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AUFBAU/293: Öffentlicher Raum als Leinwand


aufbau Nr. Nr. 65, Mai/Juni 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Öffentlicher Raum als Leinwand

STREET ART - Als Unbekannte einen Tag vor einer Ausstellung, gesponsert von der Credit Suisse über Street Art, das Kunsthaus mit dem Schriftzug "Graffiti R.I.P." versahen, starteten die Medien und selbsternannte Kunstfreunde eine scheinheilige Diskussion, wann Kunst wirklich Kunst oder nur Sachbeschädigung sei.


Die ersten Erscheinungsformen der Street Art entstanden in der Zeit um 1960 in Form von handgeschriebenen Parolen, einerseits von politischen AktivistInnen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen, andererseits von Strassengangs, um ihr Revier zu markieren.

Als 1971 einen Artikel in der New York Times über "Taki 183", einen Postboten, der überall sein Pseudonym hinterliess, erschien, bemerkten die Jugendlichen, was für Ruhm er damit erlang und begannen ebenfalls mit dem Sprayen. Bald wurde nicht nur in den Strassen gemalt, sondern entstanden auch die ersten Bilder auf Zügen. Durch Filme wie "Wildstyle" und die nach Europa kommende Hip Hop-Welle, begannen unter anderem auch in Deutschland um 1990 die ersten Menschen mit dem Sprühen.

Während Graffiti zwar als einen Teil der Street Art zu sehen ist, beinhaltet der Begriff jedoch noch viel mehr. Verschiedene StrassenkünstlerInnen verbreiten ihren Namen oder Botschaften nicht nur über die Spraydose, sondern auch in Form von selbstgemachten Aufklebern, Plakaten und vieles mehr.

Street Art ist eine Form der Ausdrückung, in der nicht einfach für die MacherInnen oder einige wenige erlesene "Kunstkenner" produziert wird. Viel mehr arbeiten die AktivistInnen für die Zuschauer. Für sie ist das Werk gemacht. Sie soll es ansprechen, provozieren oder zum Handeln bewegen. Durch die Benützung des öffentlichen Raums als Leinwand bestimmen die MacherInnen nicht nur selbst, wann und wo sie ihre Werke veröffentlichen wollen, ungestört davon, ob das den Mächtigen nun passt oder nicht, sondern es ermöglicht ihnen auch, mit der Bevölkerung in einen Dialog zu treten. Nicht immer wird die Bedeutung eines einzelnen Bildes gleich klar, manchmal verzichten die AktivistInnen auch komplett auf eine Botschaft, ganz nach dem Motto "the medium ist the message". Dass in der Street Art und Graffitiszene immer auch sehr viel Individualistisches vermittelt wird, ist klar, trotzdem gibt es von verschiedensten Seiten auch immer wieder Versuche gesellschaftskritische oder antikapitalistische Impulse zu setzen.


Street Art in der politischen Widerstandsbewegung

Auch für die politische Widerstandsbewegung wird die Street Art ein immer wichtigeres Mittel. Im Gegensatz zu teuren Werbeflächen oder Ausstellungen in irgendwelchen Kunsthäusern, kann Street Art von jeder und jedem auf der Strasse praktiziert werden und zwar unabhängig davon, ob er/sie jetzt zu einer Partei mit hohen finanziellen Mitteln zählt oder andersweitig über genug Geld verfügt.

Des weiteren kommt dazu, dass wenn ein Plakat oder ein Stencil(1), etwa für eine Demo-Mobilisierung, angebracht wird, diese nicht nur den eigentlichen Inhalt von der Mobilisierung ausdrückt, sondern es wird auch die Bruchposition zum Staat und seinem Legalitätsprinzip sichtbar. Auch im Kampf um den öffentlichen Raum ermöglichen diese Formen der Agitation eine Präsenz auf den Strassen und einen Gegenpol gegen die Werbeindustrie.


Eigenkultureller Impuls

Obwohl die Street Art, wenn sie im öffentlichen Raum praktiziert wird, durch Repression und schnelles Entfernen verhindert werden soll, kann sich die Bewegung über einen immer höheren Bekanntheitsgrad erfreuen. Immer mehr Menschen werden in diesem Bereich aktiv und vernetzen sich, sind gemeinsam aktiv auf der Strasse, schützen sich zusammen gegen Repression und führen eigene nonkommerzielle Veranstaltungen durch. In den Medien wird diese Entwicklung als Subkultur abgetan, was nichts anderes heisst, als dass sie die Street Art als Abwandlung aus der herrschenden Kultur verstehen. Viel mehr gilt es, die Strassenkunst als eigenkulturellen Impuls zu verstehen. Als kulturellen Impuls unserer Klasse, von unten Links gegen oben Rechts!

Kommt es in letzter Zeit immer öfter zu heuchlerischen Artikel in den bürgerlichen Medien, so wird jedoch alles daran gesetzt, den politischen Charakter dieser Kulturform zu verschweigen. Während Bilder einiger AktivistInnen zwar als ästhetisch und witzig beschrieben werden, wird jedoch das brechen mit dem staatlichen Gewaltmonopol und dem Legalitätsprinzip, wie auch die Aneignung des öffentlichen Raums als einfache Sachbeschädigung abgetan.


Vermarktung der Street Art

Wie es im Kapitalismus üblich ist, wurde nun in den letzten Jahren auch diese Form der Kultur, da sie eine breite Masse bewegt und anspricht, übernommen und verwertet. Unternehmen verwenden die Stilistik und verschiedenen Möglichkeiten der Street Art als Werbemittel, um einem Produkt einen jugendlichen Anstrich zu verleihen. So wundert es nicht, wenn die ZKB ganze Zugabteile mit grafisch an Street Art angelehnte Motive zupflastert. Im Gegensatz zu den illegalen Sprayereien an den Zügen, lässt die SBB das gerne zu, dienen sie in diesem Fall ja nicht nur als gratis Leinwand, sondern als Werbeträger und sahnen so weiter Profite ab. Eine weitere Strategie der Kapitalisten die Street Art zu ihren Zwecken zu vermarkten, ist das sogenannte Guerilla-Marketing. Dabei werden Aufkleber(2) produziert und Menschen dafür entlöhnt, wenn sie diese in der Stadt kleben.

Dass es sich dabei um billige Propaganda und nicht um Kunst handelt wird schnell klar. Auf mögliche Widersprüche und Entwicklung von Bewusstsein wie sie in der Street Art in verschiedensten Formen immer wieder aufgezeigt werden, wird verzichtet. Vielmehr geht es darum, einfache Lösungen zu bieten, ein Produkt anzupreisen und damit zum Kaufrausch zu verführen.

Die Ausstellung vergangen März im Kunsthaus Zürich ist ein weiterer Tiefpunkt. Street Art wird, gesponsert von der Credit Suisse, weg von der Strasse in eine Ausstellung gebracht. Nicht nur, dass sich nun die Werke nur anschauen kann, wer Geld für den Eintritt hat, widerspricht eine solche Ausstellung jeglichen Grundwerten der Street Art. Die Frage um den öffentlichen Raum wird total ausgeblendet und die gesellschafts- und kapitalismuskritischen Bestandteile, welche in der Street Art immer wieder vorkommen, werden sich nur schwer verwirklichen lassen, will die CS bestimmt nicht Geld ausgeben, um sich dann ans Bein pinkeln zu lassen.


Graffiti R.I.P.

Umso grösser waren der Ärger und das Unverständnis, als Unbekannte in der Nacht vor der Ausstellung in grossen Buchstaben "Graffiti R.I.P." ans Kunsthaus schrieben. Sofort wurde begonnen, allfällige Täter als Chaoten und Schmierer zu betiteln, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass hier Menschen genau das machten, was "Kunstfreunde" in der Ausstellung anpriesen: Street Art. Und zwar in der Form in der sie entstand und bestehen bleiben muss: Nicht als Werbemittel oder Profiteinheizer, sondern als hinterfragender Akt, ohne Rücksicht, ob das jetzt den Machthabenden und Kapitalisten passt oder nicht. Der Sachschaden war hoch, die Entrüstung auch und sofort wurden wieder die Rufe, dies habe nichts mit Kunst zu tun, laut.

Die Frage, wann Street Art Kunst ist, ist eine falsch gestellte Frage. In der kapitalistischen Gesellschaft wird nur das als Kunst definiert, was sich als solches verkaufen lässt, also Warencharakter annimmt. Es kann nicht erstaunen, dass im Kapitalismus nur Kunst ist, was als solche verkauft oder vermarktet werden kann. Wir müssen uns um ein politisches Verständnis der Kultur und deren Kunst bemühen und fortschrittliche Ansätze zu entwickeln versuchen.


Anmerkungen:
(1) Mit einer Schablone wird ein Bild gesprayt.
(2) Als Beispiel etwa die "Coca-Cola Zero" Kleber.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 65, Mai/Juni 2011, Seite 16
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2011