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ARBEITERSTIMME/360: Nordkorea und die Atombombe


Arbeiterstimme Nr. 198 - Winter 2017/2018
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Nordkorea und die Atombombe
Glanz und Elend der militärischen Abschreckung


Andere Weltregionen werden mit Interesse verfolgen, ob und wie nukleare Spannungssituationen gelöst werden und sie werden ihre Politik danach ausrichten. Kim Jong-un ist unversehens zu einer zentralen Figur geworden, die jetzt an diesem großen Rad mitdreht. Besteht er die Probe nicht, reichen die Folgen weit über sein persönliches Schicksal hinaus. "So endete die Analyse der Übergangszeit vom Sohn auf den Enkel Kim Il-Sungs in der Arbeiterstimme, Nr. 181 vom Herbst 2013. Im Herbst 2017 beschimpfen sich die Regierungschefs Nordkoreas und der USA in gröbster Weise, kündigen den Untergang des Anderen an. Die Drohung der Vernichtung durch den Einsatz nuklearer Waffen steht, und zwar von beiden Seiten. Mittel- und Langstreckenraketenversuche sowie drei atomare Tests allein 2016 und 2017 auf nordkoreanischer Seite stehen verstärkten US-amerikanisch-alliierten Manövern und Kampfjeteinsätzen in unmittelbarer Nähe zu Nordkorea gegenüber. Dazu wird der internationale Druck durch ein Sanktionierungsregime beständig erhöht. Bedeutsam ist dabei, dass der UNO-Sicherheitsrat diese Sanktionen inzwischen ohne große Einschränkungen passieren lässt. Die Anrainerstaaten Russland und vor allem die VR China tragen die Verschärfungen mit.

Die Vorgeschichte der Atommacht-Strategie

Kaum eine Medienanalyse der letzten Monate wies nicht darauf hin: der Beschluss der Atombewaffnung Nordkoreas habe mit dem regime change vor allem im Irak und in Libyen zu tun. Das Abräumen unliebsamer Regime durch den Westen, das menschenrechtlich veredelt wird, zeigt, dass Zugeständnisse, vertragliche Vereinbarungen und goodwill-Aktionen wie bei Ghadafi nicht davor schützen, auf die Abschussliste zu geraten. Das ist richtig, aber auch eine Binsenwahrheit.

Die Folgerung, sich zum Schutz vor dem eigenen Untergang atomar zu bewaffnen und damit dem Imperialismus die Grenzen aufzuzeigen, hat im ersten Augenblick seinen Reiz, sie ist aber falsch.

Die konsequente Frage wäre, welche Konstellation ein in allen Belangen unterlegenes Land vor den Zugriffen des Westens überhaupt bewahren kann.

Eine Regierung, beispielsweise die kubanische, war geschützt durch die Sowjetunion - so gut es unter den Bedingungen der Systemauseinandersetzung denkbar war. Sie war geschützt durch deren politische und militärische Macht und durch die Glaubwürdigkeit, diese Macht im Konflikt auch zum Einsatz zu bringen. Die USA hätten im Konfliktfall ihre eigene Existenz auf's Spiel gesetzt. Unterhalb der Schwelle zur militärischen Eskalation kann selbst diese äußerste Drohung die Subversion des Feindes nicht verhindern. Das Leben im Lande bleibt schwierig und wird beständig bedroht, auch dafür war und ist Kuba ein Exempel.

Eine saubere Bewertung dieser Erfahrungen hätte aus der Sicht Nordkoreas den Weg zur Atommacht in Frage stellen müssen, zumal das Land kein Verteidigungsbündnis mit einem Alliierten eingegangen ist. Die Bombe ersetzt weder eine handlungsfähige Diplomatie, die auf mehrere Optionen zurückgreifen kann, noch eine "Schutzmacht", in deren Interesse die koreanische Unversehrtheit liegt.

China soll dies nach nordkoreanischen Vorstellungen nicht sein. Eine Entscheidung, die zu akzeptieren ist, deren Konsequenzen aber weitreichend und nicht abschließend zu beurteilen sind.

Nordkorea war 2003 aus dem Atomwaffensperrvertrag ausgetreten und hatte 2006 den ersten unterirdischen Atomtest unternommen. Trotzdem öffnete sich das Land in der Folge für die IAEO-Inspektoren. Als die USA die Aufhebung der Sanktionen verweigerten, verschärfte es bis zum Ende des Jahrzehnts seinen Atomkurs. Nach dem letzten Machtwechsel 2012 zum Enkel Kim scheint sich Nordkorea entschieden zu haben, Bau und Besitz der Atomwaffen nicht mehr unter taktischen Gesichtspunkten einzuordnen, sondern Atommacht mit allen Attributen werden zu wollen.

Der atomare Status sei nicht mehr verhandelbar. Seit 2013 ist die Anzahl der Raketentests stark gestiegen, zuletzt auch solcher, denen Langstreckenfunktion zugeschrieben wird und die somit das Festland der USA erreichen könnten. Allein 2017 registrierte man 19 Tests.

Die Abschreckung als Ziel der Politik

Diese Rüstungsanstrengungen lassen die Folgerung zu, dass Nordkorea die Flucht nach vorne antritt, um den USA auf Augenhöhe zu begegnen. Dafür werden die Beziehungen zur VR China einer außerordentlichen Belastungsprobe ausgesetzt.

Der Wunsch, unangreifbar zu sein, ist nachvollziehbar, aber er birgt hohe Risiken und bleibt, unter den Bedingungen der jetzigen weltweiten Kräfteverhältnisse, eine gefährliche Illusion.

Wer unangreifbar sein will, muss sich auf die Rüstungslogik der USA einlassen, mit allen Konsequenzen. Unter dem Sanktionsregime, das über Nordkorea verhängt wurde und an dem beständig weiter gearbeitet wird, ist die Beschaffung der benötigten Waffensysteme und der dazu gehörenden Treibstoffreserven schwieriger und deshalb wesentlich teurer.

Das Land muss im Vergleich mit seinen höher entwickelten Gegnern einen größeren Anteil seiner Ressourcen einsetzen, sowohl finanziell als auch wirtschaftlich und personell.

Begleitend wird die Innenpolitik, im wahrsten Sinn des Wortes, auf den Atomkurs umgerüstet. Nur so kann die Akzeptanz erreicht werden, zumal der Lebensstandard der Bevölkerung schwer unter Druck gerät.

Die zivilen Entwicklungsziele Nordkoreas sind nicht mehr zu halten, die eigene Zukunft wird der Fiktion atomarer Sicherheit geopfert.

Sanktionen betreffen selbstredend nicht nur den militärischen Komplex. Nordkorea hat sich, nicht nur wegen der entsprechenden Einstufung durch den US-Präsidenten, zu einem "Schurkenstaat" entwickelt, der international geschnitten wird.

Handelsbeziehungen, Import und Export, Lande- und Transportrechte zur See unterliegen dem politischen Kalkül des Westens. Dass in diesem engen Rahmen nur mehr teillegale und, häufiger noch, illegale Kontakte möglich sind, ergibt sich zwangsläufig. Dann werden eben zigtausende eigener Bürger als Arbeitssklaven ohne Rechte und Verfügung über ihr Einkommen für beliebig harte, gefährliche und gering bezahlte Aufträge vermittelt, ob nach Osteuropa, in den Nahen Osten oder nach Russland. Ausgebeutet von solch kriminellen Organisationen wie dem internationalen Fußballverband.

Die Notlagen in Nordkorea und die Ausrichtung auf die atomare Bewaffnung stärken das Militär weiter und schwächen, falls das noch möglich ist, die Partei und jegliche Organisierung ziviler Interessen. Die kommenden Aufgaben werden die Entwicklung zusätzlich beschleunigen.

Um in seiner Abschreckung glaubwürdig zu sein, d.h. wenn man für die USA und ihre Verbündeten Japan und Südkorea ein nicht berechenbares Restrisiko darstellen will, wird der Norden die gesamte militärische Palette abdecken müssen. Rüstung ohne Ende steht zu befürchten.

Der US-Präsident hat gerade Rüstungsdeals mit Südkorea und Japan, nicht zu vergessen am Persischen Golf, in dreistelliger Milliardenhöhe unter Dach und Fach gebracht. Worüber die Rüstungsindustrie (nicht nur) der USA jubiliert, sorgt dafür, Ostasien zu destabilisieren und die Prolieferation von Atomwaffen nach Japan und Südkorea wieder denkbar zu machen.

Und deshalb ist die eigene Fähigkeit zum Atomschlag keine Garantie dafür, nicht selbst heiß oder kalt "abgerüstet" zu werden. Denn merke: Die atomare Logik ist immer die Logik des Feindes.

Ein Nachtrag

Auch wenn wir die Entscheidung Nordkoreas zur atomaren Bewaffnung aus genannten Gründen für politisch falsch halten, so ist dessen Entscheidung nicht der Kern des Problems. Nordkorea verfügt über 10 atomare Sprengköpfe, weltweit liegt ihre Zahl bei 15.000. Allein 14.000 halten die USA und Russland in ihren Arsenalen vor (Angaben entnommen der Monatszeitung Le Monde diplomatique vom Oktober 2017, S. 8). Diese Bedrohung des Lebens weltweit ist der tatsächliche Skandal, der von der gegenwärtig stattfindenden Hatz auf den "Schurkenstaat" verdeckt und verharmlost wird. Mit diesem Theaterdonner, der sich unvermittelt in realen Kriegslärm verwandeln kann, wird die Rüstungsspirale hemmungslos weiter gedreht und die Panikmache in politischen und finanziellen Profit überführt. Nicht nur der gegenwärtige US-Präsident ist ein Meister in diesem Geschäft. Und Kim, der "kleine Raketenmann", wird zum kostenlosen Werbeträger der Aufrüstung.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 198 - Winter 2017/2018, Seite 18 bis 19
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2018

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