen idyllischen Platz wieder verlassen wollen, ist die einzelne Sandale allein der Ansicht, hier sei ein Dienst der Freundschaft und Treue von Nöten.

"Noch nie hat mich die rechte Sandale im Stich gelassen", verteidigt die linke Sandale die Abwesenheit ihrer Schwester, "da muß etwas geschehen sein. Ihr ist bestimmt etwas Furchtbares zugestoßen." - "Was soll ihr schon zugestoßen sein", meint einer der Badelatschen, "Sandalen sind doch wie wir eher Luftikusse, die gern mal hierhin und dorthin ein Auge werfen." - "Und dann im Müllkorb landen", kontert die linke Sandale, "nein, so eine ist die rechte Sandale nicht. Deshalb werde ich auch hierbleiben, falls meine Schwester wiederkehrt."

"Hast du schon einmal mit dem Gedanken gespielt, daß deine bessere Hälfte vielleicht nie mehr zu dir zurückkehrt?", fragen die Stiefel, die die Sandale hier nicht so gern allein zurücklassen wollen. Die Sandale nickt: "Zwar fällt es mir schwer, diesen Gedanken zuzulassen, doch ja, ich habe mir auch diese Möglichkeit vor Augen gehalten. Darum steht mein Entschluß fest, ich ziehe nicht mit euch." - "So soll es denn dann sein", erklären die Stiefel sich geschlagen gebend, "wir ziehen also ohne dich los. Aber sollten wir wieder hier in der Gegend sein, werden wir nachschauen, was aus dir und deiner Schwester geworden ist."

Etwas traurig nickt die einzelne Sandale und blickt den Schuhen hinterher, die sich jetzt in Bewegung setzen. Ob ihre Entscheidung die richtige war? Das wagt die Sandale schon jetzt zu bezweifeln. Eigentlich hatte sie auch gehofft, mit ihrem Entschluß die anderen zum Bleiben zu zwingen. Doch da hatte die Sandale sich ins eigene Leder geschnitten - sozusagen.

Die Stiefel führen den Zug der Schuhe wieder einmal an. Das Schlußlicht bilden die durchlöcherten Herrenschuhe. Als der Zug sich in Bewegung gesetzt hat, bleiben sie noch einmal stehen und drehen sich zur Sandale um. Dann flüstern sie, damit die anderen Schuhe nicht hören, was sie der Sandale zu sagen haben: "Wir haben versprochen, die anderen Schuhe zum Obdachlosenheim zu führen. Dies werden wir auch erledigen. Wir halten unser Wort. Doch dann werden wir zu dir zurückkehren. Denn wir haben dich sehr gern." Weiter sagen die Herrenschuhe nichts und folgen nun dem Zug der Schuhe.

Tja, das ist eine Überraschung für die eine Sandale. Warum hatten die Herrenschuhe nicht schon zuvor etwas derartiges ihr gegenüber verlauten lassen. Sicher hätte die Sandale ihnen gar nicht zugehört, diesen kaputten, alten Schuhen. Doch jetzt in der Not der Alleingelassenen sieht die Sandale das mit anderen Augen und wünscht, die Herrenschuhe wären bereits jetzt hiergeblieben. So ganz allein in der Nacht ist es hier an diesem Ort doch ein wenig unheimlich. Deshalb klettert die Sandale hinauf in das Baumhaus, um der Gefahr nicht so dicht ausgesetzt zu sein und um den anderen noch eine Weile hinterherblicken zu können, soweit das in der Nacht überhaupt möglich ist.

Als die Sandale die anderen Schuhe in der Dunkelheit nicht mehr wahrnehmen kann, kauert sie sich in eine Ecke des Baumhauses. Dort liegt ein alter Lappen, unter den sich die Sandale verkriecht. Denn sie hat mächtig Angst. Es ist nicht leicht, so allein gleich Schlaf zu finden. Wäre sie doch nur mit den anderen gezogen. Doch jetzt traut sie sich nicht mehr ihnen zu folgen, geschweige denn wieder hinunter auf die weiche Matratze zu steigen. Gut, daß sie hier wenigstens ein Versteck unter dem alten Lappen gefunden hat.

Plötzlich schießt es der Sandale wie ein Gedankenblitz durch den Sinn. Vielleicht hatte ihre Schwester ja auch so ein Versteck gesucht. Sie hatte zwar keinen Lappen, aber vielleicht die Matratze als Versteck genommen. Jetzt traut sich die Sandale nicht, das Baumhaus wieder zu verlassen. Aber gleich morgen früh, will sie unter der Matratze nachschauen. Denn dort hat wohl noch keiner nach ihrer Schwester gesucht. Damit der nächste Morgen schneller herbeieilt, will die Sandale sofort einschlafen und spricht sich noch etwas Mut zu. Sie wünscht sich selber eine:

"Gute Nacht"



zum 16. März 2012