Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

ARBEITERSTIMME/262: Tschechien - Die Leichtlebigen oder über den Charakter einer Regierung


Arbeiterstimme Nr. 178 - Winter 2012/2013
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Die Leichtlebigen
oder über den Charakter einer Regierung

von Stepán Steiger



Die gegenwärtige Regierung der Tschechischen Republik, geführt von Petr Necas, ist die am meisten ungeliebte seit der Entstehung dieses Staates, d. h. seit zwanzig Jahren. Ergebnisse der Meinungsforschung zeigen immer wieder, dass fast 80 % der Bevölkerung sie ablehnen, viele Bürger sie sogar hassen. Kein Wunder: auch noch bevor die Wirtschaftskrise vor ungefähr einem Jahr begann, mehr und mehr ihre Klauen zu zeigen, kam es immer wieder zu Demonstrationen, in denen Tausende und Abertausende von aufgeregten Menschen aus allen Gesellschaftsschichten ihren Unmut, Aufregung und Unzufriedenheit äußerten. Die Reaktion der Regierungsmitglieder, vom Ministerpräsidenten bis zum letzten Minister, war immer dieselbe: kurze geringschätzige Bemerkungen, mit denen zwar "das Recht auf freie Meinungsäußerung" anerkannt, doch zugleich die Verfolgung des "einzig möglichen" Regierungskurses bestätigt wurde. Und dieser Kurs, in einem Wort zusammengefasst, heißt: Sparen. Denn der Finanzminister hielt - und hält - die Meinung der Ratingagenturen als den einzigen Maßstab seiner Wirkung hoch, viel höher als die Meinung oder das Leiden seiner Mitbürger.

Ja, man kann von Leiden sprechen, denn die Sparmaßnahmen kann man eigentlich mit einem einzigen Wort beschreiben: im Tschechischen heißt es skrty, auf Deutsch: Streichungen. Gestrichen wird überall: im Erziehungswesen wie bei der Polizei, im Staatsdienst wie im Gesundheitswesen, bei Sozialleistungen wie im Kulturbereich. Der Finanzminister (ehemaliger Christdemokrat, vor zwei Jahren Gründer einer neuen Partei, deren Vorsitz er geschickt mit dem bekannten Fürsten Schwarzenberg besetzte) drohte zuerst, das Land sei so verschuldet, dass ihm der "griechische Weg" bevorstehen könnte. Er erinnert immer wieder an das angeblich von der EU vorgeschriebene Haushaltsdefizit von drei Prozent als Ziel der gesamten Wirtschaftspolitik. Erst in den letzten Wochen, von der fortschreitenden Krise (und einigen Regierungsökonomen) überzeugt, spricht der Ministerpräsident von der Notwendigkeit "wachstumsfreundlicher" Maßnahmen. Bisher ist jedoch nichts Konkretes herausgekommen - aller Wahrscheinlichkeit nach wird diese Regierung, die zweifellos in den nächsten Parlamentswahlen, die 2014 stattfinden, ihrer Nachfolgerin eine zerrüttete Wirtschaft hinterlassen.

Sollte jemand doch glauben, die Regierungsmannschaft folge ihrer Überzeugung und mache nur Fehler, dann muss ihn das vor einigen Tagen veröffentlichte Urteil des Verfassungsgerichtes eines besseren belehren. Die Sozialdemokratische Partei, unterstützt durch die Kommunisten, klagte nämlich beim Verfassungsgericht gegen 14 Reformgesetze der Regierung, die sie für verfassungswidrig hielt. Obwohl das Gericht der Klägerin nur in einem Fall entsprach, ist dieser Fall so bezeichnend für die gesamte Regierungsarbeit, dass er Erwähnung verdient.

Es handelt sich um das "Beschäftigungsgesetz". Darin wird u. a. für Arbeitslose, die länger als zwei Monate Beschäftigung suchen, vorgeschrieben, an "öffentlich nützlichen" Arbeiten teilzunehmen. Die werden nicht belohnt und können bis zu 20 Stunden wöchentlich betragen. Bei dieser Arbeit haben die Arbeitslosen eine gelbe Weste mit der Aufschrift "öffentlich nützlich" zu tragen.

Das Verfassungsgericht fand, diese Vorschrift sei erniedrigend, ein Verstoß gegen die Liste der Menschenrechte (die ein Teil der Verfassung ist) sowie ein Mittel der Willkür - denn es hänge vom Beamten des Arbeitsamtes ab, ob er einen Arbeitslosen zwinge, an dieser Art von "Beschäftigung" teilzunehmen oder nicht. Außerdem schreibt dieses Gesetz vor, sollte der Arbeitslose es ablehnen, würde er die Arbeitslosenunterstützung verlieren. (Ganz davon zu schweigen, dass diese "öffentlich nützliche" Arbeit, die am meisten von Stadt- und Dorfverwaltungen organisiert wurde und sehr oft in Reinigung von öffentlichen Plätzen und Parkanlagen bestand, ohne Rücksicht auf die Bildung der Betroffenen verordnet wurde: es gab Fälle, dass Menschen mit Universitätsbildung in Schulen die Fluren und Toiletten reinigen mussten.)

Es bedarf keines überzeugenderen Beweises, dass eine Regierung, die glaubt, solche menschenverachtende Gesetze durch das Parlament mit Hilfe ihrer Mehrheitsmaschine durchbringen zu müssen, keine wirklich demokratische ist - denn "dem Volke" dient sie nicht. Leider gibt es in dieser Art von Demokratie keinen anderen Weg, diese Herrscher loszuwerden, als eine neue Wahl. Denn die tschechische Gesellschaft, wie sehr es auch in ihr brodelt, war bisher nicht imstande, Mittel zu finden, um die Regierung fortzujagen. Es gab keinen Generalstreik - bisherige Streiks dauerten kaum einen Tag -, und an einen aufrüttelnden "bürgerlichen Ungehorsam" kann man gar nicht denken. Bürgerinitiativen bestehen aus kleinen Gruppen, die nicht imstande sind, zusammenzurücken. Man wartet deshalb auf 2014.

*

Wahlen in Tschechien

Wenn man diese Schilderung der aktuellen Verhältnisse in der Tschechischen Republik liest, ist man etwas weniger erstaunt über den Wahlerfolg der Kommunistischen Partei bei den gerade abgehaltenen Regionalwahlen (Sie entsprechen in etwa unseren Landtagswahlen).

Landesweit konnte die ODS (Bürgerpartei) nur noch 12,3 Prozent aller Stimmen erringen, was einer Halbierung ihres Wahlergebnisses von 2008 gleichkommt. Die Sozialdemokraten (CSSD) wurden mit 23,6 Prozent stärkste politische Kraft, doch auch sie mußten herbe Verluste von rund zwölf Prozentpunkten hinnehmen. Klarer Wahlsieger ist die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens. Die KSCM konnte ihren Stimmenanteil von rund 15 Prozent 2008 auf 20,5 Prozent ausbauen. Die Wahlbeteiligung lag nur bei 36 Prozent.

*

Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 178 - Winter 2012/2013, Seite 18
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
Die Arbeiterstimme erscheint viermal im Jahr.
Das Einzelheft kostet 3 Euro,
Abonnement und Geschenkabonnement kosten 13 Euro
(einschließlich Versandkosten).
Förderabonnement ab 20 Euro aufwärts.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2013