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ARBEITERSTIMME/295: Vor 40 Jahren - Portugal im revolutionären Aufbruch 1974/75, Teil II


Arbeiterstimme Nr. 186 - Winter 2014
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Vor 40 Jahren:
Portugal im revolutionären Aufbruch 1974/75

Anmerkungen und Notizen zur "Nelkenrevolution" - Teil II



In dem ersten Teil des Artikels in der Arbeiterstimme 185 analysierte der Autor den Werdegang der Revolution bis in die Mitte des Jahres 1976 und die Rolle der Sozialistischen Internationale. Der gesamte Artikel kann unter www.arbeiterstimme.org gelesen werden.

Die Redaktion


Was bleibt?

Zwei, drei wesentliche Dinge dürfen als Errungenschaften unzweifelhaft festgehalten und für alle Zeiten als positiv notiert werden: ein Volk hat mit tatkräftiger Hilfe des eigenen Militärs eine lange währende Diktatur zweier aufeinander folgender Potentaten (Salazar, Caetano) abgeschüttelt und sich - egal wie man dazu kritisch stehen mag - am Ende bei Wahlen mehrheitlich und dauerhaft für eine bürgerlich-demokratische Ordnung entschieden; ein fortschrittlich orientiertes Militär lieferte kurz nach dem Trauma von Chile 1973 den seltenen Beweis, dass es sich ohne Blutvergießen, Terror und Folter zu verüben, demokratisch auf die Seite des eigenen Volkes stellen konnte, wenn neben dem Willen dazu auch die materiellen Voraussetzungen danach waren. Die einzigen vier Toten (neben über vierzig Verletzten), die die Nelkenrevolution unmittelbar forderte, waren vier Zivilisten in einer auf den Hauptstadt-Stützpunkt der Geheimpolizei PIDE/DSG (Elitetruppe der Gendarmen) zuströmenden Menschenmenge, auf die die auf dem Dach des Gebäudes und davor verschanzten Elitegendarmen das scharfe Feuer eröffneten. Schließlich konnten sich, die Militärerhebung in der kolonialen Metropole ausnutzend, weitere Länder der "Dritten Welt" zunächst vom elenden kolonialen Joch befreien.


Statt Kolonial- nun Bürgerkriege

Auch wenn dies - teils wie in Angola überlagert vom Ost-West-Konflikt - nun in einzelnen unabhängig gewordenen Ländern wie Angola und Mozambique z.T. in langwierige Phasen blutigster Bürgerkriegs-Auseinandersetzungen und Stellvertreterkriege zwischen zuvor im Kolonialkrieg auf gegnerischer Seite agierenden Gruppierungen mündete. Als Beispiel erwähnt seien in Angola die an der Seite der marxistisch orientierten nationalen Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegung MPLA (unter Agostinho Neto) kämpfenden, ungefähr 40.000 regulären kubanischen Soldaten (was noch einer gewissen historischen Logik folgte) und tätigen militärischen Berater der Sowjetarmee und des Warschauer Paktes samt Kriegsgerät aus Kuba und der SU, und die von den USA/CIA u.a. Ländern (VR China, Südafrika) weiter unterstützten Contra-Rebellenbewegungen UNITA (unter Jonas Savimbi) und FNLA (geführt von Holden Roberto), in denen sich auch geschürte ethnische Rivalitäten ausdrückten und die sich ihren Teil vom Kuchen sichern wollten. (Im Regionalkonflikt in Mozambique, wo am Sambesi der gewaltige Cabora Bassa Staudamm errichtet wurde, kämpften analog die marxistische FRELIMO und die RENAMO als Contragruppe gegeneinander.) Dies kostete Hunderttausenden, (in Angola endete der Bürgerkrieg erst 2002, in Mozambique 10 Jahre zuvor), über die Jahrzehnte vielleicht sogar Millionen Menschen, Soldaten, Kindersoldaten und vor allem Betroffenen aus der Zivilbevölkerung, das Leben. Mehr als zwei Millionen Zivilisten waren allein aus den angolanischen Kampfgebieten auf der Flucht. Und noch immer sterben, oder werden grausam verstümmelt, nach den bislang allein in Angola geschätzten 100.000, in diesen beiden Ländern wöchentlich Menschen durch Explosionen unentdeckt versteckter Antipersonen-Minen, die sowohl aus Arsenalen der NATO als auch des Warschauer Paktes und von anderen Waffenlieferanten stammten und zu Hunderttausenden im freien Gelände, auf Äckern, entlang von Wegen und Strassen und besonders um Strommasten verlegt wurden. Die dort lebenden Menschen können aus berechtigter Angst ihre Äcker nicht bestellen und Existenz sichernde Ernten einbringen. Da mutet einen das mühsame Aufspüren von Minen im Kleinen mithilfe trainierter Ratten in örtlichen UN-Programmen angesichts der Möglichkeiten, die modern ausgerüstete Armeen mit ihren gepanzerten Minenräumgeräten hätten, geradezu als beschämend und grotesk an. Noch immer sind, wie das Beispiel Angola aktuell zeigt, die Folgen der Bürgerkriege nicht überwunden, besteht in Angola z.T. große Armut unter der Bevölkerung, trägt der Ölreichtum des Landes (Angola ist nach Nigeria inzwischen zweitwichtigstes afrikanische Förder- und Exportland) bislang nur schleppend zur Sanierung der zerstörten Infrastruktur bei.


Bestimmende Faktoren in Bevölkerung und Wirtschaft

Portugal war am Ende jahrzehntelanger politischer Unterdrückung Anfang 1974 auch eine in mehrfacher Hinsicht polarisierte bis gespaltene Gesellschaft und rückständige Nation, woraus z.T. die harten Konflikte hervorgingen und sich nährten, die dann kulminiert im politischen Machtkampf zum Ausdruck und Austrag kamen. Man könnte den Zustand vielleicht am ehesten mit dem eines Vulkans vergleichen, aus dessen Schlot nun der blockierende Pfropfen entfernt wurde und die angestauten, inneren Triebkräfte eruptiv entströmten. Dem bis auf wenige größere "urbane" Zentren mit Industrie und Gewerbe (Braga, Porto, Aveiro, Coimbra) ökonomisch und industriell schwach infrastrukturierten Norden, stand vergleichsweise ein wirtschaftlich und industriell entwickelterer Süden und fruchtbarer grüner Küstenstreifen mit reich bewässerten Flußtälern wie dem des Tejo gegenüber. Dazu gehört der "rote Gürtel" um die Hauptstadt und die nahebei südlich gelegene Stadt Setubal, wo sich auch ein politisch bewußteres Proletariat (Metall-, Textilbetriebe, Werften, Transportgewerbe, Holz/Zellstoff- und petrochemische Industrie, damals gerade im Aufbau) wenn auch von kleiner Zahl herausgebildet hatte (bei etwas über 3 Mio. Erwerbstätigen), auch wenn seine politischen Ausdrucksmöglichkeiten in Gewerkschaften und Parteien vor dem 25. April durch deren Verbot bzw. Alibiexistenz sehr begrenzt waren. Viele Aktionen wie Betriebs-, Haus- und Landbesetzungen, Demonstrationen und Kundgebungen im Verlauf des "heißen Sommers" 1975 waren von einem mehrheitlich parteikommunistisch organisierten Teil der Bevölkerung und ArbeiterInnenschaft und kleineren linksradikalen Gruppen getragen und bestimmt. In vielen Industriebetrieben kam es zur Bildung von Arbeiterkommissionen, Kontrollräten und zu Besetzungen, besonders nachdem das Enteignungs- und Verstaatlichungsprogramm der MFA als Reaktion auf den Putschversuch Spinolas vom März 1975 gestartet und vorangetrieben wurde. Neben den wenigen den Wirtschaftssektor beherrschenden Konzernen (größte Monopolgruppe CUF) mit Tausenden von Beschäftigten und großen Banken im Besitz weniger Familienclans (u.a. Espirito Santo, Champalimaud), hatten viele kleine bis mittlere Betriebe und Unternehmen selten mehr als zwischen 50 bis 100 oder gar mehrere hundert Beschäftigte. In der Ära Salazar und Caetano, der sozial und politisch gewisse Lockerungen zuließ (Estado Social, etwa Sozialstaat, Wohlfahrtsstaat), gab es zur Interessenvertretung der Werktätigen nur ein zugelassenes System der korporativen Organisierung mittels verschiedener berufsständischer Syndikate, die begrenzt auf die einzelnen Betriebe entsolidarisierend und entpolitisierend wirkten. Hier stand die kleine portugiesische Arbeiterbewegung vor einem gewerkschaftlichen Neubeginn, dem die vom MFA geförderte Idee der Schaffung einer Einheitsgewerkschaft entgegen kam. Die 1970 gegründete illegale INTERSINDICAL/CGTP (Confederação Geral dos Trabalhadores Portugueses), in der der Einfluss kommunistischer und klassenbewußter Werktätiger traditionell stark war, bot sich an, nun die allgemeine einheitliche Gewerkschaft zu werden, was nach anfänglicher PSP-Zustimmung dann jedoch unter dem Einfluss der ausländischen Sozialdemokratie (SPD u.a.) von dieser wieder revidiert wurde. Man befürchtete eine Dominanz durch die PCP. Nach Steiniger (a.a.O.) umfasste die CGTP 1977 1,7 Mio. Mitglieder (heute deutlich unter 1 Mio.). Sie unterstützte das Verstaatlichungsprogramm der Regierung. Der PSP und den Sozialdemokraten (PSD) nahestehende Vertreter gründeten 1978 einheitsspaltend die UGT (União Geral de Trabalhadores), den konkurrierenden Zentralverband zahlreicher kleiner Richtungs- und Betriebsgewerkschaften (heute etwa 450.000 Mitglieder).

In den wirtschaftlichen Dürrezeiten der 60er Jahre waren viele junge Portugiesen (geschätzt mehr als 1,5 Mio. bei einer Gesamtbevölkerung von etwas mehr als 9 Mio.) mangels Beschäftigung in Städten und ländlichen Regionen und um dem Militärdienst im Kolonialkrieg zu entgehen, in Richtung europäischer Norden u.a. nach Frankreich, den Beneluxländern und Deutschland als Arbeitsemigranten weggegangen und unterstützten von dort aus ihre Angehörigen und Familien durch finanzielle Zuwendungen. Neben dem sich ausweitenden Tourismus war dies eine wichtige Devisenquelle. Mitte der 70er Jahre, nach der Aufgabe der Kolonien, als sich dort Bürgerkriege ausweiteten, strömten außer den heimkehrenden Soldaten wiederum viele Hunderttausende Portugiesen (retornados) aus den Überseegebieten zurück ins Land, meist ohne viel Hab und Gut mitzubringen, die es zu integrieren galt. Der öffentliche Sektor des Staates blähte sich dadurch merklich auf, die Arbeitslosigkeit im Land stieg weiter spürbar an. Aufgrund der Bürgerkriege in den ehem. Kolonien ließ der Absatz von Handelsgütern in diese Gebiete stark nach. Wirtschaftlich war Portugal lange Zeit fast ausschließlich auf den Austausch mit den Kolonien ausgerichtet. Für vermehrte Investitionen aus dem Ausland erwies sich der industrialisierte Standard Portugals lange Zeit als zu niedrig. Seit 1973 stand Portugals Wirtschaft, die einen Großteil ihrer Energiegewinnung aus Erdöl bezog, zudem unter der unmittelbaren Auswirkung der weltweiten Ölkrise, die Verbrauchspreise zogen deutlich an. Die günstigen Erdöllieferungen aus Angola fielen ebenfalls weg. Etwaige Kohlevorkommen im Land waren seit jeher nur marginal. Aus den Stauwerken und Wasserspeichern des regenreichen Nordens wurde nur ein kleinerer Teil des Elektrizitätsbedarfs gewonnen. Als weitere bedeutende Rohstoffe/Bodenschätze sind neben Marmor eine Reihe metallischer Erze (Kupfer-Bergbau im Südteil des Landes) und besonders Wolfram (Abbau im Norden) und Uran zu nennen, das sogar bereits beim Bau der ersten US-Atombomben Verwendung fand (dessen Förderung inzwischen als unrentabel eingestellt wurde).


Mensch und Revolution

Naturgemäß hatten Unternehmer und Großgrundbesitzer kein gesteigertes Interesse daran, sich konstruktiv an einem revolutionären Prozess zu beteiligen, der sie potentiell als Enteignete und Entmachtete hinter sich lassen würde. Enteignungen und Sozialisierungen mit der praktischen Folge von Besetzungen von Fabriken, Unternehmen und Landgütern konnten von den Beschäftigten trotz gesetzlicher Berechtigung gegen den Widerstand der Eigner, die sich auf dem Land oft rechter Schlägertrupps bedienten, häufig nur unter Begleitschutz von MFA-befehligten Militäreinheiten durchgeführt und abgesichert werden. Nicht immer war dabei klar, auf wessen Befehl und Anordnung gehandelt wurde. Gerüchte "willkürlich" auf eigene Faust handelnder und eingreifender Truppenteile machten die Runde. Als berüchtigt in dem Zusammenhang galt das "anarchistisch" (Klaus Steiniger) titulierte Auftreten und Vorgehen der Militärpolizei, die nach den Novemberereignissen 1975 aufgelöst wurde. Gleichwohl drang auch in einen kleineren Teil der Mannschaften der Streitkräfte der Bazillus der Basismobilisierung ein, ließ sie Soldatenräte bilden und brachte militärische Disziplin und Hierarchie teilweise ins Wanken. Das Problem an der Basis der neuen Leitung und Gestaltung der Produktion in den Arbeitsstätten war mit Übernahme durch die Belegschaften natürlich noch lange nicht gelöst, sondern erst geschaffen. Eher war die entstandene Situation die, dass es dadurch zu Produktionseinbrüchen und Arbeitsstillständen kam. Betriebsversammlungen wurden zu wichtigen Foren, Pläne zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Präsident General Costa Gomes sah sich zum öffentlichen Appell veranlasst "Wir reden zuviel und wir arbeiten zuwenig. Die wirtschaftliche Krise verlangt mehr Arbeit und weniger Worte." (Der Spiegel, 29/75 vom 14.7.1975). Von einem wie auch immer bestehenden oder zu erarbeitenden Plan zu einheitlichem Vorgehen konnte keine Rede sein. Die Zustände waren teil- und zeitweise völlig unübersichtlich und chaotisch. Koordination zwischen unten und oben - oben und unten war gefragt. Dies versetzte natürlich nicht wenige Menschen in Angst und Unsicherheit. Da, wo die Menschen noch weniger "massenmobilisiert" und politisch bewusst waren, also besonders in kleinstädtischen Gegenden und Regionen des bäuerlichen Hinterlandes mit hohen Analphabetenraten (teilweise an die 70 Prozent), machte die innerlich mobilisierte "Furcht vor der Freiheit" (Erich Fromm), selbstbestimmt und selbstverantwortlich zu handeln, viele zugänglich für äußere Rufe nach strenger gesetzlicher Autorität und staatlicher Ordnung. Auch dies ein nicht zu unterschätzender Nährboden für von rechts agierende und agitierende Kräfte, die mangelndes law and order ausschließlich dem Wirken und den Umtrieben kommunistischer Gruppen und revolutionärer Tendenzen anhängten. Für die portugiesischen Frauen, die im salazaristischen Estado Novo nahezu noch wie im Mittelalter lebten, bedeutete die emanzipative Komponente des gesellschaftlichen Aufbruchs in den großen Städten wie auch z.T. in ländlichen Regionen/Kleinstädten einen wichtigen Schritt zu mehr Unabhängigkeit, Gleichberechtigung und Eigenständigkeit. Man mag es kaum glauben, aber die Frauen aus vielen armen Familien wuschen ihre Wäsche noch im Freien entlang den Flussufern. Frauen betätigten sich auch in vielen Basisinitiativen wie Betriebs-, Häuser- und Nachbarschaftskomitees aktiv an wichtiger Stelle.


Kernstück Agrarreform

Die kleinbäuerliche Landbevölkerung mit ihrem wenigen eigenen Besitz, um den sie noch ängstlich bangte und das Kleinbürgertum vor allem im gebirgigeren Norden und Nordosten Portugals, waren in der politischen Einstellung mehrheitlich stark konservativ gesonnen und getreu den Werten Gott, Vaterland, Familie vom Gehorsam gegenüber den Gutsbesitzern, Kleinunternehmern und dem katholischen Klerus geprägt, skeptisch und zurückhaltend gegenüber jeder sozialen Neuerung und Veränderung gewohnter autoritär-paternaler Realität. Ein potentieller Nährboden, wie sich bald zeigte, für die antirevolutionäre Hetze und Propaganda der politischen Rechten versus Kommunismus. Den meist flächenmäßig kleinen familienbetriebenen "Minifundien" des Nordens standen in der fruchtbareren Landesmitte und im südlicheren Portugal (Ribatejo und Alantejo) sog. "Latifundien", größere landwirtschaftliche Betriebe von Grundbesitzern, gegenüber mit festen Belegschaften und SaisonarbeiterInnen. Weinbau (oft in familiär geführten Betrieben), Olivenplantagen, Ackerbau (Gemüse, Obst, Südfrüchte), Viehwirtschaft, Korkproduktion, Salzgewinnung (Algarve), Fischereiwirtschaft waren damals wichtige Zweige des primären Sektors, in dem mehr als 30 Prozent aller Beschäftigten arbeiteten.

Ein wichtiges Ziel und Element des MFA-Konzepts war die Agrarreform ("Das Land dem, der es bebaut!"). Erste Land- und Gutsbesetzungen 1974 wurden per Agrarreformgesetz (Juli 1975) nachträglich legalisiert und später noch mal juristisch konkretisiert. Es wurde eine sog. Agrarreformzone (ZIGA) geschaffen, die neben einem Teil des Lissaboner Distrikts die Distrikte Portalegre, Evora, Setubal und Beira (v. Nord n. Süd) umfasste, zus. etwa ein knappes Drittel der Fläche Portugals mit ca. eine Million Hektar Nutzfläche. Alle nördlichen Distrikte und Faro/Algarve ganz im Süden blieben davon ausgespart, obwohl es auch dort vereinzelt zu vorübergehenden Besetzungen und Landnahmen kam. Ungenutzte Betriebe und Flächen über 700 ha wurden mit Ausnahme rein familiär betriebener Unternehmen unter staatliche Aufsicht gestellt, die Lenkungsfunktion des Staates festgeschrieben. Die enteigneten Gebiete und darauf befindlichen Anwesen überführte man in sog. UCPs (Unidade Colectiva da Producao; kollektive Produktionseinheit) ähnlich den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in sozialistischen Ländern. Von Anfang an war diese Boden- und Strukturreform politisch umstritten, wurde vom rechten Lager in ihrer Berechtigung angegriffen. Mit den politischen Kräfteverschiebungen bis Ende 1975 zunehmend nach rechts, gerieten die UCPs offen in die Schusslinie einer Gegenbewegung. Unter dem PS-Landwirtschaftsminister der 1976 erstmals vom Volk neu gewählten Regierung, Antonio Barreto, wurde bereits versucht, durch Umformulierungen von Gesetzen (Lei Barreto, August '77) die Ansprüche der Grundbesitzer und ihrer Verwandten auf eine Erweiterung des ihnen zustehenden "Restlandes" der Kooperativenflächen (reservas) vermehrt umzusetzen und ihre Positionen gegenüber den Pächtern zu stärken. Unter nachfolgenden Ministern setzte sich dieser Klientelismus fort und durch, ab 1977 kam es bereits wieder zu vermehrten Land- und Gutsrückgaben, diesmal unter dem Schutz der rechtslastigen Gendarmerie. Die Armee griff dagegen nicht mehr ein. Gleichzeitig wurde das Gebiet der Kooperativen eingeschränkt, die Mittelvergabe nun an bestimmte Bedingungen gebunden. Die politische Auseinandersetzung darum brachte mehrere der ersten gewählten Regierungen während der Jahre 1976-80 in erhebliche Schwierigkeiten bis hin zu deren vorzeitigem Ende. Anfang der 80er Jahre ebbten die Konflikte allmählich ab. Von 1975 gegründeten etwa 600 UCPs waren 1988 immerhin noch 241 übrig, nur noch 8 waren es 1993. Im Rahmen der zweiten Verfassungsrevision von 1989 wurde die fortschrittlichste Agrarverfassung Europas von ehedem, weil nicht mehr der Verfassungswirklichkeit entsprechend, ganz gestrichen. Obwohl die Kooperativen - freilich staatlich subventioniert - dafür sorgten, dass viele Dauer- und Saisonarbeitsplätze geschaffen wurden, Anbauflächen ausgedehnt und besser genutzt und der Grad der Mechanisierung erhöht wurde, waren die UCPs der Dauerkritik ihrer "Unwirtschaftlichkeit" und ihres Sonderstatus' ausgesetzt. In den Augen der Agrobusiness-Vertreter verzerrte der "staatliche Dirigismus" durch zentrale Preisfestsetzung und Mittelvergabe im Inland den marktwirtschaftlichen Wettbewerb, war unter dem Gesichtspunkt industrieller Landwirtschaft ineffektiv, was besonders angesichts der laufenden Verhandlungen über einen EG-Beitritt Portugals entsprechend negativ ins Gewicht fiel und störte. Die portugiesische Landwirtschaft blieb jedoch - seither wieder kapitalistisch geplant und organisiert - stets hinter solchen Anforderungen zurück und stellt, immer kleiner und unbedeutender werdend, bis heute unter verschärften EU- und Weltmarktbedingungen einen dauernden Problemsektor dar. Ihr aktueller Anteil am BIP beträgt noch fünf Prozent. (Angaben und Daten überw. zit. und zusammengest. nach F. Bornhorst: "Die Wirtschaft Portugals im Überblick...", in: Briesemeister/Schönberger, a.a.O., S. 36ff.)


Arbeiter- und Soldatenräte

Am 19./20. April 1975 fand in Lissabon ein 1. Nationaler Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte statt. Die portugiesische Wochenzeitung Expresso befragte teilnehmende Arbeiter von TAP (Fluggesellschaft), Lisnave, Setenave (Werften) und Standard Electric und Soldaten aus der Zone von Lissabon über Absicht und Ziel der Versammlung. Aus den Stellungnahmen der Arbeiter: "Die Revolutionsräte sind Organe der Klasse, gewählt von der Klasse. (...) Politisch gesehen befinden wir uns augenblicklich in einer Sackgasse. Es wurde der sozialistische Weg gewählt, aber wir treten dabei auf der Stelle. (...) Die Räte sind in dieser Situation eine Antwort der Klasse, die die Notwendigkeit sieht, sich selbständig zu organisieren. (...) Wenn die Arbeiterklasse nicht die Initiative ergreift, indem sie sich die Notwendigkeit einer offensiven Bekämpfung der Bourgeoisie in Richtung auf die Machtergreifung bewußt macht und sich entsprechend vorbereitet, dann werden die Rechte und die Putschisten die Unentschiedenheit und das Schwanken mit Sicherheit nutzen und zum Gegenschlag ausholen. (...) Wir wollen nicht die Führer der Revolution sein. Wir Arbeiter und Soldaten, die wir hier versammelt sind, sehen unsere Aufgabe darin, einen Beitrag zur Vorantreibung des Prozesses zu leisten. Wir sagten bereits, daß die Macht aufgespalten ist und deshalb glauben wir, daß es der richtige Augenblick ist, der Klasse ein revolutionäres Projekt vorzulegen." Und ein teilnehmender Soldat an gleicher Stelle: "Nach dem 25. April gab es auch in den Kasernen einen Mobilisierungsprozess, bei dem es zunächst um materielle Forderungen und Verbesserungen ging. (...) Im Vordergrund steht jetzt das Problem der Macht. Die Revolutionsräte entstehen innerhalb der Kasernen als Ausdruck der Macht der Soldaten im Gegensatz zum Kommando der Einheiten. Parallel dazu entsteht auf der Ebene der Betriebe die Arbeitermacht im Gegensatz zur Macht der Betriebsverwaltungen etc. Wesentlich dabei ist jetzt für die Soldaten, dass sie die Forderung nach der Machtübernahme konkret stellen (...)." (Zit. nach Portugal auf dem Weg zum Sozialismus?, a.a.O., S. 111ff.). Auch wenn sich das so ausnehmen mag, dürfen die hier vorgetragenen Positionen nicht überbewertet werden, die Rätetendenzen spielten hauptsächlich bei den linkssozialistischen Gruppierungen und Bündnissen wie der MES eine wichtige Rolle. Sie waren sowohl nur von relativ kurzfristiger als auch kräftemäßig geringerer Bedeutung und konnten sich daher nicht genügend ausweiten und festigen.


Weshalb kam es zur Niederlage des revolutionären Prozesses?

Es müssen mehrere Faktoren und Gründe für eine mögliche plausible Beantwortung dieser Frage in Betracht gezogen werden:

a. Vereinfacht und allgemein durchaus schon zutreffend gesagt, weil es der revolutionären Bewegung (PCP/MDP, radikale Linke, poder popular/Volksmacht) nicht gelungen war, unter gleichzeitig sehr schwierigen wirtschaftlichen wie gegenläufigen gesellschaftlichen Bedingungen und bei den bestehenden ideologischen Differenzen und Streitigkeiten, die Macht in ganzen Land zu erringen und eine revolutionäre (Arbeiter-)Regierung zu errichten, wie auch immer diese zu kennzeichnen gewesen wäre, ob als Diktatur des Proletariats mit einer mächtigen tragenden Partei im Kern oder in Form einer föderalen Räte-Demokratie mit zentraler Räteversammlung als "Parlament", was für Portugal aktuell vermutlich naheliegender gewesen wäre.

b. Die Ziele der in der Minderheit gebliebenen Volksbewegung konnten/ließen sich am Ende gegen eine insgesamt politisch indifferente "schweigende Mehrheit" nicht durchsetzen (Stadt-Land-Gegensatz; Nord-Süd-Gefälle i. polit. Bewußtsein), die sehr wohl bei den dann stattfindenden Wahlen ihre gemäßigt reformistisch bis bürgerlich-konservativ wie restaurativ handelnden "Fürsprecher" und Vertreter hatte. Ein direktdemokratisches Rätemodell war nicht das Konzept der PCP als stärkster organisierter Linkskraft, die im europäischen Kontext, durch jahrelange Diktaturphase inaktiviert, vom übrigen europäischen Prozess anderer kommunistischer Parteien (Eurokommunismus) relativ unbeeinflusst geblieben war und eher statisch weiter an parteibürokratischen Vorstellungen der "Moskauer Linie" festhielt. Das machte, außer dem Zuspruch in den eigenen Reihen, diese Partei bei den übrigen aktiven Massen nicht gerade beliebter und arbeitete dem Einfluss der "Sozialisten" zu. Gleichwohl war der lange Jahre exilierte PC-Vorsitzende Alvaro Cunhal (1913-2005) ein durchaus im portugiesischen Volk angesehener Politiker und geschätzter Antifaschist. In Koalitionen mit gemäßigten politischen Parteien (PSP, PPD, MDP) während der provisorischen Regierungsphasen standen PC-Minister oftmals im Zwiespalt, "im Gesamtinteresse" für unpopuläre Entscheidungen und Maßnahmen Stellung beziehen und stimmen zu müssen. Der Vorwurf des "reformistischen Taktierens und Abwiegelns" wurde von links gegen die PCP erhoben. Bei den Unruhen im November 1975 verhielt sich die PC zurückhaltend, griff nicht verschärfend ins Geschehen ein. Mehrere Armeegeneräle und Admirale (wie Rosa Coutinho von der Marine), die im politischen Geschehen zeitweise eine Rolle spielten, sympathisierten teils offen mit der kommunistischen Partei. Der zeitweilig starke Einfluss der PCP und weit schwächer politischer Gruppierungen links davon, nahm jedoch nach vorübergehenden Hochphasen wieder ab. Aktionseinheiten zwischen diesen fanden nennenswert kaum statt. Dennoch hielt sich aufs Gesamte betrachtet die PCP, weil traditionell straff organisiert, von allen linken Gruppierungen noch am stabilsten in den politischen Auseinandersetzungen der unmittelbaren Folgejahre.

c. Der schnell wachsende Einfluss auf den Plan getretener sozial gemäßigter und rechter Parteien wie der PSP, PPD/PSD, CDS u.a. war eindeutig - und vom europäischen Ausland erwartet, favorisiert und unterstützt - auf die Bildung einer durch reguläre freie Wahlen zustande kommenden, parlamentarisch-präsidialen Demokratie bürgerlichen Zuschnitts ausgerichtet unter Bewahrung/Reinstallation kapitalistischer Besitz- und Verfügungsverhältnisse. Die PS war eine Partei mit weit auseinander liegenden Flügeln von rechts bis links, in dem sich zentriert keine bestimmende Kraft ausbilden konnte, die mit Herzblut und Verstand die Nelkenrevolution unterstützt und mitgetragen hätte, was vielleicht in entscheidender Phase das Zünglein an der Waage gewesen wäre. Im Gegenteil arbeitete man in der PS und in Koalitionen mit bürgerlichen und rechten Parteien überwiegend gegen sie. Von der PS hatten sich um die zehn Prozent ihrer Mitglieder abgespalten, die zusätzlich mit linkssozialistischen Kräften die neue FSP (Frente Socialista Popular; Manuel Serra, 1978 aufgelöst) bildeten. Bei Wahlen gelangte diese trotz gelegentlich hoher städtischer Ergebnisse national nicht über wenig mehr als ein Prozent Stimmanteil hinaus. (Auf Einflüsse von NATO und internationalem Ausland wurde an anderer Stelle bereits hingewiesen.) Hinsichtlich des erwähnten Konflikts um die Zeitung Republica bemerkte der sozialistische Revolutionär und marxistische Theoretiker Ernest Mandel (1923-1995) in Gesprächen zwischen 1976 und '78: "Es ist unverantwortlich - ja kriminell - wenn Revolutionäre das Konzept der 'Diktatur des Proletariats' oder der 'Volksmacht' in einen Gegensatz zu den demokratischen Freiheiten stellen. (...) Das anschaulichste Beispiel ist das der Pressefreiheit. Hier ist die portugiesische Revolution außer Kurs geraten und gab es eine große Verwirrung, die von der Bourgeoisie und der Sozialdemokratie zu ihren Gunsten ausgenutzt werden konnte. Welche Lehren können wir aus solchen Initiativen wie denen der Arbeiter und Angestellten von Republica (...) ziehen? Gewiß nicht die, daß wir in einer Rätedemokratie irgendeiner Partei das Recht auf Herausgabe eigener Zeitungen verweigern wollen. (...) Es geht vielmehr darum, die Pressefreiheit auf Druckereiarbeiter, Mitarbeiter von RDF- und Fernsehsendern wie auch auf Arbeiterkommissionen und Gruppen in allen Betrieben zu erweitern. (...) Mit anderen Worten, es ist unser Ziel, das Monopol des Privateigentums zu brechen oder auch das Monopol von Privateigentum plus Parteien, aber nicht dadurch, dass wir jemanden des Rechts auf Meinungsfreiheit berauben, sondern indem wir es auf andere ausdehnen." (E. Mandel: Revolutionärer Marxismus heute, Frankfurt/M. 1982, S.29)

d. Auf die propagierte Einheit MFA - POVO (Volk) war nur bedingt Verlass insoweit als die MFA stark und entschlossen war, die revolutionäre (Volks-)Bewegung zu unterstützen (sie zumindest laufen zu lassen). Sie erwies sich aber als "Zerfallsprodukt", je mehr in ihren Reihen gemäßigt-linksliberale und rechtsorientierte Tendenzen die Oberhand gewannen. Der sich als Motor und Stütze der Revolution verstehende Teil der MFA geriet unter der Einwirkung sich verschiebender politischer Kräfteverhältnisse und bestimmter einschneidender, negativ zu Buche schlagender Ereignisse (siehe vor allem der isoliert versuchte und gebliebene militärische Putsch von links im November 1975) zunehmend unter Druck und verlor an Terrain. Zeitweilig schien die zugespitzte Lage Ende 1975 einen Bürgerkrieg zu initiieren. Für einige Tage wurde über die Hauptstadtregion sogar der Ausnahmezustand verhängt. Bei der Beendigung des linken Putsches isolierter Militäreinheiten hatte sich das COPCON neutral herausgehalten. Dies ermöglichte es dem rechten politischen Lager, in den Streitkräften verloren gegangenen Einfluss zurückzuerlangen und Personalentscheidungen in seinem Sinn durch Ablösungen und Kommandoentzug unter linken Offizieren zu erwirken. Eine sich ausweitende Räte-Macht mit Einfluss, die dem hätte begegnen können, hat es mit wenigen Ausnahmen unter den Mannschaften der portugiesischen Armee noch nicht gegeben. Mit am weitesten räteorganisiert und - demokratisiert erwiesen sich die "Commandos" des COPCON, wie das leichte Artillerieregiment RAL 1, die auch schon bei der gewaltsamen Beendigung des von langer Hand vorbereiteten Spinola-Umsturzversuchs vom März 1975 eine Rolle spielten. Die alternative Errichtung einer dauerhaften "progressiven" Militärregierung (ähnlich dem peruanischen Vorbild zwischen 1968 und 1975) als politischem Regime durch die MFA wäre kontraproduktiv zu den eigenen erklärten und gesetzten politischen Zielen gewesen, schied also als Option nicht nur aus historischen Gründen aus. Wenn es unter weit links stehenden Teilen der MFA solche Pläne und Absichten gegeben haben mag, für die als maßgeblicher Kopf immer wieder der COPCON-Kommandant S. de Carvalho angeführt wird, wären sie damals vermutlich auf breiteren Widerstand auch im Volk selbst gestoßen. Carvalho und Getreue waren als gebildete und humanistisch eingestellte linke Militärs besonnen genug, das nicht aufs Spiel zu setzen. Es mutet wie romantische Folklore an, wenn Carvalho heute berichtet, er werde noch immer von Menschen auf der Strasse angesprochen, die ihn bäten, "ach Carvalho, bereite uns doch noch mal einen neuen 25. April..." 1977 veröffentlichte er seine Sicht auf die Dinge in dem Buch Alvarado em abril und geriet später aufgrund seiner vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer extremen linken Splittergruppe (Volkskräfte 25. April) in die rechtsstaatliche Mühle eines Anklageverfahrens wegen Bildung einer kriminellen/terroristischen Vereinigung, wurde inhaftiert, kam aber aufgrund unsicherer Beweislage wieder frei. Selbst Soares sprach sich für seine Amnestierung aus. Der bezeichnende Vorgang fand seinen Niederschlag in Carvalhos auf deutsch vorliegenden Schrift Anklage und Verteidigung: der Prozess gegen die Nelkenrevolution (Ffm., 1989).

e. Die Schritte und Maßnahmen der vor allem (groß-)städtischen und im geringeren Ausmaß ländlichen Basisbewegungen der poder popular (Volksmacht) hatten zus. mit ihren vielgestaltigen Gliederungen von Ausschüssen, Komitees, Kommissionen und Selbstverwaltungen strukturelle Realitäten mit begrenzter Reichweite geschaffen. Diese ließen sich im Frühjahr/Sommer 1975 in der relativ kurzen Phase einer Art Doppelherrschaft, in der das Militär praktisch das bestimmende Exekutivorgan der Politik war, ohne sie tragende maßgebliche politische Kräfte wenn, dann nur sehr bedingt direkt in politische Regierungsmacht umsetzen bzw. in institutionalisierte und bindende gesetzliche Regelwerke überführen. Die PC vermochte diese Rolle nur dort auszufüllen, wo ihre Kräfte selbst die Volksmacht stellten oder kontrollierten. Die poder popular blieb strategisch als die große Verliererin ökonomisch wie gesellschaftlich letztlich isoliert, lief politisch ins Leere, auch wenn sich ihre Strukturen z.T. noch über Jahre in einzelnen Wirtschaftssektoren und vor allem in den mitte-südlichen Regionen der Agrarzone in einer Reihe von sozialisierten Kooperativen halten konnten.


Die "Normalisierung"

Am Ende von jeweils nur kurzfristigen, instabilen und unter großem Druck handelnden "Provisorischen Regierungen" auf meist schmaler ministerieller Konsensbasis (Ministerämter waren schlecht bezahlte, wenig beliebte Schleuderposten), ergaben sich bei den Wahlen zur Versammlung der Republik im April 1976 35% für die PS als größter Fraktion und "nur" 14,5% für die PCP. Der Weg öffnete sich damit in die unruhige Phase von sich zunächst ebenfalls immer wieder vorzeitig auflösenden "Konstitutionellen Regierungen", vorerst noch wesentlich bestimmt und mit gestaltet von der PS in verschiedenen Koalitionen zusammen mit der sozialdemokratischen und Mitte-Rechts-Parteien. Die nun legitimierte politische Ausdifferenzierung von Macht und Vorherrschaft setzte sich in verkürzten Regierungsepisoden weiter fort. Der offene revolutionäre Prozess ging in die Zeit weiterer unvermeidlicher Klassenauseinandersetzungen über, allerdings jetzt auf dem rechtsstaatlichen Boden einer parlamentarischen Demokratie nach westeuropäischen Verfassungsvorbildern, besonders dem des Grundgesetzes der BRD, mit den bekannt systembegrenzten politischen Spielräumen. Der PC fiel auf Jahre hinaus die Rolle der mit Abstand stärksten linken Oppositionspartei zu (mit der Gefahr, im reformistischen Sumpf zu landen), während die radikale Linke nur noch eine marginale Funktion einnahm. In den ehem. Kolonien transformierten sich nach den Bürgerkriegsenden die Befreiungsbewegungen zumeist in politische Parteien mit Beteiligungen an Präsidial- und Parlamentswahlen. Unter dem Eindruck und den Folgen der weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008 geriet der portugiesische Staat in eine noch weit tiefere Verschuldungskrise. Die Arbeitslosigkeit stieg von 2008 noch 7,6 auf 17,7 Prozent im 1. Quartal 2013 (zitiert nach wikipedia). 2011 entschied man sich zur Inanspruchnahme von EU-Hilfen in zweistelliger Milliardenhöhe.

Die portugiesische Nelkenrevolution ist und bleibt alles in allem betrachtet ein zeitgeschichtliches Fanal und Lehrstück, wie unter jeweils bestimmten (teilindustrialisierten) Bedingungen politische und soziale Revolutionen entstehen, verlaufen, aber auch scheitern können. Sie wurde damit Teil unserer großen revolutionären Erzählungen.


Verwendete Literatur:

Als wichtige Leit- und Informationsquellen dienten d. Verf. nebst eigenen Erfahrungen und Kenntnissen aus der damaligen Mitarbeit in einem Portugalkomitee einige der im Abschnitt über "Literatur" angegebenen Veröffentlichungen, insbesondere die dort näher bezeichneten Schriften Portugal - Auf dem Weg zum Sozialismus? (Mai 1975), Sonderdruck Arbeiterpolitik (Dez. 1975), Portugal heute (1997), Portugal im April (1982/2011)

Des Weiteren in Betracht gezogen wurden Angaben und Informationen aus Artikeln der Zeitschriften Arbeiterpolitik (ARPO), Nrn. 5/75, 2/76, 3/80, 5/80 und Arbeiterstimme (ARSTI), Nrn. 2/3-75, 4/75, 5/75

E.K., Bremen

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 186 - Winter 2014, Seite 1 und 3 bis 9
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2015


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