Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

AUFBAU/299: London's calling


aufbau Nr. Nr. 66, September/Oktober 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

AUFSTAND
London's calling


Im August entlud sich die Wut eines Teils des englischen Proletariats in verschiedenen Städten. Was im August in London als direkte Antwort auf einen rassistischen Mord durch die Polizei begann, entwickelte sich zu tagelangen Aufständen, Strassenkämpfen und Plünderungen.


(az) Auf die Kämpfe antwortete die bürgerliche Gesellschaft medial mit Entpolitisierung des Aufstandes und vor allem mit dem Versuch, Spaltungslinien und Entsoldarisierung innerhalb der Klasse zu provozieren. Es erstaunt deshalb nicht, dass auch viele linke Organisationen zwar Verständnis für die Aktivitäten zeigen, sich jedoch wegen teilweise falschen Angriffszielen auf eine vorsichtige, "bedingte" Solidarität zurückziehen. Damit von dieser Haltung nicht nur der moralische Zeigefinger übrigbleibt, müssten jedoch konkrete Vorschläge für eine revolutionäre Praxis in solchen proletarischen Brennpunkten und Quartieren gemacht werden. Deshalb drucken wir hier ein gekürztes Interview mit Jonty, von der trotzkistischen Workers Revolutionary Party, und mit Latica, einer Jugendlichen der Young Socialists, ab.(1) Diese haben wir durch die Unterstützung der Streikenden Gate-Gourmet-ArbeiterInnen 2006 kennengelernt und konnten ihre praktische Arbeit in der proletarischen Jugend in Hackney/London mitverfolgen. In ihren Voten kommt eine Gegenposition zur medialen Hetze zum Ausdruck, welche die Einheit innerhalb des Proletariats stark betont.

In den Medien wird von Gangs gesprochen. Waren die relevant?

L: Nein, das ist nicht so relevant. Das Ganze formierte sich sehr spontan, alle beteiligten sich und es gab eine hohe Einheit. Wahrscheinlich gab es schon Gangs, die sich an den Krawallen beteiligten, aber es war nicht so, dass die führend waren.

J: Unterschiedliche Jugendliche nahmen teil. Unter den Verhafteten waren Leute aus der ArbeiterInnenklasse, der Mittelschicht, gut ausgebildete oder auch junge Leute aus der Armee. Das ist eine Bewegung von jungen Leuten, die die Schnauze voll haben vom kapitalistischen System.

Die Riots sind also ein Ausdruck eines spezifischen jungen Teils der Proletariats. Gibt es Anzeichen einer Spaltung innerhalb der Klasse aufgrund dieser Initiativen?

L: Ja, Kritik gab es schon auch, meistens von Leuten der älteren Generation. Aber sonst zeigten eigentlich viele Leute in den Vierte in Verständnis dafür, denn sie wissen warum das passiert und warum viele Jugendliche diese Form wählen. Die Medien stellen andauernd die Frage, warum diese Proteste stattfinden. Aber ich denke das ist ein Ausdruck davon, dass die Medien und auch die oberen Klassen den Kontakt zu uns hier verloren haben. Und bei den Protesten der Studierenden zu Beginn des Jahres, die eigentlich ziemlich friedlich waren, wurden die Leute auch geschlagen und verhaftet. Also war jetzt der Zeitpunkt wo sie sich dachten: Scheiss drauf, jetzt gibts Riots!

Es wurde berichtet, dass es auch Kritik innerhalb der Communities gegenüber den Riots gibt, da die falschen Ziele angegriffen wurden. Was waren die unmittelbaren Ziele der Riots?

L: Es wurden gezielt Job-Zentren und Büros der Regierung angegriffen. Aber es gab auch die Angriffe gegen grosse Ladenketten, wo das Geld ist.

Mir persönlich gefiel es auch nicht, dass zum Beispiel die Häuser angezündet wurden. Aber andererseits muss man sagen, dass die Riots wohl ohne diese Aktionen niemals eine solche Aufmerksamkeit bekommen hätten. Ich war gegen die Sachen mit Feuer, aber gleichzeitig überhaupt nicht gegen die Proteste. Die Politiker reagieren auf die Proteste mit einer Kommission, die sich "Cobra" nennt und die hat jetzt vorgeschlagen, die Jugendlichen von 14 Jahren aufwärts wieder mehr zu unterstützen. Ich denke es war wichtig, dass die Proteste stattfanden.

Es wurde auch von ethnischen Konflikten berichtet.

J: Die Medien haben völlig übertrieben. Es gab keine Gewalt, die sich auf ethnische Konflikte beziehen. Es gab allgemein wenig Gewalt, ausser einiger abgefackelter Shops; dies war aber unabhängig davon. Die Hauptsache war, dass die Leute in die Shops gingen und sich die Sachen nahmen, die sie wollten - Trainer, Handys, TVs, etc. Es war eine Umverteilung des Wohlstandes!

Wie ordnet ihr die Riots historisch ein?

J: Die Riots können nur verstanden werden im Kontext der wachsenden Krise des kapitalistischen Systems. Heutzutage erhebt sich in den meisten Ländern der Welt die Jugend.

Der Aufstand in Grossbritannien folgte auf Grossdemonstrationen von hunderttausenden jungen Leuten an Schulen und Universitäten letzten Herbst. Die Regierung kündigte damals Sparmassnahmen an und eine immense Erhöhung der Studiengebühren.

Was in Ägypten, Algerien, Griechenland, usw. passierte. geschah auch in Grossbritannien. Es geht um dieselben Probleme: Massenarbeitslosigkeit, massive Angriffe auf staatlich finanzierte (Aus-)Bildung, Wohnmöglichkeiten, Jobs und Zuschüsse, sowie ein Auflehnen gegen die Polizeigewalt.

Die Regierung zettelt einen Krieg gegen die jungen Leute an; sie sollen für die ökonomische Krise bezahlen. Was wir letzte Woche gesehen haben, ist der Widerstand der Jugendlichen.

Und es müssen weitere Aktionen von Jugendlichen erwartet werden. Die heutigen Riots sind ein Schritt in Richtung eines revolutionären Aufstandes, den wir auf der ganzen Welt entstehen sehen.


Anmerkung:

(1) ausführliches Interview in der online-Zeitung unter www.aufbau.org.


*


Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich Jagj)


*


Quelle:
aufbau Nr. 66, September/Oktober 2011, Seite 9
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org

aufbau erscheint fünfmal pro Jahr.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
aufbau-Jahresabo: 30 Franken, Förderabo ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2011