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CORREOS/183: Kuba - Ökonomie und Ideologie auf der Insel


Correos des las Américas - Nr. 176, 16. Dezember 2013

Ökonomie und Ideologie auf der Insel

von Franco Weiss



Wirtschaft und gesellschaftliche Werte - Ökomomie und Ideologie - das sind heute die grossen Herausforderungen des sozialistischen Kubas im Generationenwechsel. Nach der makro-ökonomischen Stabilisierung geht es nun um Lohntüte und Suppenteller, nach dem Überleben der brutalen Krise darum, die Werte der Revolution in einer neuen Generation zu verankern und an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Wirtschaftliche und soziale Stabilität sind ergänzende Bedingungen dafür, dass dieser Generationenwechsel, der auch mit einem neuen Regierungsmodell verbunden ist, den Weg zum «Sozialismus mit Wohlstand», wie die diesjährige 1. Mai-Losung hiess, ebnen.


In einer vielbeachteten Rede hat Fidel Castro schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die Hauptgefahr für die Revolution nicht von aussen oder der inneren Opposition komme, sondern von Innen. Inwieweit gelingt es dem Modell ein soziales Netz zu erhalten, das den Leuten Sicherheit und Auskommen gibt; inwiefern kann die politische Legitimität der GründerInnengeneration der Revolution und vor allem von Fidel und Raúl Castro an die kommende Generation weitergegeben werden; und inwiefern schliesslich kann trotz Krise und mehr privater Initiative und damit einhergehender sozialer Segmentierung, die Vorherrschaft ideologischer Werte wie Solidarität, Gemeinschaft und soziale Gerechtigkeit gestärkt werden?


Eine Art Regierungsprogramm

In seiner ersten Amtszeit 2008-13 hat sich Präsident Raúl Castro vor allem um die Wirtschaft gekümmert. Historische Altlasten inklusive Schulden und makro-ökonomische Ungleichgewichte wurden angegangen. Dies in einem sehr kritischen Moment von Weltwirtschaftskrise und verheerenden Hurricans vor allem 2008 und 2012, die jeweils zwischen 15 und 20% des Jahresinlandproduktes zerstörten. Die Zahlungsbilanz des Landes wurde ausgeglichen (dank dem Export von Dienstleistungen, die rund die Hälfte der Einnahmen ausmachen), der Schuldenberg neu verhandelt und die Zahlungsverpflichtungen eingehalten. Auch wurden strategische Investitionen angegangen wie der neue Tiefseehafen von Mariel unweit von Habana, ausgerichtet auf die Megaschiffe, die bald den verbreiteten Panamakanal durchqueren werden oder die Ölraffinerie in Cienfuegos mit Kapazität für einen Grossteil der Karibikinseln. Als Resultat einer intensiven und landesweiten Konsultation wurden die Richtlinien für Wirtschafts- und Sozialpolitik von Parteikongress und Parlament verabschiedet, eine Art Regierungsprogramm bis 2016. Verkleinerung des Staatsapparates, Trennung von Kontroll- und Produktionsfunktionen in allen Ministerien, Dezentralisierung und Konzentration auf die strategischen Bereiche sind Pfeiler der neuen Wirtschaftspolitik. Knapp 450.000 Menschen, also knapp 10% der Beschäftigten sind mittlerweile im privaten Sektor tätig, mit den privaten Bauernfamilien sind es mehr als doppelt so viele und bis 2015 sollen rund 50% der Beschäftigten in der Privatwirtschaft einen ebenso grossen Anteil der Wirtschaftsleistung erarbeiten. Auch wenn dies vielleicht zu hoch gegriffen ist, die Umwälzungen in Kuba sind tiefgreifend und die mittel- und langfristigen Auswirkungen noch kaum abzusehen. Wie werden sich diese neuen KleinunternehmerInnen und private Angestellte in den sozialen Diskussionsprozess einbringen, wie verhindern, dass eine mikrokapitalistische Mentalität Überhand nimmt, und wie verhindern, dass gescheiterte Selbstständige in soziale Schieflagen geraten? Aber vor allem auch, wo liegt die goldene Mitte zwischen der Öffnung für private Initiative mit Gewinnstreben und den Leitplanken, um die steigenden sozialen und geografischen Differenzen in Grenzen zu halten und trotzdem die Wirtschaft anzukurbeln? Das neue Steuersystem, zusammen mit den bislang erheblichen Beschränkungen für private Wirtschaftstätigkeit (keinE UniabsolventIn kann bislang seinen/ihren Beruf freiberuflich ausüben) sind Leitplanken, aber die Frage bleibt, wie sich dies mit der Zeit entwickelt.


Hoffnung Kooperative

Viele in Kuba sehen in den Kooperativen ein potentiell wichtiges Instrument, sowohl für die wirtschaftliche, als auch die ideologische relative Homogenität der künftigen kubanischen Gesellschaft. Kuba besitzt rund 4000 landwirtschaftliche Kooperativen (ohne die umbenannten Staatsfarmen, die formell ebenfalls Kooperativen sind), ein Grossteil der Gesellschaft hat somit direkte oder indirekte Kooperativerfahrung. Obwohl die Bilanz gemischt ist, sind die landwirtschaftlichen Kredit- und Dienstleistungskooperativen, in denen Familienbetriebe mit privatem oder im Nutzungsrecht bebautem Land organisiert sind, insgesamt eine Erfolgsgeschichte. Mit rund 300.000 Mitgliedern erzeugen sie auf gut 20% des Landes einen Grossteil der Lebensmittel und des Tabaks (aber nicht des Zuckerrohrs). Von staatlicher Bürokratie gegängelt (jeder dritte Arbeitsplatz in der Landwirtschaft ist unproduktiv), sollen sie nun mehr unternehmerische Freiheit erhalten, vor allem für die Vermarktung, aber auch für den Kauf von Produktionsmitteln, die bislang zu subventionierten Preisen zentral zugeteilt wurden.

Wurden die Lizenzen für die privaten KleinstunternehmerInnen relativ schnell verteilt, verstrich (zu) viel Zeit, um die Kooperativen in nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeiten wenigstens als Pilotprojekte ins Leben zu rufen und die administrativen Hürden sind höllisch. Bislang muss jede der bislang rund 200 Kooperativen schlussendlich vom Staatsrat bewilligt werden und ein Kooperativgesetz wird zwar debattiert, aber ohne klares Datum für dessen Verabschiedung, was klare Spielregeln schaffen würde.


Abgetakeltes Flaggschiff

Nach wie vor importiert das Land jährlich Lebensmittel für rund 2 Milliarden Dollar, rund ein Sechstel der Importrechnung, obwohl rund die Hälfte davon lokal produziert werden könnte - die Resultate der Umverteilung von brachem Staatsland im Nutzungsrecht an Private hat bislang die erhofften Resultate nicht gezeigt, wobei unklar ist, wer wieviel Verantwortung am Rückgang trägt, da die entkapitalisierten staatlichen Farmen und die in den 90er Jahren umgewandelten Staatfarmen wegen fehlender Wirtschaftlichkeit gleich reihenweise aufgelöst wurden.

Das ehemalige Flaggschiff Zuckerrohr kam ebenfalls kaum vom Fleck. Obwohl die Produktion seit 2 Jahren steigt, liegt die Produktivität nach wie vor am Boden und die Menge entspricht der Produktion von vor 100 Jahren! Dabei könnte das Zuckerrohr, trotz seiner Nachteile als Monokultur, neben Exporterlösen einen wesentlichen Beitrag zur Verminderung der Ölabhängigkeit leisten. Die Energieversorgung ruht nach wie vor im Wesentlichen auf den Schultern des Gesundheitspersonals in Venezuela, dessen Dienste mit Öl vergolten werden. Erfreulich die Schritte das Landes, um erneuerbare Energien entschiedener zu fördern. Die ersten 10 MW aus Sonnenenergieparks, die ans Stromnetz gekoppelt sind, stehen ab Ende Jahr zur Verfügung, und der erste einer Serie von ansehnlichen Windparks mit 50 MW Leistung ist im Bau, was aber noch keine 2% des Energiebedarfs deckt.

Dringend nötig sind Investitionen für die Zukunft eines Landes, das seit 1990 einen brutalen Prozess der Entkapitalisierung erlebt hat. Noch heute reichen die Investitionen in der Höhe von rund 12% des Bruttoinlandproduktes nicht, um den Verfall aufzuhalten. Welche Rolle die ausländischen Investitionen genau spielen werden, werden wir sehen. Bislang sind sie, auch wegen der strikten und nicht immer klaren Regeln, eher bescheiden, aber der neue Tiefseehafen, der seinen Betrieb 2014 aufnimmt, und die umliegende Freihandelszone mit bereits verabschiedeter Spezialgesetzgebung könnten dies ändern. Ähnliches wird für die Zuckerindustrie diskutiert, wo Brasilien sich in eine erste Zuckermühle eingekauft hat, und für den Tourismus (Wohnparks für Wohlhabende vor allem im Rentenalter). Interessant schliesslich ist die Diversifizierung des Verkaufes von Dienstleistungen, bislang recht einseitig von Venezuela abhängig und unabdingbar für die kubanische Wirtschaft. Bis zu zusätzlichen 10.000 GesundheitsspezialistInnen werden vor allem in Brasilien und Ecuador eingesetzt und in vielen Spitälern sind immer mehr «DevisenpatientInnen» aus Angola, Lateinamerika und anderen Regionen zu sehen, was die Versorgung der KubanerInnen vergleichsweise erschwert und Klagen hervorruft, obwohl das Land nach wie vor die grösste ÄrztInnendichte in Lateinamerika hat.


Schlüsselfrage

Die einzelnen Massnahmen oder Aspekte derselben sind sicher diskutierbar (zum Beispiel ist die Steuerlast in der Freihandelszone praktisch Null), müssen aber in einem breiteren Kontext analysiert werden. Die Schlüsselfrage ist: Wer profitiert von einem möglichen Wirtschaftswachstum? Führt die zunehmende Autonomie der Unternehmen zu einer längst fälligen Erhöhung der Reallöhne und mehr ArbeiterInnenkontrolle und -mitbestimmung oder zu mehr Lohngefälle und einer erneuten Zentralisierung der Entscheidungen auf der Direktionsetage? Führt ein effizientes und progressives Steuersystem genügend Mittel aus dem privaten und produktiven Segment ab, um damit vor allem das Bildungs- und Gesundheitswesen auf dem hohen Stand halten zu können und dem Personal eine Bezahlung anzubieten, die der geleisteten Arbeit und der Verantwortung entspricht? Kann die Sozialversicherung derart verbreitet und gestützt werden, dass damit die heute mageren Renten auf ein existenzsicherndes Niveau anheben zu können?

Auf diese Fragen benötigen die Leute nach über 20 Jahren Durchhalten nun dringend eine Antwort, viele Alte können kaum mehr und viele Junge wollen nicht mehr oder wie es der Präsident ausgedrückt hat: «Wie geben wir der Arbeit ihren realen Wert zurück»?


Währungsreform

2014 scheint dafür ein Schlüsseljahr zu sein, denn die von aussen schwer verständliche «Geldvielfalt» wird angegangen. In Kuba sind der kubanische Peso und der sogenannte umtauschbare Peso im Umlauf mit zwei grösstenteils getrennten Wirtschaftsräumen. Derweil die Löhne in kubanischen Pesos gezahlt werden, sind viele Güter und Dienstleistungen nur in umtauschbaren Pesos erhältlich, von denen jeder 24 kubanische Pesos kostet. Ein Teil der Unternehmen wiederum funktioniert mit einem Umtauschkurs von einem kubanischen Peso für einen US-Dollar. Für jeden Dollar, den sie mittels Exporten erwirtschaften, erhalten sie einen kubanischen Peso, und für jeden Dollar, den sie aus dem zentralstaatlichen Devisenkonto bewilligt erhalten, wird ihnen ein kubanischer Peso belastet. Dies hat die perverse Folge, dass Exportieren für eine Firma unattraktiv ist (dasselbe Produkt kann sie in Kuba für mehr Geld absetzen), derweil Importe zu billig sind (falls die notwendigen Devisen denn gesprochen werden). Andererseits erschwert es die Messung und Analyse der Wirtschaftsleistung und damit die Entscheidungsfindung in wirtschaftspolitischen Aspekten.


Buen vivir statt Wertezerfall

Nun soll also in absehbarer Zeit der kubanische Peso wieder die einzige Landeswährung werden. Lokale Wirtschaftswissenschaftler haben einen Wechselkurs von 7-10 Pesos als «real» errechnet. In einem ersten Schritt werden die Wechselkurse für die Unternehmen geändert, wobei zu sehen sein wird, wann und wie. Diese Währungsreform wird die wirtschaftliche Frage als solche nicht lösen, ist aber eine Gelegenheit, um die Verteilung des gesellschaftlichen Einkommens und Vermögens zu verändern und zumindest teilweise Antworten auf die formulierten Schlüsselfragen zu geben und somit die wirtschaftlichen Fundamente des kubanischen Gesellschaftsprojektes in diesem Moment des Generationenwechsels zu stärken.

Nimmt die Wirtschaft - verständlicherweise auch für die meisten KubanerInnen - den Grossteil der Aufmerksamkeit in Anspruch, hat Raúl Castro in seiner letzten Rede vor dem Parlament im Juli einen zweiten zentralen Punkt angesprochen: den Zerfall der gesellschaftlichen Werte. Offen hat er über fehlende Sensibilität, Verantwortung und Solidarität gesprochen, die sich in Lärm, Abfall, Gewalt, Verrohung der Sprache, Individualismus, Unehrlichkeit und vielem mehr ausdrückt. Dass dies nicht nur Aufgabe der staatlichen Stellen sein kann, ist offensichtlich. Vor allem die Quartierkomitees und die Frauenföderation sollen einen Beitrag leisten, insbesondere im Bereich der Prävention, der Überzeugungsarbeit. Denn es geht nicht darum, einen harten Kurs zu fahren wie z.B. in den USA oder in neoliberalen lateinamerikanischen Ländern und die Marginalisierung zu verstärken, statt die Ursachen anzugehen. Wie dies konkret aussehen wird und welche Rolle zum Beispiel Kultur und Sport und deren Aushängeschilder spielen könnten, wird sich zeigen. Der im Februar frischernannte erste Vizepräsident Miguel Diaz-Canel - in vieler Munde als Nachfolger von Raúl Castro ab 2018 - besucht derweil vielerorts lokale Projekte. Das Quartier, die unmittelbare Umgebung sind zentral in diesem Bestreben, die Lebensqualität im Sinne des «Buen Vivir - Gut Leben» wie in Bolivien und Ecuador zu stärken, der Individualisierung die Gemeinschaft entgegenzustellen. Während die wirtschaftlichen Leitplanken gesetzt sind und die Umsetzung des Programmes klar delegiert wurde, wird diese ideologische Komponente, um den angepeilten «Sozialismus mit Wohlstand» zu erreichen, wohl die zweite und letzte Amtszeit von Raúl Castro prägen.

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15 Jahre sind genug!

(fw) Seit über 15 Jahren sitzen 4 kubanische Männer in US-Gefängnissen. Einer der «5», wie sie in Kuba jedeR kennt, wurde mit dem üblichen «Rabatt» für gute Führung freigelassen und lebt mittlerweilen in Kuba. Sie haben als kubanische Agenten exilkubanische extremistische Organisationen infiltriert, um Terroranschläge gegen Kuba zu verhindern. Die US-Staatsanwaltschaft mit öffentlichem Druck der kubanischen Mafia in Florida hat daraus einen politischen Spionageprozess gemacht und mit hahnebüchenen Anschuldigungen, geheim gehaltenen angeblichen Beweisen und der nachgewiesenen Bezahlung von JournalistInnen extrem harte Urteile von 15 Jahres bis zweimal lebenslänglich erlangt. Demnach käme Ramón sein Leben lang nicht mehr aus dem Knast und die anderen hätten noch Jahre zu sitzen. Die US-Justiz mit politischer Rückendeckung ihrer Regierung und Medien hat damit zu verstehen gegeben, dass jede Aktion gegen extremistische kubanische Exilorganisationen, an deren Händen viel Blut klebt, eine direkte Aktion gegen die Vereinigten Staaten von Nordamerika ist.

15 Jahre sind genug, sagt René Gonzalez, der einzige bislang freigelassene der «cuban 5» in einer kurzen Fernsehansprache und ersuchte die KubanerInnen, diesen 15. Jahrestag mit einem auch für US-AmerikanerInnen verständlichen Symbol zu begehen: Gelbe Bänder (in Anspielung auf das bekannte Lied, in dem gelbe Bänder eine alte Eiche zieren, weil sie ihn noch immer liebt und willkommen heisst nach langer Zeit) als Zeichen der Leute, dass sie ihre «5» endlich zurückwollen.

Kleidung, Stoffbänder an Armen, Fenstern und Türen, Autoantennen und und und ... Millionen wollten ein Zeichen setzen und färbten Kuba an diesem Tag gelb in Schulen, Läden, Betrieben, Häusern, Bussen und Taxis, ... und fordern so die Freilassung nicht nur der kubanischen, sondern auch der puertoricanischen, indigenen, schwarzen und anderen poltischen Gefangenen in US-Knästen.

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 176, 16. Dezember 2013, S. 14-16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2014