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KALENDERGESCHICHTEN/084: 12-2017 - Der kleine Dschinn - nach Hause ... (SB)


Kellerassel Marita und der Kellerassel-Dschinn stehen vor dem riesigen Schlosstor, links davon ein mächtiger Steinlöwe - Buntstiftzeichnung © 2017 by Schattenblick

Als der kleine Dschinn der Kellerassel Marita vierzehn bunte Schuhe an ihre Füßchen zauberte, um ihr zu gefallen, da wurde sie misstrauisch und stellte ihn zur Rede. Sie wollte wissen, wer er in Wirklichkeit sei, und vor allem w a s er ist und wohin er gehen wollte. Und sie duldete keine weiteren Ausreden.

Der kleine Dschinn fühlte sich gar nicht wohl. Nun musste er Marita die Wahrheit über sich sagen, und er fürchtete sich davor, dass sie ihn verlassen würde, wenn sie erfuhr, dass er ein Dschinn war. Das wäre wirklich schlimm für ihn, denn er hatte sich in sie verguckt, ja, er hatte sie schrecklich lieb gewonnen. Nach langem Zögern entschloss er sich doch, ihr die Wahrheit zu sagen, aber er wollte es ihr ganz behutsam erklären.

"Also, ich will dir sagen, wer ich bin, aber du darfst nicht lachen und auch nicht weglaufen, versprochen?", begann er seine Rede.

"Weglaufen? Vor dir? Warum sollte ich das tun? Aber gut, ich verspreche dir, hier stehen zu bleiben und mir alles anzuhören."

"Ich bin ein Dschinn!", platzte er heraus.

"Ein was?", staunte Marita.

"Na ja, ein Dschinn, eben. Sag' bloß, du hast noch nie etwas von den Dschinn gehört?", wunderte er sich.

"Nein, oder ja, ich weiß gar nichts darüber. Ist es etwas Schlimmes? Sind Dschinn gefährlich?" Die Kellerassel Marita war sich im Moment gar nicht mehr so sicher, ob sie nicht doch lieber das Weite suchen sollte. Aber sie hatte versprochen, nicht davonzulaufen.

"Nein, das ist überhaupt nicht schlimm, sondern toll, ganz einfach total toll", gab er ihr begeistert zu verstehen.

"Aber, aber, du bist doch eine Kellerassel wie ich auch, das sehe ich doch. Ich gebe zu, es ist viel Merkwürdiges geschehen, seit du aufgetaucht bist." Marita dachte an die bunten Schuhe an ihren Füßen, die plötzlich wieder auf geheimnisvolle Weise verschwanden oder an den großen Kater, der auch ganz plötzlich nicht mehr zu sehen war und überlegte laut weiter: "Aber du warst die ganze Zeit bei mir." - "Und du bist und bleibst eine Kellerassel", beharrte Marita, "und dazu noch eine ziemlich nette, auch wenn du dich etwas merkwürdig benimmst."

Das schmeichelte dem kleinen Dschinn und gab ihm neue Hoffnung, dass sie ihn auch lieb habe. Er stellte sich vor sie hin, ganz nah und flüsterte ihr ins Ohr: "Möchtest du, dass ich dir beweise, dass ich ein Dschinn bin?"

"Ja, sicher, nur zu!"

"Das ist aber nicht so einfach, wie du vielleicht denkst, denn Dschinn sind für andere unsichtbar. Sie können Fremden nur in Gestalt von Lebewesen oder Gegenständen erscheinen. Aber niemand könnte je erraten, dass sich dahinter ein Dschinn verbirgt", erklärte er der Kellerassel.

"Du meinst, ich sehe dich als meinesgleichen und doch bist du jemand anderes?", wollte Marita wissen.

"Ja, genau. Ich könnte mich in den Kater verwandeln, der dir aus der Patsche geholfen hat. Das war nämlich ich. Als ich deine Stimme hörte, war ich ganz betört und wollte nur noch bei dir sein. Deshalb habe ich mich schnell vom Kater in eine Kellerassel verwandelt. Soll ich es dir vormachen?"

"Nein, nein, nein, das ist mir zu unheimlich, ich möchte, dass du so bleibst wie du bist", verlangte sie.

"Ist ja gut. Ich habe eine andere Idee. Sag mir einfach, was du dir am meisten wünscht", forderte er Marita auf.

Aber die Kellerassel schwieg. Entweder fiel ihr nichts ein oder sie war viel zu bescheiden, um sich etwas zu wünschen. Der kleine Dschinn wusste nicht recht, wie er sich nun benehmen sollte. Er überlegte, über was sich Marita wohl freuen würde und dann fasste er einen Entschluss. Als er sich vor langer Zeit in ein dickes Märchenbuch verwandelt hatte, vertrieb er sich die Zeit damit, die Märchen zu lesen. Große prunkvolle Schlösser tauchten darin immer wieder auf. Dort lebten dann Prinz und Prinzessin glücklich bis an ihr Ende und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. "Ja", dachte sich der kleine Dschinn, "was für eine Prinzessin gut ist, passt doch wohl auch prima für Marita!" Flugs zauberte er ein Märchenschloss direkt vor ihre Nase. Es war riesig und wunderschön, aber das plötzliche Erscheinen versetzte die arme Kellerassel in Angst und Schrecken. Sie rannte fort, so schnell sie ihre Füßchen trugen, irgendwo hin, nur fort von diesem Ort.

"Marita, warte doch, bitte, lauf' nicht weg. Sieh', das Schloss ist verschwunden, du brauchst dich nicht mehr zu ängstigen", rief der kleine Dschinn ihr hinterher und versuchte sie einzuholen. "Ich dachte, du freust dich. In Märchenbüchern sind alle ganz erpicht darauf, in einem Schloss zu wohnen."

Marita blieb ganz plötzlich stehen, so dass der kleine Dschinn seinen Lauf nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und gegen ihr Hinterteil stieß.

"Aua, verdammt", schimpfte Marita, "das tat weh - und was redest du da wieder für ein Unsinn? Märchen, Schloss und so, was soll das alles bedeuten? Du bist mir unheimlich!"

"Ich wollte dir eine Freude machen und dir damit auch beweisen, dass ich ein Dschinn bin. Wir Dschinn können nämlich alles tun und lassen, was wir wollen, können uns in was auch immer verwandeln und alles herbei zaubern, was uns grad so einfällt. Ich dachte, dass ein Schloss gerade gut genug sei für eine so liebe Freundin wie dich", versuchte er es Marita zu erklären.

"Jam, jam, jam, d, d, du, du bist wirklich sehr seltsam. Was soll ich denn in einem Schloss? Das ist doch viel zu riesig. Ich bin froh, wenn ich mich irgendwo verkriechen kann, wo es dunkel und etwas feucht ist und ich möglichst nicht entdeckt werden kann!" Marita war nicht mehr böse oder verärgert und ihre Stimme klang wieder ganz so wie der kleine Dschinn es liebte.

"Ja, dann, das war wohl ein dummer Gedanke, den ich da hatte. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Aber sag' mal, stimmt das, dass du gern im Dunklen lebst?"

"Ja sicher!", das habe ich dir doch erzählt oder vergaß ich es zu erwähnen, als ich dir von meinem Zuhause vorschwärmte?" Dann sagte sie lange gar nichts mehr und sah ihn nur an. Der kleine Dschinn war etwas verlegen, traute sich aber auch nicht, die Stille zu unterbrechen. Dann flüsterte sie: "Du hast mich doch gefragt, was ich mir wünsche und nun würde ich es dir gern verraten."

"Oh ja, sag' nur", bat er sie und war gespannt wie ein Flitzebogen.

"Ich wünsche, ich jam, jam, jam, w, w, wün, wünsche mir ...", dann stockte sie, "ach, ich trau' mich nicht, das zu sagen."

Der kleine Dschinn war etwas enttäuscht, aber mutig nahm er den Gedankenfaden wieder auf. "Sie lebt gern in einem sicheren Versteck in dem es dunkel ist. Da wäre doch mein Dschinn-Zuhause genau richtig. Jetzt muss ich sie nur noch fragen, ob sie mit mir kommen möchte." Er fasste all seinen Mut zusammen: "Marita, weißt du, wo ich wohne und wie ich lebe?"

"Nein, natürlich nicht, ich weiß ja nicht einmal was ein Dschinn wirklich ist, wie soll ich da wissen wie und wo Dschinn hausen?", empörte Marita sich.

"Stimmt, ja, ich vergaß. Also ich lebe im Geheimen, im Dunklen und in Sicherheit, total versteckt, unsichtbar für alle." Noch bevor sie etwas dazwischen sagen konnte, redete er hastig weiter: "Und ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, mit mir zu kommen?"

Erleichtert, dass er es nun endlich gefragt hatte, aber auch aufgeregt, weil er nicht wusste, was sie antworten würde, blieb er völlig erstarrt stehen und blickte sie voller Sehnsucht an. Sie strahlte über ihr ganzes Kellerasselgesicht und lachte, lachte so herzlich, dass der kleine Dschinn aus lauter Unsicherheit schüchtern grinste und sich fragte, was ihr Lachen zu bedeuten hatte.

"Oh, ja, das würde ich gern. Nun kann ich dir auch meinen Wunsch verraten. Ich wünschte, du würdest nie mehr fortgehen. Du bist zwar ein komischer Kerl, aber ich mag dich sehr."

Beide freuten sich und begaben sich alsbald auf den Weg, der allerdings für Kellerasselfüße sehr, sehr weit werden und sehr lange dauern würde. Als der kleine Dschinn jetzt vorschlug, sie beide einfach dorthin zu zaubern, war Marita sofort einverstanden. Denn fortan wollte sie alles kennenlernen, was der kleine Dschinn konnte und sie wollte wissen, wie seine Dschinn-Familie sie aufnehmen würde.

Nun, sie wurde zunächst vorsichtig beschnuppert, schließlich kam es nicht oft vor, dass ein Wesen aus einer anderen Welt ihnen einen Besuch abstattete. Als aber der kleine Dschinn, der Marita zuliebe immer noch die Gestalt einer Kellerassel beibehielt, den Dschinn seine ganze Geschichte erzählte, wie er immer wieder aufs Neue versucht hatte, zurück nach Hause zu kommen, er aber nie jemanden getroffen hatte, der ihn so lieb hatte, dass er ihm gefolgt wäre, bis er, ja bis er endlich auf Marita traf, die ihn wirklich gern ins Dschinnreich begleitete. Die alten Dschinn freuten sich darüber, dass der waghalsige und leichtsinnige Ausflug ihres Jüngsten ein gutes Ende genommen hatte und der kleine Ausreißer heimgekehrt war.

Der kleine Dschinn wandte sich an die Kellerassel Marita und fragte sie, ob sie auch ein Dschinn werden wollte, dann könnten sie für alle Ewigkeiten zusammenbleiben. Na und ob sie das wollte. Und so lebten sie denn glücklich als Dschinn. Gemeinsam unternahmen sie so manchen aufregenden Ausflug in andere Welten - und diesmal erhielten sie auch den Schlüssel, um immer wieder geschwind nach Hause zu gelangen.

Ende

zum 1. Dezember 2017


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