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ARBEITERSTIMME/254: Die Partei Die Linke in einer tiefen Krise


Arbeiterstimme, Sommer 2012, Nr. 176
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Die Partei Die Linke in einer tiefen Krise



Ihre Gegner und die Schreiber der Mainstream-Presse reiben sich schadenfroh die Hände. Die einen sehen die Partei schon vor dem Aus, die anderen vor der Spaltung und vor dem Zerfall. Der politische Richtungsstreit in der Linken wird vor allem auf die agierenden Personen zurückgeführt, die ihre Geltungs- und Streitsucht austoben und denen das wichtigste die Postenjägerei ist. Natürlich gibt es das auch bei den Linken, wie in jeder anderen Partei. Doch wenn der Zwist nun besonders zu Tage tritt - Fraktionschef Gysi spricht sogar von "Hass" - so stecken dahinter eine Reihe politischer Gründe und Niederlagen, die noch zur Sprache kommen sollen.

Hinzu kommt: Das Aufbauschen der Vorgänge in Zeitungen und Fernsehen soll davon ablenken, welche gewaltige Niederlage die CDU gerade im bedeutendsten Bundesland Nordrhein-Westfalen hinnehmen musste und in welch irritierendem Zustand sich die Regierungskoalition in Berlin befindet; ganz zu schweigen vom Herunterspielen der Krisen des Kapitalismus, dessen Finanzkrisen die EU und den Euro ins Wanken bringen.

Wenn sogar die Wochenzeitung Freitag, ein Blatt mit linkem Anspruch, Die Linke "am Ende" sieht, das "schäbige" Streiten in der Linkspartei hervorhebt, muss man sich doch fragen, für wie vergesslich das Publikum eingeschätzt wird. Gab es nicht monatelang während des Absturzes der FDP die persönlichen Anfeindungen zwischen Westerwelle und Rösler, auch Kubickis und Lindners Alleingänge? Wie war das mit der "Gurkentruppe"? Was ist mit den ewigen Quertreibereien der CSU und Seehofers Rempeleien gegenüber der Schwesterpartei CDU? Und dann war da noch der fiese Wortbruch Merkels gegenüber dem CDU-Vize Röttgen... Nicht nur in Der Linken, auch bei SPD und Grünen gibt es nicht immer die feine Art bei der Kandidatenaufstellung.

Außerdem ziehen neue Parteien wie Die Linke nun mal auch absonderliche Gestalten an.

Die persönlichen Querelen und der Kampf um die Führung sind aber nicht der Grund für die tiefe Krise der Linkspartei, die nach Sarah Wagenknecht eine "Existenzkrise" ist. Solche Erscheinungen sind Ausdruck der Veränderungen der politischen Bedingungen. Es sind Verschlechterungen eingetreten, welche die Partei Die Linke rundum den Zugang zur Partei und ganze Wählerschichten gekostet haben. Verschiedene Entwicklungen hatten den Aufstieg der Linkspartei einst ermöglicht, mit bis zu 11,9 % bei der Bundestagswahl 2009 (8,3 % im Westen). In erster Linie war es die soziale Lücke, die eine durch die verheerende Agenda-Politik heimgesuchte SPD hinterließ.

Die Linke konnte auch als Protestpartei fungieren. Im Osten war sie Regionalpartei, in der die Pragmatiker zudem stärker waren als die DDR-Nostalgiker und Marxisten.


Folgen subjektiver und objektiver Verschlechterungen für Die Linke

Der Aufstieg der Partei war verbunden mit sozialen Bewegungen, wie vor allem den Protesten gegen Hartz IV. Diese sind in relevanter Größe Vergangenheit. Mit ihrer Beteiligung bei der Occupy-Bewegung und antifaschistischen Bewegungen ist die Partei Die Linke nur eine Kraft unter anderen. Der Kern ihres Absturzes liegt im Verlust der Wahrnehmung ihrer sozialen Kompetenz. In der Zeitspanne nach den Schröder-Regierungsjahren ist es der SPD gelungen, den vergesslichen Menschen eine Kehrtwende vorzugaukeln. Heute, in der Opposition, bietet sie sich wieder als soziale Partei an, will ihre einstige Privatisierungspolitik, ihre Rentenmaßnahmen und ihre Kriegsbeteiligungszustimmung am liebsten unter den Teppich kehren und tritt nun verbal für einen Mindestlohn ein.

Kürzlich gab es eine Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der WDR, mit welcher Partei der Begriff "Soziale Gerechtigkeit" verbunden wird. Allen anderen voraus wurde die SPD schon wieder mit 47 % benannt und sogar die CDU mit 20 %. Die Partei Die Linke war mit 3 % weit abgeschlagen - und das auf ihrem Kerngebiet! Das schlug sich gewaltig auf die Landtagswahlergebnisse in Schleswig-Holstein mit nur 2,2 % nieder, noch mehr in NRW mit 2,5 % (2010 5,6 %). In Schleswig-Holstein gingen 2/3 ihres Verlustes auf das Konto der Wahlverweigerer, 14 % an die SPD und 10 % an die Piraten. Am schlimmsten war der Einbruch bei den Arbeitslosen von 18 % auf 8 %, bei den Arbeitern und Arbeiterinnen von 13 % auf 4 %! In NRW war es ähnlich. Wie in Schleswig-Holstein mieden auch dort die Jung- und Erstwähler die Partei Die Linke. Viele Arbeiter und Gewerkschafter glauben wohl, auch in der Praxis mit der SPD mehr zu erreichen als mit einer schwachen Linken. Ein weiteres Milieu Der Linken, Sozialempfänger, Niedriglöhner und Arme, ist immer weniger zu mobilisieren. Sie haben jeden Glauben an eine politische Veränderung ihrer Lage verloren. In Schleswig-Holstein sank die Wahlbeteiligung von 74 auf 60 %. Dank des Lafontaine-Bonus ist das Saarland immer noch Ausnahmeland im Westen. Auch hier hat Die Linke Stimmen verloren, doch sollen 41 % der dortigen Arbeitslosen die Partei Die Linke gewählt haben.

Der damalige Vorsitzende der Linken hat im März im Tagesspiegel noch gemeint: "Die SPD muss einsehen: ohne die Linke keine linke Regierung". Da kann man nur sagen, woher weiß Ernst, dass SPD und Grüne überhaupt eine linke Regierung wollen? Für sie ist Die Linke Konkurrenz, die man am besten kaputt macht. Und nur, wo man sie vorübergehend zur Regierungsmehrheit braucht, wie in NRW, da duldet die SPD die Duldung. Danach lässt man die Linke wieder auflaufen. Das zeigen doch die Tatsachen. Obwohl eine rosa-rote Regierung möglich gewesen wäre, im Saarland, in Berlin, Thüringen, Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern ist die SPD in eine große Koalition mit der CDU eingetreten. Einzig für Brandenburg gilt bisher diese "Ausschlußverfahren" der SPD noch nicht. Es gab gewiss auch Wähler, die von dieser Konstellation ausgehend der Meinung waren, wenn man etwas bewirken wolle, müsse man trotz allem wieder SPD wählen. Die undemokratische 5 %-Klausel schreckte zudem manche Wähler ab, die davon bedrohte Linke zu wählen.

Manche Themen Der Linken, zu Regierungszeiten der Sozialdemokraten noch gegensätzlich und aktuell, scheinen es heute nicht mehr zu sein oder in der alter Schärfe nicht mehr zu bestehen. Vor allem betrifft das Forderungen, die auch von den Gewerkschaften erhoben werden: gegen Leiharbeit, gegen Niedriglohnsektor, für "gerechten"(!) Lohn, gegen die Pläne zur Gesundheits"reform" usw. Das gilt auch für eine Modifizierung der Rentenregelung. SPD und Linke behaupten, sie seinen für eine Reichensteuer. Die Antikriegsbewegung ist abgeflaut, seit klar war, dass der Abzug aus Afghanistan nur noch eine Frage der Zeit ist. Die Abschaffung der Wehrpflicht schafft außerdem weniger direkt Betroffene. Schwierigere Problemfelder, die von der Partei Die Linke vertreten werden oder Ausdruck grundsätzlicher Einstellungen sind, werden von der Wählerschaft noch nicht aufgenommen oder als nicht lösbar betrachtet. Das betrifft die Krisenproblematik, zumindest solange Deutschland das Land der Konjunkturseligen sein soll, wie auch die Ablehnung von Schuldenbremse und Fiskalpakt durch Die Linke. Die von Der Linken vertretene Bankenverstaatlichung und das Eintreten für die 30 Stunden-Woche werden ebenso wenig ernst genommen wie die Forderung nach einer Rückgängigmachung der Umverteilungspolitik von unten nach oben. Das alles kann sich ändern und wird sich ändern; aber nicht durch Parolen allein, sondern indem es durch veränderte Verhältnisse zum Bedürfnis der Massen wird. Erst dann hat eine linke Partei die Möglichkeit, eine entsprechende Bindung mit der Basis herzustellen.


Das nahende Ende der relativ guten Wirtschaftslage in Deutschland wird auch politisch manches ändern

Die Linke ist auch nicht mehr in dem Ausmaß Protestpartei, wie sie es einmal war. Die Partei hatte lange Zeit Wähler angezogen, die ihr als Protest gegen den abstoßenden politischen Betrieb in Deutschland aus verschiedenen Gründen ihre Stimme gaben. Diese Wähler mussten nicht unbedingt links sein. Durch den erfolgreichen Antritt der Piratenpartei hat sie nun wieder viele davon verloren, bzw. andere nicht mehr von sich überzeugen können, was nicht zuletzt dem inneren Zustand der Linkspartei zuzuschreiben ist. Vor allem Neuwähler und politisch unbedarfte Jungwähler sind den Internetfreaks zugeströmt. Überraschend jedoch, dass die Piraten bei der Landtagswahl in NRW mit einem Plus von sieben Prozentpunkten unter den Gewerkschaftern glänzen konnten. Das ging vor allem auf Kosten der Linkspartei und der CDU. Was sich Gewerkschafter von einer Partei mit ausgesprochenen heterogenen Ansätzen versprechen, deren Mitglieder kaum betriebliche und gewerkschaftliche Berührungspraxis hinter sich haben, deutet auf ziemliche Oberflächlichkeit und klassenpolitischen Tiefstand hin. Für den steilen Aufstieg der Piraten nicht unwichtig war, dass die Meute der Medienmacher die Piraten gezielt ins Rampenlicht hoben, wohl nach dem Motto: "Besser wirr als links"! Es ist wohl kein Zufall, dass als Bundesvorsitzender ein Regierungsdirektor im deutschen Kriegsministerium gewählt wurde.


Die Manipulierungsmaschine

Für den Niedergang der Partei Die Linke spielt die Beeinflussung der Öffentlichkeit eine große Rolle, vor allem durch das Fernsehen und die Presse. Diese sind fast ausschließlich in "rechter" Hand. Im Kapitalismus ist nun mal die herrschende Meinung die Meinung der Herrschenden. Und die haben auch die dafür notwendigen großen Finanzmittel.

Die Partei Die Linke wurde nicht nur im Wahlkampf, sondern schon die ganze Zeit vorher in unglaublichem Ausmaß boykottiert oder man kramte alles Negative hervor, um ihr zu schaden. Ihre politischen Aussagen, ihre Stellungnahmen zum aktuellen Geschehen, ihre Gegenvorschläge - weithin Fehlanzeige. Dafür sind Unterstellungen, Verdrehungen und Verleumdungen üble Praxis. Was z. B. ARD und ZDF zum Parteitag in Sondersendungen brachten, war eine abgefeimte Schande. Natürlich mussten sie über die Zwietracht und den Streit, der sich dort aufgeladen hatte, berichten. Aber auch da suchten sie sich ihre Interviewpartner nach ihrem Gusto aus. Man muss es doch erst einmal fertigbringen, mit keinem einzigen Wort in einer Parteitagssondersendung auf politische Aussagen einer Partei einzugehen, sie auch nur zu erwähnen!

Was die Nachrichtenagenturen anbelangt, so schickten sie den Zeitungsredaktionen von vornherein entsprechend Die Linke niedermachende Artikelmaterialien. Das ist alles natürlich nichts Neues, das hatte man früher mit den Kommunisten auch so gemacht. Für die Wenigen, die das noch durchschauen, enthüllt sich damit wieder einmal die Hohlheit und Heuchelei der bürgerlichen Demokratie!

Es ist nicht nur die Meinungsmanipulation, sondern es sind auch die Wahlkampfmittel, die eine Waffenungleichheit zementieren. Vor allem die Rechtsparteien sind im Vorteil, denn über sie ergießt sich der Millionensegen der Konzerne und Wirtschaftsverbände. Da diese Spenden auch noch steuermindernd sind, zahlt der kleine Steuerzahler indirekt die Förderung der von ihm abgelehnten Parteien mit.


Seid ihr noch Genossen?

Wenn eine Partei in der Größenordnung der Linken in drei Landtagswahlen 343.000 Stimmen verliert, ist das ein "dramatischer Vertrauensverlust" (Wagenknecht). Auch der Zustand der Partei hat daran seinen gehörigen Anteil.

Die Zwietracht und die persönlichen Anfeindungen haben der Partei schwer geschadet. Sie haben einen gehörigen Anteil an ihrem Absturz. Auch wenn man zugestehen muss, dass eine solche Partei als Sammelbecken verschiedener Linker auf Meinungsstreit nicht verzichten darf, so kommt es doch auf die Form an und es müssen Grenzen gesetzt sein. Ohne Rückbesinnung auf die gemeinsamen Ziele - gerade in Zeiten weltweiter Spannungen und ökonomischer Erschütterungen - hat die Partei keine Zukunft mehr. Abgesehen von den objektive Veränderungen und dem Anstinken der Medien muss in der Partei selbst sich viel ändern. Das Desaster von Schleswig Holstein und NRW ist ein letzter Weckruf. 69 % Stimmenverlust in Schleswig-Holstein, da ist auch vieles selbstverschuldet. Nach dem ZDF-Politbarometer halten 67 % der Bevölkerung die Partei Die Linke in wichtigen politischen Fragen für zerstritten. Auch ist der einstige Glaube mancher ihrer Wähler, die Partei könnte in Koalitionen den Sozialabbau bremsen, geschwunden.

In Schleswig-Holstein z.B. wirkten noch die Streitereien vergangener Jahre nach, wo sich Führungskräfte übel beschimpften und sogar gegeneinander vor Gericht auftraten. Mehrere Male gab es Wechsel im Fraktionsvorsitz. "Kreisverbände hatten sich gegenseitig ihre Legitimation abgesprochen" (taz, 10.4.12). Das hatte sich durch fleißige Arbeit inzwischen verbessert, doch das Wahlergebnis zeigt, dass die Wähler durchaus nachtragend waren. Da halfen dann auch nicht die 526 Anträge der Linksfraktion im Landtag und die Forderung nach mehr Geld für den Bildungs- und Sozialsektor und für mehr Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst. Die Bevölkerungsmeinung tendiert im Allgemeinen dazu, dass in einem verschuldeten Land noch mehr gespart werden sollte. Die Erfolge Der Linken in der Kieler Migrationspolitik werden auch nicht überall Anklang gefunden haben.

Auch in Nordrhein-Westfahlen zeigten sich schon länger Zersetzungserscheinungen in der Partei. In der Wochenzeitung Freitag wurde darüber berichtet: In Werl liefen die beiden Ratsherren mit fast allen Aktiven des Ortsverbandes zu den Piraten über. Auch in anderen Orten sind Mandatsträger und Aktivisten ausgetreten. Der ehemalige Gewerkschaftssekretär Rainer Sauer trat als Vorsitzender des Stadtverbandes Bocholt zurück und trat mit mehreren Anhängern aus der Linken aus, darunter seine Frau - Linken-Stadträtin Bärbel Sauer schätzt, dass inzwischen 30 Linkspartei-Fraktionen in NRW die Partei ganz oder teilweise verlassen haben, darunter die in Leverkusen, Herne und Gelsenkirchen. Die Zahl der Mitglieder soll von 9.000 im Jahr 2010 nun auf 7.900 gefallen sein. Der Umgangston in der Partei sei miserabel, wird rundum berichtet. Die Mitarbeiter würden "gemobbt, diffamiert, denunziert, beleidigt, ausgegrenzt", beklagte Margit Mädel, eine Erwerbslosenaktivistin in Höxter. Auch in anderen Bundesländern waren die Zustände in der Partei von skandalösen Vorgängen geprägt, die in Bayern auch den Landesvorstand erfassten. Vieles kommt auch daher, dass der Parteiaufbau im Westen noch im Argen liegt, längst noch nicht zureichend abgeschlossen ist, was erfahrungsgemäß längere Zeit in Anspruch nimmt.

Dass die Trennungslinie nicht nur zwischen Ost und West auszumachen ist, wird dadurch deutlich, dass auch in den ostdeutschen Landesverbänden viel Streit und Zerwürfnisse vorhanden sind. So wurden z.B. in Sachsen, in den Kreisverbänden Zwickau und Werdau, "die Partei erschütternde Krisen" in ihren Parteiblättern vermeidet. Der Kreisvorstand musste neu gewählt werden. Die Monatszeitschriften Linker Blick und Vogtlandbote wurden zusammengelegt. Die Ortsverbandsvorsitzende, MdB Sabine Zimmermann, monierte, dass bei unterschiedlichen politischen Auffassungen der eigenen Funktionäre es zunehmend nicht gelungen sei, einen Konsens zu finden. Die vergangenen zwei Jahre seien nicht gerade Sternstunden für Die Linke in Werdau gewesen. "Unterschiedliche Auffassungen unserer eigenen Funktionäre zu politischen Sachthemen prägten den Parteialltag". (Linker Blick Nr. 4/12)

Der nicht durchgekommene Kandidat zum Parteivorsitz, Dietmar Bartsch, soll zu den Streitereien in der Partei gesagt haben: Da in Zeiten schlechter Wahlergebnisse die Mandate knapper seien, würden sich die Abgeordneten der Linkspartei um die Posten streiten "wie die Hartz-Vierer um den Alkohol". Mit dieser Herabwürdigung hat er sich und seiner Partei bestimmt keinen guten Dienst erwiesen! Dies tat auch der ehemalige Parteichef Lothar Bisky nicht, der den Zustand seiner Partei als "Super-Horror-Show" bezeichnete.

Es ist eben eine Tatsache, dass die Partei auch im Osten nicht mehr an die Wahlerfolge der neunziger Jahre anknüpfen kann.

Die Linke leidet an Überalterung und damit an einem Ausscheiden jahrelang Aktiver. So wird aus Neubrandenburg berichtet, dass von 100 Mitgliedern nur noch 35 am innerparteilichen Leben teilnehmen. Die Aktiven sind überall überlastet. In ihren Hochzeiten konnte Die Linke eine Anzahl Stadt- und Gemeinderäte stellen. Allein in NRW gibt es zur Zeit etwa 400 Mandate der Linken. Bürgermeister und Landratskandidaten im Osten setzten sich durch. So waren viele Aktive durch zeitaufwendige kommunalpolitische Arbeit gebunden, standen für die Bundes- und Landesebene und für die Organisationsarbeit kaum mehr zur Verfügung. In Thüringen gelang es der Partei kürzlich sogar, drei Landräte und zehn Bürgermeister durchzubringen. Eine beachtliche Leistung - Oberwasser für den dortigen pragmatischen Flügel um Bodo Ramelow. Dort zählt die Popularität vor Ort und das Erfurter Programm der Partei ist weit außen vor. Das Gegenbeispiel zu diesen Erfolgen ist Berlin, wo in der SPD-PDL-Regierungskoalition der Lederer-Liebich-Kurs des "kleineren Übels" in einer Wahlniederlage mündete.

Der Partei fehlt nach wie vor eine ausreichende Verankerung in den Betrieben und Gewerkschaften, die Unterstützung in der Facharbeiterschaft. Die kann man auch nicht künstlich schaffen, sind doch nicht mehr viele Mitglieder in der Industrie beschäftigt; auch hält sich die soziale Unzufriedenheit noch in Grenzen.

Die Partei ist im Dilemma: Ihre starke Fixierung auf den Parlamentarismus motiviert die Erfolgreichen. Sie hat aber nicht mehr die Kraft, ausreichend in Basisbewegungen und in Basisorganisationen präsent zu sein und sich wie früher um die tagtäglichen Probleme der "kleinen Leute" zu kümmern.


Ein neuer Anlauf über die Gräben hinweg

Vor dem Göttinger Parteitag war die Stimmung in Der Linken aufs höchste aufgeladen, manche erwarteten schon die Spaltung. Wenige Tage vor dem Parteitag wurde in Berlin Sarah Wagenknecht auf einer Strategiekonferenz von über 1.000 Besuchern stürmisch gefeiert. Personen aus dem "Reformer-Flügel" hätten sich auf Kosten der Partei profiliert und "selbstzerstörerische Debatten" angezettelt, beklagte die Vizeparteichefin. Die schweren Niederlagen bei den Landtagswahlen im Westen trieben die Gegensätze zwischen den Flügeln, den Regionen und Personen auf den Siedepunkt. Am Dienstag vor dem Parteitag hatten die verfeindeten Lager ein Treffen ausgemacht, aber es war schon zu spät für einen Konsens. Eine Seite gab der anderen die Schuld an der Zwietracht und an der Erfolglosigkeit. Die sogenannten Pragmatiker aus der ehemaligen PDS überschütteten die Linken in Der Linken mit Vorwürfen. Diese wiederum versuchten Lafontaine wieder an die Spitze zu bringen, wobei dessen Dominanz für die Partei nicht mehr annehmbar gewesen wäre. Der bisherigen Führung Lötsch/Ernst wurde Schwäche angelastet. Der Anführer der "Rechten ", Bartsch - von der Mainstreampresse irreführenderweise "Reformer" genannt - glaubte, die Machtfrage stellen zu können und kandidierte für den Vorsitz. Es reichte mit 45 % nicht ganz, doch das Abstimmungsergebnis zeigt, dass beide Seiten etwa gleich stark waren. Dabei wurde sichtbar, dass die Ostdelegierten durchaus nicht geschlossen hinter der Gruppe um Bartsch standen, stammten doch von den 500 Delegierten 270 aus östlichen und 230 aus westlichen Landesverbänden. Mit der Wahl von Katja Kipping aus Sachsen und dem Gewerkschaftsfunktionär Bernd Riexinger aus Baden-Württemberg brachten die Delegierten zum Ausdruck, dass sie doch noch einen neuen Anlauf nehmen möchten. Dazu passt die Wahl des Landesvorsitzenden von Sachsen-Anhalt, Matthias Höhn, aus dem Kreis von Dietmar Bartsch, zum Bundesgeschäftsführer. Als Schatzmeister wurde, gegen den Kandidaten Bierbaum, Raju Scharma wiedergewählt. Bartsch selbst ging leer aus. Lafontaine und Gysi werden ihre Bedeutung für die Linkswählerschaft behalten.

Die neue Führung wird nun Lehren aus der Schieflage der Partei zu ziehen haben. Sie muss die Erkenntnisse aber auch durchsetzen, was vor allem im mittleren Funktionärsbereich schwierig werden wird. Die Widersprüche in der Partei mit den unterschiedlichen Richtungen sind ja nicht beseitigt, sondern, der Not gehorchend, nur übertüncht worden. Es ist eine Zeitfrage, wann der Richtungsstreit wieder stärker aufbricht. In einer Krisenzeit und bei zunehmenden Repressionen durch dieses Scheingebilde eines bürgerlich-demokratischen Staates ist es eine zeitlang vordringlich, Einigkeit vor Klarheit zu setzen, was natürlich seine Grenzen haben muss. Das kann nur gelingen, wenn in Zukunft keine Seite versucht, die andere umzufunktionieren oder zu übertölpeln. Unter den 70.000 Mitgliedern - mehr als FDP oder Grüne in ihren Reihen haben - sollte genügend Potential vorhanden sein, eine Neuausrichtung durchzusetzen. Die Stimmung am Ende des Parteitages dafür war vorhanden. Der neue Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn - ein Anhänger von Bartsch - sah es optimistisch: "Die große Mehrheit des Parteitages war sich aber einig, dass wir trotz aller inhaltlichen Debatten immer respektvoll miteinander umgehen müssen. Die Linke wird nur als pluralistische und gesamtdeutsche Partei erfolgreich sein." Er wird durch seine Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt wissen, dass ein Zurück zur Regionalpartei das Aus bedeuten würde. Trotz der Erfolge bei den Landtagswahlen im Osten gibt es dort relevante Stimmenverluste, die immer bedeutsamer sind, da die Wahlbeteiligung nur um die 50 % schwankt. Dem mangelnden Bewusstsein ihrer Anhänger entsprechend muss die Partei dort auch mehr "Regenbogenpolitik" als Klassenpolitik betreiben.

Beide neuen Vorsitzenden Der Linken sind als seriös und umgänglich bekannt. Bernd Riexinger ("Streikführer und Visionär") will nun auf die ostdeutschen Genossinnen und Genossen zugehen: "Wir werden ganz sicher an die ostdeutschen Landesverbände Angebote machen, und ich glaube, dass wir dann einen wichtigen Beitrag zur Integration leisten können". Vielleicht könnte auch die Schaffung föderaler, politisch-inhaltlicher Freiräume in den Landesverbänden zur Entkrampfung beitragen.


Zum Verhältnis von Kommunisten zur Linkspartei

Dieses Verhältnis wird von taktischen und politischen Gesichtspunkten bestimmt. Die Situation kann sich auch ändern. Wir haben gegenwärtig nicht mal Ansätze revolutionärer Verhältnisse, wo ein Konglomerat wie Die Linke so viel Verwirrung stiften könnte, dass sie die Herausbildung kommunistischer Kader verhindert, eine Entstehung von Klassenbewusstsein in relevanter Weise behindert.

Die wenigen noch vorhandenen Sozialisten in den Nachbarstaaten Deutschlands wären froh, eine solche Partei hätte bei ihnen entstehen können. Solange es keine relevanten Klassenbewegungen gibt und Die Linke so schwach ist, wird der linke Parlamentarismus noch eine Bedeutung haben. Solange in Deutschland die Arbeiterschaft noch unter kleinbürgerlichen Bedingungen leben kann, fehlen selbst für die Entstehung einer Arbeiterpartei die Kräfte, geschweige denn für das Wiederaufleben von Klassenkämpfen. Welche Wirrnis selbst unter den Delegierten herrscht, zeigte ein Leitantrag zum Parteitag von jenen, die sich wohl besonders links vorkommen: "Die Gesellschaft spaltet sich immer mehr in wenige, die in Wohlstand und Sicherheit leben und einem wachsenden Teil derjenigen, die kaum über die Runden kommen." Delegierte, die die Lage nüchterner sahen, setzten dem richtigerweise entgegen: "In Wohlstand leben immer noch große Teile der Bevölkerung in Deutschland, jedenfalls nicht wenige." Eine Gruppe von Sozialisten gab die Parole aus: "Die Linke rechts liegen lassen". Das werden wir nicht! Wir werden die Partei, obwohl sie keine marxistischen Partei ist, dort unterstützen, wo sie progressive Positionen vertritt: gegen die herrschende Kriegspolitik, gegen Sozialabbau und im Kampf gegen die Beschneidung demokratischer Reche, gegen Rassismus und Rechtsradikalismus; natürlich auch soweit, wie sie sich gegen das kapitalistische System wendet. Wir werden sie kritisieren, wo es notwendig ist und sind überzeugt, dass in ihren Reihen Menschen wirken, die dafür aufnahmefähig sind und die sich verändern können.

Gerade jetzt, wo sich die kapitalistische Krise zuspitzt, selbst bürgerliche Wissenschaftler vor dem drohenden Zusammenbruch der Eurozone warnen, die Rezession ein Land in Europa nach dem anderen erfasst, in mehreren Ländern die Jugend - eine "Verlorene Generation" - mit der Faust an die Türen der Bankiers klopft, müssen wir reformistische Illusionen, auch in der Linkspartei, bekämpfen. Gegen die Kreise des Kapitalismus hilft auf die Dauer auch keine keynesianistische Politik à la Linkspartei. Das kapitalistische System mit seinen Gesetzmäßigkeiten selbst ist das Übel!

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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 176, Sommer 2012, S. 6-10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2012