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AUFBAU/370: Der Machtpoker der USA


aufbau Nr. 75, dezember / januar 2013-14
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Der Machtpoker der USA



IMPERIALISMUS - Die Verhandlungen mit dem Iran rücken die Akteure im Nahen und Mittleren Osten einmal mehr ins Scheinwerferlicht. Wer warum welche Position einnimmt, vermittelt Einsichten in das Kräftemessen in dieser Region.


(rabs) Die Aussenpolitik von US-Präsident Obama wird für die europäischen Mächte und die US-Verbündeten Israel und Saudi Arabien immer unberechenbarer. Zuerst kam die völlig unerwartete Abkehr von einem militärischen Angriff auf Syrien und das Einverständnis zu Friedensverhandlungen mit Präsident Assad. Dann das Glückwunschtelefon von Obama an den frisch gewählten iranischen Präsidenten Hassan Rohani, mit dem der seit der Besetzung der US-Botschaft im Jahre 1979 abgebrochene Kontakt zur iranischen Regierung wieder aufgenommen wurde. Nachdem sich die verbündeten Mächte, allen voran Frankreich, von dieser US-Ohrfeige erholt hatten, folgte gleich der nächste Schlag: Offenbar verhandelte die US-Regierung seit dem Machtantritt von Präsident Obama auf höchster Ebene mit dem Iran. Keiner der Bündnispartner wurde über diesen Alleingang der USA informiert.

Dies überrascht umso mehr, als dass die unter dem Sammelbegriff Iran Sanctions Act (ISA) bezeichneten Sanktionen aus dem Jahre 1996 erst von der Obama-Administration konsequent angewandt und laufend erweitert wurden. So beispielsweise mit den im Juni dieses Jahres erlassenen Sanktionen gegen die iranische Autoindustrie. Dieser US-Bannstrahl richtete sich nicht nur aus französischer Sicht(1) ganz direkt gegen die französische Autoindustrie. Bis 2012 baute der iranische Autohersteller Khodro für Peugeot die Modelle 206 und 405. Durch die Erweiterung der Sanktionen musste sich der französische Multi aus dem Iran zurückziehen.

Seit Anfang Oktober, also schon vor dem Beginn der Verhandlungen mit dem Iran, liefen Gespräche des US-Konzerns GM mit eben diesem Autobauer Khodro. GM versuchte offensichtlich, schon im Vorfeld die Rückkehr der französischen Konkurrenz zu verhindern. Ebenfalls seit anfangs Oktober verhandelten auch die US-Ölkonzerne mit Irans Ölminister über eine Aufnahme der Ölförderung. Aktives Interesse am iranischen Markt zeigen aber auch Caterpillar und Boeing, letztere mit einem Augenmerk auf die alternde Flotte der Iran Air. Natürlich sind die US-Firmen nicht allein auf weiter Flur. Insbesondere Deutschland und Japan stehen ebenfalls auf der Matte und versuchen, die durch den Boykott verlorenen Geschäfte wieder zu akquirieren.


Iransanktionen gegen die europäische Konkurrenz

Was immer schon hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde, bewahrheitet sich jetzt mit dem rasanten Kurswechsel der USA gegenüber dem Iran. Die Embargo-Politik richtet sich nicht nur gegen die iranische Regierung, sondern genauso gegen die unliebsame europäische Konkurrenz in der Region. Die Lauschangriffe gegen die europäische Konkurrenz und ihre Regierungen zeigen, mit welcher Schärfe der US-Imperialismus seinen Wirtschaftskrieg führt. Auf einem anderen Blatt steht die an den Tag gelegte Entrüstung der europäischen Mächte ob dem aggressiven Vorgehen der USA. Die Entrüstung der Herrschenden müsste sich aber eher gegen die eigenen Dienste richten, die offensichtlich den Schlapphüten jenseits des Atlantiks hoffnungslos unterlegen sind.

Da verwundert die harte und ablehnende Position des französischen Präsidenten Hollande gegenüber einer Lockerung der Iran-Sanktionen wenig. Obwohl diese Haltung im Grunde wenig Sinn macht, hätte doch der französische Imperialismus aufgrund seiner langen Zusammenarbeit mit dem Iran weit bessere Anknüpfungspunkte als die USA. Sein Anbiedern an Israel in dieser Frage ist aus ökonomischer Sicht kaum von Interesse. Diese Trotzhaltung Hollandes wirft auch ein Schlaglicht auf die eher erfolglose Aussenpolitik des französischen Imperialismus unter "sozialistischer" Führung. Berauscht ob den doch zweifelhaften militärischen Erfolgen in Libyen und Mali wollte Präsident Hollande auch gegen Syrien losschlagen. Zu seinem Leidwesen verschob der US-Präsident Obama den angekündigten Krieg und setzt jetzt auf Verhandlungen mit dem syrischen Präsidenten Assad. Die vom US-Imperialismus jetzt forcierten und offensichtlich seit Jahren geführten Gespräche mit dem Iran waren die zweite Ohrfeige gegen die französische Regierung.


Die Rolle von Al-Qaida

Bei der Wiederaufnahme der Beziehungen mit dem Iran geht es dem US-Imperialismus aber nicht nur um die Übervorteilung der europäischen Konkurrenz. Für den Iran wie auch für die USA könnte noch ein anderer Grund für eine Annäherung sprechen: Beide Länder beobachten mit Besorgnis das Erstarken der islamistischen Terrortruppe al-Qaida. Die von Bin Laden gegründete Organisation hat sich in Syrien definitiv zur Frontorganisation von Saudi Arabien und zur führenden Kampfstruktur gegen die syrische Regierung entwickelt. Der Angriff auf Assad war für die USA immer nur ein erster Schritt, um die Regierung in Teheran zu stürzen. Nach dem Desaster in Libyen verspürt nun der US-Imperialismus offensichtlich wenig Lust auf einen weiteren "gescheiterten Staat" mit Bandenherrschaft und hat einen drastischen Strategiewechsel eingeleitet: Friedensgespräche mit Assad und Verhandlungen mit Teheran.

Sorgen bereitet dem US-Imperialismus auch die wirtschaftliche Verbundenheit des Trans mit der Volksrepublik China, die in den letzten Jahren zu dessen wichtigsten Handelspartner aufgerückt ist. So sprang zum Leidwesen von Peugeot die chinesische Autoindustrie in die Lücke, die der westliche Boykott hinterlassen hatte. Die USA versuchen nun offensichtlich, auch gegenüber China im Iran wieder Gegensteuer zu geben.


Unverhoffte Gemeinsamkeiten zwischen Saudi Arabien und Israel

Die Kehrtwende der USA in der Politik gegenüber Syrien und dem Iran hat aber auch die beiden Bündnispartner Saudi Arabien und Israel vor den Kopf gestossen. Für die Saudis war zunächst die zögerliche Haltung und danach die Aufgabe der Kriegspläne gegen Syrien ein Schlag ins Gesicht. Sie sahen sich kurz vor dem Ziel, die Regierung von Präsident Assad zu stürzen und mit Hilfe der al-Qaida ein reaktionäres, wahhabitisches Regime in Syrien zu errichten. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Erzfeind Iran führte schliesslich zu einem totalen Bruch der einst geradezu intimen Beziehungen zwischen Saudi Arabien und den USA.

Und da es in der Politik bekanntlich keine Freunde, sondern nur Interessen gibt, entdecken die Saudis und Israelis Gemeinsamkeiten und schmieden offenbar Angriffspläne gegen den Iran. Bis vor kurzem hat Saudi Arabien noch mit dem Abschuss israelischer Flugzeuge im Falles eines Überfluges seines Territoriums gedroht. Auch wenn diese Meldung von Sunday Times hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit mit Vorsicht zu geniessen ist, legt sie doch zumindest den Finger auf die neuen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Regierungen.

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Iran hat bei der israelischen Regierung geradezu hysterische Reaktionen ausgelöst. Ministerpräsident Netanjahu setzte alle Hebel in Bewegung, um jede Annäherung zu sabotieren. An der Grenze der Lächerlichkeit war seine Weigerung, Aussenminister Kerry anlässlich seines Besuches in Jerusalem die Hand zu schütteln. Ein Steilpass an den soeben - in dubio pro reo - freigesprochenen und wieder ins Amt zurück gekehrten Rechtsaussen Avigdor Lieberman. Umgehend sprach sich dieser, offensichtlich die Nachfolge von Netanjahu schon vor Augen, für einen vernünftigen Umgang mit dem mächtigen und finanzkräftigen Partner aus Übersee aus. Auch wenn ein Lieberman ein deklarierter Rassist und Rechtsextremist ist, noch mehr nach rechts kann die israelische Regierung kaum mehr rücken.


Rückschläge für die Türkei

Die Türkei versucht seit längerem, im Nahen und Mittleren Osten eine führende politische Rolle einzunehmen. Mit dem Iran verbinden die Türkei enge Handelsbeziehungen. So bezieht Ankara 18% des Erdgases und 52% des Erdöls aus dem Iran. Die US-Sanktionen gegen den Iran haben die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern noch verstärkt. Auf wenig Gegenliebe in Teheran stiess allerdings die massive türkische Unterstützung der syrischen "Rebellen". Allerdings ist die türkische Regierung in der Syrienfrage in den letzten Monaten merklich ruhiger und zurückhaltender geworden. Die Gründe dafür liegen im Erstarken der al-Qaida-Kräfte und dem Bestreben der kurdischen Demokratischen Union, in der an die Türkei grenzenden syrischen Region die Autonomie auszurufen. Mit dem Sturz der Muslimbrüder in Ägypten verlor die Regierung Erdogan einen wichtigen Bündnispartner. Mit dem gegenseitigen Abzug der Botschafter ist die Beziehung zwischen den beiden Ländern auf einem Tiefpunkt angelangt. Die ägyptische Militärregierung arbeitet heute sehr eng mit Saudi Arabien zusammen, das auch den nachgelassenen Dollarsegen aus den USA mehr als kompensiert.


Politik und Krise

Die nicht nur auf den ersten Blick verwirrende und oft auch unzusammenhängende und unlogische Handlungsweise der einzelnen Akteure hat einen fassbaren Hintergrund. Die tiefe Krise des kapitalistischen Systems, verbunden mit der Verknappung der Rohstoffe, hat die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten in einer Art und Weise verschärft, die an die Situation vor den beiden Weltkriegen erinnert. Für die Wahrung der Interessen der eigenen multinationalen Konzerne wird jede Möglichkeit ergriffen, egal wie gross die militärisch-politischen Risiken auch sein mögen. Zu dieser Einschätzung gelangt auch der Think-Tank der deutschen Regierung, die Stiftung Politik und Wissenschaft, in seiner jüngsten Standortbestimmung für den deutschen Imperialismus. Nach einem Loblied auf die internationale Vernetzung kommt er zur Sache: "Gleichzeitig kommen jedoch auch gewaltige gegenläufige Kräfte ins Spiel: ...der zunehmende Wettbewerb zwischen immer mehr Akteuren um knapper werdende Ressourcen, Nahrungsmittel und Zugang zu Handelswegen und Technologien. Selbst die Gemeinschaftsträume werden immer mehr zum Schauplatz von Konkurrenz und Auseinandersetzungen um Zugangs-, Nutzungs- und Ausbeutungsrechte. Diese Flieh- und Fragmentierungskräfte machen Staaten verwundbar und staatliche Politik wenig steuerbar; erst recht gilt das für internationale Ordnungspolitik und ihre Institutionen." Bleibt eigentlich nur noch anzumerken, dass es nur eine Klasse gibt, die ein wirkliches Interesse hat, diesem meist blutigen Kampf der imperialistischen Mächte um ihre Pfründe entgegen zu treten: die arbeitende Klasse. Statt ausgebeutet, rausgeschmissen oder als Soldaten in ferne Länder geschickt zu werden, sollte sie die Produktion in die eigenen Hände nehmen und Profitgier und Krieg ein Ende setzen.


Anmerkung:

(1) En Iran, l'offensive discrète des entreprises américaines, Le Figaro, 4. Oktober 2013

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen- Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 75, dezember / januar 2013-14, Seite 1+7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2014