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CORREOS/059: El Salvador - Die Wahlen der Veränderung


Correos des las Américas - Nr. 157, 27. April 2009

EL SALVADOR
Die Wahlen der Veränderung

Von Dieter Drüssel


Die Wahlen in El Salvador fanden auf Gemeinde- und Parlamentsebene am 18. Januar und auf Präsidentschaftsebene am 15. März statt. Das Ergebnis ist historisch. Das Zentralamerika-Sekretariat organisierte eine grosse Wahlbeobachtungsdelegation. In unserem Wahl-Special zuerst zwei Auszüge aus Berichten auf unserer Blogseite vom Januar und von vor den Märzwahlen. Anschliessend zwei Berichte nach dem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen, ergänzt von einer Analyse zu den Perspektiven für die neue Regierung und ein paar Kurzbemerkungen zur Beobachtungsarbeit.

zas-correos.blogspot.com


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(San Salvador, 21.1.09) Es ist zu früh für halbwegs genaue Angaben, die über das hinaus gehen, was ihr ja auch habt: a) Vorsprung des FMLN landesweit bei den Parlamentswahlen; b) gute Resultate des Frente bei den Gemeindewahlen (dürfte rund 100 Gemeinden regieren, bisher 50 plus); c) Niederlage in San Salvador.


Der Betrug von San Salvador

Es ist in San Salvador nicht gelungen, die massive Stimmbeteiligung zu erzeugen, die es braucht, um den Betrug zu übertrumpfen. Geht man von den bisherigen Zahlen des TSE (Oberstes Wahlgericht) aus, kommt man angesichts eines hauptstädtischen Wahlregisters von rund 292.000 Wahlberechtigten zu einer Stimmbeteiligung von etwa 58%. Das ist natürlich mit grosser Vorsicht zu geniessen, kann aber doch einen Hinweis geben. Die Beteiligung lag faktisch mit Sicherheit höher, denn im Register sind viele Tote und alle Emigrierten mit Personalausweis drin. Jedenfalls reichte die Beteiligung nicht.

Es gab kaum bezweifelbar ein massives Phänomen von Betrug. FMLN-Trupps an der Grenze sahen allein in der Nacht auf den Wahltag an vielen Stellen der grünen Grenze Busse, die Leute herankarrten. Frente-intern gilt die Einschätzung, dass Tausende solcher ausländischer WählerInnen angekarrt wurden und es nur im Fall von etwa 1000 gelang, ihnen den Zugang zum Wahllokal zu verwehren. Viele Busse wurden bis nach San Salvador observiert.

Noch mehr ins Gewicht fallen illegal in die USA und anderswohin Emigrierte, "die wählen". Einige der beobachteten Bustransporte betreffen mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht AusländerInnen, sondern entweder Leute, die in einer Gemeinde wohnen, sich aber in einer anderen zwecks Beeinflussung der dortigen Lokalwahl angemeldet haben [vgl. elfaro.net, 15.2.09], oder DoppelwählerInnen, die erst in ihrer Wohngemeinde wählen und anschliessend mit einem weiteren Ausweis mit ihrem Bild, aber ausgestellt z.B. auf Emigrierte, woanders nochmals wählen gingen. Das Aussenministerium hat dank seiner konsularischen Dienste als einzige Instanz eine präzise Vorstellung der sin papeles aus El Salvador in den USA etc.

Der Einsatz von MehrfachwählerInnen war durch die Art "Tinte" erleichtert worden, die das TSE zur Kennzeichnung am Finger von Gewählthabenden anbringen liess. Sie scheint wirklich nicht schnell entfernbar zu sein, aber nur unter der Bedingung, dass sie in den ersten zwei Minuten nicht weggewischt wird. Was aber viele WählerInnen taten, viele schlicht und einfach automatisch, weil der nasse Finger störte.

Weiter hatte ARENA praktisch ihren ganzen Apparat für die direkte Abwicklung des Wahlvorgangs legal aus Nachbargemeinden importiert. Das sind jeweils ein Parteimitglied in der Wahltischbehörde sowie ein/e Vigilante als direkte Parteivertretung beim Wahltisch plus je ein/e Stellvertreter/in. Der Trick ist: Diese Leute können an ihrem Wahltisch wählen, also auch die Gemeinderegierung, auch wenn sie von auswärts stammen. Allein das machte für ARENA etwa 2000-2500 Stimmen in der Hauptstadt. Dazu kamen "VertreterInnen" anderer Parteien, die ihre Kredenziale an ARENA verkauft hatten, sehr konservativ gerechnet nochmals 1000 Stimmen. Im Gegensatz zum FMLN, bei dem der importierte Wahltischapparat kaum ein Zehntel desjenigen von ARENA betragen hat. [Die Wahlen in der Hauptstadt hat ARENA offiziell mit 86.569 Stimmen gegen 80.789 des FMLN gewonnen, wie später bekannt wurde].


Hetze und Fehler in San Salvador

Natürlich haben auch politische Faktoren das Ergebnis beeinflusst. Etwa die enorm intensive Schmutzkampagne der letzten Tage vor den Wahlen. Eine Phantom-"Gewerkschaft" von Gemeindeangestellten, ASTRAM, verteilte flächendeckend, von Haus zu Haus, Flugblätter und Hochglanzbroschüren, "linke" Hetze gegen Violeta, die ArbeiterInnenrechte verletze, den Service public privatisiere etc. Im TV kam es in den drei laut Gesetz Wahlpropaganda-freien Tagen unmittelbar vor der Wahl zu permanenten TV-Spots von Astram im Wert von mindestens $300.000. Die "GewerkschafterInnen", aus deren Händen ich das Astram-Material entgegen nehmen durfte, waren in ARENA-Farben gekleidete typische chicas plásticas, Jeunesse dorée. Nicht minder intensiv in den gleichen Tagen das mediale Dauerbombardement von evangelischen Fundisekten gegen die Gotteslästerer und Abtreibungsmörder (ironischerweise ist die Ärztin Violeta strikt gegen Abtreibung).

Eine Rolle spielte vielleicht auch noch eine gewisse Unfähigkeit der Regierung von Violeta, bei sozialen Konflikten (etwa mit oder zwischen informellen VerkäuferInnen) eine Mittelschicht- und NGO-Brille abzulegen. Sie hat eigene Fehler manchmal auch etwas unglaubwürdig weggeredet [etwa zeitweilige Probleme bei der Abfallentsorgung]. Andere Kritikpunkte kann ich nicht beurteilen, etwa sie habe keine obras (Bauwerke) gemacht. Möglicherweise hat ihr wirklich Stimmen gekostet, dass sie keine Megaprojekte durchgezogen hat, aber die enorm vielen kleinen obras in den Comunidades (Stützmauern gegen Überschwemmungen, Gesundheitsposten oder Passarellen über gefährdete Hänge, aber auch Aktionen wie Brustkrebsprävention für die Marktfrauen und deren Eingliederung in die Sozialversicherung sind auf jeden Fall Fakten, auch wenn sie die Medien weggelogen haben).


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 157, 27. April 2009, S. 3
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Röntgenstrasse 4, 8005 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2009