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AUFBAU/317: Der Dreigroschenprozess und das Internet


aufbau Nr. 69, mai/juni 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Der Dreigroschenprozess und das Internet



GEISTIGES EIGENTUM Ein Gerichtsurteil aus dem Deutschland der 30er Jahre gibt Einblick in die ökonomischen, juristischen und ideologischen Widersprüche bürgerlicher Kunstproduktion. In Zeiten des umstrittenen Urheberrechts ist es von erstaunlicher Aktualität.

(rabs) In der Dreigroschenoper (und in seiner Dichtung überhaupt) tut Brecht das, was AutorInnen seit allem Anfang tun, was je nach Epoche aber unterschiedlich bewertet wurde: Brecht formt John Gays "The Beggar's Opera"(1728) um und schreibt einzelne Verse sogar ab. In der Ära des bürgerlichen und als alleiniger Urheber eines Werkes geltenden Autors gilt das aber quasi als Kapitalverbrechen. Seinen Kritikern hält Brecht souverän den legendär gewordenen Satz von der "grundsätzlichen Laxheit in Fragen geistigen Eigentums" entgegen. Der von ihm selbst angeregten Neuausgabe der erwähnten englischen Oper stellt Brecht ein Gedicht mit den folgenden Schlussversen voran: "Nehm jeder sich heraus, was er grad braucht! / Ich selber hab mir was herausgenommen...".

Die Verfilmung der Dreigroschenoper gibt Brecht nun die Gelegenheit zu beweisen, dass es die bürgerliche Ideologie ist, die der literarischen Praxis des "Nimm, was du grad brauchst" im Weg steht. Vor dem Berliner Landgericht I verklagt Brecht am 30.9.1930 die Nero Film AG, die seine Dreigroschenoper verfilmen soll. Der Komponist Kurt Weill folgt Brecht einen Tag später. Brecht hatte sich vertraglich vorbehalten, dass der Film die politische Botschaft zu transportieren hat. Als klar wird, dass sich die Nero Film AG nicht daran hält, erklärt sie Brecht kurzerhand für vertragsbrüchig, was sich diese aber nicht gefallen lässt und ihrerseits klagt. Wer den Schaden zu begleichen hat, erstaunt nicht: Brecht und Weill verlieren den Prozess in allen Punkten, stehen für die Nero Film AG doch bereits 800.000 Mark zur Disposition. Nun stört das die beiden aber nicht, haben sie es in diesem "soziologischen Experiment" doch von Anfang an nicht auf einen gewonnenen Prozess angelegt, sondern wollen "gewisse Vorstellungen am Werk" sehen. Vorstellungen, die "für den gegenwärtigen Zustand der bürgerlichen Ideologie charakteristisch sind". Auch Brecht versteht das Gericht als Bühne, auf der nicht Recht gesprochen, aber etwas über das Recht ausgesagt wird (vgl. "Sie haben uns eine Arena eröffnet", aufbau Nr. 67).


Verlorene Prozesse, gewonnene Einsichten

Der Prozess "Brecht/Weill gegen Nero Film AG" ruft natürlich die Presse auf den Plan, die den Fall eifrig kommentiert. Deren gesammelte Artikel und einen eigenen Kommentar publiziert Brecht in einem Band unter dem Titel "Der Dreigroschenprozess", der die Widersprüche bürgerlicher Kunstproduktion beleuchtet. Zu diesen gehört zwar durchaus, aber bei weitem nicht nur die Macht des Kapitals, gegen die das Anrecht des Künstlers auf Bezahlung seiner "Ideen" im Zweifelsfall schlechte Karten hat. So ist Letzteres zwar juristisch im Eigentumsrecht und in der Vorstellung vom Autor als alleinigem Urheber eines Werks auch ideologisch verbrieft, Justiz und Ideologie geraten jedoch mit ihren eigenen Vorstellungen in Konflikt, sobald das Kunstwerk in den Produktionsprozess gezogen und zur Ware wird. Kurz: Sobald die bürgerlichen Vorstellungen von Kunst in praktischen Niederungen anlangen, erleiden sie Schiffbruch. So gibt es auf der einen Seite das Versprechen, Kunst sei "Ausdruck einer Persönlichkeit" und ermögliche es dem Einzelnen, sich im Kunstwerk wiederzufinden.

Auf der anderen Seite zeigt Brechts juristische Probe aufs Exempel aber, wie wenig die Persönlichkeit des Künstlers zählt, wenn sie die Interessen der Produktion zu gefährden droht. Natürlich braucht man den Autor Brecht; seine Texte und unter Umständen sogar seine politische Haltung können den Absatz befördern - das alles sind aber nicht mehr als Vermarktungsstrategien, die nichts mit der vorgeblichen Unantastbarkeit geistigen Eigentums zu tun haben. Der juristische Überbau ist längst mit den Bedingungen der Produktion in Widerspruch geraten. Für Brecht zeigt sich dies im Zusammenprall mit der Filmindustrie, der gegenüber er vom Standpunkt der technisch-filmischen Umarbeitung und Verbreitung von Literatur alles andere als abgeneigt ist. Nicht zuletzt trage sie mit ihrer arbeitsteiligen Produktion dazu bei, die Vorstellung von der sich im Kunstwerk auffindbaren Künstler-Persönlichkeit über Bord zu werfen. "Der unaufhaltsame und daher zu billigende Verfall des individualistischen Kunstwerks" findet seinen Grund darin, dass Kunst keine von allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen gesonderte Sphäre darstellt, sondern von diesen durchaus abhängt.


Über Brechts Plagiarismus

So kommen wir wieder zurück zum Literaturverständnis des "Nimm, was du grad brauchst", das gemäss Brecht andere gesellschaftliche Verhältnisse benötigen würde, um auf ideologischer Ebene dem eingangs beschriebenen Vorwurf des Plagiarismus zu entgehen. Nun hat sich die Welt seit Brechts Prozess aber bewegt und sein Literaturverständnis stösst heutzutage kaum mehr auf Widerspruch - erst recht seit Texte auch im virtuellen Netz aufeinander verweisen und massenweise per Mausklick und dank Informationsmultis zur Verfügung stehen. Nach wie vor stossen Literatur und Kunst auf ökonomischer Ebene hingegen auf die beschriebenen Widersprüche. Zwar kommen kleinbürgerliche Kunstschaffende heutzutage nicht auf den Gedanken, Prozesse im Namen des Urheberrechts zu führen. um selbiges dann als kapitalistischen Schein zu demaskieren, doch treibt sie der Warencharakter von Kunst zu Protesten gegen die Abschaffung des Urheberrechts. Wie sonst sollte ihre Arbeit entlöhnt werden? In diesem Spannungsfeld einer immer stärker vergesellschafteten Informationspraxis, einer veralteten juristischen Regelung und dem Monopol grosser Informationskonzerne gibt es in der Tat keine einfachen Lösungen. Brechts Essay ist mit der Überschrift "Die Widersprüche sind die Hoffnungen" eingeleitet. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt geben die Forderungen nach Internetfreiheit jedoch wenig Anlass zu Hoffnung, da sie dem Monopol der Informationsmultis keinen Abbruch tun und sich so verhalten, als liesse sich das Urheberrecht losgelöst vom Warencharakter der Literatur bekämpfen. Gleichwohl, die Widersprüche bleiben, und somit ist, wenn schon nicht für Hoffnung, so doch zumindest für Bewegung gesorgt.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 69, mai/juni 2012, Seite 6
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2012