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FRAGEN/015: Die peruanische Fluxus-Künstlerin und Feministin Daniela Ortiz über Kunst und Militanz (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Peru
"Ich versuche, in Bilder umzusetzen, wovon es keine Bilder gibt"

Von Camila Parodi, César Saravia und Maru Waldhüter



Die Künstlerin vor einem Mikrofon - Foto: MACBA via flickr, CC BY-SA 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Daniela Ortiz im Interview mit Ràdio Web Macba
Foto: MACBA via flickr, CC BY-SA 2.0
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Fluxus-Künstlerin (*) Daniela Ortiz über Kunst und Militanz, über NATO-Kriegspolitik und antirassistischen Widerstand in Lateinamerika und Europa.

(Lima, 7. Juli 2022, Marcha) - Die peruanische Fluxus-Künstlerin und Feministin Daniela Ortiz ist in antikolonialen und antirassistischen Bewegungen aktiv und kämpft für die Rechte von Migrant*innen. Sie lebte mehrere Jahre in Spanien. Das Interview führten Camila Parodi, César Saravia und Maru Waldhüter.

Im Alter von 21 Jahren beschloss Daniela, in Spanien zu leben. "Mein Bild von Europa war damals stark idealisiert. Schuld daran ist unsere koloniale Weltsicht, die uns an die Überlegenheit Europas gegenüber dem globalen Süden glauben lässt." Dieses Bild verflüchtigte sich schnell, als Daniela von der Gewalt an den Grenzen, den Abschiebungen und der Verfolgung Tausender Migrant*innen aus lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern erfuhr. Daniela engagierte sich in Migrant*innenorganisationen und setzte sich für die Schließung der Abschiebegefängnisse ein. Nach der Geburt ihres Babys gründete sie zusammen mit anderen Migratinnen die Initiative "Madrecita", die gegen den Entzug des Sorgerechts als eine Form der Gewalt gegen migrierende Menschen mit Kindern kämpft. Vor zwei Wochen ging das Massaker an mindestens 37 Migranten an der von Marokko bewachten spanischen Grenze in Melilla durch die Presse. Offensichtlich kein Unfall, sondern Ergebnis einer Politik, die auf institutionalisiertem Rassismus und imperialistischer Logik beruht. Wir sprachen mit Daniela über die aktuelle europäische Migrationspolitik, ihre künstlerische Arbeit und ihre Pläne für die nächsten Monate.


Frage: Du hast vor kurzem einen Brief an das Kunstmuseum Reina Sofia geschickt und um die Rückgabe deiner Arbeiten gebeten. Hintergrund war der NATO-Gipfel, der Ende Juni in Madrid stattfand. Wie hängt das zusammen, und um was ging es dir?

Daniela Ortiz: Wie man bereits hat kommen sehen, denke ich zumindest, hat sich bei diesem NATO-Gipfel in Madrid die absolute Aggressivität hinsichtlich der imperialen Ordnung verfestigt: Die NATO-Mitgliedsstaaten und vor allem die USA wollen um jeden Preis verhindern, dass es andere Mächte gibt, und zwar nicht nur: keine anderen Militärmächte, sondern auch keine anderen Wirtschaftsmächte. Denn bei der Erklärung zu China geht es hauptsächlich um Wirtschaft. Also, China stellt jetzt keine militärische Gefahr für die USA oder Europa dar, trotzdem muss sich China und jedes andere Land und jeder Staatenbund, der sich dem vordiktierten Wirtschaftsmodell widersetzt, auf einen Wirtschaftskrieg gefasst machen. Andererseits ging es, glaube ich, auch um eine Art Vorbereitung auf das, was sie als Dritten Weltkrieg bezeichnen. Die Aufnahme Finnlands und Schwedens stellt eine enorme Eskalation des Ukraine-Konflikts dar; damit wurde quasi für die Ausweitung des Kriegs gestimmt. Gleichzeitig werden der Krieg und die Angriffe auf das kurdische Volk verschärft. Und dann hatte Spanien noch darauf gedrängt, dass die so genannten "Migrationsströme" in die Agenda des NATO-Gipfels aufgenommen werden, um das System der Migrationskontrolle noch weiter zu militarisieren. Dabei ist das Gewaltniveau jetzt schon absurd hoch, das Massaker an mindestens 37 Migranten hat das deutlich gezeigt, und wir alle wissen, wenn Staat und Medien etwas verbergen wollen, dann erfährt man darüber auch nichts. Das jüngste Massaker von Melilla fand jedoch vor laufenden Kameras statt und wurde von allen spanischen Behörden gerechtfertigt. Hier wird die Position sichtbar, die sie im Rahmen des NATO-Gipfels konsolidieren und in eine Form bringen konnten, um den Krieg gegen den globalen Süden zu intensivieren, der immer akuter wird und sich besonders drastisch auf die Migrierenden auswirkt. Melilla ist kein Einzelfall; im vergangenen Jahr starben viertausend Menschen in den Grenzgebieten, soweit wir wissen, also, soweit die Medien darüber berichten.

Und während des Gipfels nahmen die First Ladies der NATO-Staaten an einem Rahmenprogramm teil, das das spanische Königshaus für sie organisiert hat. Da war auch ein Besuch im Kunstmuseum Reina Sofia vorgesehen, und es ging im Wesentlichen darum, sich vor dem Gemälde Guernica fotografieren zu lassen. Zelenski hatte nämlich einen Monat zuvor bei einer Rede im spanischen Parlament die Situation in der Ukraine mit der Bombardierung von Guernica verglichen, die, wie wir wissen, politisch und historisch nichts mit dem heutigen Konflikt zu tun hat. Hier wurde Manipulation bewusst zugelassen, auf Kosten der politischen Integrität. Als Künstler*innen müssen wir auf kultureller Ebene die materielle Frage in unserer Arbeit bewahren, die Museen konzentrieren sich leider ausschließlich darauf. Aber wer schützt den politischen Charakter von Kunstwerken, die ausdrücklich als Form des Protests und der Anklage konzipiert wurden? Einerseits erschien es mir sehr wichtig, diese Frage zu stellen. Andererseits bringt es mich als Künstlerin in eine sehr unangenehme Situation: Eins meiner Werke mit einer klaren kämpferischen Position wird in einem Museum ausgestellt, das einer eindeutig imperialistischen Organisation erlaubt, ein anderes Kunstwerk, nämlich Guernica, für seine Zwecke zu verwenden. Deshalb habe ich mich entschlossen, diesen Brief [1] zu schreiben, und soviel ich weiß, haben auch andere Künstler*innen und Kulturbegeisterte im spanischen Kontext darüber diskutiert, wie man damit umgehen soll.

Frage: Was ist mit den übrigen Künstler*innen, mit denen das Museum arbeitet? Hat dein Brief noch mehr ausgelöst?

Daniela Ortiz: Ich denke, der europäische Kontext ist ziemlich anders als der in Lateinamerika. Der kulturelle Disput und die Medienarbeit im europäischen Raum sind schon beeindruckend. Eine Hochleistungs-Propaganda- und Ideologiemaschine berichtet über 60.000 Tote und Verschwundene an den Grenzen, während der soziale Friede einfach weiterbesteht - unter einer angeblich fortschrittlichen Regierung mit Beteiligung einer Partei wie Podemos. Beides existiert nebeneinander, das funktioniert in Spanien und in ganz Europa. Natürlich gibt es dort auch seit vielen Jahren linke, antiimperialistische Gegenbewegungen, die zu konkreten Themen mobilisieren, zum Beispiel Extinction Rebellion, die vor dem Bild demonstriert haben. Aber wenn wir uns zum Beispiel an die großen Anti-Kriegs-Demos im Jahr der Invasion im Irak erinnern, dann sehen wir, wie die Ideologiearbeit der Medien gegriffen hat, denn eine Situation wie diese bringt heute kaum noch jemanden aus der Fassung. Viele Leute sagen: "Ich finde es nicht ok, dass die Migranten an der Grenze getötet werden". Nicht ok??? Dieses ganze Land sollte in Flammen stehen! 37 waren es letzte Woche, und es waren mindestens 30.000 in den letzten Jahren, die an der spanischen Grenze gestorben sind, und es sind sicher mehr als 70.000 an den europäischen Grenzen, und danach kräht kein Hahn. Dass etliche Mitgliedsstaaten, selbst die mit fortschrittlichen Regierungen, sich an militärischen Invasionen beteiligen, Krieg im Irak und in Afghanistan, Invasionen in Libyen und in Mali - das wird von der europäischen Gesellschaft einfach so hingenommen, und diese Akzeptanz spiegelt sich auch im kulturellen und künstlerischen Kontext. Und so hörst du dann in persönlichen Gesprächen immer wieder ein schlaffes Bekenntnis, dass Leute nicht einverstanden sind, aber deshalb machen sie noch lange keine Anstalten, dagegen zu protestieren oder sich politisch zu organisieren. Null. Ich denke, dass sich hier das Aufkommen eines europäischen Neofaschismus abzeichnet, die extreme Rechte gewinnt ja auch immer mehr an Boden, und das ist nicht alles. Diese progressive Sozialdemokratie hat zwar nicht die Diskurse der extremen Rechten übernommen, aber sie hat selbst in den letzten Jahren dem institutionellen Rassismus in ihrer Politik immer mehr Raum gegeben und all die gewalttätigen Missstände zum Normalzustand erklärt und damit die extreme Rechte enorm gestärkt. Und die progressive Linke in Europa wirkt auf mich leider sehr demobilisiert, so als sei ihnen die Utopie des Wandels abhanden gekommen, und stattdessen glaubt man nun an den kapitalistischen Wohlfahrtsstaat, nach dem Motto: "Ich will zwar nicht ausgebeutet werden, aber ich will auch nicht, dass der Kapitalismus endet".

Frage: Du sprichst öfter von der "weißen Linken". Was sind deiner Meinung nach die wesentlichen Versäumnisse der europäischen Linken und speziell der spanischen gegenüber der Migrationsbewegung?

Daniela Ortiz: Nach dem Massaker von Melilla hat zum Beispiel nur eine Podemos-Abgeordnete reagiert: Ione Belarra hat immerhin was dazu getwittert. Ich kenne Ione von der Kampagne für die Schließung der Abschiebegefängnisse (CIES) und Podemos hat eine klare Position, nicht nur zu den Morden in Melilla, sondern auch als vor zwei Jahren Panzer auf dem Strand El Tarajal in Ceuta aufgefahren sind, da ging es auch um Leben und Tod. Aber die Unterstützung von Podemos ist eben sehr zaghaft, aus strategischen Gründen, um keine weiteren Konflikte zu riskieren. Sie machen zum Beispiel nicht bei der Legalisierungs-Kampagne für Migrant*innen mit, dabei ist das eine große, massive Kampagne, die von allen antirassistischen Organisationen mitgetragen wird. Der institutionelle Rassismus im europäischen und spanischen Kontext ist längst Normalität geworden. Wenn irgendwo jemand rassistisch beleidigt wird, erklären sie das zum Skandal, aber dass die Einwanderungsbehörde Menschen illegalisiert, die Polizei sie verfolgt und abschieben lässt, damit haben sie dann wieder kein Problem. Ich denke, das hat mit ihren politischen Absprachen mit dem PSOE zu tun. Für die Rechte und die extreme Rechte in Europa ist Migrationskontrolle ein superwichtiges Thema. Der institutionelle Rassismus ist eine ihrer Prioritäten. Und genau deshalb müsste es eine Priorität der Linken sein, sich ganz klar zu positionieren und eine antirassistische Politik zu verfolgen. Und dass sie sich weigert, das einzusehen, ist in meinen Augen ein großes Defizit der weißen Linken. Hier geht es um sehr viel, nicht nur um politische Korrektheit und das Anprangern von Alltagsrassismus. Es geht darum, dass Migrant*innen im europäischen Kontext zur arbeitenden Unterschicht deklassiert werden. Die Einwanderungsgesetze und die Migrationskontrolle sind darauf ausgelegt, ausbeuterische Bedingungen zu schaffen, eine Schicht von Underdogs zu erzeugen, die das kapitalistische System stützt und der Elite zu Diensten ist. In Spanien werden Migrant*innen systematisch illegalisiert, die Situation hat sich nach der Pandemie noch verschärft. Migrantinnen wird das Sorgerecht entzogen, ihnen werden die Kinder weggenommen, Strafverfahren mit schwerwiegenden Vorwürfen werden eingeleitet und Abschiebeverfahren fortgesetzt und, wie ich bereits sagte, illegalisierte Arbeitskräfte werden extrem ausgebeutet. Wer arbeitet in Spanien auf den Feldern, wer erntet, baut an und bekommt in der Produktionskette das wenigste Geld? Wer pflegt unter ausbeuterischen Bedingungen kleine Kinder und Senior*innen? Migrant*innen. Ich glaube, es sind geopolitische Gründe, aus denen Europa nicht zulassen kann, dass Menschen aus den Ländern des globalen Südens, die sie überfallen, plündern, zerstören, ausbeuten, dass diese Menschen die gleichen Rechte haben wie sie, denn das würde bedeuten, dass wir in ein oder zwei Generationen Machtpositionen besetzen könnten. Und wenn wir uns in der europäischen Politik, in den europäischen Institutionen etablieren würden, würde sich die imperialistische Ordnung nicht mehr lange halten.

Frage: Meinst du, das aktuelle Geschehen in Europa könnte für Lateinamerika die falschen Signale setzen? In Spanien wird ja die rechte Partei Vox in mehreren Region immer populärer, aber gleichzeitig ist der Widerstand gegen rechte Tendenzen auch recht deutlich und stark, wie wir seit 2019 in Ecuador, Chile und Peru gesehen haben ...

Daniela Ortiz: Angesichts der Konflikte, Widersprüche und Schwierigkeiten zum Beispiel im Fall von Pedro Castillo kann man nur sagen, dass das nicht die linke Regierung ist, die sich viele von uns zu Beginn seiner Amtszeit erhofft haben, und auch in Chile treten viele Konflikte zutage. Aber ich würde trotzdem sagen: Das Gute ist, dass ein Großteil der Bevölkerung die linken Kandidat*innen unterstützt. Trotz all der juristischen Kriegsführung und der brutalen Medienkampagnen. Es gibt noch viel zu tun, ja, aber zumindest eröffnen sich hier Möglichkeiten, anders als im europäischen Raum, dort ist alles komplett blockiert. Bei uns gibt es eine andere Selbstverständlichkeit, der Rechten und der extremen Rechten entgegenzutreten, dafür sprechen viele der jüngsten Entwicklungen, und es gibt auch wirkungsvolle Mechanismen für solche Konfrontationen. Bei Europa habe ich den Eindruck, dass die extreme Rechte zwar schrecklich ist, viele ihrer politischen Inhalte aber trotzdem von der "normalen" Rechten übernommen werden. Guck dir an, was Vox zum Thema Migration in Europa zu sagen hat: Genau das wird von der angeblich progressiven Regierung gerade umgesetzt. Das finde ich äußerst gefährlich: Politiker*innen, die ihrem Diskurs nach eher gemäßigt wirkten, in der Praxis aber fast dieselbe Agenda verfolgen wie die extreme Rechte. Soviel zur Frage, wo die weiße Linke gegenüber den Migrant*innen aus dem Süden auf europäischem Gebiet ihrem Anspruch nicht gerecht wird. Die rechtlichen, ideologischen und institutionellen Mechanismen basieren auf diesem politischen Schulterschluss, das ist derzeit für mich und meine Genossinnen ein wichtiges Thema. Und wir haben nicht ewig Zeit. Das Massaker im Grenzgebiet ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Die Einwanderungsgesetze müssen abgeschafft oder radikal geändert werden, es gibt Verantwortliche in der Politik, die gehören ins Gefängnis, es kann nicht sein, dass sie ewig frei herumlaufen, ohne vor Gericht gestellt zu werden aufgrund ihrer politischen und materiellen Verantwortung für die Verbrechen im Grenzgebiet. Das Gleiche gilt für den Entzug des Sorgerechts. Viele von uns beziehen sich da auch auf die Mütter und Großmütter von der Plaza de Mayo. Mit rassistischen juristischen Argumenten nehmen sie uns die Kinder weg, diese Kinder müssen zurück in ihre Familien. In Lateinamerika gibt es Erfahrungen, wie man mit sowas umgeht, in Europa nicht.

Frage: Und wie bringst du deine persönlichen und politischen Erfahrungen und deine Solidarität mit den Forderungen der Migrant*innen zum Ausdruck?

Daniela Ortiz: Kunst machen ist für mich etwas völlig anderes als politisch aktiv zu sein. Militanz bedeutet zum Beispiel auch viele Treffen und Versammlungen, es sind zwei ganz unterschiedliche Arten von Arbeit. Kunst mit politischen Inhalten ist eine Sache, und Versammlung abzuhalten eine andere, und ich denke, es ist auch wichtig, beides zu trennen, weil es eine schwierige Arbeit ist. Künstlerische und kreative Ausdrucksformen werden genutzt, um Kämpfe zu unterstützen. Nimm zum Beispiel die Straßenkunstgruppe Grupo de Arte Callejero [2] (GAC) oder Grupo Etcétera [3] oder die Kunstaktion Siluetazo [4], bei der etliche Leute mitgemacht haben. Viele Künstler*innen stellen ihr Handwerkszeug in den Dienst politischer Inhalte. Mir war als Künstlerin immer sehr wichtig, in Bilder umzusetzen, wovon keine Bilder existieren, zum Beispiel Fernandito Tupac Amarú. Er ist der Sohn von Micaela Bastidas und Tupac Amarú, und seine Geschichte ist fast völlig vergessen. Fernandito starb in Spanien, und zwar nicht irgendwo, sondern in Lavapiés. Dort gibt es heute eine überaus starke antirassistische Migrant*innenbewegung. Dieser Madrider Stadtteil ist immer wieder Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen, Demonstrationen und Straßenblockaden. Ich kann mir vorstellen, dass es dort wegen Melilla auch massive Proteste gab. Und ich denke, es war kein Zufall, dass Fernandito Tupac Amarú ausgerechnet in Lavapies landete, aber es gibt keine Bilder davon. Was du in den Geschichtsbüchern finden kannst, sind Bilder von seiner Mutter Micaela Bastida, absichtlich aufgehellt und in blond, dabei weiß man, dass sie indigener und afrikanischer Abstammung war.

Als nächstes würde ich gern zu Pflanzen, Tieren und Menschen arbeiten, die entführt und nach Europa gebracht wurden, um in der sogenannten Völkerschau ausgestellt zu werden. Das war keine einmalige Sache, sondern eine gängige Praxis im Rahmen internationaler Weltausstellungen. Zwischen den Gemälden erscheinen zum Beispiel die Pflanzen wie eine kleine Rebellionen der Geister gegen die koloniale Ordnung, und ich finde es wichtig, diese Ordnung zu hinterfragen, die Straffreiheit angesichts des kolonialen Kulturraubs und der Entführungen zu skandalisieren und die Gewalt gegen die rassifizierten Menschen, die Völker des globalen Südens offenzulegen. Seit 500 Jahren leisten Menschen hier dagegen Widerstand, und oft werden die Bilder dazu ausgelöscht. Ein weiteres Projekt, das ich gern machen würde, bezieht sich auf die antikolonialen Aufstände in der Karibik. Es gibt kein bibliographisches Material, das alle Widerstandsaktionen zusammenbringt. Es ist sehr schwierig, überhaupt ein Buch zu finden, und da ich die Pädagogik als einen weiteren Schwerpunkt meiner künstlerischen Arbeit betrachte, denke ich viel darüber nach. Für mich ist es sehr wichtig, eine Sprache, eine Form und eine Ästhetik einzusetzen, die sich aus dem Kontext der Kunst ergeben.

Seit die Spanier den Boden in Abya Yala betreten haben, gibt es Widerstand, und den möchte ich in Bilder umsetzen. Neulich hat mir ein Kollege eine Liste der afrikanischen Präsidenten gezeigt, die in den letzten 60 Jahren ermordet wurden, und diese Liste war erschreckend lang. Ich würde gerne eine Bilderserie zu Ehren dieser Präsidenten machen, die offensichtlich antikolonial und links waren, und das Ganze als pädagogisches Material gestalten. Ich denke, bestimmte künstlerische Mittel eignen sich sehr gut, um pädagogische Prozesse in Gang zu setzen, trotzdem bleibe ich dabei: Militante politische Arbeit ist etwas ganz anderes.


Übersetzung: Lui Lüdicke


Anmerkungen:
[1] https://twitter.com/danillaortiz/status/1542543928800542720?cxt=HHwWgIC86fnhm-gqAAAA
[2] https://grupodeartecallejero.wordpress.com/quienes-somos-2/
[3] https://grupoetcetera.wordpress.com/
[4] https://muac.unam.mx/exposicion/el-siluetazo?lang=en


URL des Artikels:
https://www.npla.de/thema/kultur-medien/ich-versuche-in-bilder-umzusetzen-wovon-es-keine-bilder-gibt/


Der Text ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Daniela Ortiz (*1985, Cusco, Peru) erhielt in diesem Jahr das von der Landeshauptstadt Wiesbaden und dem Nassauischen Kunstverein Wiesbaden zum fünfzehnten Mal in Folge vergebene Stipendium Follow Fluxus - Fluxus und die Folgen.

Die Jury entschied aus 81 Nominierungen einstimmig und begründete die Wahl wie folgt: Mit ihren spielerisch anmutenden und gleichzeitig tief politisch engagierten Arbeiten erschafft Daniela Ortiz starke visuelle Erzählungen, die Themen wie Gewalt, Rassismus, sozialer Klasse und Migration verhandeln. In einer fantasievollen Bildsprache, die nicht von einer eurozentristischen Ästhetik geprägt ist, arbeitet sie koloniale Machtverhältnisse auf und offenbart die dahinterliegenden, unsere Gesellschaft prägenden Strukturen. Mit ihren Malereien, Collagen, Installationen und Performances zeigt sie eine "Kunst des Wirs" anstatt einer "Kunst des Ichs", die von einem starken Interesse an den Menschen zeugt - Menschen, die Daniela Ortiz umgekehrt zu bereichern und überraschen vermag.

Quelle: Homepage des Nassauischen Kunstvereins Wiesbaden
https://www.kunstverein-wiesbaden.de/follow-fluxus/die-stipendiaten/daniela-ortiz

Arbeiten der Künstlerin mit ausführlichen Beschreibungen sind auf ihrer Homepage zu finden:
https://www.daniela-ortiz.com


(*) Fluxus:
Fluxus (nach lateinisch fluxus 'Fließen, Fluss', zu fluere 'fließen, vergehn') ist eine von George Maciunas begründete Kunstrichtung, bei der es nicht auf das Kunstwerk ankommt, sondern auf die schöpferische Idee. Fluxus wurde in den 1960er Jahren weithin bekannt. Nach dem Dadaismus war Fluxus der zweite elementare Angriff auf das Kunstwerk im herkömmlichen Sinn, das negiert wurde und als bürgerlicher Fetisch galt.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Fluxus

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Quelle:
poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.
Köpenicker Straße 187/188, 10997 Berlin
Telefon: 030/789 913 61
E-Mail: poonal@npla.de
Internet: http://www.npla.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 13. August 2022

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