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DAS BLÄTTCHEN/990: Schwejk in Polen


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 18/2009 - 31. August 2009

Schwejk in Polen

Von Holger Politt, Warschau


In Mecklenburg geht die Welt seit Bismarck erst fünfzig Jahre später unter. In Polen gibt es seit 1998 eine Behörde der nationalen Erinnerung, die sich mit der Zeit von 1939 bis 1989 zu befassen hat. Sie nennt sich abgekürzt IPN und läßt sich in ihrem den "kommunistischen Verbrechen" gewidmeten Teile durchaus mit der deutschen Birthler-Behörde vergleichen. Auf jeden Fall schaut die Behörde im Lande nach dem Rechten, auch weil die Diskussion um Sinn und Nutzen dieser Institution nicht abebben will.

Historiker der Einrichtung entdeckten nun in der Provinz Unzeitgemäßes, etwas, was in den Metropolen und den großen Städten des Landes seit langem bereits vergessen scheint. Im Frühjahr 2008 ließen sie ganz amtlich die gewählten Vertreter der Gemeinde Abramów in der Wojewodschaft Lublin wissen, daß die Hauptstraße des Ortes regelwidrig nach dem 22. Juli benannt sei. Regelwidrig, da im Lande Formen der "öffentlichen Wertschätzung für nazistische und kommunistische Ideologie" von Amts wegen nicht erlaubt seien. Und eine Straße, die nach dem Gründungsdatum der Volkrepublik Polen benannt sei, könne nicht anders betrachtet werden denn als Verstoß gegen das Gebot, "kommunistische Ideologie" nicht öffentlich zu verbreiten.

Der Bürgermeister, hier ganz pfiffig, spielte zunächst auf Zeit. Man müsse den betroffenen Menschen an der Straße und überhaupt im Orte eine Frist zustehen, in der sie sich mit dem ernsten Vorwurf gründlich auseinandersetzen könnten, wofür aber die nun einsetzende Sommerzeit, die im Dorfe zugleich Erntezeit sei, gänzlich ungeeignet wäre. Im übrigen, so versicherte der Dorfvorsteher der Behörde, stünden alle Anwohner der Straße des 22. Juli der inkriminierten Ideologie trotz des Straßennamens doch eher gleichgültig gegenüber. Es half nicht viel, die Behörde wollte nun erst recht die ernsten Gründe hören, weswegen der Straßenname im kleinen Orte nicht umgehend geändert werden könne. Zu guter Letzt wurde sogar eine anonyme Befragung unter den erwachsenen Straßenanwohnern gestartet, bei der sich 204 Stimmen für den Namenserhalt und nur eine einzige dagegen aussprachen.

Als die Behörde nun immer ungeduldiger wurde, fiel dem Gemeinderat allerdings auf, daß der Beschluß, nach dem die Straße im Jahre 1987 den Namen "22. Juli" verliehen bekam, seinerzeit ohne Jahreszahl gefaßt worden war. Bevor nun dieser neue Sachverhalt der Behörde mitgeteilt wurde, ging der Bürgermeister kurzerhand selbst auf historische Suche und förderte nichts weniger als die Rettung des Straßennamens zutage. Denn am 22. Juli 1807 erließ Napoleon Bonaparte in Dresden für das von ihm geschaffene Großherzogtum Warschau eine Verfassung nebst zivilrechtlicher Ordnung. Persönliche Freiheit sollte nunmehr an der Weichsel einziehen, einschließlich der Aufhebung der Leibeigenschaft.

Dieses Datum, so wurde der Behörde nun mitgeteilt, sei - soweit es um den historischen Kontext gehe - mit dem Straßennamen gemeint. Und Bürgermeister wie Gemeindevertreter könnten nun nicht mehr recht erkennen, warum der Straßenname "22. Juli" weiterhin dem Gesetze widersprechen sollte. Die IPN-Historiker ließen in ihrer Antwort verklausuliert mitteilen, daß gegen Napoleon Bonaparte der Behörde in der Tat nichts vorliegen könne, weshalb also in diesem Falle der Argumentation des Dorfes stattgegeben werden dürfe. Allerdings, so der erzieherische Hinweis, werde das Datum des 22. Juli in Polen allgemein mit der Jahreszahl 1944 assoziiert, nicht mit Napoleon Bonaparte. Die Behörde werde also weiterhin der Regel folgen, auch wenn das Dorf Abramów auf die Ausnahme poche.

Mich erinnert diese Posse an eine Taxifahrt in Leipzig, mit der ich im Sommer 2001 zwei Gäste aus dem tiefen Westen Deutschlands abends zu ihren Schlafplätzen bringen durfte. Beim Durchfahren der "Straße des 18. Oktober" bemerkte die Taxifahrerin mit dem berechtigten Stolz der Lokalpatriotin, daß sehr viele Fahrgäste aus dem Westen immer noch fragten, weshalb denn dieser Straßennamen nach der friedlichen Revolution nicht geändert worden sei. Als ich ausstieg, meinte einer meiner beiden Gäste, seines Wissens hätte die Oktoberrevolution ohnehin erst im November stattgefunden.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 18, 12. Jg., 31. August 2009, S. 23-24
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2009