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ANALYSE & KRITIK/349: Kampfküken Köhler und der Musterdemokrat Andi


ak - analyse & kritik - Ausgabe 545, 18.12.2009

Kampfküken Köhler und der Musterdemokrat Andi
Dem Linksextremismus wird jetzt auch per Comic zu Leibe gerückt

Von Friedrich C. Burschel


Linksextremismus - alles eine Frage der Verführungskunst? Das zumindest suggerieren die VerfassungsschützerInnen aus Nordrhein-Westfalen. Zum dritten Mal ist Comic-Held Andi im Auftrag des NRW-Innenministeriums unterwegs. Dieses Mal lernen wir: "Linksextremisten" unterscheiden sich gar nicht so sehr von "Rechtsextremisten". Die nachrichtendienstliche Bildungsarbeit liegt ganz auf Linie der neuen Familienministerin Kristina Köhler (CDU), in deren Zuständigkeit die Bundesprogramme gegen Rechts liegen. Wenn Deutsche Hufeisen zur Hand nehmen, sollten ihre GegnerInnen in Deckung gehen.

Besonders drastisch hat das die serbische Bevölkerung 1999 zu spüren bekommen, als der damalige Kriegsminister Rudolf Scharping militärische Interventionen gegen das Milosevic-Regime in Rest-Jugoslawien mit dem - unterdessen als erfunden desavouierten - "Hufeisenplan" und damit zahlreiche zivile Opfer rechtfertigte.

Das zweite wirkmächtige Hufeisen ist das der Extremismus-Doktrin. Sie erhielt ihre wissenschaftliche Weihe und grafische Umsetzung als Pferde-Schuh am Dresdener Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung durch den Institutschef Uwe Backes und an der TU Chemnitz durch dessen Kollegen Eckhard Jesse. Die recht einfältige Idee dahinter besagt, dass sich die extremen Ränder einer Gesellschaft im Bild des Hufschoners je weiter vom mittigen Zentrum entfernt wieder äußerst nahe kommen und in jeder Hinsicht ähneln. Im politischen Ordnungsdiskurs führt dies zu einer grob fahrlässigen Gleichsetzung von - in dieser Diktion - Links- und Rechtsextremismus, was neuerdings noch um die Facette des Ausländerextremismus sowie des Islamismus ergänzt wird.

Im politischen Alltag dient die solchermaßen erweiterte Kampfvokabel ausschließlich zur Ausgrenzung von gesellschaftlicher Kritik von links und zur Affirmation einer Mitte. Unabhängig davon, wie sich diese Mitte als Kern und Maßstab der demokratischen Gesellschaft definiert, also wie weit rechts sich dieses Zentrum der bürgerlichen Demokratie in einer wie auch immer gebogenen Skala einer Rechts-Links-Dichotomie befindet.


Wiederauferstehung der Kampfvokabel Extremismus

Über Jahre ist der Extremismus-Begriff im Bereich der Inneren Sicherheit von Innenministerien, Staatsschutz und Verfassungsschutzämtern kultiviert und nach dem Fall der Mauer und dem Ausbruch von Pogromen gegen Nichtdeutsche vor allem gegen Neonazis, also Rechtsextreme, in Anschlag gebracht worden. Im Laufe der 1990er Jahre und des zu Ende gehenden Jahrzehnts ist der Begriff auch unter nichtstaatlichen, als "zivilgesellschaftlich" verstandenen Kreisen hegemonial geworden. Heute durchdringt er fast alternativlos einen Alltagsdiskurs über Nazi-Aktivitäten, der von einer viel problematischeren gesamtgesellschaftlichen Rechtslastigkeit ablenkt und im nächsten Schritt immer auch den sogenannten Linksextremismus hervorhebt und mit Nazis gleichsetzt.

Keine Nazi-Gewalttat, die im je lokalen Kontext nicht immer gleich mit einem ominösen "Linksextremismus" gekontert und so verharmlost wird. Denn die neonazistische Ideologie geht im Rekurs auf den historischen Nationalsozialismus nicht nur von einer fundamentalen Ungleichwertigkeit der Menschen aus und rechtfertigt über sozialdarwinistische Denkfiguren auch das Recht des Stärkeren zu Angriff und Vernichtung als weniger wertvoll gekennzeichneter Menschen und Gruppen, weil sie z.B. nicht-deutsch oder behindert, weiblich oder jüdisch, links oder schwul seien.

Auf das Konto dieses zutiefst rassistischen Denkens gehen in Deutschland seit der Wiedervereinigung fast 150 Menschen, die von Nazis getötet wurden. Diese Befunde werden von den Extremismus-TheoretikerInnen 1:1 auf die Linke übertragen: der Nazi-Bezug auf den NS findet im Linksextremismus seine Entsprechung im Kommunismus, der Angriff auf Menschen durch Nazis hat auf der Linken sein Pendant im Abfackeln von "Bonzen"-Autos. Diese Gleichsetzung ist eine intellektuelle Katastrophe.

Nun die gute Nachricht: "'Links' zu sein hat also erstmal gar nichts damit zu tun, Extremist zu sein." So heißt es in dem vom Innenministerium von Nordrhein-Westfalen herausgegebenen "Aufklärungs"-Comic "Andi". Dessen dritter Teil ist jüngst zum Thema "Linksextremismus" erschien und orientiert sich an den Maßgaben der Extremismus-Doktrin.

Wie schon im Islamismus-Teil der Trilogie wird zum Islamisten ebenso wie jetzt zum Linksextremisten, wer, gelockt von sinistren Fanatikern, ins Fahrwasser des Extremismus' gerät und schlechtestenfalls nicht mehr herausfindet. Es sei denn, man hat so knorke Freunde wie den besonnenen Musterdemokraten Andi, der mit Basecap, Ziegenbärtchen und Wuschelmähne als einzig "coole" Figur gezeichnet ist und so tolerant ist, dass er sogar in das "Kopftuchmädchen" (Sarrazin) Ayshe verliebt ist.

Sein Freund Ben, wir kennen ihn schon aus den Vorläufer-Heften, seinerseits verliebt sich extremistisch in die junge Autonome Nele, die Schwester seines Freundes "Randale" (Zaunpfahl!). O-Ton Nele: "Tja, die Kleinmädchenzeiten sind vorbei, der Zopf ist ab. Ich mach jetzt Politik." Der unbedarfte Ben schmilzt dahin, betrachtet verzückt Neles Nabel- und ihr Brauen-Piercing und lässt sich gleich in eine illegale Sprühaktion verwickeln - mit Sprühereien geht es halt oft los! Das erinnert schon grotesk an die amtliche Drogenaufklärung der 1970er Jahre, wo Rauchen und Marihuana von völlig ahnungslosen und überforderten JugendamtsmitarbeiterInnen als Einstiegsdrogen gebrandmarkt wurden.


Extremismustheoretischer Grobschnitt als VS-Agitprop

Zurück zum Comic: Gleich wird der kleine Trottel Ben auch erwischt. Neles herzloser Kommentar: "Die Fascho-Bullen haben Deinen Kumpel erwischt. Hoffentlich hält er sein Maul ..." Jetzt wird's erst richtig schlimm, Ben nerven seine treudoofen Freunde und er will jetzt echter Autonomer werden. Was ist da zu tun: Klar, man geht auf ein Plenum. Und das ist, was jeder, der/die schon mal bei so was reingeschnuppert hat, echt hart.

Was die VS-CartoonistInnen der agitierenden Autonomen da in den Mund legen, ist so langweilig wie in echt: "Die Repression des kapitalistischen Systems wendet sich gegen die radikal emanzipatorische Kritik an Herrschaft, mit der sie die Ausbeutung des gesellschaftlichen Subjekts in den Metropolen und im Trikont aufrecht erhält." Man kann sich vorstellen, welche Tortur derartige Versammlungen für die VS-Spitzel sein dürften und auch Ben ist im Grunde mehr an Nele als an der Unterdrückung des Trikont und dem "endlosen Gelaber" interessiert, das ja noch langweiliger als in der Schule sei.

Die junge Sozialkundelehrerin unserer FreundInnen spricht anderentags dem Verfassungsschutz und seiner Politikwissenschaft nach dem Mund: "Glaubst du wirklich, dass Du mit Gewalt ... Wir können froh sein, dass wir in einer Demokratie mit einer sozialen Marktwirtschaft leben ... Man muss die Demokratie offen gegen ihre Feinde verteidigen ..." Es könnte alles so gut und schön sein, wenn nicht schwache Figuren wie Ben sich zur Gewalt anfixen lassen würden.

Zur Gleichsetzung von Neonazis mit linken Autonomen im Sinne extremismustheoretischen Grobschnitts kommt es nun erst richtig bei einer Begegnung zwischen dem Nazi "Eisenheinrich" und seiner "Kameradin" Magda aus dem ersten Band und unseren Jung-Autonomen - in dem aggressiven Disput wird aus ideologischen Unterschieden ein "Streit unter Jugendlichen" und aus dem Unterschied zwischen einer völkisch-nationalistischen Ideologie und einer radikal-libertären Utopie eine Frage der Besserwisserei.

"Die reden voll den gleichen Quark", merkt Ayshes Bruder Murat, Protagonist der zweiten Andi-Geschichte, an. "Und aussehen tun sie auch gleich", ergänzt Ayshe und Andi wundert sich deshalb: "Aber hassen tun sie sich wie die Pest." Die Zeichnung, die eine Nazi- und Gegendemo, von der Polizei voneinander abgeschirmt, zeigt, illustriert diese schamlose, auch optische Gleichsetzung noch einmal eindrücklich.

Es kommt dann, wie in Deutschland allwöchentlich üblich zu linkem Krawall in der super-clean gezeichneten Stadt und neben brennenden Autos geht der Stammkiosk unserer FreundInnen zu Bruch. Und das ist natürlich so ungerecht, dass Ben den Autonomen abschwört und zurück zu seinen Freunden findet. Die Perfidie dieser Wendung liegt jedoch darin, dass der Kioskbesitzer deutlich als Migrant, vielleicht Türke oder Araber, gezeichnet ist und auf diese Weise suggeriert wird, autonome "Gewaltbereitschaft", linke Gewalt bedrohe die Existenz und Unversehrtheit "unserer fleißigen ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger".


Ganz auf Linie der neuen Familienministerin

Wer weiß, wie viele Dönerbuden und Geschäfte Nicht-Deutscher in den zurückliegenden 20 Jahren Brand- und Sprengstoffanschlägen von Neonazis zum Opfer gefallen sind, bei denen auch Menschen zu Schaden gekommen sind, wird das Staatsschutzcomic spätestens hier in die Ecke pfeffern. Das bringt ihn allerdings um den Genuss des letzten Bildes, das geradezu selbst entlarvend genannt werden kann.

Ganz dem Nike-Slogan "Die freie Welt ist hinter Gittern" entsprechend, treffen sich unsere geläuterten Leutchen auf ihrem hoch eingezäunten Basketball-Feld und feiern ihre Wiedervereinigung und Bens Rettung: Und auf einer Bank innerhalb des wohl als Spielfeld der DemokratInnen zu lesenden Geländes sitzt ein bisher nicht eingeführter Herr, der zufrieden den spielenden DemokratInnen zusieht: Ist es der VS-Ermittler oder Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer?

Für die kommenden Jahre, in denen die junge CDU-Karrieristin Kristina Köhler das Familienressort der zweiten Merkel-Regierung führen wird, steht zu erwarten, dass die sich in den VS-Prop-Comics manifestierende, intellektuell enorm untertourige Extremismus-Doktrin in ihrer ganzen Holzschnittartigkeit durchsetzen wird. Welche Folgen das für die in den vergangenen neun Jahren entstandenen Beratungsstellen aus zwei Bundesprogrammen vor allem in Ostdeutschland und andere Initiativen gegen Neonazismus haben wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Es dürfte aber angesichts des politischen Werdegangs des rechtskonservativen Kampfkükens Köhler als Familienministerin düster sein, denn in dieser Funktion unterstehen ihr jetzt diese Struktur-Projekte.

Die 32-jährige Köhler ist in ihren unterdessen 18 Jahren CDU-Mitgliedschaft durch stur neurechte Verdrehungen der Tatsachen aufgefallen. Selbst ihr jüngstes Steckenpferd, der Antisemitismus, will ihr ein Problem der politischen Linken sein. (1) Das sieht ähnlich aus wie in dem Andi-Comic, wo die Linken nicht nur Autos abfackeln, sondern auch den Kiosk eines Mitbürgers mit migrantischem Hintergrund demolieren.

"Wo war denn die Gegendemonstration für die Rechte der Menschen, deren Autos in den letzten Jahren abgefackelt wurden? (...) Wo war denn die Gegendemonstration für Solidarität mit den Polizisten oder den Unbeteiligten, die mit Molotowcocktails und Straßenplatten malträtiert wurden?", fragte die aufgebrachte promovierte Soziologin am 7. Mai 2009 in der Bundestagsdebatte zum 1. Mai in Berlin. Ja, wo war sie und wie macht man eigentlich eine "Gegendemonstration für Solidarität"?

Mit 14 Jahren ist Köhler in die Junge Union eingetreten. Seither hat sie ihren Text gelernt, der von neurechten Schlagworten strotzt und in dem "Deutschenfeindlichkeit", "Islamismus", "Linksextremismus" und "Blindheit auf dem linken Auge" die wesentlichen Probleme der deutschen Gesellschaft darstellen. Die LinksextremistInnen, so Köhler weiter vor dem Bundestag, hassen "unser Land", verachten seine Gesellschaft und glauben an ihre "ewig gestrigen und menschenverachtenden Ideologien" und: "Die Extremisten beantworten das Prinzip der ausgestreckten Hand mit dem Prinzip des ausgestreckten Mittelfingers." Dem ist allerdings kaum etwas hinzuzufügen.

Anmerkung:

(1) vgl. "Ein Garten voller Böcke" in Rundbrief 2009 des Bildungswerkes Anna Seghers:
http://antinazi.files.wordpress.com/2009/11/ein-garten-voller-bocke.pd

Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.):
Andi 3, Linksextremismus. CoCeX, Comic für Demokratie und gegen Extremismus.
Online und Bestellung unter: http://www.andi.nrw.de


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2009