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DAS BLÄTTCHEN/973: Bettvorleger


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 12/2009 - 8. Juni 2009

Bettvorleger

Von Werner Richter


Jörn Schütrumpf dachte in Blättchen 10/2009 (*) über den Sinn der "Kapital"-Lektüre nach. Die Abfolge seiner Gedanken scheint logisch zu sein. Obwohl wieder mal eine Welle des "Marxstudiums" in Zirkeln durchs Land ziehe, muß sich Schütrumpf ob des unverhofften Nachfrageanstieges beim "Kapital" ein Grinsen verbeißen, erinnert er ihn doch an die pseudo-marxistischen Aktionsgruppen mit ihren Sternenkriegsphantasien, die in den vergangenen Jahrzehnten das "Kapital" studierten und mir immer wie Aliens erschienen.

Aber kann man in das Gestrüpp der Finanzwelt ohne Marxens "Kapital"-Analyse des Geldes, der Grundrente, der Finanzen, des Zinses, des Kapitalumlaufes eindringen? Gut, ich bräuchte nur alle Kritiker des Finanzsystems lesen, dann hätte ich vielleicht trotzdem genügend Ansatzpunkte, egal was diese Kritiker in Frage stellen und warum und was sie fordern. Dann könnte ich mich auch kritiklos freuen, daß Heiner Geißler jetzt Attac-Mitglied wurde. Mit den Jesuiten gegen das große Kapital - vorwärts!

Nach seinem letzten Rundfunkinterview mit dem WDR vom 13. Mai müßte ich jedoch einiges einfach übersehen. Seine Beweggründe, sich Attac anzuschließen, so bemerkens- und begrüßenswert das auch ist, sind wohl strategischer Natur und nicht weit von Vereinnahmungsgedanken - unabhängig von seinen realen Möglichkeiten. Immerhin, ich möchte schon wissen, wie seine Lösung der Finanzkrise aussieht. Ich fürchte, er meint nicht das gleiche wie ich. Also halte ich mir meinen Marx weiterhin.

Überraschend schnell erschien zur Finanzkrise aus Insiderkreisen eine Reihe von Büchern. Mir fielen Anne T.s "Die Gier war grenzenlos: Eine deutsche Börsenhändlerin packt aus", Econ, und Dirk Müllers "Crashkurs" in die Hände, beide die Dinge bis in dieses Frühjahr hinein schildernd. Fast noch schneller war die Kritik: "Aspekte" (ZDF) verriß beide Bücher bereits am 8. Mai als minderwertigen Schund, mit dem die mutmaßlichen Verursacher der Krise ihre fiese Tätigkeit auch noch vermarkten wollten, igitt. Daraufhin zweifelte ich im ZDF-"Forum" an, daß die Autorin die Bücher überhaupt gelesen habe. Ich bin gespannt, ob eine Antwort folgt. Wenn nicht, muß ich dem ZDF dann gratulieren, seine Klassenfunktion so schnell erfüllt zu haben, denn der Kritik, die bis ins Mark gehende Fragen stellt, begegnet man am besten mit Totschlagsargumenten und nicht mit inhaltlicher Diskussion.

Damit niemand, der diese Texte auch schon gelesen hat, an meinem Geschmack zweifelt: Ja, das ist zum Teil grausames Geschreibsel, der Literatur nicht zuzuordnen, und die Geschäftsidee ist auch zu spüren. Kaum eine Kunst jedoch entstand nicht auch wegen des Broterwerbs. Das ist kein Makel. Ich möchte beide Bücher nicht missen. Anne T. gibt exklusive Einblicke in die Psyche der Bankzocker. Ich bin entzückt über die hier offenbarte dümmliche Arroganz von formal gebildeten, aber völlig mißratenen Gestalten, die sich (immer noch) Wir die Creme der Menschheit halten. Genau dieser unverschämten, leicht beschränkten Typen bedurften die Banken für ihre Investmentabteilungen, nur sie können sich gierig auch sinnloseste "Produkte" aus den Fingern saugen und verkaufen, bis in die Katastrophe hinein.

Nicht nur in den Banken, auch sonst sind diese Typen nicht allzu selten anzutreffen, als Firmensprecher oder Generalsekretäre kann man sie genießen. In dieser Hinsicht war mir die Lektüre die Zeit wert. Müllers Buch "Crashkurs" zähle ich auch nicht gerade zur gehobenen Literatur, es hebt sich jedoch qualitativ vom ersten stark ab. Der Mann zerlegt alle schönen Thesen, mit denen Politik und Wirtschaft die Gesellschaft manipulierten, bis aufs Skelett. Seine Überlegungen gipfeln in der Überzeugung, daß jedes Wirtschaftsystem, das auf Zins und Zinseszins beruht, zwingend zum Untergang verurteilt sei. Sehr interessant ist sein historischer Diskurs mit dem Nachweis, daß zinsfreie Wirtschaftsysteme in der Geschichte erfolgreich existierten und nur an wachsender Dominanz der Zinswirtschaft zerbrachen.

Die Katastrophe der jetzigen westlichen Gesellschaft hält er, vielleicht zu Recht, für genauso unausweichlich wie den noch kommenden Jahrhundertcrash. Doch dann trennen sich unsere Wege. Denn seine stillen Hoffnungen ruhen auf einer US-europäischen Freihandelszone, die er schon in der Röhre vermutet, auf neuen (alten) zinslosen Wirtschaftsmodellen und auf der Entdemokratisierung der westlichen Welt, die ohnehin schon auf breiter Front läuft - nach Vorbild der asiatischen Boomstaaten, Motto: Primat der Ökonomie, aber anders, als Marx dies meinte.

So ist es nicht verwunderlich, daß er die eigentliche Gefahr der weltwirtschaftlichen Entwicklung im Verlust der westlichen Privilegien durch den Aufstieg der Schwellenländer sieht, diese Privilegien als Ergebnis der eigenen schöpferischen Arbeit einstufend und nicht der Ausbeutung der nichtwestlichen Welt. Da ist nur verständlich, daß er Initiativen wie Attac ablehnt. Jedoch stellt er einige höchst brisante Fragen: Läuft da im Hintergrund des staatlichen Krisenmanagements etwas ganz anderes, als man uns weismachen will? Gibt es eine einheitliche geheime Strategie der Macht- und Finanzhydra zur Vorbereitung einer neuen Währungsreform, deren Auswirkungen zu Lasten der Bevölkerung er überzeugend beschreibt?

Es ist schon erstaunlich, mit welchen gesellschaftlichen Kräften und Bewegungen, die früher "auf der anderen Seite" standen, man jetzt in vielen Fragen konform geht. Darüber wunderten wir uns schon nach 1990, als wir im Neuen Forum plötzlich mit CDU-Funktionären gegen das von der SPD gewünschte "Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz" des Landes Berlin (ASOG) antraten. In den Initiativgruppen innerhalb der etablierten Parteien gibt es sehr ehrliche Mitglieder mit einem uns gleichen Weltverständnis, die keine Illusionen über ihre Chancen hegen und doch in diesen Strukturen etwas verändern wollen. Das ist gut. Nur gebe ich zu bedenken: Ein Marsch durch die Parteien wie weiland durch die Institutionen endet bei einer Kopie des Joschka-Fischer- und Gerhard-Schröder-Fanclubs, als Bettvorleger, der dem großen Kapital die kalten Füßchen viel besser wärmt als die verschlissenen CDU-Fußmatten.


(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der oben erwähnten Artikel von Jörn Schütrumpf ist zu finden unter:
DAS BLÄTTCHEN/965: Das "Kapital" lesen?
Link: www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/dblae965.html


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 12, 12. Jg., 8. Juni 2009, S. 7-9
Herausgegeben vom Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2009