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AUFBAU/382: Die FIFA und das Kapital - die wahren Gewinner der WM in Brasilien


aufbau Nr. 77, mai / juni 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

WELTMEISTERSCHAFT

Die FIFA und das Kapital: die wahren Gewinner der WM in Brasilien



Ab Juni findet die Fussball Weltmeisterschaft in Brasilien statt. Trotz Klamauk und Frohlocken haben die vergangenen Monate gezeigt, dass ein solcher Grossanlass auch in Frage gestellt werden kann. Kein Wunder, denn während die Schäden vergesellschaftet werden, gehen die Profite direkt ans Kapital.


(agkk) Was ursprünglich als grosses Fussball-Fest geplant war, wurde in den vergangenen Monaten für die brasilianische Regierung zunehmend zum Albtraum. Ausgehend von Fahrpreiserhöhungen in Rio de Janeiro - bei gleichzeitigen Milliarden Investitionen für die WM Infrastruktur - gingen im vergangenen Juni Hunderttausende auf die Strasse. Korruption, falsche Versprechen und Sozialabbau waren die Hauptantriebskräfte dieser Massenbewegung. Es steht schlecht um die Regierung der seit 2011 amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff. Musste die Nachfolgerin und Parteikollegin von Lula da Silva, der bis heute für seine scheinheilige linke Rhetorik bekannt ist, doch damit eingestehen, dass die Politik der vergangenen Jahre neoliberaler war, als die regierende Arbeiterpartei dies gerne zugeben möchte.

Die durchaus stattfindende wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre ist sowohl aus den staatlichen Investitionen, wie auch aus den günstigen Bedingungen für das Kapital zu erklären. Deswegen blieb diese Entwicklung auch äusserst instabil. Brasilien gilt als eines der fragilen fünf Länder, die in diesem Jahr besonders von Kapitalflucht betroffen sein werden. Die in den vergangenen Jahren geschaffenen Jobs liegen fast alle im Tieflohnsektor. Flexible Arbeitsverträge und Leiharbeit sind die wichtigsten Ursachen des brasilianischen Jobwunders. Dass eine solche Entwicklung der Wirtschaft, basierend auf gesteigerter Ausbeutungsrate und Arbeitsmarktflexibilität, irgendwann ihr wahres Gesicht enthüllen würde, war absehbar.


Soziale Proteste

Gegen die immer mehr zu Tage tretenden Missstände formierte sich in Brasilien im vergangenen Jahr eine breite Protestbewegung. So verschieden die darin enthaltenen Forderungen waren, so heterogen war auch die Bewegung selbst. Ursprünglich von fortschrittlichen Kräften ausgelöst, sprangen bald auch rechte Kräfte und deren Medienkanäle auf den Protestzug auf. Unter dem Banner des Kampfes gegen die grassierende Korruption wurden sie zeitweilen zu einer dominierenden Kraft innerhalb der Bewegung, ohne diese jedoch lenken zu können. Die reformistische Linke tat derweil das, was sie am besten kann: die Proteste kanalisieren.

Angesichts eines über soziale Netzwerke ausgerufenen Generalstreiks, kündigten Gewerkschaften und regierungstreue Organisationen einen gemeinsamen Pakt zum nationalen Dialog an. Durchaus erfolgreich konnte damit der Protest nach wenigen Wochen in seiner Dynamik wieder gestoppt werden. Der Generalstreik kam nicht zu Stande. Ein Verhalten, das für die reformistische Linke seit der ersten Amtszeit Lulas nicht untypisch ist. Gewerkschaftsführer und ehemalige Bewegungslinke wurden in die Regierung integriert. Dadurch hat die Anzahl der Streiks in den letzten Jahren dramatisch abgenommen. Und auch die Anzahl an Landbesetzungen, getragen durch die Bewegung der Landlosen Kleinbauern, die seit Lula in einer "kritischen Solidarität" zur Regierung stehen, ist von ehemals über hundert auf ein Minimum gesunken.


Revolutionäre Linke

Die revolutionäre Linke hat indes neue Formen des Protestes gefunden. Damit grenzen sie sich sowohl gegen die organisierte Rechte, wie auch gegen die reformistische linke Regierung ab. Fortschrittliche Kräfte organisieren sich in Quartierkomitees. Ihre Stärke unterscheidet sich jedoch stark von Stadt zu Stadt. Während in Rio ein breites Bündnis unter dem Namen Frente Independente Popular (FIP-RJ) militant gegen herrschende Zustände kämpft, haben in anderen Städten die rechten Anti-Korruptions Bündnisse an Einfluss gewonnen. Als Antwort darauf wurden verschiedene antifaschistische Bündnisse gegründet. Andere revolutionäre Kräfte, wie die Gruppe um die Zeitung A Nova Democracia, die ebenfalls Teil der FIP-RJ ist, haben derweil einen neuen nationalen Organisationsprozess in die Wege geleitet.

Daneben gibt es auch weitere in ihrem Kern fortschrittliche, in ihren Forderungen jedoch oft diffuse soziale Bewegungen. Beispielsweise organisieren proletarische Jugendliche sogenannte rolezinhos in Einkaufszentren. Zu Tausenden trifft man sich um zu diskutieren, zu tanzen oder auch nur um sich gegenseitig näherzukommen. Die Jugendlichen wehren sich damit gegen die klassistische und rassistische Diskriminierung, die ihnen aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe das Betreten von öffentlichen Konsumtempeln verbietet. Dass es durchaus Versuche gibt, solche Ausdrücke eines sozialen Widerstandes zu organisieren, zeigt sich auch in der FIP. Neben feministischen, anarchistischen und kommunistischen Gruppen, sind dort auch Kollektive aus den Favelas vertreten.


Neue Repression

Die sozialen Bewegungen stellen immer wieder die WM in Frage. Wenn auch oft nur als reine Taktik. Wer die WM trifft, trifft die Regierung. Und wer die Regierung trifft, verschafft sich Gehör. Kein Wunder musste die brasilianische Regierung verschiedenen Forderungen nachgeben und versprach Investitionen in den öffentlichen Transport und die Bildung. Da leere Versprechungen irgendwann aber als solche entlarvt werden, haben Rousseff und das Kapital neue Wege gefunden, sich ihre WM nicht weiter verderben zu lassen.

Ein bekanntes Muster, welches sich von der EM in der Schweiz, über die Winterspiele in Russland bis hin zu aktuellen WM in Brasilien zieht, ist die Verstärkung der Repression. Die Polizei wurde aufgestockt, die Armee erhielt neue Berechtigungen und der Geheimdienst sammelt heftig Daten, insbesondere solche aus sozialen Netzwerken. Und unter dem Deckmantel der Terrorabwehr wurden neue, repressive Gesetze erlassen. So wird derzeit nicht nur über ein Vermummungsverbot debattiert, sondern auch über ein neuartiges Anti-Terror-Gesetz, welches jeden Akt von öffentlicher Panik mit folgender Gewalt gegen Menschen und Eigentum als terroristisch einstuft. Offensichtlich richtet sich ein solch weit gefasster Begriff von Terrorismus hauptsächlich gegen den sozialen Protest auf der Strasse. Wenn man bedenkt, dass vom Klamauk der WM nur die wenigsten profitieren, dann ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich die Regierung zunehmend schützen muss.

Sport im Kapitalismus bedeutet Wirtschaft. Und Wirtschaft bedeutet Verwertung. Wie auch die Weltmeisterschaft innerhalb dieser Logik funktioniert, zeigt sich besonders anschaulich am Organisator: der Fifa. 1904 gegründet, ist diese für die Durchführung verschiedener Sportwettbewerbe, deren Vermarktung und für die Koordination zwischen den Verbänden zuständig. Die Fifa geniesst keinen guten Ruf. Sie ist korrupt, keine Frage. Trotzdem ist die Fifa auch ein globaler Konzern, dem es um die Gewinnsteigerung abseits der individuellen Bereicherung geht. So konnte die Fifa 2013 Einkünfte in der Höhe von rund 1,4. Mrd. CHF generieren. Ein solcher Konzern, der anderen transnationalen Unternehmen in Sachen Organisation und Verwertung in nichts nachsteht, tätigt seine operativen Entscheide nicht einfach nach dem Wohlwollen eines alten, dem Weine nicht ahgeneigten Wallisers, sondern aufgrund von Profitinteressen. Die Vergabe der WM nach Brasilien und der damit einhergehenden medialen Präsenz oder die Öffnung des finanzstarken Marktes in den arabischen Ländern durch die kommende WM in Katar, sind Teil einer solchen operativen Konzern-Strategie, in welcher die Festigung, wie auch der Ausbau der eigenen Marktposition im Zentrum stehen.


Sportliche Grossanlässe und das Kapital

Eine solche Vergabepraxis, in welcher die Vergrösserung eines potentiellen Marktes und die Verwertungslogik im Zentrum stehen, ist auch bei anderen sportlichen Grossanlässen zu beobachten. Dass beispielsweise die Eishockey WM jährlich und nicht alle vier Jahre stattfindet, erklärt sich einzig daraus, dass mit dem darin erwirtschafteten Geld die B- und C-WM, die Weltmeisterschaften der schlechter klassierten Teams, subventioniert werden. Dies ermöglicht es dem Eishockeyverband den potentiellen Markt durch forcierte Präsenz in solche Länder auszudehnen, wo der Sport bis jetzt noch wenig verbreitet ist. Gleiches war bei der Vergabe der olympischen Spiele 2008 nach China zu beobachten. China mit seiner wachsenden Konsumkraft wird in den Augen des Kapitals immer mehr auch als Konsument und nicht nur als kostengünstiger Produzent interessant. Damit die asiatischen Endverbraucher auch Lust am Konsum bekommen und ihr Geld zukünftig für Sportspiele, Bergsteigerausrüstung und Fussballschuhe ausgeben, wurden im Rahmen der olympischen Spiele rund 3 Mrd. CHF an Werbegelder investiert. Denn Sportverbände sind längst nicht die einzigen internationalen Akteure, welche von solchen Grossanlässen profitieren.

Einige wenige internationale Textilmarken buhlen um die Vorherrschaft auf dem Markt, internationale Konzerne erhalten die Aufträge für die Infrastrukturprojekte und internationale Hotelketten erwirtschaften wertvollen Extra-Mehrwert. Dass es dabei vor allem die internationalen Firmen sind, die profitieren, zeigt der Blick nach Südafrika, wo die 2010 Fussball WM stattfand. Während die lokale Bevölkerung bis heute die Zeche zahlt und aufgrund mangelnder Gelder noch immer auf Infrastruktur Projekte wartet, sahnten Internationale Unternehmen kräftige Gewinne ab. Allein schon deutsche Unternehmen profitieren von Aufträgen im Wert von 1,5 Mrd. Euro. Dass das alles mit Sport nicht mehr viel zu tun hat, ist ebenso klar, wie dass bei einer solchen kapitalistischen Verwertungsmaschinerie einige auf der Strecke bleiben müssen.


Profite privatisieren, Schäden vergesellschaften

Das gleiche Muster zeigt sich auch bei der kommenden Weltmeisterschaft in Brasilien. Bestes Beispiel ist Ricardo Teixeira, seines Zeichens Brasiliens Fußballpräsident und Chef des Organisationskomitees. Dieser liess angeblich in seinem Vertrag festhalten, dass er 50% der Gewinne einstecken dürfe aber nur für 0,01 % der Schulden verantwortlich sei. Nicht schlecht und wenn man bedenkt, dass die Schäden solcher Anlässe nicht nur mit Geld beziffert werden können, dann kann sich Teixeira schon jetzt über seinen saftigen Gewinn freuen.

Und doch gehören Schäden und Verluste ebenso zum Alltag von solchen Ereignissen, wie die Profite von wenigen. In Katar starben bis jetzt 1200 Menschen während den Bauarbeiten für die kommende Weltmeisterschaft. Auch in Brasilien steigt die Anzahl der auf den Baustellen Umgekommenen immer mehr an. Und ausnahmslos alle ehemaligen Veranstaltungsorte haben mit Umweltschäden zu kämpfen. Die Sportverbände interessieren sich aber ebenso wenig für die tödlichen Ereignisse vor dem Anlass, wie für die betonierten Überreste danach. Während die Gesellschaft die Schäden trägt, werden die Gewinne von Privaten eingesteckt. Kein Wunder besitzt die Fifa aufgrund vergangener Gewinne Reserven von rund 1,4 Mrd. CHF. Es wäre an der Zeit auch im Sportbusiness den Spiess umzudrehen. Eine vergesellschaftete Fifa könnte endlich das machen, was eigentlich ihre Aufgabe sein sollte: Ein internationalistisches Fussball-Fest organisieren.


Weitere Informationen:

Frente Independent Popular:
www.frenteindependentepopular.noblogs.org

Zeitung A Nova Democracia:
www.anovademocracia.com.br

Infoportal zu Lateinamerika:
www.amerika21.de

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 77, mai / juni 2014, Seite 1 + 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2014