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DAS BLÄTTCHEN/946: Die Asozialität an der Macht


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 4/2009 - 16. Februar 2009

Die Asozialität an der Macht

Von Jörn Schütrumpf


Das Konjunkturpaket in Höhe von fünfzig Milliarden Euro hat die Große Koalition geradezu mit Lässigkeit durchgewinkt - nach den 500 Milliarden für die Banken war das wirklich fast auch nur noch ein Klacks. Als einige Monate zuvor die LINKE ein gleichhohes Paket vorschlug, war sie noch wegen Unfinanzierharkeit verlacht worden.

Bei Lichte besehen, zu Recht, denn das jetzige Paket hat mit dem damaligen nichts zu tun - ging es der LINKEN doch um eine Stärkung der Binnenkaufkraft, also um eine soziale Verbesserung für jene Einkommensschichten, die sich immer weiter vom Konsum ausgegrenzt sehen. Es wäre mehr als unfair, die Regierungskoalition sozialer Beweggründe zu verdächtigen; ja, es handelte sich dabei sogar um eine gemeine Unterstellung, wenngleich (noch) nicht um eine justitiable.

An einer Stärkung der Binnenkaufkraft waren der Bund der Deutschen Industrie und gleichgelagerte Zusammenschlüsse bis vor kurzem überhaupt nicht interessiert. Setzten sie doch auf "Globalisierung" und weideten sich am - ohnehin zumindest leicht dopingverdächtigen - Titel Exportweltmeister. Daß sie sich entschlossen haften, auf einem Bein durch die Landschaft zu humpeln, war ein Gedanke, den zu denken - von begreifen wollen wir gar nicht reden - sie schlichtweg überforderte.

Nun ist die Weltkonjunktur an der Finanzkrise zerschellt, und die Große Koalition stellt der Industrie eine Transfusion zur Verfügung, die sie der übergroßen Mehrheit ihrer Wähler nicht bereit war zu gewähren. Seit 1990 bedient jegliche Regierungspolitik nicht mehr - wie zuvor - nur vorrangig die Interessen der Finanz- und Wirtschaftsmafia, die dieses Land als ihre Geisel hält, sondern nahezu ausschließlich. Wobei es der rot-grünen Regierung unter Schröder und Fischer gelang, die mit Abstand kapitalfreundlichste Politik der Nachkriegszeit zu machen. Ludwig Erhard wäre vor Neid erblaßt. Angela Merkel sehnt den Tag herbei, an dem sie wenigstens einmal fünf Minuten lang so asozial sein darf, wie es Gerhard Schröder nie anders gelernt hatte.

Viel helfen werden die fünfzig Milliarden nur in der Anfangszeit, denn für eine langfristige Stabilisierung fehlen die beiden wichtigsten Voraussetzungen: Produkte, deren Herstellung und Verbrauch die Umwelt immer weniger belasten, und Menschen, die in der Lage wären, derlei zu entwickeln. Deshalb jetzt dieses seltsam-hilflose Herumrudern von Merkel & Co in Fragen Bildung. Das meiste Geld wird aber in die heruntergekommene Infrastruktur und damit in die Bauwirtschaft et cetera sowie ins Personal gehen - für eine Bildung, die der modernen Gesellschaft und ihren Fährnissen gerecht würde, bleibt kaum Geld.

Die deutschen "Eliten" haben für ihren Nachwuchs längst Privatschulen sowie Privatuniversitäten geschaffen; große Teile der Bevölkerung ließ man einfach geistig verkommen - und verdiente auch noch daran: 25 Jahre RTL statt Volkshochschule; in einigen Ländern der Wahnwitz einer - gutgemeinten - Gesamtschule bei Weiterexistenz von Realschule, Gymnasium und Privatschule. Damit wurde das Bildungsprivileg nicht gebrochen, sondern nur "zeitgemäß modernisiert".

Spitzenleistungen können nur auf der Grundlage einer breit gebildeten Bevölkerung erwachsen. Bildung kann man sich aber nicht kaufen - jedenfalls nicht eben mal schnell mit ein paar Milliarden Euro. Denn Bildung muß wachsen, über Generationen; Bildung ist die Seele jeder Kultur. Dafür bedarf es der Pflege durch die öffentliche Hand.

Wir haben in Westdeutschland - und seit der Wende in ganz Deutschland - jedoch das Gegenteil erlebt. Bis 1961 ließ man sich die kreativen Köpfe aus der DDR liefern, dann kam die Bildungsnotstandsdebatte mit ihren Produkten unterfinanzierte Massenuniversität und Gesamtschule - und dann wollte Schröder Inder einkaufen gehen. Doch wer geht in ein unübersehbar ausländerfeindliches Land wie Deutschland? Hierher kommen nur die, die anderswo keine Chance haben und hier wenigstens überleben können. Die Herausbildung von Parallelkulturen in Deutschland ist das Produkt der deutschen Politik und nicht den Ausländern anzulasten.

Wir leisten uns "Eliten", als wenn wir noch ein zweites Land im Kofferraum hätten. Und alle schweigen mit.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 4, 12. Jg., 16. Februar 2009, S. 1-2
Herausgegeben vom Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2009