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CORREOS/167: Mexiko - Die Allerkleinsten und der Kampf für die Freiheit


Correos des las Américas - Nr. 173, 4. April 2013

Die Allerkleinsten und der Kampf für die Freiheit

von Franziska Bundi und Andrea Steinauer



Zwei Compañeras der Direkten Solidarität mit Chiapas erzählen von ihrer Reise ins Herzland der Zapatistas, wo sie den Schweigemarsch der EZLN in Palenque miterlebten. Kurz darauf erschien eine erste Reihe von Communiqués, die den Auftakt einer neuen zapatistischen Mobilisierung bilden.


Vergangenen Dezember reisten wir nach Chiapas, um die zapatistische Kaffeekooperative Yachil Yojobal zu besuchen, von der Café RebelDía seit 2008 seinen Kaffee bezieht. Zusammen mit dem sechzigjährigen Präsidenten der Kooperative und seinem Sohn fuhren wir in die Gemeinde Magdalena de la Paz (Aldama ist der offizielle Name des Dorfes), wo die Kaffeepflanzen angebaut werden. Die rund zweistündige Fahrt ins Hochland von San Cristóbal de las Casas bewältigten wir frühmorgens auf der Ladefläche eines Pick-ups frierend. Bevor wir jedoch in die zapatistische Gemeinde fahren konnten, mussten wir den Umweg über Oventik machen, um dort im für die Region 'Los Altos' zuständigen Caracol - die Zapatistas nennen ihre autonomen Gemeinden nach der Schnecke - die Bewilligung für unseren Besuch einzuholen. Da wir uns bereits einige Tage zuvor vorgestellt und unser Anliegen für den Besuch vorgebracht hatten, verlief die Ausstellung der Bewilligung relativ zügig. Erneut empfingen uns mit Skimützen vermummte Mitglieder der Junta de Buen Gobierno (Rat der guten Regierung) in einer kleinen, einfachen Holzhütte. Die Wände waren mit Fotos von zapatistischen Vorbildern und solidarischen Botschaften vorgängiger BesucherInnen geschmückt, darunter auch die Zeichnung einer Kaffee trinkenden rebellischen Frau - das Logo von Café RebelDía. Wir erfuhren, dass diese etwas umständliche Bewilligungs-Praxis dazu diene, besser darüber Bescheid zu wissen, wer sich wie lange in den teils weit auseinanderliegenden zapatistischen Gemeinden aufhalte. Wir erhielten die Bewilligung, während zwei Tagen in Magdalena de la Paz den Anbau von Kaffee, Zitronengras und Honig zu besichtigen. Für den Besuch der von uns mitfinanzierten, in einem anderen Dorf gelegenen Lager- und Verarbeitungshalle von Kaffee erhielten wir die Bewilligung nicht - wie sich später herausstellte, aufgrund der zu diesem Zeitpunkt stattfinden Mobilisierungen der Zapatistas für den 21. Dezember.

In Magdalena de la Paz empfingen uns die Dorfautoritäten feierlich mit traditioneller Musik und traditionell gekleidet. Der Präsident spendierte das Mittag- und Abendessen für die rund zwanzigköpfige Männerrunde, unter denen sich drei Frauen, zapatistische RegionalkoordinatorInnen aus einem anderen Dorf, befanden. Der Weg zu den Kaffeefeldern erfolgte nicht wie sonst für die Kooperativenbauern üblich zu Fuss, sondern auf den Ladeflächen von zwei camionetas (kleine Lastwagen) die steile, staubige Strasse hinunter. Kurz nach dem Abendessen legten wir uns in der bodega seca (Lagerschuppen für die für den Export bereiten Kaffeesäcke) schlafen. Als Schlaflager dienten ein paar übereinander gelegte Kaffeesäcke.


Autonome Gesundheitsversorgung in der Selva und Zona Norte

Nach der Vernetzung mit verschiedenen Zapatistas-nahen Organisationen in San Cristóbal de las Casas und dem Gefängnisbesuch des politisch gefangenen indigenen Lehrers Alberto Patishtán ging es weiter in den Norden, ins tiefer gelegene feucht-heisse Palenque. Dort besuchten wir SADEC (Salud y Desarrollo Comunitario), eine NGO, die sich bereits vor dem zapatistischen Aufstand 1994 für die indigene Gesundheitsversorgung einsetzte. Gemeinsam mit medico international schweiz unterstützt die Direkte Solidarität mit Chiapas seit mehreren Jahren fünf zapatistische Landkliniken, die SADEC in den Regionen «Norte» und Selva» betreibt. Die Kliniken stehen allen offen, auch der nicht-zapatistischen Bevölkerung. Im Einsatz sind ÄrztInnen und ZahnärztInnen der Universität UAM, die ihr Sozialjahr leisten. Die Präsenz der meist sehr jungen ÄrztInnen ist in den zapatistischen Gemeinden sehr geschätzt und gefragt. Sie erzählen uns, dass es jedoch Zeit brauche, das Vertrauen der DorfbewohnerInnen zu gewinnen. Die Behandlung ist gerade bei Frauen, die meist kaum Spanisch sprechen, erschwert, da sie nur in Begleitung ihres Ehemannes möglich ist, welcher übersetzt. Noch sei es so, dass der Ehemann über den Körper seiner Frau und die Anzahl der Kinder entscheide, die sie gebärt. Auf die Bedürfnisse der Frau einzugehen, sei unter diesen Umständen sehr schwierig. Die ÄrztInnen arbeiten und schlafen am gleichen Ort. Ein einfaches Zimmer in der Klinik dient als einziger Rückzugsort. Sich zurückzuziehen sei praktisch unmöglich, weil es in der indigenen Gemeinschaft die bei uns respektierte Privatsphäre so nicht gebe und sich viele deshalb auch nicht an die Öffnungszeiten hielten.

Weiter bildet SADEC Gesundheitsverantwortliche (sog. promotores) aus der Region aus, die lokal verankert sind und die indigene Sprache sprechen (Chol oder Tseltal).


Die Zapatistas nehmen fünf Städte in Chiapas ein - schweigend

Unser Besuch der Kliniken in den zapatistischen Gemeinden las Tazas und Emiliano Zapata fand in der Woche vor Weihnachten statt. Hier erfuhren wir von den Mobilisierungen für den 21. Dezember. Gerüchte über Aktionen hatten wir bereits zuvor gehört, aber niemand wusste genau, was geschehen würde. Eine mit der Ärztin befreundete Frau vertraute uns in ihrer Küche an, dass ihre älteste Tochter und ihr Mann an einem Marsch nach Ocosingo teilnehmen werden. In allen Städten, wo der Krieg begonnen habe, werden Zapatistas marschieren, um zu zeigen, dass sie alles andere als verschwunden seien. Sie fürchte sich um ihre Tochter, da man nicht wisse, wie die Sicherheitskräfte reagieren würden. Als wir dann auf dem Rückweg bei Emiliano Zapata vorbeikamen, sahen wir, dass sich bereits um die tausend Zapatistas aus der ganzen Region dort versammelt hatten. Laufend trafen weitere camionetas, überladen mit Leuten, ein. Zurück in Palenque erzählte uns die Equipe von SADEC aufgeregt, dass sie auch von einer Aktion in Palenque gehört haben, doch genaue Informationen gab es keine. Am 21. Dezember 2012, dem Tag, der als «Maya-Weltuntergang» mediatisiert und kommerzialisiert wurde, trafen bei sintflutartigem Regen die ersten Camionetas der Zapatistas gegen 11 Uhr in Palenque ein. Die Stadt ist eine der Hauptdestinationen für Maya-Tourismus. Die Camionetas versammelten sich beim Ortseingang. Es waren so viele, dass sie zwei Spuren der 4-spurigen Strasse besetzten. Schliesslich stiegen die Zapatistas aus und stellten sich in drei Reihen für den Marsch auf. Alle bedeckten ihr Gesicht mit einem pasamontañas, eine schwarze Skimütze oder mit einem Tuch. Auffallend war, wie viele junge Leute dabei waren, was zeigt, dass es den Zapatistas gelungen ist, die nach dem Aufstand geborene Generation in die Bewegung zu integrieren. Auch dabei war ein eigenes Kamerateam. Mit dem Fronttransparent «EZLN» sowie der mexikanischen Fahne zogen sie schweigend ins Zentrum von Palenque. Beim Hauptplatz, dem Zócalo, kreisten sie mit linker erhobener Faust um den Weihnachtsbaum und gingen auf gleichem Weg zurück. Laut Medienberichten nahmen in Palenque rund 8000 Zapatistas am Schweigemarsch teil. Zeitgleich marschierten insgesamt um die 40.000 Zapatistas in San Cristóbal de las Casas, Ocosingo, Altamirano und las Margaritas.


«Sie und Wir» - die neue Offensive der Zapatistas

Gleichzeitig zu den Schweigemärschen erschien ein Kürzest-Communiqué, in dem die zapatistische Bewegung ankündigt, erneut an die Öffentlichkeit zu treten: «Könnt ihr das hören?». Danach erschienen drei Briefe, wovon einer die nächsten Schritte ankündigt, wie etwa die «nötigen Brücken zu den sozialen Bewegungen zu errichten,die sich gebildet haben und sich bilden, nicht um zu führen oder zu ersetzen, sondern um von ihnen zu lernen, von ihrer Geschichte, ihren Wegen und ihren Schicksalen.» Die Strategie der «schlechten Regierungen», die Zapatistas zum Schweigen zu bringen, sie fertigzumachen oder zu kaufen sei gescheitert.

Seit dem «Grafischen Communiqué» von Subcomandante Marcos vom 9. Januar 2013 ergänzen Musik und Videos diese neue Offensive der Zapatistas. Unter «Sie und Wir» (Ellos y nosotros) folgten 7 Teile. Die ersten Texte erzählen von der Perspektive derjenigen, die die Welt von oben herab betrachten und wie diese vergebens versuchen, die da unten mundtot zu machen und zu zerstören, da diese sich organisieren, und es niemand gibt, der ihnen befiehlt.

Teil IV (Los dolores de abajo) erzählt, was es bedeutet, «unten» zu sein, ignoriert, ausgelacht, ermordet, eingeknastet und vergewaltigt zu werden. Es ist zugleich auch eine Hommage an all diejenigen, die «anders» sind, und gegen die sich der Hass und die Gewalt der Gesellschaft richtet, um schliesslich auf ein gemeinsames «wir» hinzuspielen.

Teil V bildet das Kernstück von «Sie und Wir», La Sexta. Was die zapatistische Bewegung seit der «Sechsten Deklaration der Selva Lacandona» (2005) gelernt hat, versuchen sie nun unter La Sexta umzusetzen, die die mexikanische «Andere Kampagne» und die Zezta Internazional ersetzt. Sie rufen nun die sozialen Bewegungen auf der ganzen Welt dazu auf, mit ihnen weiterzukämpfen; verbunden durch das Nein zu einer Welt, die aufgeteilt ist in die unten und die oben, geeint in einem «Ja, es geht auch anders». Gleichzeitig distanzieren sie sich erneut von der öffentlichen Politik und ihren Akteuren.

Was Blicke bewirken können, was sie bedeuten - je nachdem von wem sie kommen und wohin sie sich richten - das wird in Teil VI, Las Miradas, «Die Blicke» in 6 Teilen angesprochen. Für die Zapatistas bedeutet schauen fragen oder suchen. In teils witzigen Szenen schildert Marcos eine Unterhaltung zweier Personen über die neuste Offensive der Zapatistas, philosophiert über die Zeit, in der wir nur unsere kurze Rolle spielen und andere an unserer Stelle weiterkämpfen. Subcomandante Insurgente Moises, der sich bis anhin nicht oft an die Öffentlichkeit wandte, schliesst Las Miradas ab - erzählt von seinen Erfahrungen, Einsichten und führt aus, was es für sie bedeutet, für Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen.

Im letzten Teil VII, L@s más pequeñ@s (die Allerkleinsten), werden Ausschnitte aus dem «Textbuch der 1. Stufe des Kurses Die Freiheit gemäss den Zapatistas» veröffentlicht, die einen Einblick in den Alltag der Zapatistas, in ihren Kampf für die Freiheit, ihre Reflexionen und Selbstkritik geben. Diese Textbücher sollen denn auch als Arbeitsmaterial für einen Kurs dienen, den sie für diesen Sommer ankündigen und zu dem alle, die Teil der Sexta sind, eingeladen sind.


Die Allerkleinsten als Inspiration für grosse Kämpfe

Nicht umsonst wählte die EZLN den 21. Dezember 2012, Tag des Zeitenwechsels im Maya-Kalender, um die in den mexikanischen Medien beinahe als tot gehandelte Bewegung wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rufen. Die Allianzen, die sie mit den anderen sozialen Bewegungen eingehen wollen, sind dringend notwendig, um die neue Welle von Angriffen auf die indigenen Territorien abzuwehren. So verletzen z.B. das Megawindparkprojekt einer spanischen Firma in San Dionisio del Mar sowie unzählige geplante und aktive Minen die Rechte der indigenen Bevölkerung. Wir hoffen, dass die EZLN erneut zur Inspirationsquelle der sozialen Bewegungen in Mexiko und weltweit wird.



Direkte Solidarität mit Chiapas, www.chiapas.ch

Die Communiqués auf Deutsch:
http://www.chiapas.eu/kommuniques.php?start=10
Und auf Spanisch:
http://enlacezapatista.ezln.org.mx/category/comunicado/

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 173, 4. April 2013, S. 10-11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2013