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AUFBAU/342: Bewegung nach unten im Airline-Business


aufbau Nr. 71, januar 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Bewegung nach unten im Airline-Business



LUFTFAHRT-KRISE - Nicht erst seid der Pleite von "Hello" und dem Streik der Lufthansa FlugbegleiterInnen zeigt sich die Krise in der Luftfahrtindustrie. Ist wegen der ständigen Verschärfung der Arbeitsbedingungen in diesem Sektor mit zunehmenden Kämpfen zu rechnen?


(az) Im Airline-Geschäft und seinen Nebengewerben stehen seit Jahren Restrukturierungen und Sparmassnahmen auf dem Tagesprogramm. Die Arbeitsbedingungen und Löhne sind seit den 1990er Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit unter Druck geraten, nachdem ehemals "stolze" Staatsbetriebe privatisiert wurden, wie dies mit Bahn- und Postbetrieben und Elektrizitätswerken bereits geschehen oder in Planung ist. Auch wenn die goldenen Zeiten in der Fliegerei endgültig zu Ende sind, ändert sich das Bewusstsein des Airlinepersonals leider nur viel langsamer als jenes des Managements. Dieses zieht die Schraube bei den Angestellten ständig weiter an. Die "Turnaround-Zeiten" (Zeit zwischen Landung und Weiterflug) werden bis ans Limit geschraubt, um das teure Flugmaterial ständig in Betrieb zu halten. Die Einstiegslöhne werden konsequent gesenkt und so wenig Personal wie möglich eingestellt, was bei - zum Alltag gehörenden Ausfällen - zu Überstunden beim ständig auf Pikett stehenden Personal führt. Bei der Swiss hatte sich 2010 alleine bei den PilotInnen ein Überhang von 9000 Arbeitstagen angehäuft, welche sich aus ausgefallenen Ferien, Piketteinsätzen und Überstunden ergaben.

Flexibilität ist sich das Personal schon lange gewöhnt, auch wenn sie früher eher durch die Besonderheiten der Fliegerei wie ihrer Wetterabhängigkeit oder technischer Art bedingt waren. Doch dies gehörte quasi zu den Belastungen des Berufs, welche die Unternehmen durch attraktivere Arbeitsbedingungen wieder zu kompensieren versuchten. Die heutige Flexibilität, welche ganz selbstverständlich vom Personal verlangt wird, hängt aber vor allem mit absichtlich knapp kalkulierten Personalbeständen zusammen. Freizeit wird so für viele Angestellte kaum mehr planbar. Hierin unterscheidet sich das Airlinepersonal kaum vom Verkaufspersonal bei Aldi.

Während die Zeitpläne immer dichter und die Überstunden immer mehr werden, sinken die Anfangslöhne immer tiefer und die Lohnanstiege werden immer unsicherer. Bei 100% Anstellung liegt der Basislohn einer FlugbegleiterIn bei der Swiss bei 3.300 bis 3.400 Fr. Bei Air Berlin beträgt der Basislohn 1.125 Fr., mit Überstunden maximal 1.800 Fr. Bei Lufthansa, wo diesen Herbst die FlugbegleiterInnen streikten, entspricht der Lohn dem bei Air Berlin, bloss mit weniger Überstunden. Mit zunehmenden Leiharbeitsverträgen werden die Löhne weiter gedrückt. Kein Wunder schickten Weihnachten 2011 viele FlugbegleiterInnen das von der Swiss anstatt eines ausbezahlten Bonus abgegebene Weihnachtsgeschenk mit Protestnoten an den Absender zurück. Was sollten sie auch mit einem Schneid-Brettchen für edle Schokoladen anfangen, fanden sie, wenn sie sich die passende Schokolade nicht leisten können.


Willkommen im Proletariat

Auch wenn die PilotInnen zu höheren Löhnen arbeiten, haben sie meist am Ende ihrer Ausbildung einen Schuldenberg angehäuft, den es abzustottern gilt. Bei der Swiss werden die Schulden meist über sechs Jahre mit Lohnabzügen von 1000 Fr. pro Monat abgearbeitet, was den Einstiegslohn von 4.800 Fr. beachtlich schrumpfen lässt. Immerhin steigt der Lohn mit der Arbeitserfahrung bei den meisten grossen Airlines an, wenn auch langsamer als früher. Und Arbeitserfahrung ist auch eine der wichtigsten Voraussetzungen später woanders überhaupt einmal einen Job zu finden. Deshalb akzeptieren viele PilotInnen beinahe alle Arbeitsbedingungen, um vielleicht später mal einen gut bezahlten Job zu ergattern. Moritz Suters Ende November 2012 pleite gegangene Fluggesellschaft "Hello" wusste dies auszunutzen, indem sie PilotInnen für ihre Flugerfahrung gratis arbeiten liess. Andere Fluggesellschaften bezeichnen die ersten 500 Flugstunden fertig ausgebildeter PilotInnen gar als Training, welche sie sich horrend bezahlen lassen. Auch wenn diese Praxis bei den meisten PilotInnen als verwerflich angesehen wird, gibt es keinen organisierten Widerstand dagegen. Schwierig gegen verschuldete KollegInnen zu kämpfen, wenn diese nach dem letzten Strohhalm greifen.

Dass es kaum Arbeitskämpfe von PilotInnen und FlugbegleiterInnen(1) gibt, liegt zu einem grossen Teil an der schwachen gewerkschaftlichen Organisierung und ihrer Zersplitterung. Meist sind die Angestellten in Verbänden pro Betrieb organisiert und noch pro Job aufgeteilt. So steht der Konkurrenzkampf zwischen den Angestellten verschiedener Airlines und der Standesdünkel vieler PilotInnen einer grösseren gemeinsamen Organisierung und. Solidarität im Wege. Allmählich macht sich jedoch selbst bei PilotInnen das Bewusstsein breit, welches Ihre Bosse schon langen haben: dass PilotInnen auch "nur" angestellte BusfahrerInnen sind, selbst wenn es sich um einen Airbus handelt.


Anmerkung:

(1) Erste Ansätze einer kämpferischen Gewerkschaftsfraktion in der Schweiz laufen unter dem Titel "Quo vadis Kapers", siehe: www.qvk.ch.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 71, januar 2013, Seite 9
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2013