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CORREOS/193: El Salvador - Zwölf indigene Gemeinschaften gegen eine Zementfabrik


Correos de las Américas - Nr. 178, 22. August 2014

«Wir waren völlig unvorbereitet»
Zwölf indigene Gemeinschaften gegen eine Zementfabrik.

Barbara Müller interviewt Isabel Turuy



Isabel Turuy ist Sprecher der indigenen Autoritäten von zwölf Gemeinden der westlichen Region von San Juan Saquatepequez. Er ist ehemaliger alcalde comunitario der Gemeinschaft Pilar II. Die alcaldes comunitarios werden von den Mitgliedern einer Gemeinschaft gewählt, im Gegensatz zum offiziellen Bürgermeister, der in vom obersten Wahlgericht durchgeführten Wahlen bestimmt wird. Der alcalde comunitario, mehr für die internen gemeindeangelegenheiten zuständig, ist ehrenamtlich tätig. Isabel Turay wurde am 8. Mai von Peace Brigades International nach Bern eingeladen.

BM: Was ist der Grund deines Besuchs in Europa und der Schweiz?

IZ: Unsere zwölf Gemeinschaften befinden sich seit sieben Jahren im Widerstand gegen ein Zementwerk auf unserem Territorium. Unser Kampf gleicht dem anderer Gemeinschaften und Gemeinden gegen transnationale Unternehmen. In all den Jahren haben diese Unternehmen jedoch perfekte Methoden entwickelt, wie sie unseren Kampf kriminalisieren können. Diverse vergleichende Studien zu den verschiedenen Kämpfen zeigen, dass überall ähnliche Mechanismen am Werk sind.

BM: Unterscheidet sich euer Fall insofern von anderen, als dass es bei euch keine Tradition der Organisation gab? Im Hochland zum Beispiel gibt es langjährige Beziehungen der Gemeinschaften zu den traditionellen Volksund Bauernorganisationen, was offenbar bei euch nicht der Fall ist. Stimmt das?

IZ: Tatsächlich wurden wir von der Zementfabrik überrumpelt. Es gab bei uns keine Organisation, keine NGOs, jede Gemeinschaft schaute für sich selbst. Das war auch gar kein Problem, alles war normal, wir lebten in Frieden. 2006, als alles begann, waren plötzlich ganz viele Leute hier, machten irgendwelche Untersuchungen und die Bevölkerung begann sich zu fragen, was hier eigentlich vorgeht. Dies war die Geburtsstunde unseres Kampfes. Wir begannen uns zu organisieren und fanden heraus, dass da ein Zementwerk dabei ist, sich auf unserem Territorium auszubreiten.

BM: Gelang es dem Unternehmen wegen dieser fehlenden Organisationserfahrung, anfänglich eure Gemeinschaften dermassen zu spalten?

IZ: Ich denke schon, dass dies einer der Gründe war, wir waren völlig unvorbereitet und mussten zuerst realisieren, dass wir gemeinsam gegen diese Bedrohung ankämpfen müssen. Anfänglich nutzte das Unternehmen unsere Unerfahrenheit aus. Ich selber gehöre bereits der dritten Generation von Führungspersonen an. Die erste Generation 2006/07 wurde vom Unternehmen korrumpiert. Das Unternehmen kaufte sieben Personen und erzählte, dass sieben Gemeinschaften das Zementwerk unterstützten und nur noch fünf dagegen seien. Das hat natürlich grosse Unsicherheit in der Bevölkerung ausgelöst, denn sie vertrauten ihren FührerInnen. Und es gibt ja auch Leute, die die Präsenz des Unternehmens unterstützten, aktuell sind es etwa 5% der Bevölkerung. Die zweite Generation von FührerInnen ist damit konfrontiert, dass gegen viele von ihnen Haftbefehle ausgestellt wurden. Diese zweite und jetzt auch die dritte Generation von FührerInnen, der auch ich angehöre, und die beide nicht bereit sind, ihre Würde zu verkaufen, versucht man nun zu kriminalisieren.

BM: Wie sieht die Situation im Mai 2014 aus?

IZ: Wir sind sehr besorgt. Seit April dieses Jahres gab es eine Reihe von Provokationen seitens des Unternehmens. In der Gemeinschaft Cruz Blanca wurde der dortige Bürgermeister angefragt, ob er einer Jobbörse des Unternehmens bewillige. Es wurde eine Versammlung einberufen und die Bevölkerung sprach sich dagegen aus. Doch das Unternehmen fand schliesslich jemanden, der ihr ein Stück privates Land für diese Jobbörse zur Verfügung stellte. Die Bevölkerung organisierte eine Protestdemonstration. Da begannen die Provokationen, und für uns ist klar, dass sie nur auf den richtigen Moment gewartet haben: Ein Angestellter des Zementwerks griff eine der demonstrierenden Frauen an. Mit einem Spray, der Benzin enthielt, begann er die Leute zu besprühen Logischerweise verteidigten sich die angegriffenen Leute. Der Provokateur erlitt bei dieser Auseinandersetzung Verletzungen und musste ins Spital gebracht werden. Er litt unter Diabetes und bedauerlicherweise verstarb er im Spital.

Wir wissen, dass es innerhalb der Cementera zwei ehemalige Militärs gibt, deren Job es ist, Strategien zu unserer Bekämpfung zu entwickeln. Es sind diese beiden, die die Arbeiter des Zementwerks gegen uns aufhetzen, und ich streite nicht ab, dass es darunter auch Leute aus unseren Gemeinschaften hat. Das macht die ganze Situation so kompliziert.

Ein paar Tage nach diesem Vorfall entführte eine Gruppe maskierter Leute einen unserer Mitbürger der Gemeinde Cruz Blanca und brachte ihn etwa 1500 Meter von seinem Haus entfernt um. Als ein Racheakt für den Mann, der ein paar Tage zuvor im Spital verstorben war. Die Maskierten führten eine Liste mit 26 Namen mit sich, und nachdem sie den Mann umgebracht hatten, sagten sie, nun fehlten ihnen nur noch 25 - alles Führungspersonen der Gemeinden, vier davon Frauen.

BM: Gab es in den beiden erwähnten Fällen Untersuchungen?

IZ: Wir hatten Besuch von der Menschenrechtsombudstelle und letzte Woche ein Gespräch mit dem UNO-Hochkommisariat für Menschenrechte. 2007 haben wir eine Anzeige gegen diese maskierten Gruppen, ich nenne sie «Todesschwadronen», eingereicht, ohne irgendwelche Folgen. Aber wenn dann so eine Provokation ihre traurigen Folgen hat, ist sofort die Fundación contra el Terrorismo(1) zur Stelle und hetzt gegen uns, indem sie alles verdreht und sagt, die Todesschwadronen hätten aus den Anführern der Gemeinschaften bestanden. Und so wird es dann auch von den Medien übernommen.

Ich behaupte all das nicht einfach ins Blaue hinaus. Am 7. April war Monseñor Alvaro Ramazzini bei uns zu Besuch, und wir berichteten ihm von diesen Vorfällen. Eingeladen war er vom Zementwerk, als Vermittler. Wir baten ihn, sich beim Unternehmen dafür einzusetzen, dass sie aufhören, ihre maskierten Gruppen gegen uns loszuschicken und Leute umzubringen. Und tatsächlich, er rang dem Leiter des Unternehmens das Versprechen ab, die Situation unter Kontrolle zu bringen und die beiden Ex-Militärs in die Schranken zu weisen. Und wieder ein paar Tage später erfuhren wir, dass die Mitglieder der maskierten Gruppen zusammengerufen und ihnen mitgeteilt wurde, dass sie «bis auf weiteres» die Gewalt zurückfahren sollten. Dies ist der klare Beweis dafür, dass diese Gruppen vom Unternehmen gesteuert und bezahlt sind, auch wenn es zum Teil Leute aus unseren Gemeinden sind.

BM: Wie ist eure Beziehung zu den traditionellen Volks- und BäuerInnenorganisationen, zum Beispiel zum CUC?

IZ: Als unser Kampf immer mehr Bekanntheit gewann, solidarisierten sich die anderen Organisationen in Guatemala mit uns. Wir arbeiteten anfänglich mit CONIC zusammen, haben aber schnell gemerkt, dass die ihre eigenen Interessen verfolgen, die sich mit den unseren nicht immer decken. Zum Beispiel sind sie für den Bau einer Megastrasse, gegen die wir uns wehren, denn sie wird in allererster Linie der Zubringer zum Zementwerk sein. CONIC ist an der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs über ländliche Entwicklung beteiligt, und offenbar ist der Bau dieser Strasse darin vorgesehen ... Leider war es nicht möglich, sich darüber auszusprechen, und so verloren wir den Kontakt.

Mit dem CUC stehen wir in losem Kontakt. Wir haben je unsere Agenden, unterstützen uns aber gegenseitig bei unseren Aktionen. Auch solche Sachen nutzt die Fundación contra el Terrorismo, die dann sofort behauptet, Daniel Pascual, Führer des CUC und Ex-Guerillero, manipuliere die zwölf Gemeinschaften. Auch ausländische NGOs werden immer wieder beschuldigt, uns mit ihren Geldern zu «kaufen» und zu manipulieren. Mir ist es wichtig, hier zu sagen, dass das nicht stimmt, dass wir zum Beispiel die Kautionen für unsere verhafteten Compañer@s aus unseren eigenen Mitteln bezahlen.

BM: Sprechen wir über Entwicklung. Das Unternehmen präsentiert das Zementwerk als ein Projekt, das der Region Entwicklung bringen soll. Ihr habt aber als BäuerInnen und BlumenzüchterInnen ganz andere Vorstellungen von Entwicklung. Wie sehen diese aus?

IZ: Das Hauptproblem zwischen dem Unternehmen und uns BlumenzüchterInnen ist das Wasser. 80% der Bevölkerung bei uns arbeiten in der Landwirtschaft, wir bauen Blumen, aber auch Gemüse an. Das Unternehmen präsentierte eine Umweltverträglichkeitsstudie, in der es heisst, es würden während der Bauphase 2500 Arbeitsplätze geschaffen und später, wenn das Werk laufe, würden 800 qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht. Im Vergleich zu den 60.000 BewohnerInnen der betroffenen Gemeinden und den 900.000 Liter Wasser, welche das Unternehmen in acht Stunden verbraucht, sind diese Arbeitsplätze keine Alternative. In den Gemeinden haben wir nur Grundwasser, das wir hochziehen, wir haben keine Pumpen.

Das Unternehmen spricht davon, uns beim Export unserer Blumen zu helfen. Doch es wird keine Blumen mehr geben, wenn wir kein Wasser haben, wenn wir und die Blumen vom Staub krank werden. Wir haben an den Dialoggesprächen klar gesagt: «Herren Unternehmer, wie wollt ihr uns den Export unserer Blumen versprechen, wenn ihr uns die Landwirtschaft verunmöglicht?» Aktuell verkaufen wir unsere Blumen vor allem auf dem lokalen Markt. Unsere Vision ist aber schon, dass sich uns der internationale Markt öffnet. Das geht aber nur, wenn wir genügend Wasser haben und die landwirtschaftliche Selbstversorgung garantiert ist.

BM: Blumenexport ist aber nicht wirklich nachhaltig und hat eine schlechte Ökobilanz.

IZ: Das stimmt, dazu kommt auch eine riesige Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Aber Blumen sind nun mal das, was wir produzieren. Wir sind nun daran, eine Kooperative aufzubauen, experimentieren mit organischem Dünger - wir versuchen also, in diesem Bereich nachhaltig zu produzieren.

Wobei auch fair und biologisch produzierte Blumen per Flugzeug exportiert werden ... Wäre es nicht besser, ihr würdet Gemüse für den lokalen Markt anbauen?

Etwa 25% unserer Landwirtschaft besteht aus dem Anbau von Gemüse für den Eigenkonsum und den lokalen Markt.

Geht es euch finanziell besser mit dieser Blumen- und Gemüsestrategie als anderen BäuerInnen, die nur auf Gemüse setzen?

Ich würde schon sagen, dass es uns besser geht. Nicht zuletzt deshalb, weil der Gewinn unserer Produkte in die Dorfinfrastruktur fliesst. Seit je her wurden wir von der Zentralregierung vernachlässigt und die Bauernfamilien selber haben Geld in den Bau der Schule, der Versammlungsräume und andere Projekte gesteckt. So gibt es auch Arbeit für die Jungen in unseren Gemeinschaften, wenn jemand auf einer Hektar Rosen anbaut, kann er ein bis zwei Personen einstellen. Dies wiederum hat zur Folge, dass vergleichsweise weniger Junge migrieren als in anderen ruralen Regionen. Wir haben auch das Glück, dass die Erde bei uns sehr fruchtbar ist. Noch ...

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Ohne die Bevölkerung zu befragen und so die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation verletzend, eröffnete die Firma Cementos Progresos (CEMPRO) im Jahre 2006 in der Gemeinde von San Juan Sacatepéquez ein Zementwerkt. Ursprünglich wurde das Projekt zu 80 % von der guatemaltekischen Firma Productos Mineros S.A., einer Filiale von CEMPRO, und zu 20 % von der schweizerischen Holcim, der weltweit grössten Zementfirma, finanziert. Holcim verkaufte jedoch seine 20 % im 2012 an den Hauptaktionär Grupo Cemcal S.A. Progreso. Dieses Zementwerk soll sich über 2.000 Ha indigenes Land erstrecken. Die Lizenz umfasst den Abbau von 36 Mineralien und den Verbrauch von 900.000 Litern pro Tag. Geplant ist der Bau einer 14 km langen privaten Zugangsstrasse, auf der täglich 450 Schwertransporter verkehren sollen. Die Lizenz hat eine Dauer von 100 Jahren. Aktuell sind sechs Personen der indigenen Gemeinschaften verhaftet, gegen weitere 46 Personen liegen Haftbefehle vor. Ihre Anklagen lauten: Terrorismus, Waffenhandel und -besitz, bewaffnete Hinterhalte und Schädigungen.


Anmerkung:

(1) Eine Vereinigung ehemaliger Militärs und Vertreter des ultrarechten Sektors.

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Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 178, 22. August 2014, S. 27-28
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2014