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GUTE-NACHT/3613: Die Weihnachtsbriefe (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

Die Weihnachtsbriefe

Den Nachmittag verbringt Enna bei ihrer Oma Berenieke. Bereits beim Eintreten riecht Enna die frisch gebackenen Plätzchen. "Komm schnell herein. Auf dem Tisch steht schon der Kakao", läd Oma Berenieke ihre Enkelin ein. Auch ein Teller mit Keksen steht bereit. Enna freut sich, diese schon vor dem Weihnachtsfest kosten zu dürfen. Zuhause backt Oma Lucie auch jede Menge Weihnachtsplätzchen. Aber die verschwinden fast alle in den silbernen Keksdosen, die erst an den Festtagen ihren Inhalt preis geben werden.

Oma Berenieke und Enna wollen basteln. "Ich brauche noch ein Geschenk für Opa", sagt Enna, "was könnte es bloß sein?" Enna überlegt. Dann hat sie einen Gedanken: "Oma, hast du Stoff? Ich möchte Opa eine Krawatte ausschneiden."

"Eine Krawatte?", stutzt Oma, "wie kommst du denn auf diese Idee. Schließlich habe ich Egbert noch nie mit einer gesehen!" - "Siehst du, Oma, und deshalb braucht Opa ja eine." - "Also gut, schauen wir mal, was wir für Stoffreste haben", mit einer Handbewegung läd Oma das kleine Mädchen in ihr Nähzimmer ein.

Da gibt es allerhand Stoffbahnen und viele Stoffreste. Enna sucht sich einen schönen gelben Streifen aus, auf dem sich kleine Enten tummeln. Doch Oma Berenieke glaubt nicht, daß Opa von so einem bunten Stoff begeistert sein wird. "Aber Opa mag Enten", verteidigt Enna ihre Wahl. Oma Berenieke schlägt vor: "Such ruhig noch ein bißchen weiter. Vielleicht findest du ja noch ein Muster, das zu Opa paßt. Ich suche inzwischen nach einer alten Krawatte, die wir als Muster zum Ausschneiden verwenden können."

Als Oma zurückkommt, hat Enna noch zwei weitere Stoffreste zur Auswahl auf den Tisch gelegt. Der eine Stoff ist knallrot, der andere ist grün mit schwarzen Streifen. Oma legt eine dunkelblaue Wollkrawatte daneben. "Die ist aber schön", findet Enna, "und sie sieht aus wie neu." - "Du kannst sie haben", erlaubt Oma Berenieke. "Aber ich will doch selber etwas machen. Und eigentlich möchte ich Opa eine Entenkrawatte ausschneiden", bleibt Enna bei ihrer ersten Meinung. Da hat Oma Berenieke eine Idee: "Was hälst du davon, wenn du die Wollkrawatte nimmst und ihm eine Ente darauf stickst?" - "Prima!", freut sich Enna über Omas tolle Idee.

Also holt Oma Berenieke ihr Stickgarn heraus und eine Nadel. Enna darf mit Schneiderkreide eine Ente auf die blaue Krawatte aufmalen. Dann bekommt sie Nadel und Faden und kann loslegen, die Vorzeichnung mit kleinen Stichen auszufüllen. Das ist für Enna nicht allzu schwierig. Oma Berenieke hat ihr schon vor einiger Zeit einige der Grundstiche beim Sticken gezeigt.

"So", beginnt Oma Berenieke, "während du jetzt die Ente ins Leben rufst, hole ich meinen Federhalter und das schöne Papier und schreibe ein paar Weihnachtsbriefe." Enna verbessert: "Du meinst Weihnachtskarten wie Oma Magda!" - "Nein, Enna, ich meine Weihnachtsbriefe. Es ist in unserer Familie schon immer Tradition gewesen, daß wir - meine Eltern, die Geschwister und ich - uns gegenseitig zu Weihnachten lange Briefe geschrieben haben. Dahinein schreiben wir alles, was wir schon das ganze Jahr über dem anderen mitteilen wollten und es nie geschafft haben. Wir schreiben auch über Dinge, die wir im nächsten Jahr miteinander vorhaben. Am wichtigsten dabei ist, daß der Inhalt des Briefes aus unseren Herzen spricht. Auch wenn meine Eltern und Geschwister schon nicht mehr leben, ich halte an dieser Tradition fest." Enna staunt.

Als Oma Berenieke ihre Enkelin später nach Hause bringt und sich an der Haustür bereits wieder verabschiedet, fragt Enna vorsichtig: "Schreibst du mir bitte auch einen Weihnachtsbrief?" Oma Berenieke nickt gerührt. Enna winkt Oma zu sich herunter, so wie sie es immer für einen Abschiedskuß tut. Diesmal aber gibt es keinen Kuß, sondern ein geflüstertes Versprechen, daß auch Oma Berenieke in diesem Jahr wieder einen Weihnachtsbrief erhalten wird.

Gute Nacht


zum 11. Dezember 2012