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AUFBAU/332: Zum 100. Geburtstag von Woody Guthrie


aufbau Nr. 70, sept/okt 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Some will rob you with a six-gun and some with a fountain pen"

WOODY GUTHRIE - Der amerikanische Folksänger wäre dieses Jahr 100-jährig geworden. Seine Haltung und seine Songs inspirieren zahlreiche MusikerInnen bis heute.



(raw) Als der englische Singer-Songwriter und Sozialist Billy Bragg Ende Mai dieses Jahres in Zürich auftrat, spielte er einige Songs, deren Texte zum Teil vor mehr als 70 Jahren geschrieben worden waren und trotzdem auch heute noch aktuell klangen. Das Platzen der Immobilienblase in den USA 2008 und die massenhafte Vertreibung von Menschen aus ihren Häusern hatte die Zeilen "Rich man took my home and drove me from my door / And I ain't got no home in this world anymore" wieder zurück in das Zeitgeschehen katapultiert. Woody Guthrie hatte sie 1938 als Parodie auf den damals in den amerikanischen WanderarbeiterInnen-Lagern verbreiteten, christlichen Gospel-Song "This world is not my home" geschrieben. "Der Grund wieso du dich in der Welt nicht zuhause fühlen kannst, liegt hauptsächlich darin, dass du gar kein Zuhause mehr hast" merkte er dazu an. Und beendete das Lied mit der Strophe "The gamblin' man is rich an' the workin' man is poor, / And I ain't got no home in this world anymore."

Es gebe mehrere Dinge an Woody Guthrie, die ihn faszinieren würden, sagt Billy Bragg in seinen Konzertansagen und in Interviews: Einerseits natürlich eben die politische Aussagekraft und Zeitlosigkeit einiger seiner Lieder. Andererseits aber auch, dass Guthrie gewissermassen die Haltung des Punks vorgegriffen habe. "(..) Es war Woody Guthrie, der einen antifaschistischen Slogan auf seine akustische Gitarre schrieb, bevor elektrische Gitarren überhaupt erfunden worden waren. Also muss man sich fragen, wer war der erste Punk? Joe Strummer oder Woody?" Tatsächlich hatte sich Guthrie 1941 den Spruch "This machine kills fascists" auf die Gitarre geschrieben (siehe Bild [in der Printausgabe des Aufbau]).


Hard Hitting Songs for Hard Hit People

So wie seine Gitarre in seinen Händen eine Waffe gegen die Faschisten war sah Guthrie seine Texte und seine Musik überhaupt als Kampfmittel für die ArbeiterInnen. Seine präzisen Beobachtungen der misslichen Situation des Proletariats in den USA der 30er- und 40er-Jahre schrieb er in Reimen nieder und unterlegte sie meist mit gar nicht oder nur leicht abgeänderten Melodien traditioneller Volkslieder. Auch deshalb erkannten sich viele, die seine Lieder hörten selbst darin. Die Nöte und Sorgen der Menschen kennen gelernt hatte Guthrie schon als 15-Jähriger bei seinen ersten Reisen per Anhalter und auf Güterzügen. Die Welt der Hobos und WanderarbeiterInnen faszinierte ihn, und ihm wurde zum ersten Mal bewusst, "dass einige im Leben ziemlich hart arbeiten müssen und andere auf die eine oder andere Art locker durchs Leben spazieren", wie er später erzählte.

Mit der Wirtschaftskrise, die ab 1929 hereinbrach und der grossen Dürre und Staubstürmen in den Great Plains, verschlimmerte sich die Situation für die Arbeitenden zusätzlich. Rund 2,5 Millionen Menschen verliessen in den 30er-Jahren die sogenannte "Dust Bowl", etwa eine Viertelmillion kam zwischen 1935 und 1940 in Kalifornien an. Guthrie zog mit den "Okies" und "Arkies" mit. Allerdings war auch der "goldene Staat" nicht von der Wirtschaftskrise verschont geblieben und verschloss seine Grenzen vor den MigrantInnen. Nur wer an den Checkpoints genügend Geld vorweisen konnte, durfte einreisen, was Guthrie zu "Do Re Mi", einem seiner bekannteren Lieder, inspirierte, in dem er den Flüchtlingen zynisch rät, zuhause zu bleiben, wenn sie nicht genug Geld hätten.


All you can write is what you see

Mit 18 Jahren hatte er in Texas seine erste Band gegründet, 1937 spielte er in Los Angeles seine erste Radioshow, knüpfte erste Kontakte mit der kommunistischen Partei und schrieb für deren Parteiblatt "People's World" die Kolumne "Woody Sez". 1940 folgte er einem befreundeten Paar nach New York und kam so in Kontakt mit der linken Kulturszene. Bald freundete er sich mit dem Folksänger Pete Seeger an und trat den von Seeger und andern Musikern gegründeten Gruppe Almanac Singers bei. Einige seiner bekannteren Lieder stammen aus jener Zeit, unter anderem "Union Maid" über die afroamerikanische Gewerkschafterin Annie Mae Merriweather, die vergewaltigt und aufgehängt wurde, aber überlebte und überzeugte Gewerkschafterin blieb und das bis heute in den USA sehr populäre "This Land is your Land", in dem er die Schönheit der US-amerikanischen Landschaft, aber in der ursprünglichen Version ebenso die Not der Menschen beschreibt und das Privateigentum in Frage stellt. "The best stuff you can sing about is what you saw and if you look hard enough you can see plenty to sing about" pflegte Guthrie zu sagen. Im Unterschied zur kommerziellen "Hillbilly"-Musik spielte Woody deshalb am liebsten da, wo sich etwas bewegte: Mit den Almanac Singers brach er 1941 auf eine Tour durch die USA auf - mitten in einer der grössten Streikwellen in den USA. Den Streikenden machten sie mit ihren Gewerkschaftsliedern Mut, ihre antifaschistischen und bisweilen fast patriotischen Lieder nach dem Angriff Nazideutschlands auf die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der USA machten die Almanacs dann auch einem breiteren Publikum bekannt. Der kurze Erfolg mit diesen Liedern war allerdings so schnell wieder vorbei, wie er gekommen war. Eine antikommunistische Medienkampagne des FBI beendete ihre Radiokarriere vorzeitig.


"But I won't guarantee you which way"

Guthrie wurde in die Handelsmarine eingezogen, nach dem Krieg wurde aber allmählich immer deutlicher, dass er die Nervenkrankheit Chorea Huntington von seiner Mutter geerbt hatte. Zudem hatte der Antikommunismus der 50er-Jahre viele seiner einstigen Folk-Weggefährten entweder in den Kommerz oder den Rückzug aus der Musik getrieben. Nicht alle konnten die FBI-Verhöre wegen "antiamerikanischer Umtriebe" so locker wegstecken wie Guthrie in einem improvisierten Song: "Would you carry a gun for your country? / I told the FBI 'Yea!' / I'll point a gun for my country / But I won't guarantee you which way.". 1954 wies sich Guthrie aufgrund seines zunehmend schlechteren Zustandes selbst in eine psychiatrische Klinik ein, einem zynischen Brief von ihm nach der einzige Ort in den USA, an dem man sich noch ohne Konsequenzen als Kommunist outen konnte. Am 3. Oktober 1967 starb er 55-jährig an den Folgen seiner Krankheit. Er hinterliess rund 3000 Texte, zudem etliche Bilder und Notizen. Seine Songs über Outlaws, die zwar falsch handeln, allerdings im Gegensatz zu den Bankern nie eine Familie aus ihrem Haus vertreiben würden (z.B. "Pretty Boy Floyd"), seine antifaschistischen und gewerkschaftlichen Kampfsongs ("All You Fascist Are Bound To Lose", "Song for Bridges") und seine mit ironischem Unterton gesungenen Lieder über seine Taten als König von England oder als US-Präsident ("If I Was Everything On Earth") haben MusikerInnen auf der ganzen Welt inspiriert. Woody Guthrie hat nicht nur Lieder hinterlassen, die auch heute noch gespielt werden, sondern Songs, die auch heute noch aktuell sind.


Lese- und Hörtipps

Anlässlich des 100. Geburtstags von Woody Guthrie sind zahlreiche Publikationen und Musik-Alben neu erschienen oder neu aufgelegt worden.

  • "Dies Land ist mein Land", romanhafte Autobiographie von Woody Guthrie, bei Nautilus.
  • "Woody Guthrie, die Stimme des anderen Amerika", Barbara Mürdter, bei neues Leben.
  • "Mermaid.Avenue: The Complete Sessions": Hervorragendes Album von Billy Bragg und der US-Folkband Wilco mit Texten aus Guthries Nachlass.
  • Verschiedene Best of-Alben und Sammlungen mit Originalaufnahmen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 69, sept/okt 2012, Seite 10
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2012