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MALEREI/042: Li Jiwei - Künstler zwischen zwei Kulturen (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2008

Künstler zwischen zwei Kulturen
Gespräch mit Li Jiwei

Die Fragen stellte Thomas Meyer


Li Jiwei wurde 1960 geboren. Nach einem Studium der traditionellen chinesischen Malerei an der Zentralen Kunstakademie Beijing, der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Wien und Studienaufenthalten in New York lebte er sieben Jahre in Berlin. Seit 2003 pendelt er zwischen China und Berlin. Für die Veranstaltungsreihe "Deutschland und China - Gemeinsam in Bewegung", die vom Herbst 2007 bis zum Sommer 2010 in ausgewählten chinesischen Städten Station macht, entwarf er den Kulturpavillon. Zur Olympiade in diesem Sommer konzipierte er die sog. 'Bubble Bar' über dem Schwimmstadion.


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NG/FH: Kann man heute sagen, dass die freie Kunst das öffentliche Leben Chinas und seine Beziehungen zur Welt verändert? Wird sie das Erlebnis der ersten Olympiade in China deutlich mitprägen?

LI JIWEI: Veränderungen gibt es auf jeden Fall; es ist nur eine Frage der Zeit. Da der boomende Staatssektor zurzeit das dringende Bedürfnis verspürt, sich mit einer gewaltigen Formensprache in Szene zu setzen, kann die freie Kunst in den Bereichen, die nicht von der Ideologie berührt werden, eine ihr angemessene Rolle beim Aufbau einer modernen chinesischen Gesellschaft spielen.

Das heißt zum einen, dass die Olympiade - und andere von einer staatsbezogenen Formensprache geprägte öffentliche Räume - der freien Kunst in Teilbereichen wieder die Selbstverständlichkeit einer Existenz innerhalb des öffentlichen Lebens in China einräumt. Im Gegenzug verleiht die freie Kunst der Olympiade Attribute der Modernität und prägt das Bild eines modernen Chinas.

NG/FH: Gilt dies für alle Künste oder spielen einige davon eine besondere Rolle? Wenn ja, welche sind es?

LI JIWEI: Man kann noch nicht sagen, dass dies für alle Künste gilt. Aber die moderne Musik, Architektur und bildende Kunst werden - in unterschiedlichem Ausmaß - für die Olympiade eingesetzt. So ist zum Beispiel der in den USA lebende chinesische Komponist Tan Dun für die musikalische Gestaltung der Olympiade zuständig. Der Künstler Ai Weiwei war in die architektonische Planung des Olympiastadions, oder wie es im Volksmund heißt, des "Vogelnestes" miteinbezogen. Und für Design und Ausführung des Feuerwerks während der Eröffnungs- und der Schlussveranstaltung wurde der in Amerika lebende chinesische Künstler Cai Guoqiang eingeladen.

NG/FH: Welchen Beitrag leisten Sie selbst?

LI JIWEI: Ich habe an der räumlichen Gestaltung des olympischen Schwimmstadions 'Water Cube' mitgewirkt. Mit einem neuartigen Material von Bayer habe ich in der Bubble Bar auf gut 500 qm einen mehr oder weniger abstrakten "Art-Floor" geschaffen. Hierfür habe ich mein Bild sozusagen aus dem Rahmen genommen und es direkt auf den Fußboden gemalt. So ist innerhalb des Stadions ein Stück Raumkunst entstanden.

Die zuvor genannten Künstler haben fast alle zuerst in China und danach auch noch im Westen studiert. Sie sind damit in ihrer künstlerischen Sensibilität allesamt Grenzgänger, die sich zwischen Ost und West hin- und herbewegen. Innerhalb des staatsbezogenen chinesischen Kontextes stehen diese Künstler daher für ein von Innovation und Moderne geprägtes Chinabild.

NG/FH: Trägt die neue Kunst auch zur Öffnung von Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit in China bei?

LI JIWEI: Die neue Kunst vermittelt den Bürgern ein Lebensgefühl, das viel dynamischer ist, als es früher der Fall war; das sich weniger an überkommenen Normen orientiert und die Dinge von unterschiedlichen Blickwinkeln aus betrachtet. Neue Inhalte, über die diskutiert und nachgedacht werden muss, verleihen der öffentlichen Diskussion eine zusätzliche Spannung. Und indem die Menschen diese freie Kunst betrachten, beginnen sie zu verstehen, wie wichtig Individualismus und kreatives Schaffen sind.

NG/FH: Die politischen Beziehungen zwischen China und anderen Ländern wie den USA, Deutschland, der EU sind immer wieder durch Spannungen, u.a. wegen verschärfter wirtschaftlicher Konkurrenz belastet. Können die transnationalen Kommunikationsmöglichkeiten der Künste und der Künstler nach Ihren Erfahrungen hier eine nennenswerte Gegenkraft zur Förderung der Verständigung und des wechselseitigen Verstehens sein?

LI JIWEI: Das Verständnis zwischen den Künstlern ist natürlich da, aber ich glaube nicht, dass der Austausch und das gegenseitige Verstehen unter den Künstlern wirtschaftlichen Spannungen entgegenwirken kann. Ganz im Gegenteil, der Wert der modernen chinesischen Kunst - ist wenn wir zum Beispiel an die Malerei denken - mit einer von wohl keinem Wirtschaftswissenschaftler vorauszusagenden Geschwindigkeit in schwindelerregende Höhen gestiegen. Das Kriterium, nach dem Kunst zurzeit bewertet wird, sind die ständig steigenden Verkaufserlöse. Diese Wertschätzung bedeutet aber einen deutlichen Bruch mit jener Ästhetik einer modernen Kunst, wie sie uns in den letzten hundert Jahren vom Westen vermittelt wurde. Deshalb glaube ich nicht, dass der Austausch zwischen den Künstlern sich zu einem Verständnis stiftenden Gegengewicht für die Wirtschaft entwickeln kann. Ich erwarte eher das Gegenteil: dass nämlich der "Hype" um die chinesische Kunst noch manchem westlichen Künstler und Beobachter ein ungläubiges Staunen abringen wird.

Aus dem Chinesischen von Gisela Reinhold


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2008, S. 47-48
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2008