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ANALYSE & KRITIK/338: El Salvador - Unterschiedliche Gesichter


ak - analyse & kritik - Ausgabe 544, 20.11.2009

Unterschiedliche Gesichter
Die Regierung des Mauricio Funes in El Salvador ist ein höchst ambivalentes Projekt

Von Kathrin Zeiske, San Salvador


Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat El Salvador eine linke Regierung und setzt damit den Linksruck in Lateinamerika fort. Am 15. März dieses Jahr gewann Mauricio Funes als Kandidat der Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) gegen das neoliberale Programm der Ultrakonservativen, die El Salvador seit dem Bürgerkrieg (1980-1991) regierten. Am 1. Juni trat Funes sein Amt als Präsident an. Doch wie links ist die Regierung wirklich? Welchen Spielraum hat sie, in dem wirtschaftlich am Boden liegenden, von einer kleinen Elite dominierten Land gegen die extreme soziale Ungleichheit vorzugehen? Eine Bilanz nach den ersten fünf Monaten Amtszeit.

Schon vor der Wahl war klar, dass es sich bei der Aufstellung des ehemaligen Journalisten Mauricio Funes als Präsidentschaftskandidat der FMLN um den Beginn einer Zweckgemeinschaft handelte. Um die Wahl zu gewinnen, wurde der aus der ehemaligen Guerilla hervorgegangenen Partei ein moderater Kopf mit einer wohlfahrtsstaatlich-wirtschaftspolitischen Ausrichtung vorangestellt. Das Kalkül ging auf; das Bündnis um die FMLN siegte mit 51,32 Prozent, trotz offensichtlichem Wahlbetrug seitens der damals regierenden Republikanisch-Nationalistischen Allianz (Arena).

"Viele Menschen haben Funes als Hoffnungsträger gewählt, andere die FMLN", erklärt Dagoberto Gutiérrez, einer der bekanntesten linken Analytiker El Salvadors. "Die meisten haben aber schlicht und ergreifend gegen Arena gestimmt." Arena galt lange als Paradebeispiel für eine monolithische Partei der Rechten in Lateinamerika: Ultrakonservativ und orthodox neoliberal in ihrem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verständnis, regierte sie das kleine zentralamerikanische Land fast zwei Jahrzehnte lang mit einer Politik der "harten Hand", führte Privatisierungen durch und die Dollarisierung herbei.

Doch dass Arena abgewählt wurde, bedeutet das automatisch, dass die Linke das Land regiert? Gutiérrez, in den 1960er Jahren Generalsekretär der Kommunistischen Jugend, in den 1970ern Studentenführer, widerspricht dem vehement. "Die Regierung von Mauricio Funes ist keine linke Regierung. Mindestens die Hälfte der Minister, die Funes eingesetzt hat, sind fähige Technokraten, aber keine linken Politiker."


Die neue Regierung: Hälfte Technokraten, Hälfte Linke

Dies bestätigt auch Lourdes Palacios, Abgeordnete der FMLN. Sie betrachtet die Beteiligung der Linken an der Regierung trotz allem als historischen Sieg: "Natürlich müssen wir Kompromisse eingehen, doch wenigstens steht nun alles erstmals zur Diskussion. Das ist ein unglaublicher Wandel mit Blick auf die Herrschaftsmethoden der vorangegangenen Regierungen. Es ist unsere Chance, endlich gegen die soziale Ungerechtigkeit im Land vorzugehen."

Erste politische Maßnahmen im sozialen Bereich sind ergriffen: In den öffentlichen Krankenhäusern muss für die Behandlung nicht mehr bezahlt werden, auch sollen die völlig überteuerten Medikamentenpreise heruntergesetzt werden. In der Landwirtschaft wird kostenloses Saatgut an Kleinbauern ausgegeben, das nicht genetisch verändert ist. Vielen Familien sollen endlich Besitzdokumente ausgestellt werden für das Land, das sie seit Jahren und Jahrzehnten bearbeiten. Der offene Tagebau im Bezirk Cabañas wurde eingestellt und eine Klage des kanadischen Bergbauunternehmens Pacific Rim in Kauf genommen. Das Unternehmen kann sich auf Verpflichtungen des Freihandelsabkommen mit den USA berufen. Dem neoliberalen Ausverkauf des Landes scheint Einhalt geboten.

Ein detaillierter Regierungsplan wird aber erst im Januar 2010 vorgestellt. Es bleibt abzuwarten, ob in ihm Sozialprogramme verankert sein werden, die sich klar von denen der Rechten unterscheiden. Die bisherigen Staatsausgaben von El Salvador auf diesem Sektor waren eine der niedrigsten ganz Lateinamerikas. "Im Augenblick folgen wir dem Antikrisenplan, der von der FMLN im Wahlkampf erarbeitet und dann vom neuen Regierungskabinett verabschiedet wurde", erklärt Palacios.

Der Antikrisenplan ist bitter nötig, denn der Regierung Funes wurde der Staat nicht nur mit leeren Kassen, sondern mit tiefroten Zahlen überlassen. Das Finanzministerium übergab dem gewählten Präsidenten noch vor Amtsantritt einen Bericht, in dem es für 2010 von über einer Milliarde US-Dollar Staatsdefizit ausgeht - es wäre das größte Defizit seit Kriegsende.

Maßnahmen der Regierung, der Krise antizyklisch entgegenzuwirken, stehen aus. Der Antikrisenplan der FMLN sieht zunächst einmal den Kampf gegen Korruption und Steuerhinterziehung vor; zwei Phänomene, die das Land jährlich Hunderte Millionen von US-Dollar kosten. "Die enormen Steuervergehen werden nicht von normalen Bürgern begangen; deren Steuern werden ja vom Lohn einbehalten oder sie bezahlen sie als Mehrwertsteuer. Nein, die Steuersünder sind die großen Unternehmer, die sich persönlich bereichern und auf illegalem Weg gigantische Beträge einbehalten, die gesetzlich dem Staat zustehen", berichtet Palacios.

"In El Salvador herrscht eine Krise der Werte", stimmt auch Mirna Perla Jiménez zu, hohe Beamtin am Obersten Gerichtshof. "Die Rechte hat das Land 17 Jahre lang regiert, ohne dass demokratische Kontrollmöglichkeiten zum Tragen kommen konnten. Für die Korruption gab es kein Limit, das wurde schamlos zur persönlichen Bereicherung ausgenutzt. Alle, die damals an der Macht waren, sind heute Millionäre und halten Monopole inne." Die größte Herausforderung der neuen Regierung ist es, mit dieser Korruption aufzuräumen und die eingespielten Mechanismen auf allen Ebenen auszuhebeln. Es existieren Tausende von Phantomstellen innerhalb der Regierung, geschaffen, um den Angehörigen der politischen Kaste ihre Pfründe zu sichern.


Wohltaten für die Oligarchie oder die Bevölkerung?

Die Regierung hat auch eine Steuerreform angekündigt, um die leeren Staatskassen zu füllen und um die geplanten Sozialprogramme umsetzen zu können. Schon im Wahlkampf konstatierte die FMLN, dass die, die mehr haben, auch mehr abgeben müssten. Doch der Politikwissenschaftler Gutiérrez ist skeptisch: "Die angesetzte Steuerreform wird lediglich die Mehrwertsteuer auf bestimmte Produkte wie Neuwagen und Alkohol erhöhen, sie sieht aber keine grundsätzliche Besteuerung von Einkommen und Unternehmensgewinnen vor. Damit werden die bestehenden Eigentumsverhältnisse auch nicht fundamental angetastet."

Mauricio Funes scheint vermeiden zu wollen, die Oligarchie durch einschneidende Steuerreformen gegen die neue Regierung aufzubringen. "Tatsächlich versucht die neue Regierung, eine nationale Einheit zwischen wirtschaftlicher Elite und der breiten Unterschicht herzustellen", urteilt Gutiérrez. "In El Salvador stehen die Interessen der Armen jedoch diametral den Interessen der Reichen gegenüber. Das Einzige, was die Rechte bisher verloren hat, ist das Regierungskabinett, ansonsten verbleiben alle Machtmittel in der Hand der traditionellen Oligarchie: Medien, Industrie, Land, Geld, Besitz."

Doch noch haben sich die neuen Machtverhältnisse nicht eindeutig herausgebildet. So wurde am 4. November überraschend von der Regierung bekannt gegeben, dass der geplante Staudamm El Cimarrón im Bezirk Chalatenango doch nicht gebaut wird. Mauricio Funes war stark in die Kritik geraten, weil er am Projekt festhielt. Der Vorsitzende der salvadorianischen Wasserkraftgesellschaft CEL hatte maßgeblich seinen Wahlkampf finanziert. Anders sieht es beim umstrittenen Wasserkraftwerk El Chaparral aus: Die Bauarbeiten haben schon begonnen, sie werden weitergeführt.

Auch außenpolitisch hält sich die Regierung Funes bisher zurück. Zwar wetterte die Rechte im Wahlkampf, dass die FMLN von Chávez finanziert würde, doch El Salvador reihte sich nach dem Wahlgewinn der Linken nicht in den Wirtschaftsblock um Venezuela ein. Bei Mauricio Funes Amtsantritt war hingegen US-Staatssekretärin Hillary Clinton zugegen. Zugleich nahm Funes aber auch als eine seiner ersten Amtshandlungen die diplomatischen Beziehungen zu Kuba wieder auf. Und El Salvador zeigte dem von den honduranischen PutschistInnen aus dem Land geworfenen Präsidenten Manuel Zelaya uneingeschränkte Solidarität. So kehrte Zelaya von salvadorianischem Boden aus heimlich in sein Land zurück. "Die Außenbeziehungen zielen darauf ab, zu sämtlichen Ländern des Kontinents gute diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu pflegen", fasst Palacios die internationale Politik der Funes-Regierung zusammen.

Und innenpolitisch? "In der Regierung sind wir uns einig, dass der Staat lebenswerte Bedingungen für all seine Bürger schaffen muss, und nicht nur zugunsten einer kleinen Elite regieren darf", bekennt die FMLN-Abgeorndete Palacios lebhaft. Bisher scheint sich die Politik jedoch lediglich von einer rechten hin zu einer sozialdemokratischen gewandelt zu haben. Die FMLN macht Realpolitik und scheint damit gut zu fahren. Umfragen zufolge sprechen 75-85 Prozent der Bevölkerung der aktuellen Regierung ihr Vertrauen aus und hoffen, dass Probleme gelöst werden, die Arena nicht angehen konnte oder wollte - besonders die ausufernde Gewalt im Land. Allein In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurde die Mordrate von 2008 übertroffen. Bei rund 4.000 Morden jährlich kommen 77 Morde auf 100.000 EinwohnerInnen.


Wie werden sich die sozialen Bewegungen positionieren?

Doch gerade hier scheint die Regierung Funes keine neuen Lösungsansätze zu haben. Sie übertrifft im Gegensatz noch die repressiven Maßnahmen ihrer Vorgänger und holt das Militär auf die Straße. Seit dem 6. November unterstützen nun 6.500 SoldatInnen die Nationale Zivile Polizei (PNC). Mit dem Friedensabkommen von 1992 war das Militär in seiner Funktion einzig und allein auf die Landesverteidigung beschränkt worden.

Justizbeamtin Mirna Perla hält die neue Gangart für einen Verfassungsbruch. "Ich lehne es vehement ab, dass Soldaten zu zivilen Zwecken eingesetzt werden, gerade vor dem Hintergrund der blutigen Geschichte des Bürgerkriegs in El Salvador, in dem das Militär für Massaker und Morde verantwortlich zeigte, aber auch mit Blick auf den aktuellen Militärputsch in Honduras."

Mit Blick auf die Vergangenheit geht die Regierung allerdings neue Wege. Posthum wurden am 15. November die sechs Jesuitenpater geehrt, die während der Endphase des Bürgerkrieges von der berüchtigten militärischen Spezialeinheit "Atlacatl" ermordet wurden. Dies ist die erste offizielle Anerkennung von Kriegsverbrechen seit dem Abschluss der Friedensverträge. Die Arena-Partei hatte solche Gesten tunlichst vermieden. Ihr Parteigründer Roberto D'Aubuisson gilt als Gründer der Todesschwadrone und als intellektueller Autor des Mordes an Erzbischof und Befreiungstheologe Oscar Romero.

Die ehemalige Regierungspartei befindet sich in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Im vergangenen Monat traten 12 der 32 für Arena im Parlament sitzenden Abgeordneten aus der Partei aus. Erstmals seit Ende des Bürgerkrieges scheint sich die politische Szenerie in El Salvador neu zu formieren und ein komplexeres Bild zu formen, als einfach nur die Fronten des Bürgerkriegs in einer geschlossenen Rechten und Linken zu konservieren.

"Auch in der Linken bilden sich nun stärker die verschiedenen Strömungen heraus", berichtet Mauricio Figueroa, dessen Familie eng mit der Guerilla verflochten war und der heute als Direktor der NGO Fundación Quetzalcoatl Jugendarbeit in den Armenvierteln betreibt. "Die parteiungebundene Linke in El Salvador hat nun die dringende Aufgabe, die Regierung in ihrer Politik zu beobachten und konstruktive Kritik zu üben. Das ist viel wichtiger, als jetzt einen Regierungsposten zu erhaschen. Die Linke muss aus der Zivilgesellschaft heraus ein Gegengewicht ausüben und politische Räume für die sozialen Bewegungen sichern, die nicht vorhanden waren, als die Rechte das Land regierte."

Dem stimmt auch Gutiérrez zu: "Wenn irgendjemand etwas an den bestehenden Verhältnissen hier ändern wird, dann sind das die sozialen Bewegungen, nicht Funes und nicht die FMLN." Er sieht jedoch einen Bruch voraus. "Angesichts der sozialen Ungerechtigkeit in El Salvador kann es nur eine Politik zugunsten der Oligarchie oder eine Politik zugunsten der Mehrheit der Bevölkerung geben. Es ist die Frage, wann sich die sozialen Bewegungen dessen bewusst werden und der Regierung ihre Unterstützung entziehen." Die FMLN setzt derweilen alles auf ihre Wiederwahl 2014. "Dann hoffentlich unter einem parteiinternen Präsidentschaftskandidaten und ohne bindende Bündnisse", sagt Palacios.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2009