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AUFBAU/601: Indiens Frauen auf den Strassen


aufbau Nr. 100, März/April 2020
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

INDIEN
Indiens Frauen auf den Strassen


Die hindu-faschistische Regierung von Narendra Modi bastelt an einem neuen Indien. Doch für einmal geht die Rechnung nicht auf. Gegen das Ende 2019 erlassene Staatsbürgerschaftsrecht gehen Millionen auf die Strassen. Frauen spielen dabei eine führende Rolle.


(az) Ende 2019 erliess die indische Regierung den "Citizenship Amendment Act" (CAA), der nicht-muslimischen MigrantInnen eine erleichterte indische Staatsbürgerschaft ermöglicht. Zudem plant die Regierung ein neues nationales Bevölkerungsregister. Diese Änderungen erscheinen auf den ersten Blick nicht sonderlich brisant, doch sie haben es in sich. Mit dem CAA wird die Religionszugehörigkeit erstmals zum zentralen Kriterium indischer Staatsbürgerschaft. Davon betroffen sind die Minderheiten, insbesondere die bereits heute mit alltäglichem Rassismus kämpfende muslimische Bevölkerung, die zusätzliche, gesetzlich verankerte Diskriminierung fürchtet.

Auf die muslimische Bevölkerung zielt auch das neue Bevölkerungsregister. Die regierende hindu-faschistische BJP versprach unlängst, dass ein Register dabei helfen soll, bis 2024 "jeden einzelnen Infiltrator in Indien zu identifizieren und ihn auszuweisen". "InfiltratorInnen" sind in der Gedankenwelt des Hindu-Faschismus vor allem muslimische Flüchtlinge, die seit Jahrzehnten in den Grenzgebieten leben. Diese fürchten sich deswegen besonders davor, dass Indien zum hinduistischen Staat umgebaut werden soll, weil sie ihren bisherigen Aufenthaltsstatus verlieren, während andere Bevölkerungsgruppen von einer erleichterten Staatsbürgerschaft profitieren.

Modis neue Gesetze haben seit Dezember zu den grössten Protesten seit seinem Machtantritt von 2014 geführt. Dies liegt nicht nur an den Gesetzen selbst und dem Zusammenfallen mit anderen Protesten - im Januar 2020 erfolgte der bisher grösste Generalstreik -, sondern mindestens ebenso sehr am Verhalten der Regierung und ihrer Schergen. Wie üblich haben die Polizei und mit ihr die hindu-faschistischen Milizen erst einmal mit Gewalt auf die aufkommenden Proteste reagiert. Am 5. Januar griffen beispielsweise 50 maskierte und bewaffnete Milizen das Gelände der Jawaharlal Nehru University in Delhi an, ein linkes Epizentrum des Protestes. Vergleichbare Vorfälle ereigneten sich an zahlreichen anderen Orten. Doch entgegen der Erfahrung der vergangenen Jahre war der folgende öffentliche Aufschrei für einmal gross. So führten die Angriffe nicht zu einer Einschüchterung, sondern im Gegenteil zu einer stärkeren Mobilisierung, die weiter anhält.


Die Rolle der Frauen

Eine Gruppe indischer Aktivistinnen versuchte zu Beginn des Jahres statistisch alle Widerstandsmomente gegen den CAA zu erfassen, in denen Frauen im letzten Monat eine führende Rolle einnahmen. Sie kamen auf 230 grössere Strassenereignisse wie Demos, Streiks oder Aktionen, in denen Frauen den Widerstand anführten oder zumindest zahlenmässig den teilnehmenden Männern überlegen waren. Dies ist auch für indische Verhältnisse eine grosse Zahl, der mehrere Ursachen zugrunde liegen. So sind die Frauen von den neuen Gesetzen stärker betroffen als die Männer: Die Chance ist bei ihnen um einiges höher, dass sie keine Papiere besitzen und somit das neue Bevölkerungsregister dadurch für sie zum Problem wird. Zudem fürchten sich Frauen stärker vor den Konsequenzen der drohenden Papier- und Rechtlosigkeit, da sie dies in der patriarchalen indischen Gesellschaft noch stärker an den Rand drängen würde, sei es weil sie als staatenlose noch rechtloser werden, oder weil sie ihre eigene Sicherheit in den von der Regierung angekündigten neuen Internierungslagern gefährdet sehen.

Andererseits hat sich in den vergangenen Jahren wie an verschiedenen anderen Orten dieser Welt auch in Indien eine neue und starke Frauenbewegung konstituiert, deren heterogene Kämpfe sich gegenwärtig im Widerstand gegen Modi vereinen. Ein Grund hierfür liegt in der Überwindung bisheriger Gräben. Der Kampf gegen den alltäglichen Sexismus und die Machokultur war zwar in den vergangenen Jahren oft an die Kritik des patriarchalen Charakters des Hindu-Faschismus geknüpft, allerdings ohne dadurch eine Spaltung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsteilen hervorzurufen. Das Hervorheben des Gemeinsamen über dem Trennende wiederholt sich im Widerstand gegen das CAA, und dies, durchaus bildkräftig. So gingen in den letzten Wochen zahlreiche Bilder und Videos viral, in denen sich hinduistische und muslimische Frauen gemeinsam gegen die Polizeigewalt wehrten, was wiederum andere Personen ermutigte, sich ebenfalls dem Protest anzuschliessen. Ob dies reicht, um das neue Staatsbürgerschaftsrecht zu Fall zu bringen, wird sich zeigen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 100, März/April 2020, Seite 5
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz:
aufbau, Postfach 8224, 8036 Zürich
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Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2020

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