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GUTE-NACHT/3667: Die Wohnung ist zu voll (SB)



Großmutter erzählt eine Geschichte:

Im Zimmer im ersten Stock sitzen die beiden Schwestern, trinken eine Tasse Tee und überlegen, was zu tun ist. Es sollte eigentlich nur eine Reise von zwei Wochen werden. Doch jetzt haben die Eltern beschlossen, im Ausland zu bleiben, und die beiden Töchter möchten sich doch bitte um die Auflösung des Hausstandes kümmern. So steht es in dem letzten Brief. Genaueres wollen die Eltern noch telefonisch mitteilen.

Minni und Bieni, die Kinder einer der Schwestern und gleichzeitig auch die einzigen Enkelkinder der verreisten Großeltern, sind mitgekommen. Sie spielen im Garten und besuchen alle Ecken, in denen sie mit Oma im vergangenen Sommer Abenteuer erlebt haben. Sie ahnen es wohl schon, daß sie Oma und Opa nicht so bald wiedersehen werden.

"Mir ist kalt", stellt Minni fest und will zurück ins Haus. Bieni aber sucht erst noch die Pflanze auf, die in dem alten Feuerkorb eigentlich hätte gar nicht wachsen können. Doch sie tut es und ist sogar noch ein Stückchen größer geworden. Dann läuft der kleine dreijährige Junge hinter seiner Schwester ins Haus.

Inzwischen haben die beiden erwachsenen Schwestern entschieden, daß sie mit der Kleidung der Eltern beginnen wollen. Sie sollen großzügig verfahren, nur die besten Sachen aufheben und für die Eltern bereit stellen. Alles andere können sie verkaufen oder in die Altkleiderkammer geben. Maya nimmt sich die Sachen ihres Vaters und Luisa die ihrer Mutter vor. Die Kinder spielen währenddessen im Treppenhaus Fangen. Mama steckt den Kopf in den Flur. "Seid vorsichtig!", ruft sie und zieht sich gleich wieder ins Schlafzimmer zurück.

"Komm", sagt Minni, "wir gehen in die Bibliothek. Bieni ist begeistert. Denn eigentlich hatte Oma immer nur mit Minni in der "Bibliothek" gespielt. Schnell sind die Kinder in dem Zimmer unter dem Dach, das wie eine Art Geheimgang die zwei Haushälften miteinander verbindet. Es handelt sich bei dem Haus um eine alte Schule. In dem einen Teil hatten stets die Lehrer ihre Wohnräume, in dem anderen waren das Klassenzimmer, der Bücher- und Kartenraum und die Toiletten untergebracht. Heute ist die Schule nur noch ein gewähnliches Wohnhaus für zwei Familien. Doch das Verbindungszimmer unter dem Dach ist für Minni und Bieni wie ein Geheimnis. Dieser Raum erinnert nicht mehr an die Schule, obwohl hier viele Bücher untergebracht sind.

Hier oben haben die Großeltern alle Kinderbücher, die ihnen in die Hände fielen, aufgehoben - von ganz alten gebundenen Ausgaben und sogar noch in alter Schreibweise bis hin zu den neuesten Taschenbuchausgaben und Bilderbüchern. Auch Hefte von Lurchie sind darunter und die ganz kleinen Pixie-Bände. Minni und Oma spielten immer, sie würden in einem Buchladen wohnen, dort arbeiten und Bücher an Kunden verkaufen. Mal war Minnie die Kundin, mal Oma.

Heute ist Bieni der Kunde. Minni empfiehlt ihm Pappbilderbücher. Aber Bieni möchte ein richtiges Buch mit dünnem Papier und vielen Bildern. Minni sucht ihm eines mit einer Lokomotive heraus und eines mit Autos. Bieni ist begeistert. Nun klettern beide Kinder die Stehleiter hoch, um oben auf dem Kartonberg, dessen Kisten alle voller Bücher sind, auf der dort liegenden Matratze ein Nickerchen zu genießen, um dann einen neuen Tag willkommen zu heißen und weiter Einkaufen zu spielen.

Unten im Flur hören sie Mama ihre Schwester fragen: "Wo stecken denn meine beiden Kleinen?" - "Ich hab sie nicht gesehen," entgegnet diese, "aber kannst du mir mal kurz helfen?" So geht Mama mit.

"Wollen wir uns hier oben verstecken?", lacht Minni ihren Bruder an. "Mama sucht?", fragt Bieni in seiner nur für Minni und Mama verständlichen Sprache. "Ja", antwortet Minni. Die Kinder auf ihrem Hochbett aus Büchern ziehen sich die dort liegende Decke über den Kopf und verhalten sich mucksmäuschen still. Einige Zeit vergeht und während die Kinder noch immer auf das Rufen von Mama warten, fallen ihnen die Augen zu und sie schlafen wirklich ein. Es war auch ein langer Tag.

Gute Nacht!

2. Januar 2020


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