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ANALYSE & KRITIK/490: Griechenland Nach den Wahlen ist vor den Wahlen


ak - analyse & kritik - Nr. 572 - 18.05.2012
zeitung für linke Debatte und Praxis

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen
Griechenland stimmt gegen die europäische Austeritätspolitik und stärkt die Linke

Von Heike Schrader



Das Wahlergebnis vom 6. Mai 2012 hat die politische Landschaft Griechenlands völlig durcheinandergewirbelt - und es könnte weitreichende Folgen über das Land hinaus haben.

Die beiden traditionellen »Volksparteien«, die sozialistische PASOK und die konservative Nea Dimokratia, wurden auf Schatten ihrer selbst geschrumpft. Selbst gemeinsam verfügen beide Parteien nicht mehr über die nötige parlamentarische Mehrheit von mindestens 151 Sitzen.

Von der »Wut des Volkes« auf die »Memorandumsparteien«, wie die UnterstützerInnen der Austeritätspolitik genannt werden, profitierten zum Teil die in den trüben Gewässern der Fremdenangst und Verschwörungstheorien von Bankerweltherrschaft und Fremdbesatzung fischenden nationalistischen und faschistischen Parteien. Zwar schaffte es die seit 2007 im Parlament vertretene ultrarechte LAOS nicht mehr über die Dreiprozenthürde, stattdessen zogen erstmalig die faschistischen Schläger der Chrysi Avgi, ebenso wie die neugegründeten nationalistischen Unabhängigen Griechen ins Parlament ein.


Die Mehrheit will eine linke Alternative zum EU-Spardiktat

Wie die mehr als Verdoppelung der Stimmen für die Linken zeigt, fordert die Mehrheit der »Empörten« jedoch eine linke Alternative. Erzielten die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und die Linksallianz SYRIZA 2009 gemeinsam noch 12,14 Prozent der Stimmen, kamen die beiden zusammen mit der aus einer Abspaltung von SYRIZA hervorgegangenen Demokratischen Linken am 6. Mai auf 31,35 Prozent.

Allerdings verteilten die WählerInnen ihre Gunst nicht gleichmäßig innerhalb des linken Spektrums. Den absoluten Löwenanteil mit über einer Million Stimmen und der mehr als Verdreifachung des bisherigen Potenzials erzielte SYRIZA. Die Buchstaben stehen für »Allianz der Radikalen Linken«, doch in Griechenland zählt SYRIZA eher zur gemäßigten denn zur radikalen Linken. Zwar gehören dem 2004 gegründeten Linksbündnis auch Parteien von TrotzkistInnen oder MaoistInnen an, von denen einige beispielsweise mit einem Ausstieg Griechenlands aus Euro und EU liebäugeln. Die meisten, darunter die mit Abstand stärkste Partei Synaspismos, vertreten dagegen keineswegs revolutionäre Ideen.

Wer systemsprengende Vorstellungen sucht, sollte sich deswegen lieber im Programm der KKE umsehen. Dort wird das klassische Rezept von Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, Fünfjahresplan und Demokratischem Zentralismus angeboten. SYRIZA hatte bei den Wahlen für eine Koalitionsregierung aller linken Kräfte geworben, die einen Verbleib in EU und Euro aber die Rücknahme aller Austeritätsmaßnahmen durchsetzen soll. Die KKE dagegen wurde auch wegen ihrer Absage an eine solche Koalition »links liegen gelassen« und überzeugte nur 18.823 WählerInnen mehr als 2009.

In den bei Redaktionsschluss noch laufenden Sondierungsgesprächen zeichnet sich ab, dass weder MemorandumsbefürworterInnen, noch dessen GegnerInnen eine Regierungsbildung mit parlamentarischer Mehrheit gelingen wird. Dann müssten die GriechInnen wieder an die Urne. Sollte sich der Trend der Wahl vom 6. Mai fortsetzten, könnte SYRIZA zur stärksten Partei aufsteigen.

Sollten sich einige der kleinen linken Parteien, die am 6. Mai noch an der Dreiprozenthürde gescheitert sind, dem Linksbündnis anschließen, könnte SYRIZA beim nächsten Wahlgang durchaus stärkste Partei werden. Mit den der Linksallianz damit automatisch zufallenden 50 Bonussitzen könnte es wesentlich zuversichtlicher in neue Koalitionsverhandlungen gehen als nach dieser Wahl, bei der die Linke zusammen auf 97 Sitze kam.

Sicherlich wird die reale Möglichkeit einer linken Regierung den Druck auf die heute noch koalitionsunwilligen Parteien KKE und Demokratische Linke enorm verstärken. Bei der Demokratischen Linken gab es bereits in den Sondierungsgesprächen Anzeichen, unter Umständen eine Linksregierung ohne eigene Beteiligung zumindest unterstützen zu wollen. Die KKE dagegen lehnt es bisher ab, auch nur mit SYRIZA über die politischen Grundlagen einer solchen Regierung zu sprechen. Es gäbe keine Möglichkeit einer Verständigung, erklärte die Generalsekretärin der KKE, Aleka Papariga.

Dem SYRIZA-Fraktionsvorsitzenden, Alexis Tsipras, warf die KKE vor, die aktuellen Sondierungsgespräche als Wahlkampfinstrument zu missbrauchen, um »die Verzweifeltsten in die Irre zu führen«. Mit den Vorschlägen von SYRIZA würden die Vereinbarungen mit den Gläubigern nicht aufgehoben. Auch der frische »europäische Wind, den angeblich Hollande bringen wird«, beträfe, »nicht das Volk, sondern die Machtkämpfe der Monopole eines jeden Landes untereinander«, so die KKE.

Den Nerv der Bevölkerung trifft die KKE mit ihrem Beharren auf den Systemwandel nicht. Ganz im Gegenteil zu SYRIZA, die mit ihrem Programm die Stimmung von weit mehr Menschen trifft, als für die Linksallianz gestimmt haben: Schluss mit der Austeritätspolitik, Neuverhandlungen über die Schuldenrückzahlung aber Verbleib in Euro und EU.

Im SYRIZA-Wahlprogramm liest sich das so: »Die heutige gesellschaftliche Tragödie ist kein unvermeidbares Phänomen, sondern das Ergebnis der Krisenlösung, die von den herrschenden politischen Kräften in Europa gewählt wurde.« Im weiteren verpflichtet man sich »zur Annullierung aller Memoranden, Schulden- und Kreditabkommen, aller Maßnahmen und Verpflichtungen, die mit ihnen verbunden sind und zur Ausweisung der Troika aus dem Land«. Stattdessen soll eine Politik eingeschlagen werden, die »Löhne, Renten, Arbeitsbeziehungen, Tarifverträge und Rechte auf den Stand vor den Abkommen zurückbringt«. Die Bedürfnisse der Gesellschaft stünden über den Forderungen der Gläubiger.

Dass die Suche nach einem »Kapitalismus mit menschlichem Antlitz« in der Praxis vielleicht doch rasch auf die »Systemfrage« hinauslaufen könnte, ist dabei zumindest einigen Kräften innerhalb der Linksallianz bewusst. Auch innerhalb der größten Kraft Synaspismos gibt es eine Minderheit, die sich in internen Diskussionen für einen Austritt aus der EU ausgesprochen hat.


Ein Albtraum für die Herrschenden in der EU

Die überwiegende Mehrheit der insgesamt zwölf in SYRIZA zusammengeschlossenen Einzelparteien und zahlreichen Persönlichkeiten jedoch besetzt die Lücke, die die traditionelle Sozialdemokratie mit ihrer Wendung zum Neoliberalismus aufgerissen hat. Verstärkung bekam dieser Flügel im Zuge der Krise aus den Reihen der PASOK. Mehrere Abgeordneten der ehemaligen Regierungspartei, die wegen der Verweigerung ihrer Zustimmung zu den diversen Steuererhöhungen, Lohn- und Rentenkürzungen aus der PASOK ausgeschlossen wurden, arbeiten nun mit dem Linksbündnis zusammen.

Bei den Neuwahlen will SYRIZA alles dafür tun, den Linkstrend zu verstärken und als stärkste Partei die 50 Bonussitze zu bekommen. Ein Albtraumszenarium für Finanzmärkte und Herrschende in der EU, wie die Reaktionen aus Frankfurt, Berlin und Brüssel allein auf das Wahlergebnis vom 6. Mai zeigen. So erklärte beispielsweise Regierungssprecher Steffen Seibert am Tag nach dem Urnengang in Griechenland, es müsse auch nach den Wahlen bei den jetzigen internationalen Vereinbarungen bleiben. Tsipras dagegen sprach davon, die WählerInnen hätten eine »Botschaft einer friedlichen Revolution« verkündet. »Die europäischen Führungen und insbesondere Frau Merkel sind verpflichtet zu begreifen, dass ihre Politik, die Austeritätspolitik eine vernichtende Niederlage erlitten hat.«


Heike Schrader berichtete in ak 571 über die griechische Linke im Vorfeld der Wahlen am 6. Mai.

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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 572, 18.05.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2012