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ARBEITERSTIMME/342: Jeremy Corbyn schlägt die rechten Strandräuber


Arbeiterstimme Nr. 194 - Winter 2016
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Jeremy Corbyn schlägt die rechten Strandräuber


Obwohl Corbyn bei der Wahl zum neuen Vorsitzenden der Labour-Party 2015 drei Mitbewerber mit einem Anteil von 59,5% der Abstimmenden abhängte, akzeptierte das die Mehrheit der Abgeordneten von Labour in Westminster, einschließlich der alten rechtsgerichteten Blair-Anhänger von New Labour, die in Wirklichkeit pro-kapitalistische Privatisierer sind, nicht. Sie arbeiteten ständig daran, Corbyns Stellung zu unterminieren. Sie begannen, ihn zu demoralisieren, indem sie ihn in den Medien angriffen, im Parlament und in jedem Forum, in der Hoffnung, er würde irgendwann zurücktreten. Aber er hatte die Unterstützung nicht nur der meisten Parteimitglieder, sondern auch der Gewerkschaften - er nahm an Gewerkschaftstagungen teil, im Gegensatz zu den vorherigen Parteivorsitzenden, die die Verbindung der Partei mit den Gewerkschaften zerbrechen wollten - und insbesondere junger Menschen, die in ihm einen Mann mit Prinzipien sehen, nicht wie die durchschnittlichen Karrierepolitiker, denen man mißtraut. So trat also Corbyn nicht zurück.

Es war eine große Kampagne im Gange, die zeigen sollte, dass Labour ein Problem mit Antisemitismus hat und dass Corbyn das toleriert. Im Oktober 2014 hatte das Parlament sich dafür ausgesprochen, einen Staat Palästina anzuerkennen. (Dieser Entschluß war für die Regierung nicht bindend.) Die BDS-Kampagne (Boycott, Disinvestment & Sanctions) im Vereinigten Königreich ist sehr stark. Die Israel-Lobby wurde in den Medien, zusammen mit der Rechten in Labour, aktiv. Israel wird wegen seiner Kriege gegen den Libanon, gegen Gaza, seiner fortgesetzten Siedlungen auf palästinensischem Land, weithin als Apartheid-Staat betrachtet, wie Südafrika einer war. Der Ausdruck "Zionist" ist jetzt ein Schimpfwort. Corbyn war natürlich lange ein Unterstützer der palästinensischen Sache. So wurde er des Antisemitismus bezichtigt, da er bei Versammlungen oder Demonstrationen neben Sprechern von Hamas auftrat.

Die nationale Studentenvereinigung (National Union of Students), die jahrzehntelang in der Hand der Rechten gewesen war, hat sich nach links bewegt. Zur neuen Präsidentin wurde eine junge Frau mit algerischen Wurzeln gewählt, die sofort als antisemitisch attackiert wurde. Naz Shah, die Labour-Abgeordnete von West Bradford, twitterte eine Landkarte der USA, auf die die Umrisse von Israel eingeblendet waren, wo es wie ein winziger Fleck aussah. Labour suspendierte sie; sie wurde des Antisemitismus beschuldigt. Ken Livingstone, der frühere Bürgermeister von London und ehemalige Parlamentsabgeordnete, ein enger Verbündeter von Corbyn, verteidigte sie, indem er darauf hinwies, dass Zionisten mit den Nazis Geschäfte gemacht haben und dass Hitler ursprünglich dafür eingetreten war, dass die Juden Deutschland verlassen und nach Palästina auswandern sollten, bevor er sich stattdessen zum Völkermord entschloss. Daraufhin wurde er suspendiert. Er wies auf historische Tatsachen hin, aber Hitler in einen Zusammenhang mit dem Zionismus zu bringen, war keine sehr kluge Taktik. Corbyn leitete eine Untersuchung über Antisemitismus in der Labour-Party ein. Sie wurde von Shami Chakrabarti geleitet, die bis vor kurzem Leiterin der Bürgerrechtskampagnen-Gruppe Liberty war. Diese ist in den 1930er Jahren gegründet worden; in der jüngsten Vergangenheit ist sie speziell gegen Blairs Regierungen aktiv gewesen. Ihr Bericht fand keinen weit verbreiteten Antisemitismus vor, aber er betonte, dass die Leute besser über ihre Formulierungen nachdenken sollten, wenn sie Israel, Zionisten oder Ähnliches kritisierten.

Die Abwracker hatten gehofft, dass Labour bei den Regionalwahlen, den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Mai schlecht abschneiden würde. Das hätte ihnen die Gelegenheit gegeben, Corbyn dafür verantwortlich zu machen. Aber die Ergebnisse waren gut. So starteten sie ihren Coup also nach der Brexit-Abstimmung im Juni. Corbyn wurde die Schuld gegeben, weil er nicht besser für den Verbleib argumentiert habe. Die meisten Mitglieder seines Schattenkabinetts traten zurück. 172 Labour-Abgeordnete forderten, er solle zurücktreten; lediglich 40 blieben loyal zu ihm.

Zuerst sollte Angela Eagle, eine Blair-Anhängerin, gegen Corbyn antreten, aber dann tauchte Owen Smith auf, der betonte, er stimme politisch mit Corbyn überein, aber er glaube, dass er Labour einigen könne. Der Wahlkampf ähnelte dem von 2015. Corbyn sprach vor Massenversammlungen, z.B. vor 10.000 Menschen in Liverpool, und Smith in kleinen Zusammenkünften. Es gab einen Versuch, zu verhindern, dass Corbyn sich zur Abstimmung stellen dürfe, indem man behauptete, dass er eine Nominierung durch die Parlamentsabgeordneten brauche. Eine solche hätte er nicht zusammenbekommen. Das Nationale Exekutivkomitee (NEC) von Labour traf sich, während zwei Delegierte der Gewerkschaften, Unterstützer von Corbyn, im Urlaub waren. Beide wurden zu der Sitzung erwartet, einer war schon im Taxi aus Südwest-England unterwegs. Es wurde entschieden, dass Corbyn, als amtierender Vorsitzender, keine Nominierung benötige. Aber nachdem Corbyn und einige seiner Anhänger das Treffen verlassen hatten, entschied das Exekutivkomitee auf Vorschlag des rechten Generalsekretärs, dass Parteimitglieder, die nach dem 12. Januar Labour beigetreten waren, nicht an der Wahl zum Parteiführer teilnehmen durften - das waren immerhin 150.000. (Die Mitgliederzahlen der Labour-Party waren von 220.000 vor Corbyn auf inzwischen über 600.000 angestiegen.) Und registrierte Unterstützer der Labour-Party, eine neue Kategorie, die Ed Miliband eingeführt hatte, um den Einfluß der Sozialisten und der Gewerkschaftsmitglieder zu schwächen, sollten jetzt 25 Pfund anstatt vorher 3 Pfund bezahlen, um abstimmen zu dürfen. Das traf arme, arbeitslose und junge Unterstützer sehr hart.

Eine kleine Gruppe auf diese Weise ihrer Rechte beraubter Mitglieder ging vor Gericht, um die Entscheidung des Nationalen Exekutivkomitees anzufechten. Dies wurde durch "crowd-funding" finanziert, wobei eine große Anzahl von Leuten einen kleinen Betrag gehen. Sie gewannen auch den Prozeß, aber der Generalsekretär ging zum Berufungsgericht und machte die Entscheidung rückgängig. Ein Richter mit Beziehungen zu Blair war daran beteiligt!

Lokale Gliederungen der Labour-Party wurden daran gehindert, sich zu treffen. Diejenigen, die ihre Abgeordneten disziplinieren wollten, weil sie Corbyn gegenüber illoyal waren, wurden suspendiert. Diejenigen, die ihre Jahreshauptversammlung abhielten und neue Delegierte, die für Corbyn waren, wurden suspendiert und die alten Funktionäre wurden wieder eingesetzt. Dann entdeckte Corbyns Stellvertreter, Tom Watson, dass Trotzkisten in die Partei eingetreten waren und junge Leute überredeten, dass diese Corbyn unterstützen sollten. Sogar Lord Falconer, der unter Blair Minister gewesen war, spottete darüber, indem er sagte: "Man könnte alle Trotzkisten, die heute in der Labour-Party sind, bequem in zwei Bussen unterbringen." Wie auch immer, die politische Säuberung von linken Parteimitgliedern nahm zu.

Die Wahlen für das künftige Nationale Exekutivkomitee waren im Gange. Rhea Wolfson, eine Gewerkschaftsaktivistin jüdischer Herkunft, wurde vom ehemaligen Vorsitzenden von Labour in Schottland des Antisemitismus bezichtigt wegen ihrer Mitarbeit bei der Momentum-Gruppe, der Pro-Corbyn-Bewegung, um ihre Nominierung zu verhindern. Trotzdem wurde sie in einer anderen Untergliederung der Labour-Party in Glasgow nominiert und wurde ins neue Exekutivkomitee gewählt, wo Pro-Corbyn-Kandidaten alle Plätze gewannen, die für normale Parteimitglieder reserviert waren. Beim Jahresparteitag peitschten die Rechten ein Paket mit Vorschlägen fortschrittlicher Art durch aber sie fügten einen dazu, um Corbyns Mehrheit im neuen NEC zu sabotieren. Die Vorsitzenden von Labour in Schottland und Wales sollten ihre Vertreter einsetzen können, während die Tradition will, dass sie gewählt werden. Den Delegierten wurde keine Diskussion erlaubt und auch nicht, Punkt für Punkt abzustimmen; keinem Gegner der Vorschläge wurde erlaubt, zu sprechen.

Vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses untersuchte ein Team von Labour-Offiziellen Statements und Taten von Linken aus der Vergangenheit, um sie auszuschließen oder zu suspendieren, um auf diese Weise ihr Wahlrecht aufzuheben. Kritik an den Kriegen von Israel wurde auf diese Weise zum Beweis für "Antisemitismus". Blair ist zutiefst diskreditiert, besonders nach der Veröffentlichung des Chilcot Reports über den Irak-Krieg. So ist "blairite" [=Blair-Anhänger] jetzt eine Beleidigung, wie auch Zionist. Parteimitglieder von Labour, die diesen Ausdruck verwenden, um Parlamentarier zu beschreiben, werden daher suspendiert. Gegnern von Corbyn wurde erlaubt, ihn und seine Anhänger zu beleidigen, während mehr als 3.000 Linke ihr Wahlrecht verloren. (Ein Millionär wurde suspendiert, nachdem er Leute von Momentum in der Presse mit "Nazi-Sturmtruppen" verglichen hatte.)

Schlußendlich stimmten 500.000 ab und Corbyn erhielt 62% der Stimmen. Dies war ein Anstieg gegenüber den Wahlen 2015; die rechten Abwracker verfehlten also ihr Ziel. Es war allen klar geworden, dass Corbyn gewinnen würde und mit einem größeren Vorsprung. So hatten sie versucht, mit ausgewählten Tricks seinen Stimmenanteil zu vermindern und hofften, dass er auf diese Weise weniger Stimmen als 2015 erhalten würde. So hätten sie behaupten können, dass er an Unterstützung verloren habe.

Diejenigen, die ihres Stimmrechts beraubt wurden, gehen vor Gericht. Örtliche Untergliederungen der Partei fordern, dass der Generalsekretär abgelöst werden soll. 15 der Abgeordneten aus dem Schattenkabinett, die zurückgetreten waren, sind wieder in dieses eingetreten. Die Blair-Anhänger werben offen bei Abgeordneten der Tories, eine Neuwahl des Parlaments zu fordern in der Hoffnung, dass Labour diese verlieren wird und Corbyn dann zurücktreten wird. Die Strandräuber sind also immer noch am Werk.

(m.j., 6.11.2016)

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 194 - Winter 2016, Seite 25 bis 26
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2017

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