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AUFBAU/355: Arbeitslos, zukünftig bis 67


aufbau Nr. 73, mai / juni 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Arbeitslos, zukünftig bis 67



PENSIONSALTER - Der Angriff auf das Rentenalter und die Sozialversicherungen finden überall statt, auch in der Schweiz. Der Anspruch auf ein geruhsames Alter soll gekappt werden.


(az) Schon Pascal Couchepin setzte sich 2003 als Schweizer Sozialminister, für die Erhöhung des Rentenalters ein und es kam zu einem Aufschrei der Empörung. Der heute zuständige Bundesrat Alain Berset scheint die gleichen Ziele zu verfolgen, doch geht er es behutsamer an. So ist der vom Departement des Innern in Auftrag gegebene und publizierte Forschungsbericht der "unabhängigen" BAK Basel Economics AG sehr ausgewogen und diplomatisch geschrieben, in der Stossrichtung aber eindeutig. Nach 70 Seiten Spekulation über die angenommene Bevölkerungsentwicklung und die "wahrscheinliche" wirtschaftliche Entwicklung der nächsten 60 Jahre steht in diesem Bericht genau das, was wir schon vor zehn Jahren zu hören bekommen haben: Weil immer mehr Alte Rente beziehen und immer weniger Junge einbezahlen, ist die AHV bedroht. Lustigerweise sieht die BAK kein Beschäftigungsproblem, schliesslich liegt es ja auf der Hand, dass viele junge Arbeitslose die AHV nicht retten werden. Aber ganz im Gegenteil geht die BAK davon aus, dass sich demnächst Arbeitskräftemangel einstellen wird. Deshalb sieht sie folgende Handlungsoptionen, um die AHV zu retten: Erhöhung der Lohnbeiträge, Erhöhung der Mehrwertsteuer-Beiträge, Erhöhung des Rentenalters (bei Angleichung des Pensionsalters der Frauen nach oben an jenes der Männer) oder Kürzung der Renten. Aus Gründen der Akzeptanz wird aber eine Kombination aller verschiedenen Lösungen vorgeschlagen, so "müsste" das Rentenalter für alle nur auf 67 erhöht werden. Dies obwohl die BAK eigentlich eine Erhöhung auf 69 als effizienteste Lösung bevorzugen würde. Somit würden alle zwischen 67 und 69 noch keine Rente beziehen und gar keine Rente, ist in den Augen der Reformer der Königsweg.


Pensionskasse statt Sozialversicherung

Rentenreformen stehen seit Jahren auf der Agenda aller Länder und auch aller politischen Machtzentren. Wo der IWF (Internationaler Währungsfonds) das Sagen hat, beispielsweise in Osteuropa, sind die Massnahmen drastisch. In Europa sind die OECD und die EU jene Kräfte, die sich zum Ziel gesetzt haben, mit dem Ballast der Sozialversicherungen aufzuräumen und die Umsetzung gestaltet sich etwas schwieriger. In Ländern wie Italien oder Frankreich führen die Angriffe zu Massenmobilisierungen, sogar Couchepin musste aufgrund des Widerstandes kürzer treten.

Reformen werden auch da gefordert, wo Pensionierung (wie in der Schweiz) bereits sehr wirtschaftsliberal organisiert ist. Die Schweiz kann mit ihrem 3-Säulen-Modell genau genommen als Trendsetter und Vision der Reformer betrachtet werden. Hier ist eine Struktur installiert, die auf einer dürftigen, nicht existenzsichernden ersten Säule (AHV) für die Armen und einer zweiten Säule für die weniger armen basiert (Pensionskasse).(1) Der Angriff richtet sich gegen die AHV. Sie ist der "solidarische" Teil der Rente, basiert auf dem Umlageverfahren(2) und kommt auch jenen zu Gute, die nur wenig einbezahlt haben, dafür werden aber jene, die viel einbezahlt haben, nicht stark bevorteilt. Ihr Nachteil ist, dass sie nicht existenzsichernd ist. Ganz anders funktioniert die Pensionskasse (BVG), mit der alle (ab einem Einkommen von ca. 22.000.-) gezwungen werden, Kapital anzuhäufen, das im Alter ratenweise zurückerstattet wird. Das heisst aber auch, dass die Pensionkassen auf riesigen Kapitalmengen hocken, die sie gewinnbringend investieren müssen. Das ist in einer Phase der Kapitalüberproduktion unter mehreren Gesichtspunkten problematisch. Denn es führt zu einer übertriebenen Bodenspekulation - damit verbunden hohe Mieten - und zu verschärfter Ausbeutung. Wenig Rendite heisst also wenig Rente. Oder im Falle eines Börsencrashs wird das Kapital vernichtet und somit die Pensionen. Sinnbildlich und markant ist das in Australien ausgefallen, wo 2008 in der Finanzkrise die Rentenfonds reihenweise bankrott gingen und die australischen Rentner im Schnitt auf einen Schlag um 20% ärmer wurden. Und die unlogische Folge davon ist, auch in Australien, dass das Rentenalter von 65 auf 67 erhöht wird.


Lügenpropaganda

Ziel aller Reformen ist der Ausbau der zweiten Säule, also der Kapitalakkumulation der Werktätigen in Pensionskassen, die Erhöhung des Rentenalters und die Angleichung des Rentenalters der Frauen. Um dies zu erreichen wird eine sachliche Notwendigkeit behauptet, die Panik geschürt, das ganze System breche zusammen. Für die Frauen allerdings wird mit Fairness argumentiert, schliesslich leben sie länger als die Männer. Das stimmt, doch verdienen sie im Schnitt auch 20% weniger. Wenn Fairness im Kapitalismus ein Argument wäre, dann wäre das wohl gewichtiger.

Genauso absurd argumentiert die Regierung Grossbritanniens. Schon Labour hatte verfügt, dass ab 2020 Männer und Frauen erst ab 66 in Rente gehen dürfen, was für die Männer eine Erhöhung um ein Jahr, für die Frauen um 6 Jahre bedeutet. Zusätzlich ist schon in Aussicht gestellt, dass 68 das eigentliche Ziel ist. Doch das reicht der gegenwärtigen Regierung unter Cameron nicht. Das Pensionsalter soll ganz abgeschafft werden, es ist die Rede der "Altersguillotine", die Menschen dazu zwinge, aus dem Arbeitsleben auszuscheiden, obwohl sie das gar nicht wollten. Die Aussage hat einen dramatisch wahren Kern: Da die Renten so tief sind, dass sie die Existenz keineswegs sichern, haben die allermeisten BritInnen in einer Umfrage angegeben, dass sie länger arbeiten möchten. Allerdings wurden sie nicht gefragt, ob sie auch eine höhere Rente und Freizeit in Betracht ziehen würden. Aber die Umfrage legitimiert die Aussage, die Regierung gebe den Menschen die "Freiheit", so lange zu arbeiten, wie sie wollen.

Gerade die BritInnen wissen aus langjähriger Erfahrung, wie das zu verstehen ist. Hier sollte sich dieses Bewusstsein auch schärfen.


Anmerkungen:

(1) Für die besser Verdienenden gibt es sogar noch eine 3. Säule von Lebensversicherungen usw., die den Hauptzweck erfüllt, Steuern zu sparen, aber diese ist für die Mehrheit ohne jede Relevanz.

(2) Im Umlageverfahren wird Geld von den Arbeitenden einbezahlt, dieses wird aber nicht gespart, sondern an die RentnerInnen ausbezahlt.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 73, mai / juni 2013, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2013