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ANALYSE & KRITIK/276: Widerständiges aus der Berliner JVA für Frauen Pankow


ak - analyse & kritik - Ausgabe 535, 16.01.2009

Keine Rose für Swarovski!

Widerständiges aus der Berliner JVA für Frauen Pankow


In den Knästen Deutschlands besteht für die Gefangenen Arbeitspflicht. Die in der Berliner JVA Pankow inhaftierte Andrea N. verweigert die Zwangsarbeit für den Knast. Dieser Text, entstanden in Zusammenarbeit mit Teilen der Soligruppe von Andrea, schildert die Konsequenzen aus dieser Weigerung und gibt einen Überblick über Legitimation und Funktion der Knastarbeit.

Andrea N. ist seit Dezember 2007 auf Grund ihres politischen Engagements im Bereich Antifaschismus und Antirassismus in der JVA Pankow inhaftiert. Ihre Gesamtstrafe von 14 Monaten setzt sich aus mehreren Verurteilungen im Kontext von Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und Vorwürfen von Hausfriedensbruch zusammen.

Der Knast übt seit Beginn der Inhaftierung Druck auf sie aus, um eine Zusammenarbeit zu erwirken. Dies betrifft verschiedene Bereiche wie Arbeit, Vollzugsplan und "Strafaufarbeitung" im Kontext der Resozialisierung. Andrea N. verweigert jedoch jegliche Kooperation mit dem Knast, so widersetzt sie sich beispielsweise aus politisches Gründen dem Arbeitszwang.

In der JVA Pankow reicht das Arbeitsangebot für die Gefangenen von Dienstleistungen für den Knast wie Reinigen, Aufräumen und Essensvergabe über das Sortieren von IT-Abfällen für das Zentrum Wille e.V. bis hin zur Erledigung von Auftragsarbeiten für externe Unternehmen. So mussten z.B. für die Firma Swarovski 1.000 Papierrosen hergestellt werden. Entlohnt wird die Arbeit mit sieben bis neun Euro pro siebenstündigem Arbeitstag.

Andrea hingegen möchte außerhalb des Knastes eine Erwerbstätigkeit im Bereich der antirassistischen Projektarbeit ausüben. Ein entsprechendes Arbeitsangebot der Antirassistischen Initiative Berlin e.V. (ARI) wurde von der JVA jedoch nicht genehmigt. Ihre Ablehnung begründet sie mit angeblicher Flucht- und Missbrauchsgefahr sowie der Weigerung von Andrea N. die "Taten" aufzuarbeiten. Eine Arbeit, die Andrea selbst für sinnvoll und wichtig erachtet, wird somit nicht zugelassen.


Fortschreitende Ökonomisierung des Vollzugs

Der Zwang zu arbeiten ist ein zentraler Bestandteil des Knastsystems. Verweigern sich Gefangene der Arbeit, hat das weitreichende Konsequenzen: Die Weigerung wird im Vollzugsplan aufgenommen und wirkt sich dort auf alle folgenden Entscheidungen des Knastes über die Gefangenen aus. Maßnahmen des Vollzugs wie Haftlockerungen, Unterbringung im offenen oder geschlossenen Vollzug, vorzeitige Entlassung nach Zweidrittel der Haftstrafe, Zuweisungen zu Wohn- und Behandlungsgruppen, Arbeitseinsatz und Teilnahme an Weiterbildungen werden darin festgelegt.

Im Vollzugsplan von Andrea N. wird deutlich, wie die JVA die Gefangenen zur Aufgabe einer ablehnenden Haltung und zur Kooperation zu disziplinieren versucht, und zudem, wie sehr sie an Informationen über die Gefangenen interessiert ist. Da Andrea N. weder zur Arbeitsaufnahme im Sinne der Forderungen der JVA noch zu Gesprächen und Auskünften und ebenso wenig zu der abverlangten Straftataufarbeitung bereit ist, fällt ihre "Behandlungsprognose" entsprechend "negativ" aus. Das bedeutet: keine Vollzugslockerungen, keine Freigänge und eine "ungünstige Legalprognose", womit eine vorzeitige Entlassung ausgeschlossen ist. In der Logik des Knastsystems ist dies eine konsequente Umsetzung von Reglementierungen, denn der Vollzugsplan bildet im Gesamtsystem Knast das zentrale Instrument, mit dem die einzelnen Methoden und Mittel der Disziplinierung individuell auf die Person des Gefangenen abgestimmt werden sollen.

Eine weitere Konsequenz der Arbeitsverweigerung besteht für Andrea N. darin, nicht im Kiosk des Knastes einkaufen zu können, denn die Einkäufe dort sind ausschließlich vom Arbeitslohn zu begleichen. Problematisch ist das, weil der Kiosk die einzige Möglichkeit bietet, Obst und Gemüse - als Ergänzung zum mangelhaften Knastessen - zu erhalten, um sich halbwegs ausgewogen zu ernähren.

Als Maßnahme gegen die Arbeitsverweigerung stellt der Knast die Forderung, Andrea N. solle einen Haftkostenbeitrag von monatlich 368,25 Euro rückwirkend bis Juni 2008 für Essen und die Zelle zahlen. Die JVA für Frauen Berlin beruft sich mit ihrer Forderung nach Haftkosten auf den &sesct; 50 Abs. 1 StVollzG, wonach sie verpflichtet sei, von jeder Gefangenen einen Haftkostenbeitrag zu fordern.

Die Anwältin von Andrea N. hat jedoch in einem Schreiben an die JVA die Aufhebung des Bescheids zur Erhebung der Haftkosten beantragt. Auch wenn es eine gesetzliche Vorschrift gibt, Haftkosten zu erheben, stellt dies eine Ausnahme dar. Das Gesetz sieht Gründe vor, nach denen Gefangene von der Zahlung ausgeschlossen werden können. Verfügen die betreffenden Personen über keinerlei oder ein zu geringes Einkommen, wie es bei Andrea N. der Fall ist, wird kein Haftkostenbeitrag abverlangt. Weitere Gründe, die gegen eine Erhebung sprechen können, beziehen sich auf die Gefährdung der so genannten Resozialisierung bzw. darauf, dass durch die Belastung auf Grund der Haftkosten besondere Nachteile für die gefangene Person eintreten würden.

Es besteht also keine Verpflichtung der JVA zur Erhebung einer Haftkostenbeteiligung. Vielmehr scheint die Knastleitung im Fall von Andrea N. aus Gründen der Bestrafung und Disziplinierung der Gefangenen darauf zu beharren.

Da der Antrag der Anwältin abgelehnt wurde, hat Andrea N. Klage gegen den Bescheid zur Haftkostenerhebung eingereicht. Es geht ihr in erster Linie nicht darum, sich auf Gesetze zu berufen, sondern politischen Widerstand gegen Arbeitszwang und Resozialisierungsmaßnahmen zu leisten. Sie wird den Prozess jedoch nicht aus dem Knast heraus verfolgen müssen, da sie Ende Januar entlassen wird.


Haft produziert Überschuldung

Wie aber wird der Arbeitszwang hinter Gittern legitimiert und welcher gesellschaftliche Nutzen wird von diesem erwartet? Zwei Ansätze beherrschen den bundesdeutschen Diskurs um die Legitimation des Arbeitszwanges. Der erste, so genannte "spezialpräventive Ansatz" geht davon aus, dass Arbeit in erster Linie der Erziehung und vermeintlichen Besserung des Übeltäters / der Übeltäterin dienen soll. Über die Gewöhnung an einen geregelten Alltag und den Erwerb von "Schlüsselqualifikationen" soll der dem Arbeitszwang unterworfenen Person die Bereitschaft zum Führen eines geregelten, straffreien Lebens und die Reintegration in die Gesellschaft anerzogen werden. Über eine geringe Entlohnung soll etwa der Einkauf von Konsumgütern im Anstaltskiosk, die Ansparung eines Überbrückungsgeldes, die Unterstützung von Angehörigen und der Abbau von Schulden ermöglicht werden. Ziel ist die (Re-)Integration in die kapitalistische Arbeitsgesellschaft. Studien belegen jedoch, dass durch die Haft bei einem großen Teil der Gefangenen die Verschuldung drastisch ansteigt bzw. Überschuldung erst produziert wird.

Der zweite Ansatz besteht in der ökonomischen Legitimation der Knastarbeit. Deren Stellenwert im strafvollzugspolitischen Diskurs variierte stets mit der gesamtgesellschaftlichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage: Bestand auf staatlicher Seite Bedarf nach billigen Arbeitskräften, rückte die ökonomische Bedeutung in den Vordergrund. In der Hochphase des Wohlfahrtsstaates spielte dieser Ansatz gegenüber dem spezialpräventiven nur eine untergeordnete Rolle. Doch im Zuge der seit Mitte der 1990er Jahre fortschreitenden Ökonomisierung des Vollzugs versprechen sich die Länder nun hohe Rückflüsse aus der Einbeziehung von privaten Unternehmern.

Wie offensiv darum geworben wird, private Unternehmen zu Investitionen im Bereich der Knastproduktion zu bewegen, kann man etwa auf der Homepage der JVA Trier nachlesen, wenn dort die Vorteile der Produktionsverlagerung hinter Gitter wie folgt herausgestellt werden: "Es fallen keine Sozialabgaben an, es entstehen keine Ausfallzeiten durch Krankheit, Sonderzahlungen (Weihnachts- oder Urlaubsgeld) entfallen, eine flexible Anpassung der Beschäftigtenzahl an die Auftragslage ist problemlos möglich." (1)  

Seine zentrale Bedeutung innerhalb des Knastsystems gewinnt der Arbeitszwang jedoch insbesondere über dessen immensen Kontrollnutzen: Über die allgemein geltende Arbeitspflicht wird sichergestellt, dass die überwiegende Mehrheit der körperlich leistungsfähigen Gefangenen erfasst wird und während der Arbeitszeiten in den anstaltsinternen Arbeitsstätten leicht kontrolliert werden kann. Auch sind die Aufsicht über die auf Zellenblocks verbleibende Minderheit der Gefangenen wie auch Durchsuchungen der leer stehenden Zellen für die StationsbeamtInnen so leicht zu bewerkstelligen.

Darüber hinaus besteht eine wesentliche Auswirkung der Arbeit im Sich-Einstellen eines Müdigkeitsgefühls nach der Verrichtung der Arbeitsschicht. Die Folge ist ein Absenken des Risikopotenzials für die Knastaufsicht. Die spärliche Entlohnung zur Gewährleistung der Möglichkeit des Einkaufs von Konsumgütern trägt weiter dazu bei, den Frust im Knastalltag zu bekämpfen.

Nach der herrschenden, auf Spezialprävention ausgerichteten Denkweise müsste ein erfolgreicher Einsatz der Gefangenenarbeit zur Folge haben, dass die aus der Haft entlassenen Menschen über eine rasche Aufnahme einer Erwerbsarbeit in eine über Arbeit definierte Mehrheitsgesellschaft integriert und so von der Begehung weiterer Normverstöße Abstand nehmen würden.

Es wird rasch augenscheinlich, dass der Widerspruch zwischen der diesem Modell zu Grunde liegenden Sichtweise auf die Gesellschaft und deren Realität eklatant ist: Die integrative Funktion von Erwerbsarbeit hat abgenommen und wird auch weiterhin abnehmen. In Zeiten der zunehmenden Deregulierung der Arbeitswelt und einer wachsenden strukturell bedingten Erwerbslosigkeit erscheint der Gedanke, inhaftierte Menschen unter Zwang an Arbeit heranzuführen und gesellschaftliche Integration an diese zu koppeln, geradezu absurd.

Aus der Haft entlassene Menschen werden sich in der Regel damit abfinden müssen, von dem von der Mehrheitsgesellschaft abgeschotteten Kontrollsystem Knast in das offene sozialstaatliche Kontrollsystem der ARGEn überführt zu werden.

De facto verbleibt der Knastarbeit also noch der Nutzen, den Ausschluss der anwachsenden Masse der auf dem deregulierten Arbeitsmarkt nicht verwertbaren Menschen durch Einschluss aus staatlicher Sicht möglichst kosteneffizient zu gestalten: Unmittelbar über die Rückflüsse aus der Produktion der Knastbetriebe für den freien Markt - sei es im Direktvertrieb oder in Kooperation mit privaten Unternehmern, um deren Engagement von staatlicher Seite massiv geworben wird - und mittelbar, indem der Kostenaufwand für Kontrolltechnik und Personal über die Kontrollfunktion der Zwangsarbeit möglichst gering gehalten wird.

Die Zahl der Inhaftierten, die sich dem Arbeitszwang widersetzen, ist auf Grund der drohenden Konsequenzen, wie sie am Beispiel Andrea N. dargestellt wurden, äußerst gering. Aufgabe einer emanzipatorischen Linken muss es umso mehr sein, sich mit diesen solidarisch zu zeigen. Die Spielräume, die sich für Knast- und Soligruppen ergeben, sind nicht zuletzt auf Grund der weitgehenden Beschränkung der Kommunikation mit den Betroffenen äußerst begrenzt. Mögliche Aktions- und Betätigungsfelder bestehen zunächst in der Öffentlichkeitsarbeit, die einerseits die Situation der Betroffenen deutlich machen, diese darüber hinaus aber insbesondere in den Gesamtkontext des Systems der Knastarbeit rücken sollte, in der konkreten finanziellen wie auch solidarischen Unterstützung der Betroffenen und schließlich auch darin, den immer größer werdenden Kreis derjenigen sichtbar zu machen, die als PrivatunternehmerIn von dieser Form der modernen Sklavenarbeit profitieren.

Und natürlich muss es auch Teil einer Praxis sein - ohne das Ziel einer Abschaffung des Arbeitszwangs wie auch des Gesamtsystems Knast aus den Augen zu verlieren -, die noch immer nicht erfüllten Forderungen nach der Angleichung der Löhne, der Einbeziehung in die Renten- und Sozialversicherung und die Durchsetzung eines Rechts auf gewerkschaftliche Organisierung aufzugreifen.

Teile der Soli-Gruppe für Andrea

Anmerkung:
1) Siehe www.justiz.rlp.de/justiz, 20.12.2008


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2009