Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

AUFBAU/250: Sklavenarbeit - "Mandarinen und Oliven fallen nicht vom Himmel"


aufbau Nr. 60, März/April 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Mandarinen und Oliven fallen nicht vom Himmel"


SKLAVENARBEIT - In Süditalien sind afrikanische Migranten gegen unmenschliche Arbeits- und Lebensbedingungen aufgestanden und haben damit einen Aufstand gegen die Mafia gewagt.


(rabs) "In Kalabrien gehen Einwohner mit Eisenstangen gegen Migranten vor" schaute es einen Tag lang durch deutschschweizerische Radios. In der Kleinstadt Rosarno sei die Situation zwischen Einwohnern und Migranten eskaliert und in der Folge komme es zu Gewaltausbrüchen und Strassenschlachten. Hintergründe und Interessen wurden nicht im Ansatz benannt, sodass der Eindruck eines rassistischen Pogroms aus dem Nichts entstand. Man mochte sich die Wirkung einer solchen Nachricht im schweizweit zunehmend rassistischen Klima nicht ausmalen. Sollte der Kern der dermassen verkürzten Radionachricht etwa sein, dass hier bei uns die Migranten immerhin noch nicht mit Eisenstangen aus dem Land geprügelt würden? Selbst den kleinsten Hinweis auf die elenden Lebensbedingungen und die dafür Verantwortlichen der süditalienischen Mafia Ndrangheta blieben schweizerische Medien schuldig und trugen damit zum verzerrten Bild der Ereignisse von Rosarno bei.


Schüsse auf Landarbeiter

Auslöser der Strassenschlachten waren gezielte Schüsse am Donnerstagabend, den 7.1.2010: Aus einem Auto wurde auf zwei Migranten geschossen, die von der Arbeit auf den Orangenfeldern zurückkehrten. In der Folge verbreitete sich das Gerücht, die beiden seien tot und Afrikaner zogen ins Zentrum der Stadt, wo sie Autos anzündeten, Schaufensterscheiben einschlugen und Barrikaden errichteten. Die Vermutung, dass es sich bei den Schützen um Mitglieder der Ndrangheta handelt, liegt für regionale linke Kräfte auf der Hand. Sie erwähnen aber auch, dass dies in Kalabrien niemand bestätigen wird. Die Mafia kontrolliert ganz Kalabrien und ist vom Baugeschäft bis zur Landwirtschaft praktisch überall involviert. So arbeiten zum Beispiel die meisten der sogenannten "caporali", die die Landarbeiter wie auf dem Viehmarkt anheuern, für die Mafia. Sie fahren die Arbeiter zu den von der Ndrangheta "geschützten" Grossgrundbesitzern, für die das Obst auf den Plantagen gepflückt wird. Die Folge dieser mafiösen Strukturen ist nicht zuletzt ein weit verbreiteter Rassismus, der bewaffnete Bürgerwehren dazu trieb, den Aufstand vom Januar mit Eisenstangen und Autojagden zu beantworteten. Es ist dies ein Klima der Menschenhetze, das eskalierte, aber leider Kontinuität hat, wie Plakate auf dem Gemeindehaus von Rosarno zeigen: Auf ihnen wurde ein verurteilter Schütze bejubelt, der schon im Jahr 2008 auf Migranten geschossen hatte. Auch er war ein Mafiakiller, der aufmüpfige Landarbeiter, die allen Grund zur Revolte haben, zum Schweigen bringen sollte: Während 15 Stunden pro Tag schuften die Migranten aus Sudan, Togo, Ghana oder Nigeria für einen Lohn von 20 bis 25 Euro, von dem auch noch die "caporali" bezahlt werden müssen, um dann in leer stehenden Fabriken oder Kartonhütten zu hausen. Das alles geschieht, nachdem sie gerade erst dem Lager auf der Insel Lampedusa entronnen sind oder dem Schicksal, als Leiche an einen Strand gespült zu werden.


Wer sagt Nein zur Mafia?

Das Pogrom von Rosarno endete mit über 60 Verletzten und einer ausländerfreien Stadt. Die Migranten flohen entweder "freiwillig" aus ihren zerstörten Elendsunterkünften oder wurden von der Polizei in Aufnahme- und Abschiebezentren gebracht. Dies geschah unter dem Beifall von StadtbewohnerInnen, die Ursachen dafür wurden von Innenminister Maroni auf die "grenzenlose Toleranz gegenüber illegaler Einwanderung" zurückgeführt. Ein anderes Gesicht von Rosarno zeigen lediglich die antirassistischen Initiativen. Sie organisieren Demonstrationen gegen die Mafia und den Rassismus und planen eine Beteiligung am Migrantenstreik vom 1. März 2010 mit dem Motto "Noi ci stiamo" (Wir bleiben hier). Das will auch eine Ende Januar gegründete Landarbeitergewerkschaft, die für die verletzten Afrikaner eine Aufnahme aus humanitären Gründen fordert sowie ein Leben und eine Arbeit in Würde. Der übersetzte Titel ihres erschütternden Gründungsdokumentes "I mandarini e le olive non cadono dal cielo" ist dem Titel dieses Artikels zu entnehmen. Die antirassistischen und gewerkschaftlichen Initiativen betonen alle die Wichtigkeit des Kampfes gegen die Ndrangheta, womit sie sich in eine Tradition stellen, die es in Rosarno auch gab: Am 11. Juni 1980 wurde Peppe Valarioti, ein Sekretär des PCI, in Rosarno in einem Lokal erschossen. Die Aktion sollte ein linkes Wahlresultat zunichte machen und den von Valarioti besonders repräsentierten Kampf gegen die Mafia zurückdrängen.


*


Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


*


Quelle:
aufbau Nr. 60, März/April 2010, S. 5
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich, Fax 0041-(0)44/240 17 96
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org

aufbau erscheint fünfmal pro Jahr.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
aufbau-Jahresabo: 30 Franken, Förderabo ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2010